Entscheidungsstichwort (Thema)

Interessenausgleich mit Namensliste und soziale Auswahl. Annahmeverzug bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers

 

Orientierungssatz

1. Die Schriftform eines Interessenausgleichs mit Namensliste (§ 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG aF iVm. § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) ist nur dann gewahrt, wenn die in der Anlage zum Interessenausgleich beigefügte, aber nicht unterschriebene Namensliste mit diesem – etwa mittels einer Heftmaschine – fest verbunden ist.

2. § 1 Abs. 5 KSchG aF verlangt eine abschließende Festlegung der zu kündigenden Arbeitnehmer in einem Interessenausgleich.

3. Eine den Annahmeverzug des Arbeitgebers nach § 297 BGB ausschließende Unmöglichkeit des Arbeitnehmers, seine Arbeitsleistung zu erbringen, liegt nicht schon dann vor, wenn der Arbeitnehmer aus Gründen in seiner Person nicht alle vertraglich geschuldeten Tätigkeiten erbringen kann. Der Arbeitgeber muß dem krankheitsbedingt nur eingeschränkt leistungsfähigen Arbeitnehmer eine leidensgerechte Tätigkeit zuweisen (hier: Zuweisung von nur bestimmten Arbeiten – ohne schwere Traglasten – an einen „Bedienungsmann” in der chemischen Industrie).

 

Normenkette

BGB §§ 615, 295-297; BetrVG §§ 111, 112 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2-3, 5 a.F.

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 10.05.2000; Aktenzeichen 3 Sa 160/99)

ArbG Bonn (Urteil vom 04.11.1998; Aktenzeichen 4 Ca 2818/97)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 10. Mai 2000 – 3 Sa 160/99 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer fristgemäßen Kündigung und über Ansprüche des Klägers aus Annahmeverzug für den Zeitraum Dezember 1997 bis August 1998.

Der am 16. April 1952 geborene, verheiratete und fünf Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 24. Juni 1974 bei der Beklagten im Werk M. in B. mit einer Bruttovergütung von kalendertäglich 153,97 DM tätig.

Der Kläger arbeitete in verschiedenen Produktionsbereichen. Zuletzt war er vor allem in der Kupfer-I-Cyanid-Anlage eingesetzt. Seit dem 1. Januar 1997 praktizierte die Beklagte auf der Basis einer Betriebsvereinbarung ein rollierendes System, nach dem alle Arbeiter als Bedienungsmann in den verschiedenen Bereichen der Produktion eingesetzt werden.

Der Kläger war vom 8. Januar bis zum 18. August 1997 wegen eines Bandscheibenvorfalls arbeitsunfähig. Am 13. August 1997 bescheinigten ihm seine behandelnden Ärzte seine volle Arbeitsfähigkeit mit der Einschränkung, daß er nur Lasten bis 15 kg heben dürfe.

Am 19. August 1997 meldete sich der Kläger wieder zur Arbeit. Am selben Tag stellte der Betriebsarzt der Beklagten fest, daß der Kläger „bei Arbeiten, die regelmäßiges Heben und Tragen, Zwangshaltungen und große Temperaturschwankungen mit sich bringen … aus werksärztlicher Sicht nicht eingesetzt werden (kann)”. Die Beklagte lehnte daraufhin eine Weiterbeschäftigung des Klägers ab.

Die Beklagte legte die Produktion im Werk M. zum 30. September bzw. 31. Dezember 1998 mit Ausnahme der Mattierungsmittelanlage still. Zur Mattierungsmittelanlage gehören eine Fäll(Naß-)- und Mahlanlage (Trockenanlage). An der Mahlanlage werden auf Grund einer Vereinbarung mit dem Betriebsrat ausschließlich vier Mitarbeiter eingesetzt. Zudem werden weitere vier Mitarbeiter an dieser Anlage eingesetzt, die noch nicht für die in anderen Produktionsbereichen anfallenden Tätigkeiten qualifiziert worden sind bzw. werden konnten.

