Entscheidungsstichwort (Thema)

Regelmäßige Arbeitszeit. Bedeutung für Lohnfortzahlung

 

Leitsatz (redaktionell)

Im Sinne von § 1 Abs 3 Nr 2 LFZG liegt eine regelmäßige Arbeitszeit von mehr als 45 Stunden monatlich nur vor, wenn der Arbeiter während der letzten zwölf Monate vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in dem gesetzlich geforderten Umfang in zeitlicher Gleichförmigkeit tätig war.

 

Normenkette

AVG § 3; BGB §§ 812, 133, 157; LFZG § 1 Abs. 3 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 17.08.1982; Aktenzeichen 11 Sa 743/82)

ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 15.04.1982; Aktenzeichen 2 Ca 630/82)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagten ein Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle zusteht.

Die Beklagte ist seit März 1974 als Gewahrsamshelferin beim klagenden Land beschäftigt. Nach dem "Leistungsvertrag" vom 5./7. März 1974 hat sie im Wechsel mit anderen Gewahrsamshelferinnen "im eintretenden Fall zu jeder Tages- und Nachtzeit die Durchsuchung der weiblichen Personen, die in das Polizeigewahrsam Wuppertal eingeliefert werden", durchzuführen. Daneben obliegt ihr "die Betreuung der weiblichen Insassen für die Dauer ihrer Verwahrung im Polizeigewahrsam Wuppertal" (§ 1 des Vertrages). Über die Arbeitszeit der Beklagten trifft der Vertrag keine Regelung. Die Beklagte wird - ebenso wie die anderen Gewahrsamshelferinnen - nach einem von Monat zu Monat erstellten Einsatzplan zum Dienst herangezogen. Ihre Tätigkeit wird bei monatlicher Abrechnung stundenweise vergütet (§ 3 aaO).

Seit Beginn ihrer Tätigkeit arbeitete die Beklagte monatlich zwischen 5,75 Arbeitsstunden (August 1976) und 120,25 Arbeitsstunden (September 1978). Im Jahresdurchschnitt schwankten ihre Beschäftigungszeiten zwischen 370,25 Arbeitsstunden (1977) und 768,75 Arbeitsstunden (1975).

In der Zeit vom 5. August bis zum 15. September 1981 war die Beklagte arbeitsunfähig krank. Für diese Zeit zahlte das klagende Land ihr unter Vorbehalt den Betrag von 520,41 DM als Krankenvergütung. Im vorhergehenden Monat Juli belief sich die Arbeitszeit der Beklagten auf 51 Stunden. Im Juni 1981 blieb die Beklagte der Arbeit fern, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob sie damals arbeitsunfähig krank war. Im Januar 1981 betrug die Arbeitsleistung der Beklagten 36,50 Stunden, im Februar 47,75, im März 26,0, im April 33,25 und im Mai 1981 44,25 Stunden. Die Arbeitszeit für die Monate August bis Dezember 1980 zeigt folgendes Bild: August 61,50 Stunden, September 57,25, Oktober 41,25, November 24,25 und Dezember 76,00 Stunden.

Mit seiner Klage nimmt das Land die Beklagte auf Rückzahlung der unter Vorbehalt gewährten Krankenvergütung in Anspruch. Zur Begründung hat es vorgetragen, die Beklagte könne Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle nicht verlangen. Da die Beklagte nur bei Bedarf eingesetzt werde und der Umfang ihrer Arbeitszeit ständig schwanke, könne von einer "regelmäßigen Arbeitszeit" im Sinne des § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG nicht gesprochen werden. Selbst wenn man die monatlichen Durchschnittswerte der Jahre 1980 und 1981 zugrunde lege, stellten sich diese im ersten Fall lediglich auf 21,69 Stunden und im zweiten Fall auf 39,79 Stunden. Die "regelmäßige Arbeitszeit" der Beklagten habe daher wöchentlich zehn Stunden oder monatlich 45 Stunden nicht überstiegen.

Das klagende Land hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an es 520,41 DM

nebst 8,8 % Zinsen seit dem 30. Oktober 1981

zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, zur Ermittlung der regelmäßigen Arbeitszeit im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG müsse auf einen größeren Zeitraum abgestellt werden. Daher seien auch die von ihr ab 1974, jedenfalls aber die in den Jahren 1978 und 1979 geleisteten Arbeitsstunden mit heranzuziehen. Dann ergebe sich ein monatlicher Durchschnitt von mehr als 45 Arbeitsstunden, so daß ihr die Krankenvergütung für die Zeit vom 5. August bis zum 15. September 1981 zu Recht gezahlt worden sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des klagenden Landes hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten, die die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Der Beklagten steht für die Zeit vom 5. August bis zum 15. September 1981 kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle zu. Daher ist das Rückzahlungsverlangen des klagenden Landes aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB) begründet.

