Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebungsklage. Anspruch auf Gagenerhöhung. Aufhebungsverfahren. Feststellungsklage. tariflicher Gehaltsrahmen. Betriebliche Übung. Tarifvollzug. Auslegung des Erklärungsverhaltens. Leistungsbestimmung

 

Orientierungssatz

  • Der Antrag auf Verurteilung zu einer konkret bezifferten Anhebung des Gehalts kann als Feststellungsantrag ausgelegt werden.
  • Allein die mehrmalige Anpassung der Vergütung entsprechend dem Tariflohn begründet innerhalb wie außerhalb des öffentlichen Dienstes keine betriebliche Übung, die Vergütung auch künftig entsprechend anzupassen. Die Arbeitnehmer dürfen die Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung nur bei zusätzlichen deutlichen Anhaltspunkten dahin verstehen, der Arbeitgeber wolle auch die künftig von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen unabhängig von einer beiderseitigen Tarifbindung übernehmen.
  • Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn Tarifregelungen dem Arbeitgeber eine Anpassungsentscheidung ermöglichen und der Arbeitgeber die Anpassung ohne tarifliche Verpflichtung mehrfach in einem bestimmten Sinne vornahm.
 

Normenkette

BGB §§ 133, 151, 157, 315; ZPO § 256

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 03.02.2004; Aktenzeichen 9 Sa 418/03)

ArbG Köln (Urteil vom 07.01.2003; Aktenzeichen 5 Ca 13020/02)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Gehaltserhöhung ab dem 1. Januar 2001.

Das im Aufhebungsverfahren klagende Land (im Folgenden: Land) unterhält das Staatstheater in K… mit einem Orchester der Vergütungsgruppe A gem. dem Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK). Demgemäss erhalten die im Aufhebungsverfahren beklagten Mitglieder des Opernchors (im Folgenden: Opernchormitglieder) Vergütung nach der Gagenklasse 1b. Auf die Arbeitsverhältnisse fand im Jahre 2001 kraft beiderseitiger Tarifbindung der Normalvertrag (NV) Chor/Tanz vom 2. November 2000 Anwendung. Zuvor galt bis zum 31. Dezember 2000 der NV Chor vom 11. Mai 1979 idF vom 15. März 1992.

Bei der Gagenklasse handelt es sich um einen schon im Chorgagentarifvertrag vom 16. Februar 1979 festgelegten und regelmäßig entsprechend den vereinbarten prozentualen Gehaltssteigerungen angehobenen Vergütungsrahmen. Das Land vereinbarte mit den Opernchormitgliedern zu Beginn der Arbeitsverhältnisse einzelvertraglich jeweils eine konkret bezifferte Gage entsprechend der Obergrenze des geltenden Vergütungsrahmens der Gagenklasse 1b. Seit 1993 bis einschließlich 2000 gab das Land die tariflich vereinbarten Erhöhungen der Obergrenze an die Opernchormitglieder weiter. Dementsprechend zahlte es ab der Änderung des Rahmens auf 3.698,00 DM bis 3.801,00 DM zum 1. August 2000 den Opernchormitgliedern jeweils 3.801,00 DM monatlich als Grundgage. Deren tarifliche Vergütung besteht außerdem aus einem Ortszuschlag und Zulagen. Weiterhin vereinbarten die Parteien unter der Geltung des NV Chor zur Abgeltung einzelner gem. § 11 sondervergütungspflichtiger Nebenleistungen (Übernahme kleinerer Rollen und Partien, kleinere Leistungen in Pantomime, Tanz, Statisterie und Komparserie, Tragen von Personen und schweren Gegenständen auf der Bühne) ein monatliches Pauschalhonorar in Höhe von 2/3 Tagesgage.