Wegen dieser Teilbetriebsstillegung schloß die Beklagte mit dem Betriebsrat am 25. Mai 1998 einen Interessenausgleich, der in § 2 aufführt, daß im Zuge der Umsetzung des „Konzeptes M.” 92 Mitarbeiter von einem Arbeitsplatzverlust betroffen sein werden. In § 3 des Interessenausgleichs ist geregelt:

„Mitarbeiterlisten

Für die unter § 1 festgelegten Maßnahmen ist eine Liste über die für die Mattierungsmittelproduktion einschließlich Serviceleistungen benötigten Mitarbeiter (Anlage 1, Stand 01.05.1998) erstellt worden.

Weiterhin wurde eine Liste (Anlage 2, Stand 01.05.1998) über die Mitarbeiter erstellt, deren Arbeitsplatz entfällt. Diese Liste dient als Planungsgrundlage für die Versetzungen und die ggf. auszusprechenden betriebsbedingten Kündigungen.

Bei den in Anlage 1 und 2 genannten Daten handelt es sich um aus heutiger Sicht vorläufig festgelegte Planungsdaten.

Zwischen den Parteien besteht Einigkeit, daß diese bei der Durchführung der beabsichtigten Maßnahmen, ggf. entsprechend den dann gegebenen tatsächlichen Verhältnissen – auch unter Berücksichtigung evtl. erforderlicher behördlicher Genehmigungen – korrigiert werden können oder müssen.”

Die Anlage 2 zum Interessenausgleich enthält den Namen des Klägers, seinen Vornamen und sein Geburtsdatum. Von den in der Anlage 1 zum Interessenausgleich genannten und weiterbeschäftigten 89 Mitarbeitern weisen lediglich 17 Mitarbeiter eine längere Betriebszugehörigkeit als der Kläger auf.

Mit Schreiben vom 13. Juli 1998 informierte die Beklagte unter Angabe der persönlichen Daten des Klägers den Betriebsrat über die beabsichtigte ordentliche Kündigung zum 31. Dezember 1998. Als Kündigungsgrund ist in dem Anhörungsschreiben angegeben:

„Schließung von Produktionsanlagen zum 30.9.98/31.12.98. H. A. wird in § 3 Interessenausgleich Werk M. in der Mitarbeiterliste 2 geführt.”

Der Betriebsrat erklärte am selben Tag, er widerspreche der Kündigung nicht.

Mit Schreiben vom 15. Juli 1998 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers aus betrieblichen Gründen zum 31. Dezember 1998. Mit seiner Klage hat der Kläger Vergütung für den Zeitraum September 1997 bis August 1998 aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs verlangt und sich gegen die Kündigung vom 15. Juli 1998 gewandt.

