Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigungsbeschränkung zu Lasten des Arbeitnehmers

 

Leitsatz (redaktionell)

Soll der Arbeitnehmer bei einem auf unbestimmte Zeit geschlossenen Arbeitsvertrag für den Fall einer vertraglich eingeräumten kürzeren fristgemäßen Eigenkündigung eine "Abfindung" zahlen, kann in einer solchen Vertragsklausel eine unzulässige Kündigungsbeschränkung zu Lasten des Arbeitnehmers liegen (§ 622 Abs. 5, § 134 BGB), und zwar auch dann, wenn der Arbeitgeber bei einer fristgerechten Kündigung seinerseits ebenfalls eine Abfindung zahlen soll, deren Betrag sogar höher ist (Weiterentwicklung von BAG Urteil vom 11.3.1971, 5 AZR 349/70 = AP Nr 9 zu § 622 BGB und BAG Urteil vom 9.3.1972, 5 AZR 246/71 = AP Nr 12 zu § 622 BGB).

 

Orientierungssatz

Voraussetzung für das Verwirken einer Vertragsstrafe ist stets, daß der Schuldner eine Vertragspflicht verletzt und dies zu vertreten hat. Wer von einem vertraglich vorgesehenen Kündigungsrecht Gebrauch macht, verletzt keine Vertragspflicht.

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 26.08.1988; Aktenzeichen 16 Sa 525/88)

ArbG Iserlohn (Entscheidung vom 20.01.1988; Aktenzeichen 1 Ca 1733/87)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob Vergütungsansprüche des Klägers durch Aufrechnung erloschen sind, welche die Beklagte auf eine vertragliche Abrede stützt, wonach der Kläger im Falle vorzeitiger fristgerechter Eigenkündigung eine "Abfindung" an die Beklagte zahlen soll.

Der Kläger, ein Diplom-Kaufmann, war seit dem 1. Oktober 1983 bei der Beklagten beschäftigt. Seit dem 1. September 1986 nahm er die Position eines Leiters der kaufmännischen Verwaltung wahr und bezog zuletzt ein monatliches Bruttogehalt von 5.720,-- DM. Der Anstellungsvertrag vom 19. August 1986 lautet auszugsweise wie folgt:

"... wird mit Wirkung vom 1. September 1986 fol-

gender Anstellungsvertrag geschlossen; alle vor-

herigen Vereinbarungen wurden für ungültig erklärt.

1. Der Vertrag wird auf die Dauer von 5 Jahren ge-

schlossen. Er ist somit erstmalig kündbar zum

1. September 1991. Die beiderseitige Kündigungs-

frist beträgt ein halbes Jahr. Wird der Vertrag

nicht innerhalb der vereinbarten Kündigungsfrist

gekündigt, verlängert er sich jeweils automatisch

um ein weiteres Jahr.

...

13. In Ergänzung zu Punkt 1 vereinbaren die Parteien

die Möglichkeit der vorzeitigen Kündigung des Ver-

trages mit einer den gesetzlichen Bestimmungen ent-

sprechenden Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Quar-

talsende. Kündigt die Firma den Vertrag vorzeitig,

zahlt sie Herrn D eine Abfindung von 0,5

Bruttomonatsgehältern pro Jahr Betriebszugehörigkeit;

kündigt Herr D den Vertrag vorzeitig, zahlt er

der Firma eine Abfindung von 0,25 Bruttomonatsgehäl-

tern pro Jahr Betriebszugehörigkeit."

Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung einer dreimonatigen Frist zum 31. August 1987. Mit Schreiben vom 28. August 1987 teilte die Beklagte ihm daraufhin mit, gemäß Nr. 13 des Vertrages müsse er eine Abfindung wegen vorzeitiger Vertragsauflösung zahlen. Sie behielt von den Bezügen des Klägers für den Monat August, die Gehalt und Urlaubsgeld von je 5.500,--DM brutto umfaßten, einen Nettobetrag von 5.720,-- DM ein. Das hält der Kläger für nicht gerechtfertigt und verlangt mit seiner Klage die Auszahlung des einbehaltenen Betrages. Er hat vorgetragen, Nr. 13 des im übrigen von ihm entworfenen Vertrages sei nur auf Verlangen der Beklagten aufgenommen worden. Eine Abfindungszahlung des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber verstoße aber gegen das Kündigungsschutzgesetz und sei daher nichtig.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn

5.720,-- DM netto nebst 9 % Zinsen

seit dem 7. September 1987 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, Nr. 13 des Vertrages sei auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers in den Vertrag aufgenommen worden. Sinn und Zweck der Regelung sei es gewesen, eine gerichtliche Auseinandersetzung möglichst zu vermeiden. Durch den Anstellungsvertrag habe eine längere Bindung des Klägers an das Unternehmen bewirkt werden sollen, um eine sinnvolle Leitung der kaufmännischen Verwaltung sicherzustellen. Zur Einführung des Klägers in seine neue Position habe sie Investitionen vornehmen müssen. Nr. 13 des Vertrages enthalte in Ergänzung zu Nr. 1 ein "Notventil" für den Fall, daß eine der Vertragsparteien vorzeitig eine Beendigung des auf fünf Jahre abgeschlossenen Vertrages wünsche. Darin liege eine zulässige faktische Kündigungsbeschränkung, wie sie bei Rückzahlung von Ausbildungskosten oder von Gratifikationen im Falle vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis anerkannt sei. Im übrigen treffe die Kündigungsbeschränkung beide Seiten, wobei die Kündigung des Arbeitgebers eine wesentlich höhere Zahlungsverpflichtung auslöse.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger schuldet der Beklagten keine Abfindung. Die Beklagte kann daher nicht mit einer entsprechenden Forderung gegen den Gehaltsanspruch des Klägers aufrechnen.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die für den Fall vorzeitiger Kündigung durch den Arbeitnehmer in den Anstellungsvertrag aufgenommene Verpflichtung, eine Abfindung zu zahlen, sei nach § 134 BGB nichtig. Bei der Klausel der Nr. 13 des Anstellungsvertrages handele es sich um eine atypische wechselseitige Vertragsstrafenabrede mit der Wirkung einer unzulässigen Kündigungsbeschränkung. Das Kündigungsrecht des Arbeitnehmers könne nur im Rahmen des nichtdispositiven § 624 Abs. 1 BGB ausgeschlossen werden. Überdies biete Art. 12 GG eine verfassungsrechtliche Gewähr für das Kündigungsrecht des Arbeitnehmers. Die Verpflichtung des Arbeitnehmers, bei fristgerechter Kündigung dem Arbeitgeber eine "Abfindung" zu zahlen, sei mit diesen Grundsätzen nicht vereinbar, unbeschadet der vertraglichen Verpflichtung der Beklagten, bei vorzeitiger Kündigung ebenfalls eine Abfindung zu zahlen.

Die Abfindungsklausel lasse sich auch nicht mit § 622 Abs. 5 BGB rechtfertigen. Diese Bestimmung regele nur die Gleichheit der Kündigungsfristen der Vertragspartner und verbiete Kündigungsbeschränkungen zu Lasten des Arbeitnehmers. Zwar habe die Rechtsprechung Kündigungsbeschränkungen bei der Rückzahlung von Gratifikationen und Ausbildungskosten zugelassen. Davon unterscheide sich die vorliegende Fallgestaltung jedoch erheblich, weil es an einem dem Arbeitnehmer zusätzlich gewährten Vermögensvorteil wie auch an einem anzuerkennenden sachlichen Grund für eine Bindung des Arbeitnehmers fehle.

Das Landesarbeitsgericht hat weiter angenommen, der Kläger habe die Abfindung auch nicht als Vertragsstrafe verwirkt, weil er nicht vertragsbrüchig geworden sei. Der Arbeitsvertrag gestatte die ordentliche Kündigung beider Vertragsteile. Die Kündigung sei auch keine zum Schadenersatz verpflichtende schuldhafte Vertragsverletzung, da sie nicht gegen eine rechtlich zulässige Kündigungsbeschränkung verstoße. Schließlich setze der Kläger sich durch den Einwand der Nichtigkeit der streitigen Vertragsklausel nicht treuwidrig zu seinem eigenen früheren Verhalten in Widerspruch, da er nicht seinerseits die Aufnahme der Klausel in den Vertrag betrieben habe.

Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.

II.1. Nach § 622 Abs. 5 BGB darf für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer einzelvertraglich keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung ist nach ihrem Sinn und Zweck nicht nur dann gegeben, wenn einzelvertraglich für den Arbeitnehmer längere Kündigungsfristen oder ungünstigere Kündigungstermine festgelegt werden als für den Arbeitgeber, sondern bereits dann anzunehmen, wenn die Kündigung des Arbeitnehmers gegenüber der des Arbeitgebers erschwert ist. Daher sind Kündigungsbeschränkungen zu Lasten des Arbeitnehmers als unzulässig anzusehen. Derartige Kündigungsbeschränkungen können darin liegen, daß der Arbeitnehmer für den Fall der fristgerechten Kündigung eine von ihm gestellte Kaution verlieren (vgl. BAG Urteil vom 11. März 1971 - 5 AZR 349/70 - AP Nr. 9 zu § 622 BGB) oder daß er eine Vertragsstrafe für den Fall einer fristgemäßen Kündigung zahlen soll (vgl. BAG Urteil vom 9. März 1972 - 5 AZR 246/71 - AP Nr. 12 zu § 622 BGB; vgl. ferner BAGE 2, 322 = AP Nr. 1 zu § 394 BGB). Die Rechtsprechung behandelt Klauseln mit Kündigungsbeschränkungen zu Lasten des Arbeitnehmers wegen Verstoßes gegen § 622 Abs. 5 BGB als nichtig gemäß § 134 BGB (vgl. BAG Urteil vom 9. März 1972 - 5 AZR 246/71 - AP Nr. 12 zu § 622 BGB, zu 4 der Gründe). Den übrigen Vertragsinhalt berührt die Nichtigkeit jedoch nicht (vgl. KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 622 Rz 90, m. w. N.).