Nach § 59 Abs. 2 NV Chor/Tanz betrugen die Gagen in der Gagenklasse 1b ab 1. Januar 2001 von 3.733,00 DM bis 3.852,00 DM und ab 1. September 2001 von 3.823,00 DM bis 3.944,00 DM. Als sondervergütungspflichtige Nebenleistung war in § 62 Abs. 2 Buchst. a NV Chor/Tanz nur noch die Übernahme kleinerer Rollen oder Partien vorgesehen. Wie die Parteien übereinstimmend hervorgehoben haben, ist die Anhebung des Gagenrahmens zum 1. Januar 2001 gerade wegen der tariflichen Ausweitung der Normalarbeitsleistung nebst Einschränkung der tariflichen Sondervergütungen erfolgt. Die Protokollnotizen 1 und 2 zu § 59 NV Chor/Tanz enthalten hierzu folgende Regelungen:

“1. Erhält das Opernchormitglied auf der Grundlage einer zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Tarifvertrags bestehenden Nebenabrede zum Arbeitsvertrag eine zur Abgeltung von Ansprüchen nach § 11 NV Chor in Monatsbeträgen berechnete pauschale zusätzliche Vergütung, ist diese Vergütung bis zum Ende der Spielzeit 2000/2001 ohne Einschränkung weiterzuzahlen. Einigen sich der Arbeitgeber und der Chorvorstand bis zu diesem Zeitpunkt nicht auf eine entsprechende Anrechnung der durch diesen Tarifvertrag vorgenommenen Gagenerhöhung auf die zusätzliche Vergütung, ist die Gagenerhöhung zur Hälfte anzurechnen.

2. Ansprüche nach § 62 bestehen nicht, soweit die dort genannten sondervergütungspflichtigen Tatbestände durch die Fortzahlung einer Pauschale entsprechend deren früherer Berechnung abgegolten werden.”

Ab Januar 2001 zahlte das Land die Grundgage unverändert mit 3.801,00 DM weiter. Mit ihrer am 27. Juni 2001 eingereichten Schiedsklage haben die Opernchormitglieder verlangt, den Gagenrahmen auch weiterhin voll auszuschöpfen, und sich auf eine entsprechende betriebliche Übung berufen. Das Land hätte das Verfahren nach der Protokollnotiz 1 zu § 59 NV Chor/Tanz durchführen müssen, um eine Anrechnung auf die vereinbarte Tariferhöhung vornehmen zu können. Die Opernchormitglieder haben vor dem Bühnenschiedsgericht beantragt,

das Land zu verurteilen, ihre Grundgage mit Wirkung vom 1. Januar 2001 um je 51,00 DM brutto pro Monat anzuheben.

Das Land hat beantragt, die Schiedsklage abzuweisen. Es habe in den vergangenen Jahren immer nur die wegen der Tarifgebundenheit verbindlichen linearen Tariferhöhungen weitergegeben. Die Opernchormitglieder hätten nicht auf eine volle Ausschöpfung des Gagenrahmens vertrauen können, zumal einzelvertraglich eine Pauschalzahlung vereinbart sei, die trotz der Einschränkung der Nebenleistungen weitergezahlt werden müsse.

Das Bühnenschiedsgericht hat der Schiedsklage stattgegeben. Das Bühnenoberschiedsgericht hat die Berufung des Landes zurückgewiesen. Dessen Aufhebungsklage war beim Arbeitsgericht erfolglos, während das Landesarbeitsgericht auf die Berufung des Landes die Schiedssprüche aufgehoben und die Klage der Opernchormitglieder abgewiesen hat. Diese begehren mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Aufhebungsklage im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

I. Das ursprüngliche Klagebegehren, über das nach dem Verbrauch des Schiedsgerichtsverfahrens nunmehr die Gerichte für Arbeitssachen zu entscheiden haben (vgl. BAG 27. Januar 1993 – 7 AZR 124/92 – AP ArbGG 1979 § 110 Nr. 3 = EzA ArbGG 1979 § 110 Nr. 1, zu I der Gründe; 7. November 1995 – 3 AZR 955/94 – AP BGB § 611 Bühnenengagementsvertrag Nr. 48 = EzA TVG § 4 Bühnen Nr. 4, zu A der Gründe), ist zulässig.

