Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebliche Übung. Gehaltserhöhung

 

Leitsatz (redaktionell)

Als betriebliche Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers bezeichnet, aus denen seine Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber kann eine betriebliche Übung der Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet nur angenommen werden, wenn es deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers dafür gibt, dass er auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen übernehmen will. Denn ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber will sich grundsätzlich nicht für die Zukunft der Regelungsmacht der Verbände unterwerfen.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 151, 157

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 16.12.2003; Aktenzeichen 6 Sa 849/03)

ArbG Rosenheim (Urteil vom 05.06.2003; Aktenzeichen 2 Ca 890/02 Tr)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Gehaltserhöhung entsprechend der Steigerung der tariflichen Vergütung.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 15. August 1994 als technischer Angestellter beschäftigt. Er ist nicht tarifgebunden. Im Anstellungsvertrag vom 27. Juli 1994 heißt es ua.:

“2. Bezüge

Herr P… wird nach den Bestimmungen des Manteltarifvertrages für die Angestellten der Bayerischen Metallindustrie vom 01.06.1994 in die Gehaltsgruppe IV/1 Gruppenjahr eingestuft.

Tarifgehalt

DM 

3.829,00

Leistungszulage nach § 7 MTV

DM 

freiwillige, jederzeit frei widerrufliche Gruppenjahr-Zulage

DM 

383,00

freiwillige, jederzeit frei widerrufliche Zulage

DM 

Monatlicher Gesamtbezug brutto

DM 

4.212,00

Nach Ablauf der Probezeit wird gemäß § 7 MTV erstmalig eine Leistungsbeurteilung durchgeführt, auf deren Grundlage der Mitarbeiter eine tariflich abgesicherte Leistungszulage erhält. Über die dadurch bedingte neue Zusammensetzung der Bruttobezüge wird dann gesondert informiert.

11. Arbeitsbedingungen

Im übrigen gelten die Bestimmungen des MTV für die Angestellten der Bayerischen Metallindustrie in der jeweils gültigen Fassung.”

Die Beklagte, ein Unternehmen der Metallindustrie mit ca. 500 Beschäftigten, ist ebenfalls nicht tarifgebunden. Sie gewährte dem Kläger seit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses jeweils Gehaltserhöhungen, wie sie für die Angestellten der bayerischen Metallindustrie tariflich ausgehandelt wurden. Die Gehaltsveränderung teilte sie jedes Mal, teilweise unter Bezugnahme auf “die Tariferhöhung”, schriftlich mit. Auch die übrigen Arbeitnehmer der Beklagten erhielten den Tariferhöhungen entsprechende Lohn- und Gehaltserhöhungen.

Durch Tarifvertrag vom 24. Mai 2002 wurden die Gehälter für die Angestellten der bayerischen Metall- und Elektroindustrie ab dem 1. Juni 2002 um 3,1 % erhöht. Die Beklagte erhöhte das Gehalt des Klägers und der übrigen Angestellten nur um 3,0 % und leistete auch die tarifliche Einmalzahlung sowie die tariflich vorgesehene Pauschalzahlung (Strukturkomponente) nicht. Ebenso wenig zahlte sie an den Kläger einen “Bonus” in Höhe von 215,39 Euro, den andere Arbeitnehmer, die sich nicht an das Arbeitsgericht gewandt hatten, im Dezember 2002 erhalten haben sollen.

Der Kläger hat die volle tarifliche Vergütung unter Hinweis auf die Regelungen des Arbeitsvertrags geltend gemacht. Durch die langjährigen regelmäßigen Gehaltserhöhungen und die entsprechenden Gehaltsmitteilungen sei eine in die Zukunft gerichtete betriebliche Übung entstanden. Hinsichtlich der Zahlung des “Bonus” habe die Beklagte den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu bezahlen:

1. 123,89 Euro brutto (Restlohn Juni 2002) sowie 2,00 Euro Mahnauslagen,

2. 227,55 Euro brutto (Restlohn Juli 2002) sowie 1,50 Euro Mahnauslagen,

3. 3,89 Euro brutto (Restlohn August 2002),

4. 3,89 Euro brutto (Restlohn September 2002) sowie 2,00 Euro Mahnauslagen,

5. 3,90 Euro brutto (Restlohn Oktober 2002),

6. 6,05 Euro brutto (Restlohn November 2002),

7. 219,29 Euro brutto (Restlohn Dezember 2002),

8. 3,90 Euro brutto (Restlohn Januar 2003),

9. 3,90 Euro brutto (Restlohn Februar 2003),

10. 3,90 Euro brutto (Restlohn März 2003)

sowie Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach bestimmter zeitlicher Staffelung für alle Bruttovergütungen gemäß 1. bis 10.,

ferner festzustellen, dass die Beklagte ab April 2003 monatlich 3.080,89 Euro brutto und nicht 3.077,00 Euro zu zahlen habe.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Arbeitsvertrag verweise gerade nicht auf die Regelungen des jeweiligen Lohn- und Gehaltstarifvertrags. Eine betriebliche Übung setze deutliche Anhaltspunkte für einen in die Zukunft gerichteten, auch spätere Fälle von Tariferhöhungen erfassenden Bindungswillen des Arbeitgebers voraus. An solchen Anhaltspunkten fehle es. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz liege nicht vor.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge unverändert weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist in Höhe von 215,39 Euro nebst Zinsen unzulässig, im Übrigen unbegründet.