I. 1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß als Rechtsgrundlage für einen Anspruch der Beklagten auf Krankenbezüge allein § 1 Abs. 1 LohnFG in Betracht kommt. Diese Bestimmung regelt die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeiter, der unverschuldet durch Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert wird, den Lohnanspruch bis zur Dauer von sechs Wochen behält. Die Beklagte ist als Arbeiterin für das klagende Land tätig.

a) Der Begriff des Arbeiters ist weder im Lohnfortzahlungsgesetz noch sonst im Arbeitsrecht näher bestimmt. Das gleiche gilt für den Begriff des Angestellten. Da die Tätigkeit der Beklagten nicht in dem die Vorschrift des § 3 AVG ergänzenden Berufsgruppenkatalog vom 8. März 1924 (RGBl. I S. 274, S. 410), ergänzt durch die Verordnungen vom 4. Februar 1927 und vom 15. Juli 1927 (RGBl. I S. 58, S. 222), enthalten ist, kommt es für die Beantwortung der Frage, ob die Beklagte Angestellte oder Arbeiterin ist, entscheidend auf die Verkehrsanschauung an. Nach dieser ist als Angestellter anzusehen, wer kaufmännische oder büromäßige Tätigkeit leistet oder wer überwiegend eine leitende, beaufsichtigende oder dem vergleichbare Tätigkeit ausübt, bei der die geistige Leistung im Vordergrund steht. Bei verschiedenen Aufgaben ist auf diejenige abzustellen, die der Tätigkeit das Gepräge gibt. Kann der Arbeitnehmer nach diesen Abgrenzungsmerkmalen nicht dem Kreis der Angestellten zugerechnet werden, ist er als Arbeiter anzusehen (vgl. BAG 5, 98 = AP Nr. 5 zu § 59 HGB; BAG 7, 86, 91 = AP Nr. 12 zu § 59 HGB - jeweils mit weiteren Nachweisen; BSGE 21, 176, 179; BSGE 47, 106 m.w.N.).

b) Das Berufungsgericht hat die aufgeführten Abgrenzungskriterien beachtet. Es hat die Durchsuchung der in Polizeigewahrsam befindlichen Personen als körperliche Tätigkeit der Beklagten angesehen und die weitere Betreuung der genannten Personen, wenn auch teilweise im geistig-seelischen Bereich liegend, so doch überwiegend ebenfalls als körperliche Tätigkeit bewertet. Die von der Revision mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts qualifizieren die Tätigkeit der Beklagten als diejenige einer Arbeiterin. Es sind manuelle Aufgaben, wie körperliche Durchsuchungen und sonstige schlichte Verrichtungen und Besorgungen für die in Gewahrsam genommenen Frauen, die der Tätigkeit der Beklagten das Gepräge geben. Das alles wird auch von der Revision nicht in Frage gestellt.

2. Zwar sind die weiteren von § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG geforderten Voraussetzungen für die Lohnfortzahlung - unverschuldete krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung - ebenfalls erfüllt. Gleichwohl stehen der Beklagten Krankenbezüge aber nicht zu. Ihr Arbeitsverhältnis ist nämlich wegen seiner besonderen Eigenart vom Anwendungsbereich des Lohnfortzahlungsgesetzes ausgenommen.

II. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG gilt die Grundregel der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle nicht für Arbeiter in einem Arbeitsverhältnis, in dem die regelmäßige Arbeitszeit wöchentlich zehn Stunden oder monatlich 45 Stunden nicht übersteigt. Das war bei der Beklagten der Fall.

1. Das Gesetz definiert den Begriff der regelmäßigen Arbeitszeit nicht. Der Sprach- und Rechtsgebrauch versteht unter dem zeitlichen Begriff "regelmäßig" ein Geschehen, das nach einer bestimmten festen Ordnung in gleichmäßigen Abständen und in gleichförmiger Aufeinanderfolge wiederkehrt (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 5. Band, 1980, S. 2121; Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 5. Band, 1983, S. 325; Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, 14. Band, bearbeitet von M. Heyne, 1893, Nachdruck 1984, S. 502). Dabei ist nicht vorausgesetzt, daß das Geschehen ständig gleichbleibend verläuft; Schwankungen und Ausnahmen sind zulässig ("Keine Regel ohne Ausnahme"; "Ausnahmen bestätigen die Regel.") Entscheidend ist vielmehr die Gleichförmigkeit des Geschehens über eine bestimmte Dauer hinweg (vgl. BAG Urteil vom 11. Juli 1957 - 2 AZR 469/54 - AP Nr. 4 zu § 611 BGB Lohnzuschläge, Bl. 2; BAG Urteil vom 13. Mai 1959 - 1 AZR 380/57 - AP Nr. 1 zu § 5 UrlaubsG Niedersachsen, Bl. 1 R; BAG Urteil vom 15. Februar 1978 - 5 AZR 739/76 - AP Nr. 8 zu § 2 LohnFG, zu 1 b der Gründe).