1. Der Antrag bedarf allerdings der Auslegung. Nach seinem Wortlaut begehren die Opernchormitglieder die Verurteilung zu einer Anhebung der Grundgage um monatlich 51,00 DM. Sie verlangen nicht Zahlung, sondern nennen nur den Anhebungsbetrag ab einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt und errechnen keinen Zahlbetrag der fälligen Vergütung. Das spricht gegen eine auf Zahlung gerichtete Leistungsklage und für eine Feststellungsklage. Es soll geklärt werden, ob das Land ab dem 1. Januar 2001 eine Anhebung der Grundgage um 51,00 DM schuldet. Der Prozessbevollmächtigte der Aufhebungsbeklagten hat diese Auslegung im Verhandlungstermin vor dem Senat ausdrücklich bestätigt.

2. Der Antrag ist als Feststellungsantrag gem. § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Der Anspruch auf Anhebung der Grundgage betrifft den Umfang der Leistungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis und damit ein Rechtsverhältnis (vgl. nur BAG 25. Oktober 2001 – 6 AZR 718/00 – BAGE 99, 250, 252 f., zu B I 1 der Gründe; 29. September 2004 – 5 AZR 528/03 – zur Veröffentlichung vorgesehen ≪zVv.≫, zu I 1 der Gründe). Die Opernchormitglieder haben ein rechtliches Interesse daran, den Anspruch alsbald gerichtlich feststellen zu lassen. Auf eine Leistungsklage können sie nicht verwiesen werden, da anzunehmen ist, das Land werde auch einem Feststellungsurteil Folge leisten (vgl. nur BAG 15. Januar 1991 – 1 AZR 105/90 – BAGE 67, 35, 40, zu A der Gründe; 29. September 2004 – 5 AZR 528/03 – aaO, zu I 2 der Gründe) und der streitige Anspruch zum Teil in die Zukunft gerichtet ist. Die Anhebung der Gage soll auf Dauer wirken (vgl. nur BAG 29. Oktober 1997 – 5 AZR 573/96 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 51 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 19, zu I der Gründe). Mit dem Feststellungsantrag wird auch deutlich, dass nur die Tarifänderung ab dem 1. Januar 2001 berücksichtigt werden soll und künftige Tariferhöhungen (wie diejenige ab dem 1. September 2001) nicht Streitgegenstand sind.

II. Den Opernchormitgliedern steht ab dem 1. Januar 2001 keine erhöhte Grundgage zu. Das Land schuldete nicht mehr als die von ihm gezahlten 3.801,00 DM.

1. Ein tariflicher Anspruch besteht nicht.

a) Nach dem gem. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend anwendbaren § 59 Abs. 2 NV Chor/Tanz betragen die Gagen ab 1. Januar 2001 in der Gagenklasse 1b von 3.733,00 DM bis 3.852,00 DM. Der Tarifvertrag bestimmt also einen Rahmen und gewährt einen zwingenden Anspruch (jedenfalls zunächst) nur auf den Mindestbetrag von 3.733,00 DM. Im Übrigen ist die Ausschöpfung des Rahmens Sache der Arbeitsvertragsparteien. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Tarifregelung keine Vorgaben enthält, unter welchen Voraussetzungen der vorgegebene Rahmen in welcher Weise auszuschöpfen ist. Es kommt nicht darauf an, ob, wie offenbar das Landesarbeitsgericht angenommen hat, durch eine Festlegung der Arbeitsvertragsparteien innerhalb des Rahmens der Tariflohn festgelegt wird; denn die Parteien haben weder eine solche Festlegung für die Zeit ab dem 1. Januar 2001 getroffen noch hat § 59 Abs. 2 NV Chor/Tanz einen etwaigen Tariflohn von 3.801,00 DM ab dem 1. Januar 2001 angehoben. Eine prozentuale Steigerung der Grundgage war tariflich nicht vorgesehen. Vielmehr liegt der gezahlte Betrag von 3.801,00 DM innerhalb des ab dem 1. Januar 2001 neu festgelegten tariflichen Vergütungsrahmens.