Er hat ua. ausgeführt, die Sozialauswahl sei fehlerhaft. Die Anlage 2 zum Interessenausgleich vom 25. Mai 1998 sei keine Liste iSd. § 1 Abs. 5 KSchG in der Fassung des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25. September 1996. Es werde nicht definitiv festgelegt, welchen Mitarbeitern gekündigt werden solle. Ab September 1997 sei er arbeitsfähig gewesen und habe seine Arbeitsleistung der Beklagten ordnungsgemäß angeboten. Er sei in allen Produktionsbereichen einsetzbar. Es gebe vor allem in der Mattierungsmittelproduktion Tätigkeiten, bei denen nur Gewichte bis 15 kg bewegt und getragen werden müßten. An seinem bisherigen Arbeitsplatz, der Kupfer-I-Cyanid-Anlage, müsse er lediglich Gewichte von bis zu 5 kg bewegen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 55.737,05 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettogehalt seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
  2. festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungserklärung vom 15. Juli 1998 nicht zum 31. Dezember 1998 beendet worden ist.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages vorgetragen, die Kündigung sei aus betriebsbedingten Gründen wegen der Teilbetriebsstillegung zu Recht erfolgt. Der Kläger befinde sich auf der im Rahmen des Interessenausgleichs erstellten Liste der zur Kündigung anstehenden Mitarbeiter. Deshalb stehe fest, daß sein Arbeitsplatz im Betrieb M. weggefallen sei und sie die Sozialauswahl zutreffend vorgenommen habe. Die Kündigung sei auch wegen seiner Nichteignung für eine Tätigkeit im Mattierungsbetrieb aus personenbedingtem Grund gerechtfertigt. Sie habe sich nicht in Annahmeverzug befunden. Der Kläger sei als Bedienungsmann mit wechselnden Arbeitsplätzen nicht mehr universell einsetzbar. Er sei deshalb aus gesundheitlichen Gründen auf Dauer nicht mehr in der Lage, seine vertraglich geschuldete Tätigkeit zu verrichten. Nach den Stellungnahmen des Werksarztes vom 30. Januar 1997 und vom 18. August 1997 sowie des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse vom 26. März 1997 dürfe er nur Lasten bis 10 kg heben. Sein Einsatz an der Mattierungsmittelanlage sei deshalb nicht in Betracht gekommen. Dort müsse er ständig Gewichte von bis zu 15 kg heben und tragen. An der Mahlanlage müsse er permanent Säcke oder Gebinde mit einem Gewicht von 10 kg bis 15 kg bei einer Gesamtleistung von ca. 4.500 kg pro Schicht heben, tragen und bewegen.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß die Kündigung vom 15. Juli 1998 unwirksam ist, und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 55.737,05 DM aus Annahmeverzug für den Zeitraum September 1997 bis August 1998 zu zahlen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Klage hinsichtlich des Annahmeverzugsanspruchs für die Monate September bis November 1997 abgewiesen. Gegen die vom Landesarbeitsgericht im übrigen zurückgewiesene Berufung wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision, mit der sie weiterhin die volle Abweisung der Klage erstrebt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Kündigung vom 15. Juli 1998 ist sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Dem Kläger steht auch der Vergütungsanspruch für den Zeitraum Dezember 1997 bis August 1998 nach § 615 Satz 1 BGB zu. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei weder als personen- noch als betriebsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt. Die Beklagte sei verpflichtet, einen Arbeitsplatz für den Kläger in der Mattierungsmittelanlage freizumachen. Auf Grund des Sachverständigengutachtens von Dr. M. stehe fest, daß dem Einsatz des Klägers in der Mattierungsmittelanlage gesundheitliche Gründe nicht entgegenstünden. Eine betriebsbedingte Kündigung scheitere an der fehlerhaften Sozialauswahl. Der getroffenen sozialen Auswahl komme die Vermutung des § 1 Abs. 5 KSchG aF nicht zugute. Die Beklagte habe mit dem Betriebsrat lediglich eine Vorauswahl vorgenommen. An der Letztentscheidung über die ausgesprochenen Kündigungen habe der Betriebsrat nicht mehr mitgewirkt. Da eine personenbedingte Nichteignung des Klägers für die verbliebenen Tätigkeiten nicht vorgelegen habe, habe sie ihn auch nicht aus der Sozialauswahl herausnehmen dürfen.

Dem Kläger stünden Ansprüche aus Annahmeverzug für den Zeitraum Dezember 1997 bis August 1998 zu. Nachdem der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr an seinem bisherigen Arbeitsplatz in der Kupfer-I-Cyanid-Anlage habe eingesetzt werden können, sei es Sache des Klägers gewesen, der Beklagten mitzuteilen, ob und ggf. wo für ihn eine vertragsgerechte Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien oder durch Ausübung des Direktionsrechts frei zu machenden Arbeitsplatz in Betracht komme. Erstmals mit Schriftsatz vom 25. November 1997, der der Beklagten spätestens am 30. November 1997 zugegangen sei, habe er, der Kläger, auf einen Einsatz in der Mahlanlage hingewiesen. Wenn die Beklagte trotzdem seinen Einsatz dort abgelehnt habe, weil sie eine solche Tätigkeit nicht für leidensgerecht gehalten habe, so müsse sie das Risiko ihrer falschen Beurteilung tragen.

B. Das angefochtene Urteil ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

I. Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2, Abs. 3 KSchG aF sozial ungerechtfertigt.

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Kündigung vom 15. Juli 1998 nicht auf personenbedingte Gründe gestützt werden. Zum einen hat die Beklagte, wie sich deutlich aus dem Kündigungsschreiben ergibt, die Kündigung aus betrieblichen Gründen ausgesprochen. Zum anderen hat sie, wie das Anhörungsschreiben vom 13. Juli 1998 zeigt, den Betriebsrat nur über eine beabsichtigte betriebsbedingte Kündigung und einen betriebsbedingten Kündigungsgrund informiert. Schon deshalb verbietet es sich, die Kündigung nunmehr auch auf personenbedingte Aspekte zu stützen.

