Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Urlaubsübertragung

 

Leitsatz (amtlich)

Die langandauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers ist kein besonders begründeter Ausnahmefall im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 MTV Hohlglasindustrie, der die Übertragung des Urlaubs über den 31. März des Folgejahres hinaus rechtfertigt.

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abs. 3; Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der Hohlglasindustrie vom 18. September 1974 § 16 Abs. 1 Nr. 9

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 22.04.1993; Aktenzeichen 10 Sa 1170/92)

ArbG Aachen (Urteil vom 10.11.1992; Aktenzeichen 3 Ca 1500/92)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 22. April 1993 – 10 Sa 1170/92 – aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 10. November 1992 – 3 Ca 1500/92 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Urlaubsansprüche aus dem Jahr 1991.

Der Kläger ist seit 1977 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Beide Parteien sind tarifgebunden. Auf ihr Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag (MTV) für die Arbeitnehmer der Hohlglasindustrie, abgeschlossen zwischen dem Fachverband Hohlglasindustrie e.V. einerseits und der Industriegewerkschaft Chemie-Papier-Keramik andererseits, Anwendung. In dem am 1. Januar 1975 in Kraft getretenen MTV vom 18. September 1974, der zwischenzeitlich für die Landesgruppe Rhein-Weser mehrfach ergänzt und in anderen Punkten abgeändert worden ist, haben die Tarifvertragsparteien vereinbart:

“§ 16 I Nr. 9

Der laufende Jahresurlaub ist bis spätestens zum 31. März des folgenden Kalenderjahres zu gewähren und zu nehmen. Abgesehen von besonders begründeten Ausnahmefällen erlischt der Urlaubsanspruch, wenn er bis dahin nicht geltend gemacht worden ist.”

Vom 24. Januar 1991 bis 24. Mai 1992 war der Kläger ohne Unterbrechung arbeitsunfähig krank. Am 20. März 1992 schrieb er an die Personalabteilung der Beklagten

“… da ich aufgrund meiner Krankheit nicht dazu in der Lage bin, meinen restlichen Urlaubsanspruch aus dem Jahre 1991 bis zum 31.03.1992 abzuwickeln, möchte ich hiermit meinen Anspruch geltend machen, mir den Jahresurlaub 1991 noch über den 31.03.1992 hinaus zu gewähren.”

Die Beklagte antwortete am 25. März 1992, daß der Resturlaub aus 1991 ausnahmsweise bis spätestens Ende April 1992 abgewickelt werden könne. Am 22. Mai 1992 teilte sie dem Kläger mit, der Resturlaub von 33 Urlaubstagen sei nunmehr verfallen.

Der Kläger ist der Ansicht, der Anspruch aus 1991 sei nicht erloschen. Seine langandauernde Erkrankung sei als besonders begründeter Ausnahmefall im Sinne der tariflichen Sonderregelung anzusehen.

Der Kläger hat mit der am 24. Juni 1992 erhobenen Klage beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger 33 Tage Erholungsurlaub dem Urlaubskonto 1992 gutzuschreiben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Nachgewährung von Urlaub aus dem Urlaubsjahr 1991.

1. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist hinsichtlich seiner prozessualen Auswirkungen widersprüchlich. In seinem Tatbestand und seinen Entscheidungsgründen führt das Landesarbeitsgericht aus, der Kläger habe mit der vorliegenden Klage geltend gemacht, den Resturlaub aus 1991 nachzugewähren und stellt dazu den unbefristeten Fortbestand des Urlaubsanspruchs über den 31. März 1992 bzw. 1993 hinaus fest. Im Widerspruch dazu hat es die Beklagte zur Gutschrift von 33 Urlaubstagen im Urlaubskonto verurteilt. Das Auseinanderfallen von Tatbestand, Entscheidungsgründen und Urteilstenor beruht darauf, daß das Landesarbeitsgericht es unterlassen hat, auf eine sachdienliche Antragstellung für das von ihm erkannte Feststellungsbegehren des Klägers hinzuwirken. In der Revisionsverhandlung ist klargestellt worden, daß alleiniges Prozeßziel die Feststellung des Fortbestehens des Urlaubsanspruchs aus dem Jahr 1991 war. Zu diesem Ergebnis ist auch der Senat im Rahmen der revisionsrechtlich zulässigen Auslegung des Klageantrags (vgl. BGH Urteil vom 18. Dezember 1959 – I ZR 62/58 – LM Nr. 41/42 zu § 16 UWG; BAG Urteil vom 27. Januar 1961 – 1 AZR 311/59 – AP Nr. 26 zu § 11 ArbGG 1953; MünchKomm-ZPO-Walchshöfer, § 550 Rz 9) gelangt.

2. Die Feststellungsklage ist nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Das Feststellungsinteresse ist gegeben. Der Kläger leitet aus der Nichtgewährung des Urlaubs im Jahre 1992 noch Rechtsfolgen für die Gegenwart ab (vgl. Senatsurteil vom 24. August 1993 – 9 AZR 473/90 – AP Nr. 11 zu § 9 BildungsUrlG NRW, zu I der Gründe).

3. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Urlaubsanspruch des Klägers aus dem Jahr 1991 ist spätestens mit Ablauf des 30. April 1992 erloschen.

a) Nach § 16 I Nr. 9 Satz 1 MTV wird der laufende Jahresurlaub ohne weiteres bis zum 31. März des folgenden Kalenderjahres übertragen. Eine weitere Übertragung auf einen weiteren, nicht näher bestimmten Zeitraum danach findet nur statt, wenn der Urlaub bis zum 31. März des Folgejahres geltend gemacht worden ist und ein besonders begründeter Ausnahmefall vorliegt.

Die Tarifvertragsparteien sind damit zulässigerweise von der gesetzlichen Regelung in § 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 BUrlG abgewichen. Sie haben von ihrer Dispositionsbefugnis nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG Gebrauch gemacht. § 16 I Nr. 9 Satz 1 MTV ermöglicht deshalb den Arbeitsvertragsparteien, den Urlaub des laufenden Jahres auch ohne Vorliegen von Übertragungsgründen bis zum 31. März des Folgejahres abzuwickeln. In besonders begründeten Ausnahmefällen erlischt der bis dahin noch nicht genommene Urlaub nicht mit diesem Zeitpunkt.

b) Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts kann die vom 24. Januar 1991 bis 24. Mai 1992 andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht als besonders begründeter Ausnahmefall im Sinne des § 16 I Nr. 9 Satz 2 MTV angesehen werden. Das Landesarbeitsgericht hat bei der Auslegung der Tarifbestimmung auf die Gewöhnlichkeit oder Ungewöhnlichkeit einer derartig langen Erkrankung abgestellt. Dem vermag der Senat nicht zuzustimmen. Ein besonders begründeter Ausnahmefall liegt nur dann vor, wenn im Verhältnis zu den gesetzlichen Übertragungsgründen des § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG eine Ausnahmesituation angenommen werden kann, die es als besondere Härte für den Arbeitnehmer erscheinen läßt, wenn sein Urlaubsanspruch am Ende des ersten Quartals des Folgejahres erlischt. Wie das Arbeitsgericht und die Revision zu Recht ausführen, ist eine langandauernde Erkrankung eines Arbeitnehmers kein derartiger besonders begründeter Ausnahmefall. Vielmehr handelt es sich insoweit um den regelmäßig in der Person des Arbeitnehmers begründeten Übertragungsgrund, für den das Bundesurlaubsgesetz die Rechtsfolge der Übertragung bis zum Ende des ersten Quartals des Folgejahres als ausreichend ansieht. Als besonders begründete Ausnahmen kommen z.B. Fälle in Betracht, in denen der Urlaub aus betrieblichen Gründen auf das ersten Quartal des Folgejahres übertragen wird und der Urlaub dann wegen einer Erkrankung nicht gewährt werden kann, oder wenn der Arbeitnehmer infolge eines Arbeitsunfalles am Urlaubsantritt gehindert wird.

Soweit das Landesarbeitsgericht einen besonders begründeten Ausnahmefall zugunsten des Klägers damit begründet hat, daß die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zeit nach dem 31. März 1992 zu erwarten war, kann dies nicht überzeugen. Die Revision weist zu Recht darauf hin, daß bis zum 31. März 1992 überhaupt keine Aussage über die weitere Arbeitsunfähigkeit getroffen und insbesondere nicht die alsbaldige Wiederaufnahme der Arbeit angekündigt worden war. Eine besondere Härte ergibt sich auch nicht daraus, daß der Kläger Opfer einer unbilligen Stichtagsregelung ist. Zwischen dem 31. März 1992 und dem Tag der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, dem 25. Mai 1992, liegen fast zwei Monate.

c) Die Befristung des Urlaubsanspruchs in § 16 I Nr. 9 Satz 2 MTV ist nach der Rechtsprechung des Senats auch mit Art. 9 Abs. 1 des Zustimmungsgesetzes zum IAO-Übereinkommen Nr. 132 vereinbar (vgl. BAG Urteile vom 7. Dezember 1993 – 9 AZR 683/92 – AP Nr. 15 zu § 7 BUrlG, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; vom 19. April 1994 – 9 AZR 462/92 – AP Nr. 2 zu § 74 SGB V vom 21. März 1995 – 9 AZR 959/93 – n.v.).

d) Soweit die Beklagte am 25. März 1992 dem Kläger mitgeteilt hat, die Abwicklung des Resturlaubs bis Ende April 1992 gestatten zu wollen, liegt darin keine die Beklagte verpflichtende rechtsgeschäftliche Erklärung des Inhalts, den Urlaub auch noch später zu gewähren. Deshalb ist der bis dahin weder gewährte noch genommene Resturlaub aus 1991 endgültig erloschen.

II. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Berufung und nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten der erfolgreichen Revision der Beklagten zu tragen.

 

Unterschriften

Dörner, Böck, Düwell, R. Schmidt, Dr. Pühler

 

Fundstellen

Haufe-Index 441813

BB 1995, 2430

NZA 1996, 149

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