b) Eine Erhöhung der Gage sieht auch § 59 Abs. 4 NV Chor/Tanz nicht vor. Hiernach sind die Gagen und die Rahmenbeträge der Gagenklassen durch Tarifvertrag sinngemäß anzupassen, wenn die Grundvergütungen der unter den Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) fallenden Angestellten des Bundes rechtsverbindlich allgemein geändert werden. Weder sind die Grundvergütungen der BAT-Angestellten entsprechend erhöht worden noch könnten die Opernchormitglieder aus der schuldrechtlichen Bestimmung des § 59 Abs. 4 NV Chor/Tanz Ansprüche im Arbeitsverhältnis herleiten.

c) Der Anspruch folgt nicht aus der Protokollnotiz 1 zu § 59 NV Chor/Tanz. Deren Satz 1 betrifft nur den Anspruch auf das einzelvertraglich vereinbarte Pauschalhonorar zur Abgeltung von Ansprüchen auf bestimmte Sondervergütungen. Hierum geht es im Streitfall nicht. Die Pauschale im Umfang von 2/3 Tagesgage wurde auch entsprechend weitergezahlt. Satz 2 der Protokollnotiz betrifft ebenfalls nur das Schicksal des genannten Pauschalhonorars, nämlich die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang eine Anrechnung der tariflichen Gagenerhöhung auf das einzelvertragliche Pauschalhonorar möglich ist. Auch hierum geht es im Streitfall nicht. Ob die genannten Regelungen tarifrechtlich zulässig sind, kann deshalb dahinstehen. Eine tarifliche Gagenerhöhung für die Opernchormitglieder auf 3.852,00 DM ist ihnen jedenfalls nicht zu entnehmen.

2. Arbeitsvertraglich ist nicht bestimmt, dass die Gage am oberen Rand des tariflichen Rahmens liegt. Vielmehr haben die Parteien die Gage für die Spielzeit 2000/2001 auf monatlich 3.801,00 DM festgelegt.

3. Der Anspruch lässt sich nicht aus einer betrieblichen Übung herleiten.

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, nach dem unbestrittenen Vortrag des Landes habe die Ausschöpfung des Gehaltsrahmens in den Vorjahren stets darauf beruht, dass die Tarifvertragsparteien bis einschl. 2000 neben dem jeweils neu vorgegebenen Gehaltsrahmen eine konkret bezeichnete prozentuale Steigerung der Grundgage vereinbart hätten. Das Land sei damit, nachdem es einmal einen Betrag in Höhe der Obergrenze vereinbart habe, aus tarifvertraglichen Gründen verpflichtet gewesen, das Gehalt in den Jahren 1993 bis 2000 entsprechend anzuheben. Der Zahlbetrag habe stets dem arbeitsvertraglich vereinbarten bezifferten Betrag plus der in der Folgezeit tarifvertraglich vereinbarten prozentualen Gagenerhöhungen entsprochen. Zusätzliche Leistungen über die arbeits- und tarifvertraglich bestehenden Verpflichtungen hinaus seien nicht erbracht worden. Die Grundsätze zur betrieblichen Übung seien in solchen Fällen des Tarifvollzugs nicht anwendbar. Für das Entstehen eines Vertrauenstatbestandes, der Arbeitgeber werde auch weiterhin den obersten Betrag des tarifvertraglichen Gehaltsrahmens bezahlen, sei kein Raum.

b) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend gesehen, dass im Falle des bloßen Tarifvollzugs durch den Arbeitgeber eine betriebliche Übung nicht entsteht. Die Entstehung einer betrieblichen Übung ist ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber die Leistungen erkennbar auf einer bestimmten Rechtsgrundlage erbringt (BAG 16. Juni 2004 – 4 AZR 417/03 –, zu II 2c aa der Gründe; 14. Januar 2004 – 10 AZR 251/03 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Deutsche Bahn Nr. 19, zu II 2b der Gründe, alle mwN; Senat 3. November 2004 – 5 AZR 622/03 –, zu II 5 der Gründe; 3. November 2004 – 5 AZR 73/04 –, zu III 1b der Gründe). Zweifelhaft ist freilich, ob die Annahme des Landesarbeitsgerichts zutrifft, es habe sich stets um Tarifvollzug gehandelt. Das setzte voraus, dass die vereinbarte Vergütung in Höhe der Obergrenze des tariflichen Gehaltsrahmens auf Grund dieser Vereinbarung auch tariflich garantiert war. Möglicherweise liegt gerade hierin die Besonderheit eines tariflichen Vergütungsrahmens gegenüber der bloßen Normierung eines Mindestlohns; die Arbeitsvertragsparteien konkretisieren den Tariflohn. Unter dieser Voraussetzung musste die Vergütung in der Tat stets entsprechend der Tariferhöhung angepasst werden. Eine betriebliche Übung wäre dann nicht zustande gekommen, weil das Land erkennbar nur tarifliche Verpflichtungen erfüllt und schon deshalb keine weitergehenden konkludenten Willenserklärungen abgegeben hätte.

c) Näher liegt die Annahme, die arbeitsvertragliche Festlegung der Vergütung in Höhe der Obergrenze des tariflichen Gehaltsrahmens ändere nichts daran, dass die Tarifvergütung rahmenmäßig bestimmt und nur die Untergrenze des Rahmens tariflich garantiert sei; der Rahmen bezwecke vor dem Hintergrund des Haushaltsrechts nur eine Legitimation für eine über das tarifliche Mindestmaß hinausgehende Vergütung. Die prozentualen Erhöhungen hätten sich dann zwingend nur auf die jeweiligen Mindestgehälter bezogen. Dem Land hätte weiterhin ein Spielraum für vertragliche Regelungen und einseitige Anpassungsentscheidungen innerhalb des jeweils neu vereinbarten Rahmens zugestanden. Damit hätte auch Raum für eine betriebliche Übung bestanden und eine Verpflichtung auf Grund bindender konkludenter Erklärungen entstehen können. Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten des Landes unter diesem Gesichtspunkt nicht ausgelegt. Das kann der Senat nach den in ständiger Rechtsprechung angewandten Rechtsgrundsätzen für das Entstehen einer betrieblichen Übung eigenständig nachholen.

d) Auch bei Bestehen eines Entscheidungsspielraums ist keine betriebliche Übung entstanden.

aa) Als betriebliche Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers bezeichnet, aus denen seine Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Aus dem Verhalten des Arbeitgebers, das als Vertragsangebot zu werten ist, das von den Arbeitnehmern stillschweigend (§ 151 BGB) angenommen wird, erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordene Leistung oder Vergünstigung. Dabei kommt es für die Begründung eines solchen Anspruchs durch betriebliche Übung nicht darauf an, ob der Arbeitgeber mit Verpflichtungswillen handelte oder ob ihm ein solcher Wille fehlte. Denn die Wirkung einer Willenserklärung oder eines bestimmten Verhaltens tritt im Rechtsverkehr nicht deshalb ein, weil der Erklärende einen bestimmten Willen gehabt, sondern weil er einen auf eine bestimmte Rechtswirkung gerichteten Willen gegenüber dem Erklärungsempfänger geäußert hat. Die rechtsgeschäftliche Bindung des Arbeitgebers ist danach zu beurteilen, inwieweit die Arbeitnehmer sie aus dem Erklärungsverhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 242 BGB) sowie aller Begleitumstände gem. §§ 133, 157 BGB schließen durften (st. Rspr., vgl. nur BAG 29. September 2004 – 5 AZR 528/03 – zVv., zu II 3a der Gründe mwN; 24. März 1993 – 5 AZR 16/92 – BAGE 73, 1, 2 f.; 11. Oktober 1995 – 5 AZR 802/94 – AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 9 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 33, zu II 2a der Gründe; 18. September 2002 – 1 AZR 477/01 – BAGE 102, 351, 352 f.; 14. Januar 2004 – 10 AZR 251/03 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Deutsche Bahn Nr. 19, zu II 2a der Gründe).