2. Die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung scheitert an der fehlerhaften Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG aF.

a) Es kann davon ausgegangen werden, daß auf Grund der unstreitigen Teilbetriebsstillegung des Werkes M. die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.

b) Die Beklagte hat jedoch die nach § 1 Abs. 3 KSchG aF notwendige Sozialauswahl nicht fehlerfrei vorgenommen.

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf die zutreffenden, nicht mehr ergänzungsbedürftigen Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Sozialauswahl Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat in seiner Entscheidung darauf verwiesen, der Kläger habe vorgetragen, 72 andere Arbeitnehmer wiesen eine kürzere Betriebszugehörigkeit auf und angesichts seiner weiteren Sozialdaten, insbesondere seiner Unterhaltsverpflichtungen, könne die Sozialauswahl nicht zu seinen Lasten ausfallen. Da es die Beklagte im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast versäumt habe, die Sozialdaten der anderen Mitarbeiter vorzulegen, habe der Kläger seiner Darlegungslast genügt.

Dem ist die Revision nicht mit rechtserheblichen Erwägungen entgegengetreten. Die Beklagte hat nicht dargelegt, daß sie bei der Auswahl der infolge der Teilbetriebsstillegung zu kündigenden Arbeitnehmer die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten der Mitarbeiter, hier insbesondere des Klägers, ausreichend berücksichtigt hat. Auf Grund der Anlage 2 zum Interessenausgleich vom 25. Mai 1998 hat die Beklagte vielmehr offensichtlich keine individuelle Sozialauswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer vorgenommen. Dies gilt umso mehr, als in der Anlage 1 zum Interessenausgleich schon 72 Mitarbeiter eine kürzere Betriebszugehörigkeit als der Kläger aufweisen.

bb) Eine individuelle soziale Auswahl war nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger auf der Namensliste der Anlage 2 des Interessenausgleichs vom 25. Mai 1998 stand. Die Beklagte hat nicht dargelegt, daß die Betriebsparteien einen wirksamen Interessenausgleich mit einer verbindlichen Namensliste iSv. § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG aF abgeschlossen haben. Allein aus der Existenz dieses Interessenausgleichs und seiner Anlage 2 kann nicht auf die Ordnungsgemäßheit der Sozialauswahl geschlossen werden.

Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG aF nicht nur vermutet, daß die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist, sondern kann auch die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG aF nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Dabei muß der Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung mit der namentlichen Bezeichnung der zu kündigenden Arbeitnehmer nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG schriftlich niedergelegt und vom Unternehmer und dem Betriebsrat unterschrieben sein. Die gesetzliche Schriftform ist nach der Rechtsprechung des Senats nur dann gewahrt, wenn eine nicht unterschriebene Namensliste mit dem unterschriebenen Interessenausgleich – etwa mittels Heftmaschine – fest verbunden war (Senat 7. Mai 1998 – 2 AZR 55/98 – BAGE 88, 375). Die Vermutungsbasis, dh. insbesondere die Voraussetzungen für einen wirksamen Interessenausgleich, hat der Arbeitgeber substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen (Senat 7. Mai 1998 aaO und – 2 AZR 536/97 – BAGE 88, 363).

Die Betriebsparteien haben die Anlage 2 zum Interessenausgleich vom 25. Mai 1998 nicht unterschrieben. Daß eine feste Verbindung der Anlage 2 zum Interessenausgleich vom 25. Mai 1998 bestand, hat die Beklagte nicht vorgetragen, weshalb die rechtliche Wirkung des § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG aF nicht zum Tragen kommt.

Entfaltet die Namensliste der Anlage 2 schon aus diesem Grund keine rechtliche Wirkung, kann letztlich dahingestellt bleiben, ob sie überhaupt eine abschließende Festlegung der zu kündigenden Arbeitnehmer enthielt oder nur als eine Planungsgrundlage diente. Das Landesarbeitsgericht hat allerdings mit guten Gründen angenommen, daß die Betriebsparteien mit dem Interessenausgleich nach seiner Anlage 2 lediglich eine Vorauswahl für die durchzuführenden Entlassungen getroffen haben und der Betriebsrat an der Letztentscheidung über die durchzuführenden Kündigungen nicht mehr beteiligt war. Dafür sprechen die offenen Formulierungen in § 3 des Interessenausgleichs. Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 des Interessenausgleichs sollte die Liste (Anlage 2) als Planungsgrundlage für die Versetzungen und die ggf. auszusprechenden betriebsbedingten Kündigungen dienen. Ferner führt § 3 Abs. 3 des Interessenausgleichs aus, daß es sich bei den in Anlage 1 und 2 genannten Daten um aus heutiger Sicht vorläufig festgelegte Planungsdaten handelt. Schließlich weist § 3 Abs. 4 des Interessenausgleichs darauf hin, daß bei der Durchführung der beabsichtigten Maßnahmen ggf. Korrekturen angebracht werden müssen. Die Formulierungen im Interessenausgleich zeigen somit deutlich, daß mit dem Interessenausgleich und der Erstellung der Liste – Anlage 2 – keine abschließende Festlegung der zu kündigenden Arbeitnehmer erfolgt ist. Demgegenüber verlangt § 1 Abs. 5 KSchG aF, daß die zu kündigenden Arbeitnehmer im Interessenausgleich abschließend genannt werden. Nur dann, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat auf die namentliche Nennung der zu kündigenden Arbeitnehmer endgültig geeinigt haben, ist es zu rechtfertigen, die Überprüfung der Sozialauswahl zu beschränken, weil nur so die Gewähr besteht, daß sich die Betriebspartner im einzelnen Gedanken darüber gemacht haben, welche Arbeitnehmer als vergleichbar für eine Sozialauswahl in Betracht kommen, welche soziale Rangfolge zwischen ihnen besteht und wer aus der Sozialauswahl auszuscheiden ist (Löwisch RdA 1997, 80, 81).

Bei dieser Sachlage kann schließlich offenbleiben, ob die Wertung der Sozialdaten, bei denen offensichtlich nur auf die Betriebszugehörigkeit abstellt worden ist, ggf. als grob fehlerhaft iSv. § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG aF zu qualifizieren wäre.

II. Dem Kläger steht ein Vergütungsanspruch für den Zeitraum Dezember 1997 bis August 1998 nach § 615 Satz 1 iVm. §§ 295, 296 BGB zu. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats knüpft die Begründung des Annahmeverzugs an die Regelung der §§ 295, 296 BGB an. Gemäß § 296 BGB bedarf es keines Angebots, wenn für die vom Gläubiger zu erbringende Mitwirkungshandlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist und diese Handlung nicht rechtzeitig vorgenommen wird. Die nach dem Kalender bestimmte Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers besteht darin, dem Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und ihm Arbeit zuzuweisen (st. Senatsrspr. seit 18. Dezember 1986 – 2 AZR 34/86 – AP BGB § 297 Nr. 2 = EzA BGB § 615 Nr. 53).

2. Nach § 297 BGB kommt der Gläubiger dann nicht in Verzug, wenn der Schuldner zur Zeit des Angebots oder im Falle des § 296 BGB zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit außer Stande ist, die Leistung zu bewirken. Unmöglichkeit der Leistung durch den Arbeitnehmer und Annahmeverzug schließen sich gegenseitig aus (Senat 18. Dezember 1986 aaO; 29. Oktober 1989 – 2 AZR 666/97 – AP BGB § 615 Nr. 77 = EzA BGB § 615 Nr. 91; 11. März 1999 – 2 AZR 538/98 – nv.). Allerdings liegt eine Unmöglichkeit der Leistung durch den Arbeitnehmer nicht schon dann vor, wenn er aus Gründen in seiner Person nicht mehr alle vertraglich vereinbarten Arbeiten verrichten kann (Senat 18. Dezember 1986 und 11. März 1999 aaO). Ansonsten bliebe unberücksichtigt, daß der Arbeitgeber nach § 315 BGB sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen ausüben und er dabei auch die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen muß. Ist es dem Arbeitgeber ohne Vertragsänderung und ohne Auswirkungen auf die Höhe des Vergütungsanspruchs möglich und organisationsmäßig zumutbar, dem krankheitsbedingt nur eingeschränkt leistungsfähigen Arbeitnehmer eine leidensgerechte Tätigkeit zuzuweisen, so ist die Zuweisung anderer Arbeiten unbillig. Die Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers steht in diesen Fällen dem Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht entgegen (Senat 18. Dezember 1986 und 11. März 1999 aaO).

3. Zutreffend hat deshalb das Landesarbeitsgericht erkannt, daß der Kläger noch hinreichend leistungsfähig war.

a) Er war als Bedienungsmann bei der Beklagten beschäftigt und war deshalb nach seinem Arbeitsvertrag verpflichtet, alle insoweit anfallenden Arbeiten, auch in dem von der Beklagten praktizierten rollierenden System, zu verrichten. Zwar ist er, wie sich aus seinen eigenen Einlassungen und insbesondere aus dem Sachverständigengutachten ergibt, aus gesundheitlichen Gründen objektiv nicht in der Lage, sämtliche Arbeiten, die ihm nach seinem Arbeitsvertrag als Bedienungsmann zuweisbar wären, auszuführen. Er kann aber noch ausreichend vertraglich geschuldete Arbeitsleistungen erbringen. Dies gilt nach den Feststellungen des Sachverständigen, die das Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt hat, vor allem für eine Tätigkeit an der Mahlanlage der Mattierungsmittelanlage. Die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe bei der Beweiswürdigung gegen § 286 ZPO verstoßen, geht insoweit fehl. Es ist nicht ersichtlich, daß das ausführlich begründete Sachverständigengutachten widersprüchlich ist oder seine tatsächlichen Feststellungen unzutreffend sind. Der Sachverständige hat vielmehr nachvollziehbar die vom Kläger verrichteten und die ihm noch möglichen Tätigkeiten bewertet.

b) Steht damit zwar eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Klägers fest, so führt sie nur dann zur Unmöglichkeit der Leistungserbringung, wenn die Beklagte den Kläger mit seiner vorhandenen (Rest-)Leistungsfähigkeit nicht mehr vertragsgemäß einsetzen konnte, das heißt, wenn ihm vorhandene, „leistungsgerechte” Arbeiten ohne Änderung seines Arbeitsvertrages nicht mehr übertragen werden könnten.

Das ist nicht der Fall. Der Kläger ist als Bedienungsmann bei der Beklagten tätig und in zahlreichen Bereichen bereits von der Beklagten kraft ihres Direktionsrechts eingesetzt worden. Dies gilt auch für die Mattierungsmittelanlage. Einer Tätigkeit an der Mahlanlage steht auch nicht seine fachliche Qualifikation entgegen, da er von der Beklagten hier bereits beschäftigt worden ist. Auch wäre der Beklagten eine Einarbeitungszeit an der Mahlanlage von ca. ein bis vier Wochen zumutbar. Gegen einen entsprechenden Einsatz des Klägers an der Mahlanlage spricht auch nicht, daß sich seine Vergütung – positiv – verändern würde, da er als Teilnehmer am voll kontinuierlichen Schichtbetrieb eine höhere Zulage erhielte. Für die Gewährung einer solchen Zulage ist keine Vertragsänderung notwendig. Sie wird auf Grund des tatsächlichen Einsatzes gezahlt.

Schließlich zieht auch ein auf die Mahlanlage beschränkter Einsatz keine unzumutbaren umfassenden organisatorischen Änderungen des Betriebsablaufs nach sich. Mit der Herausnahme des Klägers aus dem rollierenden System wird der Beklagten nichts Unzumutbares abverlangt. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte bereits andere Mitarbeiter auf Grund von deren Besonderheiten aus dieser Rotation herausgenommen und allein im Bereich der Mahlanlage eingesetzt hat.

III. Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels gemäß § 97 ZPO zu tragen.

 

Unterschriften

Rost, Bröhl, Eylert, Beckerle, Claes

 

Fundstellen

Haufe-Index 762606

ARST 2002, 259

EWiR 2002, 705

NZA 2002, 999

SAE 2002, 298

EzA

ZInsO 2002, 1104

NJOZ 2003, 1206

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