I. Soweit der Kläger weiterhin Zahlung des “Bonus” in Höhe von 215,39 Euro nebst Zinsen verlangt, fehlt es an einer Revisionsbegründung (§ 551 Abs. 3 Nr. 2a, b ZPO). Die Revisionsbegründung vom 26. Juli 2004 befasst sich ausschließlich mit dem Anspruch auf Gehaltserhöhung. Die Ausführungen der Revision zur betrieblichen Übung betreffen nicht die Zahlungen der Beklagten vom Dezember 2002. Auf den vom Landesarbeitsgericht verneinten Gleichbehandlungsanspruch geht die Revision mit keinem Wort ein. Das führt zur teilweisen Unzulässigkeit der Revision (vgl. nur BAG 16. März 1994 – 8 AZR 97/93 – BAGE 76, 148, 151, zu II der Gründe; 13. März 2003 – 6 AZR 585/01 – BAGE 105, 205, 207, zu I der Gründe).

II. Der Feststellungsantrag ist gem. § 256 ZPO zulässig. Der Kläger kann nicht auf eine Leistungsklage verwiesen werden. In Betracht käme nur eine Klage auf zukünftige Leistung, die ausschließlich unter den besonderen Voraussetzungen des § 259 ZPO zulässig ist (vgl. BAG 13. März 2002 – 5 AZR 755/00 – EzA ZPO § 259 Nr. 1).

III. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche gemäß dem Tarifvertrag vom 24. Mai 2002 nicht zustehen.

1. Die Voraussetzungen für eine tarifrechtliche Geltung der in Rede stehenden Inhaltsnormen liegen mangels beiderseitiger Tarifbindung bzw. Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags nicht vor, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1, § 5 Abs. 4 TVG.

2. Der Arbeitsvertrag vom 27. Juli 1994 nimmt weder ausdrücklich noch konkludent auf die jeweiligen Lohn- und Gehaltstarifverträge Bezug. Die erstmalige Einstufung in eine Gehaltsgruppe des Manteltarifvertrags und die Zusage einer tariflich abgesicherten Leistungszulage besagen nichts für die Frage einer dynamischen Anpassung an die jeweilige tarifliche Gehaltsentwicklung. Das Landesarbeitsgericht hebt zu Recht hervor, dass der Arbeitsvertrag offenbar bewusst nur auf die Bestimmungen des Manteltarifvertrags, nicht aber auf die jeweiligen Entgelttarifverträge verweist. Die Revision erhebt insoweit auch keine Rüge.

3. Das Landesarbeitsgericht hat das Bestehen einer betrieblichen Übung ohne Rechtsfehler verneint. Es hat hierzu die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde gelegt und zutreffend auf den Streitfall angewendet. Die bloße langjährige Anpassung der Gehälter entsprechend der jeweiligen tarifvertraglichen Erhöhung nebst Mitteilung hierüber an den Arbeitnehmer reicht nicht aus, um eine Bindung auch für künftige Fälle tariflicher Gehaltserhöhungen zu begründen. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht deutliche Anhaltspunkte im Verhalten der Beklagten vermisst, die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen auf Dauer übernehmen zu wollen.

a) Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist nicht der Verpflichtungswille, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen musste und durfte. Im Wege der Auslegung des Verhaltens des Arbeitgebers ist zu ermitteln, ob der Arbeitnehmer davon ausgehen musste, die Leistung werde nur unter bestimmten Voraussetzungen oder nur für eine bestimmte Zeit gewährt (st. Rspr, vgl. nur Senat 16. Januar 2002 – 5 AZR 715/00 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 56 = EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 37, zu I 1 der Gründe; 13. März 2002 – 5 AZR 755/00 – EzA ZPO § 259 Nr. 1, zu II 1 der Gründe; 3. November 2004 – 5 AZR 73/04 –, zu III 1a der Gründe, jeweils mwN).