2. Im Streitfall liegt ebenfalls eine Kündigungsbeschränkung zu Lasten des Arbeitnehmers vor, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt und ausgeführt hat. Zwar sind die Kündigungsfristen des auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen Vertrages für beide Vertragspartner gleich, der Kläger wird aber für den Fall einer - vertraglich ausdrücklich eingeräumten - Kündigung mit kürzerer Frist durch die Verpflichtung, eine Abfindung zu zahlen, belastet. Dadurch wird seine Entscheidungsfreiheit erheblich eingeschränkt. Die Rechtslage ist ähnlich zu beurteilen, wie wenn der Kläger bei Ausspruch einer - vertraglich zulässigen - Kündigung eine Vertragsstrafe zahlen müßte.

Dieses Ergebnis ändert sich nicht dadurch, daß auch die Beklagte bei einer Kündigung ihrerseits mit verkürzter Frist nach Nr. 13 des Anstellungsvertrages eine Abfindung zahlen muß, die betragsmäßig sogar höher liegt als die des Klägers. Denn zwischen beiden "Abfindungen" besteht in der Sache ein grundlegender Unterschied. Abfindungen sind für den Arbeitgeber eine normale Erscheinung des Arbeitslebens, wie die §§ 9, 10 KSchG zeigen. Dagegen kennt das Gesetz im Falle einer Kündigung seitens des Arbeitnehmers keine Abfindung des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber. Soll der Arbeitnehmer für eine Kündigung eine "Abfindung" von seinem Arbeitsverdienst zahlen, muß er dafür, daß er von einem von der Rechtsordnung vorgesehenen und im Streitfall vertraglich zudem eingeräumten Recht Gebrauch macht, seine wirtschaftliche Existenzgrundlage angreifen. Haben daher die "Abfindungen" vorliegend für die Vertragspartner eine durchaus unterschiedliche wirtschaftliche Bedeutung und sind sie nur der Form nach, nicht aber auch inhaltlich gleich, so bedeutet die entsprechende Zahlungsverpflichtung im Anstellungsvertrag für den Kläger eine unzulässige Erschwerung der Kündigungsmöglichkeit. Eine solche Kündigungsbeschränkung kann keine Rechtswirksamkeit beanspruchen, sie ist wegen Verstoßes gegen § 622 Abs. 5 BGB nichtig (§ 134 BGB).

3. Der Kläger schuldet die Abfindung auch nicht als Vertragsstrafe.

Nach § 339 BGB können die Parteien eine Vertragsstrafe für den Fall vereinbaren, daß der Schuldner eine Verbindlichkeit nicht oder nicht in gehöriger Weise erfüllt. Die Vertragsstrafe ist ein vom Gesetz geschaffenes besonderes Rechtsinstitut für Schuldverhältnisse; sie kann folglich auch für Arbeitsverhältnisse als privatrechtliche Schuldverhältnisse vereinbart werden. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestehen gegen einzelvertragliche Strafabreden zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages keine rechtlichen Bedenken, wenn der Arbeitgeber mit ihnen die Einhaltung einer bestimmten vertraglichen Vereinbarung durch den Arbeitnehmer absichern will (vgl. BAGE 46, 50, 53 f. = AP Nr. 9 zu § 339 BGB; Senatsurteil vom 5. Februar 1986 - 5 AZR 564/84 - AP Nr. 12 zu § 339 BGB, zu B I 3 und B II 1 der Gründe; jeweils m. w. N.). Das Gesetz hat die Vertragsstrafe mit einer doppelten Funktion ausgestattet. Sie soll auf der einen Seite als privatrechtliches Druckmittel den Schuldner zur ordnungsgemäßen Erbringung der versprochenen Leistung anhalten, auf der anderen Seite soll sie dem Gläubiger im Verletzungsfall die Möglichkeit einer erleichterten Schadloshaltung ohne Einzelnachweis eröffnen (BGHZ 85, 305, 312 f.; BAGE 46, 50, 54, 56 = AP Nr. 9 zu § 339 BGB).

Voraussetzung für das Verwirken einer Vertragsstrafe ist aber stets, daß der Schuldner eine Vertragspflicht verletzt und dies zu vertreten hat. Wer von einem vertraglich vorgesehenen Kündigungsrecht Gebrauch macht, verletzt aber keine Vertragspflicht. Das hat das Landesarbeitsgericht ebenfalls zutreffend beurteilt.

Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Ascheid

Schleinkofer Dr. Frey

 

Fundstellen

Haufe-Index 440315

DB 1990, 434 (LT1)

AiB 1990, 263 (LT1)

ARST 1990, 23-24 (LT1)

NZA 1990, 147-148 (LT1)

RdA 1990, 62

RzK, I 9k Nr 13 (LT1)

SAE 1991, 277-279 (LT1)

ZAP, EN-Nr 96/90 (S)

AP § 622 BGB (LT1), Nr 27

AR-Blattei, ES 1010.7 Nr 14 (LT1)

AR-Blattei, Kündigung VII Entsch 14 (LT1)

EzA § 622 nF BGB, Nr 26 (LT1)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge