Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf der Tätigkeit eines Solo-Klarinettisten

 

Orientierungssatz

Durch Tarifvertrag kann bestimmt werden, dass der Arbeitgeber die Übertragung einer bestimmten Tätigkeit jederzeit widerrufen kann, ohne bei der Ausübung des Widerrufsrechts an billiges Ermessen iSv. § 315 BGB gebunden zu sein.

 

Normenkette

BGB §§ 315, 242; GG Art. 12

 

Verfahrensgang

Thüringer LAG (Urteil vom 16.02.2004; Aktenzeichen 8 Sa 31/03)

ArbG Gera (Urteil vom 18.12.2002; Aktenzeichen 7 Ca 1623/01)

 

Tenor

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Widerruf der Tätigkeit des Klägers als Solo-Klarinettist im Orchester der Beklagten.

Der Kläger ist Musiker in dem Philharmonischen Orchester der Beklagten. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft Bezugnahme im Arbeitsvertrag der Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) vom 1. Juli 1971 in der jeweils geltenden Fassung und die ihn ergänzenden, ändernden und an seine Stelle tretenden Tarifverträge Anwendung. Arbeitsvertraglich wurde dem Kläger die Tätigkeit eines Solo-Klarinettisten übertragen. Zunächst war der Kläger Orchestermusiker der Landeskapelle Altenburg. Nach der Fusion der Theater Altenburg und Gera zur beklagten Altenburg-Gera Theater GmbH ging das Arbeitsverhältnis mit Wirkung vom 1. August 1995 auf die Beklagte über. Die Landeskapelle Altenburg und das Philharmonische Orchester Gera blieben nach der Zusammenlegung der beiden Theater zunächst getrennte Einheiten.

Zum 1. August 2001 erfolgte eine Zusammenlegung der beiden Orchester zum Philharmonischen Orchester des Theaters Altenburg-Gera. In Folge dieser Fusion wurden die Instrumentengruppen neu geordnet, um Doppelbesetzungen aufzulösen. Zur Durchführung dieser Maßnahme schlossen der Deutsche Bühnenverein und die Deutsche Orchestervereinigung für die Musiker des Philharmonischen Orchesters der Altenburg-Gera Theater GmbH den Tarifvertrag vom 30. Juni 2000 (im Folgenden: TV Musiker Altenburg-Gera). Dieser bestimmt in § 1 Nr. 5:

“§ 26 TVK findet mit folgender Maßgabe Anwendung:

a) Verständigen sich die Musiker einer Instrumentengruppe des fusionierten Philharmonischen Orchesters der Altenburg-Gera Theater GmbH bis zum 30. Oktober 2000 darauf, wer zukünftig welche nach § 26 zulageberechtigende Tätigkeit in ihrer Instrumentengruppe ausüben soll, werden alle bis zum 30. Oktober 2000 gezahlten Tätigkeitszulagen bis zum 31. Juli 2001 uneingeschränkt weitergezahlt, sofern eine zulageberechtigende Tätigkeit nicht einem Musiker übertragen wird, der bisher die entsprechende Tätigkeit nicht ausgeübt hat, und die zulageberechtigende Tätigkeit jeweils nur einem Musiker übertragen wird.

b) Im Arbeitsvertrag kann befristet bis zum 31. Juli 2001 mit Musikern, denen eine Tätigkeit der Stufe 1 oder 2 übertragen ist, vereinbart werden, dass die Tätigkeit “koordiniert” ausgeübt wird. In diesem Fall werden die Tätigkeitszulagen der Stufen 1 und 2 zusammengezählt und 50 vH. dieser Summe dem jeweiligen Musiker als Tätigkeitszulage gezahlt. Die Koordinierung kann an die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Tarifvertrages geltende tatsächliche Stellenbesetzung geknüpft werden.

c) Verständigen sich die Musiker einer Instrumentengruppe nicht bis zum 30. Oktober 2000 gemäß Buchstabe a), werden sämtliche Tätigkeitszulagen mit Wirkung zum 1. November 2000 um 20 % gekürzt und mit dieser Kürzung bis zum 31. Juli 2001 weitergezahlt, unabhängig davon, ob die zulageberechtigende Tätigkeit ausgeübt wird oder nicht. Die Verpflichtung zur Ausübung dieser Tätigkeit bleibt unberührt.

d) Verständigen sich im Falle des Buchstaben c) die Musiker einer Instrumentengruppe nicht bis zum 30. Juni 2001, wer zukünftig welche nach § 26 zulageberechtigende Tätigkeit in ihrer Instrumentengruppe ausüben soll, ist der Generalintendant berechtigt, die Übertragung der Tätigkeit spätestens zum 30. November 2001 zu widerrufen. § 26 Abs. 1 Satz 5 und § 26 Abs. 6 finden dann keine Anwendung. Bis zum Wirksamwerden des Widerrufs werden sämtliche Tätigkeitszulagen in der bis zum 31. Juli 2001 gezahlten Höhe weiter gezahlt.

e) Verständigen sich die Musiker einer Instrumentengruppe gemäß Buchstaben a), c) und d), endet die Übertragung der zulageberechtigenden Tätigkeit der Musiker, auf die sich die Instrumentengruppe verständigt hat, zum jeweils festgelegten Zeitpunkt. Der Inhalt der Verständigung wird der Orchestervorstand dem Generalintendanten schriftlich mitteilen. Der Generalintendant wird den jeweiligen Musikern das Ende der Übertragung schriftlich bestätigen. An diese Musiker wird ab dem 1. August 2001 keine Tätigkeitszulage mehr gezahlt.”

In § 26 des Tarifvertrags für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) ist Folgendes bestimmt:

“§ 26

Tätigkeitszulagen

(1) Der Arbeitgeber kann dem Musiker mit seiner Zustimmung bei der Einstellung und während der Dauer des Arbeitsverhältnisses bestimmte Tätigkeiten und das Spielen von Nebeninstrumenten übertragen. Die Übertragung bedarf der Schriftform. Der Arbeitgeber kann die Übertragung jederzeit widerrufen, ohne daß es einer Kündigung bedarf. Der Widerruf bedarf der Schriftform. Er ist unwirksam, wenn er aus Gründen erfolgt, die nicht in der Leistungsfähigkeit oder der sonstigen Eignung des Musikers liegen.

…”

Neun Instrumentengruppen erzielten auf der Grundlage des TV Musiker Altenburg-Gera eine Einigung über ihren Solisten. In vier Gruppen (erste Violinen, Klarinetten, Hörner sowie Pauken/Schlagzeug) kam eine solche Einigung nicht zustande. Wegen der unterbliebenen Einigung machte der Generalintendant von dem tariflichen Widerrufsrecht Gebrauch. Drei der Betroffenen, darunter der Kläger, haben sich gerichtlich gegen die Widerrufe gewandt. Der Kläger hat geltend gemacht, der Widerruf entspreche nicht billigem Ermessen und sei willkürlich erfolgt.

Der Kläger hat beantragt

1. festzustellen, dass der Widerruf der Übertragung der Tätigkeit als Solo-Klarinettist durch die Beklagte vom 1. Juli 2001 unwirksam ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger vertragsgemäß als Solo-Klarinettisten zu beschäftigen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.863,25 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, auf Grund der Regelung in § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera habe sie die dem Kläger arbeitsvertraglich übertragene Tätigkeit eines Solo-Klarinettisten frei widerrufen können.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Beklagte hat die dem Kläger übertragene Tätigkeit eines Solo-Klarinettisten wirksam widerrufen.

I. Die Beklagte war nach § 26 Abs. 1 Satz 3 TVK iVm. § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera zum Widerruf der dem Kläger übertragenen Tätigkeit als Solo-Klarinettist berechtigt. Das ergibt die Auslegung dieser Tarifregelungen.

1. Nach § 26 Abs. 1 Satz 3 TVK kann der Arbeitgeber die Übertragung einer bestimmten Tätigkeit jederzeit widerrufen, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Das jederzeitige Widerrufsrecht ist nach Satz 5 dieser Bestimmung jedoch unwirksam, wenn der Widerruf aus Gründen erfolgt, die nicht in der Leistungsfähigkeit oder sonstigen Eignung des Musikers liegen. Diese Einschränkung des Widerrufsrechts gilt nach § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera nicht, wenn sich die Musiker einer Instrumentengruppe bis zum 30. Juni 2001 nicht darüber verständigt haben, wer zukünftig die zulageberechtigende Tätigkeit in der Instrumentengruppe ausführen soll. Mit der Aufhebung des § 26 Abs. 1 Satz 5 TVK durch § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera ist die Übertragung besonderer Tätigkeiten gem. § 26 Abs. 1 Satz 3 TVK jederzeit widerruflich. Die Widerrufsmöglichkeit unterliegt damit nach der Formulierung des Tarifvertrags weder einer zeitlichen noch einer inhaltlichen Bindung, weil die zeitliche Ungebundenheit ein Indiz für das Fehlen einer inhaltlichen Bindung für den Widerruf ist (vgl. BAG 30. August 2000 – 4 AZR 560/99 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 172 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 121).

2. Der Zusammenhang zwischen § 1 Nr. 5 TV Musiker Altenburg-Gera und § 26 Abs. 1 TVK bestätigt, dass der TV Musiker Altenburg-Gera die Beklagte von einer Bindung des Widerrufsrechts an billiges Ermessen iSv. § 315 BGB freigestellt hat. Nach § 26 Abs. 1 Satz 3 TVK kann der Arbeitgeber die Übertragung jederzeit widerrufen, ohne dass es einer Kündigung bedarf. Das Widerrufsrecht ist damit nicht an die Voraussetzungen des § 2 KSchG gebunden. Der Widerruf ist allerdings gem. § 26 Abs. 1 Satz 5 TVK unwirksam, wenn er aus Gründen erfolgt, die nicht in der Leistungsfähigkeit oder der sonstigen Eignung des Musikers liegen. Durch den in § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera geregelten Ausschluss der Anwendbarkeit dieser Regelung entfällt die dort vorgesehene Kontrolle des Widerrufs. Der Beklagten wird ein freies Widerrufsrecht eingeräumt.

3. Das Recht zum freien Widerruf entspricht dem Zweck des § 1 Nr. 5 TV Musiker Altenburg-Gera, wie er im weiteren tariflichen Gesamtzusammenhang zum Ausdruck kommt. Hierdurch sollte eine Einigung unter den Musikern der jeweiligen Instrumentengruppe gefördert werden. Die Mitglieder der Instrumentengruppe sollten möglichst einvernehmlich ihre Solisten bestimmen. § 1 Nr. 5 Buchst. a) und b) TV Musiker Altenburg-Gera bietet einigungsbereiten Musikern entsprechende Anreize. In § 1 Nr. 5 Buchst. c) TV Musiker Altenburg-Gera wird für den Fall einer bis zum 30. Oktober 2000 unterbliebenen Einigung der Einigungsdruck durch eine Kürzung sämtlicher Tätigkeitszulagen erhöht. Ultima ratio ist das in § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera iVm. § 26 Abs. 1 TVK geregelte jederzeitige Widerrufsrecht des Generalintendanten. Dieses Widerrufsrecht, das nur einer gerichtlichen Missbrauchskontrolle unterliegt, soll die Musiker zu einer einvernehmlichen Lösung veranlassen.

II. Die durch § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera bewirkte Herstellung eines jederzeitigen Widerrufsrechts ist rechtlich nicht zu beanstanden.

1. Der TV Musiker Altenburg-Gera ist ein firmenbezogener Verbandstarifvertrag. Er ist auf Arbeitgeberseite vom Deutschen Bühnenverein und auf Gewerkschaftsseite von der Deutschen Orchestervereinigung abgeschlossen worden. Beide Vereinigungen haben auch den TVK abgeschlossen. Die Tarifvertragsparteien des TV Musiker Altenburg-Gera konnten deshalb ohne weiteres § 26 Abs. 1 TVK ändern.

2. Der Kläger hat durch § 26 Abs. 1 TVK keine Rechtsposition gewonnen, in die nicht durch einen anderen Tarifvertrag – wie den TV Musiker Altenburg-Gera – derselben Tarifvertragsparteien hätte eingegriffen werden können.

a) Ein Arbeitnehmer muss mit einer nachträglichen Änderung tariflicher Regelungen rechnen. Tarifverträge tragen bereits während ihrer Laufzeit den immanenten Vorbehalt ihrer Abänderbarkeit durch einen neuen Tarifvertrag in sich. Dies gilt auch für sog. “wohlerworbene Rechte”. Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zur rückwirkenden Änderung tarifvertraglicher Regelungen ist nur durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes der Normunterworfenen begrenzt. Insoweit gelten die gleichen Regeln wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Rückwirkung von Gesetzen (vgl. BAG 23. November 1994 – 4 AZR 879/93 – BAGE 78, 309; 17. Mai 2000 – 4 AZR 216/99 – BAGE 94, 349).