b) Bei einem nichttarifgebundenen Arbeitgeber kann eine betriebliche Übung der Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet nur angenommen werden, wenn es deutliche Anhaltspunkte im Verhalten des Arbeitgebers dafür gibt, dass er auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen übernehmen will. Denn ein nichttarifgebundener Arbeitgeber will sich grundsätzlich nicht für die Zukunft der Regelungsmacht der Verbände unterwerfen. Dies ist gerade Sinn des nicht erfolgten Beitritts zu einem Arbeitgeberverband. Die fehlende Tarifbindung verdeutlicht den Willen des Arbeitgebers, die Erhöhung der Löhne und Gehälter zukünftig nicht ohne Beitrittsprüfung entsprechend der Tarifentwicklung vorzunehmen. Die nicht vorhersehbare Dynamik der Lohnentwicklung und die hierdurch verursachten Personalkosten sprechen grundsätzlich gegen einen objektiv erkennbaren rechtsgeschäftlichen Willen des Arbeitgebers für eine dauerhafte Entgeltanhebung entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet. Mit den in Anlehnung an Tariflohnerhöhungen erfolgenden freiwilligen Lohnsteigerungen entsteht lediglich ein Anspruch der Arbeitnehmer auf Fortzahlung dieses erhöhten Lohns, nicht aber zugleich eine Verpflichtung des Arbeitgebers, auch künftige Tariflohnerhöhungen weiterzugeben. Der nichttarifgebundene Arbeitgeber will seine Entscheidungsfreiheit für die künftige Lohn- und Gehaltsentwicklung behalten. Darin unterscheidet sich dieser Sachverhalt von der betrieblichen Übung bei der Gewährung von Zulagen oder Jahressonderzahlungen. Hierbei entstehen zwar auch weitere Kosten. Diese sind aber statisch und damit vorhersehbar und nicht unüberschaubar dynamisch ausgestaltet (Senat 16. Januar 2002 – 5 AZR 715/00 – aaO, zu I 2 der Gründe; 13. März 2002 – 5 AZR 755/00 – aaO, zu II 2 der Gründe; 3. November 2004 – 5 AZR 73/04 – aaO, zu III 1b der Gründe).

Es kommt hinzu, dass der tarifgebundene Arbeitgeber durch Austritt aus dem tarifschließenden Verband die Anwendbarkeit künftiger Tariflohnerhöhungen vermeiden kann (§ 3 Abs. 3 TVG). Eine betriebliche Übung wird bei Tarifbindung des Arbeitgebers allein auf Grund regelmäßiger Erhöhungen nicht entstehen können; denn es ist anzunehmen, der Arbeitgeber wolle nur den gesetzlichen Verpflichtungen des Tarifvertragsgesetzes Rechnung tragen und seine Arbeitnehmer gleich behandeln. Der nichttarifgebundene Arbeitgeber, der sich (zeitweise) wie ein tarifgebundener Arbeitgeber verhält, darf deswegen nicht schlechter stehen als dieser, nämlich auf Dauer ohne Austrittsmöglichkeit (vertraglich) gebunden sein. Das muss der Arbeitnehmer erkennen, falls die Frage der Tarifbindung seines Arbeitgebers überhaupt eine Rolle für ihn spielt. Deshalb darf er in keinem Falle von einer dauerhaften Bindung des Arbeitgebers ausgehen (Senat 3. November 2004 – 5 AZR 622/03 –, zu II 5 der Gründe).

c) Das Landesarbeitsgericht hat bei der Auslegung des Verhaltens der Beklagten alle wesentlichen Gesichtspunkte beachtet und das Verhalten der Beklagten zutreffend gewürdigt.

aa) Dass die Parteien als Anfangsgehalt eine Vergütung in Höhe des Tarifgehalts vereinbart und diese als “Tarifgehalt” bezeichnet haben, hat keine Bedeutung für die Frage künftiger Erhöhungen. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, hieraus resultiere keine berechtigte Erwartung der Teilnahme an künftigen Tariferhöhungen.

bb) Die regelmäßigen Gehaltserhöhungen entsprechend der Tarifentwicklung haben kein Vertrauen dahin gehend geschaffen, die Beklagte werde auch künftig weiter so verfahren. Sie beziehen sich jeweils nur auf den konkreten Fall. Der Kläger musste jedes Mal auch ohne besonderen Hinweis davon ausgehen, die Beklagte habe sich nach Prüfung aller Umstände (auch diesmal wieder) für eine ”Übernahme” entschieden. Die Revision verkehrt das Regel-Ausnahme-Verhältnis, wenn sie verlangt, die Beklagte hätte ihr Verhalten extra erläutern müssen. Vielmehr hätte es zusätzlicher Anhaltspunkte neben den regelmäßigen Erhöhungen bedurft, um eine betriebliche Übung annehmen zu können. Das Landesarbeitsgericht hat derartige Umstände nicht festgestellt.

cc) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht den Gehaltsmitteilungen keine Bedeutung zugemessen. Mit diesen wurde nur die aktuelle Praxis mitgeteilt, aus der sich gerade keine betriebliche Übung ergibt. Ein weitergehender Erklärungswert für künftige Tariflohnerhöhungen kam den Gehaltsmitteilungen nicht zu (vgl. Senat 3. November 2004 – 5 AZR 622/03 –, zu II 2 der Gründe). Soweit das Landesarbeitsgericht auch auf die Beifügung von Beurteilungsbögen abgestellt hat, ist der Revision zuzugeben, dass ein Zusammenhang nur mit dem Prozentsatz der tariflichen Leistungszulage, nicht mit den Tariferhöhungen ersichtlich ist. Das ändert aber nichts daran, dass die Gehaltsmitteilungen keinen Anhaltspunkt für eine dauerhafte dynamische Gehaltsentwicklung entsprechend künftigen Tarifverträgen enthalten.

IV. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Bull, Buschmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1337600

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