bb) Die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes sind durch Anweisungen vorgesetzter Dienststellen, Verwaltungsrichtlinien, Verordnungen und gesetzliche Regelungen, vor allem aber durch die Festlegungen des Haushaltsplans gebunden. Sie sind anders als private Arbeitgeber gehalten, die Mindestbedingungen des Dienst- und Tarifrechts sowie die Haushaltsvorgaben bei der Gestaltung von Arbeitsverhältnissen zu beachten, können daher bei der Schaffung materieller Dienst- und Arbeitsbedingungen nicht autonom wie ein Unternehmer der privaten Wirtschaft handeln. Aus diesem Grunde gilt im Zweifel, dass sie lediglich Normvollzug betreiben wollen. Ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes muss grundsätzlich davon ausgehen, dass ihm sein Arbeitgeber lediglich die Leistungen gewähren will, zu denen dieser rechtlich verpflichtet ist. Er darf nur auf eine korrekte Anwendung der aktuell geltenden rechtlichen Regelungen vertrauen. Ohne besondere Anhaltspunkte darf er auch bei langjähriger Gewährung von Vergünstigungen nicht annehmen, die Übung sei Vertragsinhalt geworden und werde unabhängig von einer zugrunde liegenden normativen Regelung unbefristet beibehalten (BAG 29. September 2004 – 5 AZR 528/03 – zVv., zu II 3b der Gründe mwN; 14. September 1994 – 5 AZR 679/93 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 46 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 32, zu II 1b der Gründe; 11. Oktober 1995 – 5 AZR 802/94 – AP BGB § 611 Arbeitszeit Nr. 9 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 33, zu II 2b der Gründe; 29. Mai 2002 – 5 AZR 370/01 – EzA BGB § 611 Mehrarbeit Nr. 10, zu III 1 der Gründe; 18. September 2002 – 1 AZR 477/01 – BAGE 102, 351, 353).

cc) Allein die mehrmalige Anpassung der Vergütung entsprechend dem Tariflohn begründet innerhalb wie außerhalb des öffentlichen Dienstes keine betriebliche Übung, die Vergütung auch künftig entsprechend anzupassen. Die Arbeitnehmer dürfen die Erhöhung der Löhne und Gehälter entsprechend der Tarifentwicklung nur bei zusätzlichen deutlichen Anhaltspunkten dahin verstehen, der Arbeitgeber wolle auch die künftig von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen unabhängig von einer beiderseitigen Tarifbindung übernehmen. Vielmehr müssen sie auch ohne besonderen Hinweis davon ausgehen, der Arbeitgeber habe sich, falls nicht ohnehin eine tarifrechtliche Zahlungspflicht besteht, nach Prüfung aller Umstände (auch diesmal wieder) für eine Übernahme der Tarifregelung entschieden und wolle sich die Entscheidung auch künftig vorbehalten (vgl. Senat 3. November 2004 – 5 AZR 622/03 –, zu II 4, 5 der Gründe; 3. November 2004 – 5 AZR 73/04 –, zu III 1b der Gründe, jeweils mwN).