Da § 1 Abs. 3 Nr. 2 LohnFG nicht schlechthin von einer "regelmäßigen Arbeitszeit" spricht, sondern das Adjektiv "regelmäßig" auf eine Arbeitszeit von wöchentlich (mehr als) zehn Stunden oder monatlich (mehr als) 45 Stunden bezogen ist, bedeutet dies für die Auslegung, daß die leistungsmäßige Inanspruchnahme des Arbeiters eine entsprechende zeitliche Gleichförmigkeit aufweisen muß. Wenn auch geringfügige Schwankungen und bestimmte Ausnahmeerscheinungen unerheblich sind, so ist doch zu fordern, daß die Arbeitszeit fortlaufend annähernd um wöchentlich zehn Stunden oder monatlich 45 Stunden liegt.

Die Gleichförmigkeit der Arbeitsleistung muß ferner für eine längere Dauer bestehen, wenn das Merkmal der Regelmäßigkeit bejaht werden soll. Zur gesicherten Feststellung ist daher ein bestimmter Vergleichszeitraum abzugrenzen. Als solcher erscheinen die letzten zwölf Monate vor der Erkrankung des Arbeiters angezeigt. Normalerweise vermag der Zeitraum eines Jahres der besonderen Eigenart eines Arbeitsverhältnisses gerecht zu werden und unbillige Zufallsergebnisse auszuschließen (vgl. BAG Urteil vom 5. November 1964 - 2 AZR 494/63 - AP Nr. 21 zu § 2 ArbKrankhG, Bl. 2 R, 3). So stellt auch die herrschende Meinung für den Bereich des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf einen Vergleichszeitraum von zwölf Monaten ab, um für die Frage nach dem Eingreifen des Kündigungsschutzes bestimmen zu können, ob ein Betrieb in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer beschäftigt (vgl. KR-Becker, 2. Aufl., § 23 KSchG Rz 24 m.w.N.). Dagegen darf nicht auf die jährliche Durchschnittsgröße oder gar auf die Durchschnittsgröße mehrerer Jahre zurückgegriffen werden, weil Durchschnittswerte sämtliche Schwankungen und Ausnahmen ohne Einschränkung voll einbeziehen. Ihr rein rechnerisches Ergebnis kann daher über die Regelmäßigkeit eines Geschehens nichts aussagen.

2. Maßgeblich für das Vorliegen einer bestimmten regelmäßigen Arbeitszeit sind die Umstände bei Eintritt der Erkrankung. Die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers muß ungeachtet der Dauer der Lohnfortzahlung spätestens zum Schluß des ersten wöchentlichen oder monatlichen Lohnabrechnungszeitraums nach Beginn der Erkrankung feststehen. Daher kann nicht maßgeblich sein, was im Lohnfortzahlungszeitraum selbst regelmäßige Arbeitszeit ist.

3. Die Anwendung dieser Grundsätze zeigt, daß das Landesarbeitsgericht zutreffend entschieden hat. Die Beklagte hat in dem maßgeblichen Vergleichszeitraum von August 1980 bis Juli 1981 nur in fünf Monaten jeweils mehr als insgesamt 45 Stunden gearbeitet: im August, September und Dezember 1980 sowie im Februar und Juli 1981. Im Gesamtbild des genannten Zeitraumes zeigen sich erhebliche zeitliche Schwankungen des Arbeitseinsatzes, so zum Beispiel zwischen 24,25 Stunden im November 1980 und 76 Stunden im Dezember 1980 sowie zwischen 26 Stunden im März 1981 und 51 Stunden im Juli 1981. Es kann daher von einer Gleichförmigkeit des Tätigwerdens der Beklagten nicht gesprochen werden. Ihre regelmäßige Arbeitszeit erreichte die vom Gesetz geforderte monatliche Mindestgröße von 45 Stunden nicht.

Dr. Thomas Dr. Gehring Schneider

Pallas Krebs

 

Fundstellen

Haufe-Index 440078

BAGE 47, 160-165 (LT1)

BAGE, 160

NJW 1985, 1360

NJW 1985, 1360-1360 (LT1)

ARST 1985, 55-56 (LT1)

BlStSozArbR 1985, 151-151 (T)

JR 1986, 220

NZA 1985, 360-361 (LT1)

SAE 1985, 210-212 (LT1)

USK, 84153 (ST1)

AP § 1 LohnFG (LT1), Nr 59

AR-Blattei, ES 1000.3.1 Nr 126 (LT1)

AR-Blattei, Krankheit IIIA Entsch 126 (LT1)

EzA § 1 LohnFG, Nr 72 (LT1)

MDR 1985, 347-347 (LT1)

ZfA 1985, 594-595 (T)

ZfA 1985, 599-600 (T)

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