b) Durch § 1 Nr. 5 Buchst. d) TV Musiker Altenburg-Gera wird nicht in abgeschlossene Tatbestände eingegriffen, sondern eine Einschränkung des Widerrufsrechts des Arbeitgebers für die Zukunft aufgehoben. Insoweit geht der vom Kläger angestellte Vergleich mit der Situation eines unkündbaren Arbeitnehmers fehl. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer frühen Entscheidung die Unzulässigkeit des Entzugs der fest erworbenen Rechtsposition der Unkündbarkeit durch eine spätere tarifliche Regelung damit begründet, die Tarifregelung wolle die Rechtsstellung des Arbeitnehmers im Hinblick auf langjährige von ihm geleistete treue Dienste so sichern, dass er gegen den Verlust seines Arbeitsplatzes durch ordentliche Kündigung auf alle Zukunft gesichert sein solle (BAG 16. Februar 1962 – 1 AZR 164/61 – AP TVG § 4 Günstigkeitsprinzip Nr. 11). Eine solche dauerhafte Sicherung einer Rechtsposition enthält § 26 Abs. 1 TVK jedoch nicht. Diese Regelung bezweckt nicht die Schaffung einer gesicherten Rechtsposition des Arbeitnehmers, sondern die Erweiterung der Rechte des Arbeitgebers (so bereits Senat 16. Oktober 1965 – 5 AZR 55/65 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 20). Der Arbeitgeber soll nach § 26 Abs. 1 TVK besondere Tätigkeiten des Arbeitnehmers einseitig widerrufen können und nicht auf den Ausspruch einer Änderungskündigung verwiesen sein. Nur wenn der Arbeitnehmer nachweist, dass der Widerruf aus Gründen erfolgt, die nicht in der Leistungsfähigkeit oder der sonstigen Eignung des Musikers liegen, ist der Widerruf unwirksam.

3. Eine Billigkeitskontrolle ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. Durch das im TV Musiker Altenburg-Gera enthaltene Recht der Beklagten, die übertragene Solistentätigkeit frei widerrufen zu können, werden die betroffenen Arbeitnehmer nicht in ihrer durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsausübungsfreiheit verletzt. Insoweit ist zu beachten, dass es nach dem Zusammenschluss der beiden Orchester zu einer Doppelbesetzung der Solistenstellen kam. Die Auflösung dieser Doppelbesetzungen führte notwendig zum Wegfall einer der beiden Solistenstellen in jeder Instrumentengruppe. Durch den Widerruf wird deshalb immer einer der beiden Solisten in seiner Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG berührt. Darüber hinaus steht dem Grundrecht der Arbeitnehmer auf Seiten der Beklagten die durch Art. 12 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 3 GG geschützte unternehmerische Entscheidung gegenüber, nur mit einem Solisten in jeder Instrumentengruppe zu arbeiten. Beide kollidierenden Grundrechtspositionen sind im Wege praktischer Konkordanz zum Ausgleich zu bringen. Das ist hier durch das von den Tarifvertragsparteien in § 1 Nr. 5 TV Musiker Altenburg-Gera geregelte abgestufte Verfahren erfolgt. Die betroffenen Musiker konnten ihre Interessen angemessen einbringen, weil ihrer Einigung auf einen Solisten nach dem Tarifvertrag Vorrang vor der Entscheidung der Beklagten zukam. Nur wenn sich die Musiker nicht auf einen Solisten verständigten, kam dem Generalintendanten das Bestimmungsrecht zu. Dieses Verfahren hat die kollidierenden Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung erfasst und sie so begrenzt, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam wurden.

III. Die Ausübung des Widerrufs unterliegt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keiner Willkürkontrolle (§ 242 BGB) nach den Maßstäben, die der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts zur Kündigung in Kleinbetrieben entwickelt hat. Diese Grundsätze sind auf die Ausübung des Widerrufsrechts nicht übertragbar.

1. Der Arbeitgeber hat im Kleinbetrieb, auf den das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, im Fall der Kündigung ein durch Art. 12 GG gebotenes Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme zu wahren. Eine Kündigung, die dieser Anforderung nicht entspricht, verstößt gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) und ist deshalb unwirksam (BAG 21. Februar 2001 – 2 AZR 15/00 – BAGE 97, 92; 16. Januar 2003 – 2 AZR 609/01 – AP KSchG 1969 § 1 Gemeinschaftsbetrieb Nr. 1 = EzA KSchG § 23 Nr. 25; 28. August 2003 – 2 AZR 333/02 – AP BGB § 242 Kündigung Nr. 17 = EzA BGB 2002 § 242 Kündigung Nr. 4). Mit dieser Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt, wonach auch in Kleinbetrieben ein durch Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleisteter Mindestschutz des Arbeitsplatzes vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu gewährleisten ist (BVerfG 27. Januar 1998 – 1 BvL 15/87 – BVerfGE 97, 169).

2. Durch den hier erfolgten Widerruf ist der Bestand des Arbeitsverhältnisses des Klägers nicht gefährdet worden. Gegenstand des Widerrufs ist die zuvor erfolgte Übertragung der Tätigkeit als Solist. Dieser Teil der Arbeitspflicht ist nach dem Widerruf weggefallen. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses ist davon unberührt geblieben. Der Kläger spielt weiterhin Klarinette.