dd) Nach diesen Grundsätzen konnten die Opernchormitglieder nicht annehmen, das Land habe sich über eine bestehende tarifliche Verpflichtung und über die aktuelle Tariflohnerhöhung hinaus für die Zukunft binden wollen. Zwar geht es nicht um den üblichen Fall der (richtigen) Anwendung eines Tarifvertrags ohne tarifrechtliche Verpflichtung zur Anwendung. Vielmehr bestand eine Bindung an den Tarifvertrag, der mit der Ausschöpfung des vorgegebenen Rahmens auch durchaus richtig angewendet wurde. Das Land blieb bei seinen Anpassungsentscheidungen stets im Rahmen des tariflichen Leistungsbereichs. Zur vollen Ausschöpfung des Rahmens bestand allerdings keine tarifliche Verpflichtung. Das Land hatte nie erklärt, auch künftig über die tarifliche Verpflichtung hinaus den Rahmen stets nach oben ausschöpfen zu wollen, sondern ist von einer zwingenden Tarifanwendung ausgegangen. Die Opernchormitglieder verstanden das ebenso. Aber selbst wenn sie berechtigterweise eine Ermessensausübung des Landes angenommen haben sollten, erstreckte sich der Erklärungswert des zu beurteilenden Verhaltens nicht auf zukünftige Fälle von Tariflohnerhöhungen. Die Opernchormitglieder mussten erkennen, dass das Land entweder nur die bindende Tariferhöhung auszahlen oder eine Entscheidung innerhalb des vorgegebenen Rahmens allein für die konkrete Tariferhöhung treffen wollte. Sie konnten nicht annehmen, das Land werde auch in Zukunft bei jeder Tariferhöhung die für sie günstigste Tarifanwendung vornehmen, obwohl keine Verpflichtung hierzu bestand. Denn bekanntermaßen ist nach der Finanzlage des Arbeitgebers, dem Umfang der Tariferhöhung und nach anderen Gesichtspunkten jedes Mal neu hierüber zu entscheiden.

e) Selbst wenn eine betriebliche Übung auf volle Ausschöpfung des tariflichen Vergütungsrahmens anzunehmen wäre, könnte sich diese Übung nur auf die Fälle der regelmäßigen Gehaltserhöhungen beziehen, wie sie auch den unter den BAT fallenden Angestellten des Bundes gewährt werden (vgl. § 59 Abs. 4 NV Chor/Tanz). Die Tariferhöhung ab dem 1. Januar 2001 ist damit nicht vergleichbar, da sie allein auf Änderungen bei den tariflichen Sondervergütungen beruhte. Jedenfalls für derartige Änderungen des Vergütungsrahmens hatte das Land keine konkludenten Erklärungen abgegeben und konnten die Opernchormitglieder nicht auf eine volle Ausschöpfung des Vergütungsrahmens vertrauen.

4. Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 315 BGB.

Zugunsten der Opernchormitglieder kann angenommen werden, dass mit In-Kraft-Treten des Vergütungsrahmens in § 59 Abs. 2 NV Chor/Tanz die Leistung iSv. § 315 Abs. 1 BGB durch den Arbeitgeber bestimmt werden soll, falls keine einzelvertragliche Regelung zustande kommt. Der Arbeitgeber hat dann nach billigem Ermessen zu bestimmen, wie weit der neue Vergütungsrahmen auszuschöpfen ist. Billiges Ermessen ist im Streitfall schon deshalb gewahrt, weil der neue Rahmen nicht als alljährliche lineare Gehaltserhöhung, sondern wegen der Reduzierung der sondervergütungspflichtigen Leistungen vereinbart wurde und das Land diese Leistungen weiterhin pauschal abgegolten hat.

III. Die Beklagten im Aufhebungsverfahren haben die Kosten der Revision gem. § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 1 ZPO zu je 1/26 zu tragen.

 

Unterschriften

Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Bull, Buschmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 1335914

NZA 2005, 1320

ZTR 2005, 419

EzA

PersV 2006, 69

NJOZ 2005, 4770

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