IV. Der Widerruf ist nicht rechtsmissbräuchlich erfolgt. Der Kläger hat ein unredliches Verhalten der Beklagten nicht schlüssig dargelegt.

1. Soweit der Kläger auf seine weitergehende Ausbildung und seine Soloauftritte bei der Landeskapelle Altenburg verweist und geltend macht, der jetzige Solo-Klarinettist S… verfüge nicht über eine entsprechende Eignung, lässt dies nicht den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Beklagten zu. Diese hat zu Recht ausgeführt, die Ausbildung sei zwar ein Kriterium, jedoch kein hinreichender Gesichtspunkt zur Feststellung der Eignung für die Tätigkeit eines Stimmführers. Maßgebend seien vielmehr andere Faktoren, insbesondere das Einpassen in die Gruppe und die Homogenität der Gruppe und des Klangkörpers. Der Kläger macht auch nicht geltend, Herr S… sei trotz des fehlenden Aufbaustudiums und Konzertexamens ein qualitativ schlechter Musiker.

2. Der Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Beklagten kann nicht damit begründet werden, Herrn S… sei die Solostelle übertragen worden, als der Zusammenschluss beider Orchester schon beschlossene Sache gewesen sei. Wenn die Orchesterleitung des Philharmonischen Orchesters Gera im Jahre 1998 der Auffassung war, Herr S… sei für diese Tätigkeit hinreichend geeignet, ist das auch im Hinblick auf die seinerzeit beabsichtigte und dann auch erfolgte Zusammenlegung beider Orchester nicht zu beanstanden.

3. Die Entscheidung der Beklagten ist nicht rechtsmissbräuchlich, weil Herr S… es abgelehnt hat, sich mit dem Kläger dahin zu einigen, dass beide Musiker je 50 % der Tätigkeitszulage erhalten. Nach § 1 Nr. 5 Buchst. b) TV Musiker Altenburg-Gera war eine solche Regelung nur bis zum 31. Juli 2001 tarifvertraglich vorgesehen. War Herr S… aus seiner Sicht der geeignetere Musiker, verhielt er sich konsequent, wenn er sich auf keine abweichende Regelung einließ. Auch daraus, dass sich der Generalintendant offenbar nicht um eine Einigung zwischen dem Kläger und Herrn S… bemühte, kann nicht auf ein missbräuchliches Verhalten der Beklagten geschlossen werden. Hierzu bestand aus Sicht der Beklagten schon deshalb keine Veranlassung, weil sie der Auffassung war, Herr S… sei der geeignetere Musiker für die Tätigkeit eines Solo-Klarinettisten.

4. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann aus der ganz überwiegenden Besetzung der Solostellen mit Musikern des Philharmonischen Orchesters Gera nicht auf ein unredliches Verhalten der Beklagten geschlossen werden. Hiergegen spricht bereits, dass sich die Musiker von neun Instrumentengruppen auf die Besetzung der jeweiligen Stellen einigten und nur in vier Gruppen die Beklagte durch ihren Intendanten entschied. Die überwiegende Besetzung der Solostellen ist daher nicht durch die Beklagte erfolgt, sondern durch die betroffenen Musiker.

5. Schließlich lassen auch die weiteren Umstände nicht den Schluss auf ein unredliches Verhalten der Beklagten zu. Dass die Beklagte keine Dokumentation der Vorgänge vorgenommen hat, mag zwar bedauerlich sein, begründet jedoch als rein formaler Gesichtspunkt nicht die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens. Soweit das Landesarbeitsgericht meint, aus der Tatsache, dass die Beklagte einen Tag nach Ablauf der Frist für eine mögliche Einigung, am Sonntag, dem 1. Juli 2001, den Widerruf ausgesprochen habe, schließen zu können, die Entscheidung sei sachwidrig erfolgt, weil für eine solche Eile keine Gründe ersichtlich seien, kann ihm nicht gefolgt werden. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass vor dem Beginn der Theaterferien eine Entscheidung getroffen werden sollte. Zudem sprachen wirtschaftliche Gründe dagegen, die tarifvertraglich vorgesehene Frist auszuschöpfen.

V. Da der Widerruf wirksam war, hat der Kläger keinen Beschäftigungsanspruch und keinen Zahlungsanspruch. Deshalb hat das Arbeitsgericht auch die Klageanträge zu 2) und zu 3) zu Recht abgewiesen.

VI. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu tragen.

 

Unterschriften

Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Bull, Buschmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 1345014

ZTR 2005, 421

EzA

RiA 2006, 19

ZUM-RD 2005, 368

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