Entscheidungsstichwort (Thema)

Erneute Zeugenvernehmung in der Berufungsinstanz

 

Normenkette

ZPO §§ 398, 286, 554 Abs. 3 Nr. 3 Buchst.b; BGB § 626

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 19.10.1989; Aktenzeichen 13 Sa 43/89)

ArbG Mannheim (Urteil vom 02.12.1988; Aktenzeichen 2 Ca 509/88)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 19. Oktober 1989 – 13 Sa 43/89 – aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision und der Nichtzulassungsbeschwerde, an die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der im Jahre 1944 geborene Kläger war seit Mai 1967 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Metallverarbeitung, beschäftigt, zuletzt als Spengler und Obermonteur gegen eine durchschnittliche Monatsvergütung von 3.914,– DM brutto.

Am 7. Oktober 1988, einem Freitag, verlud der Arbeitskollege R. des Klägers auf dessen Bitten sechs Rollen Bitumen-Schweißbahnen zum Nettowarenwert von 292,50 DM auf ein Firmenfahrzeug der Beklagten. Beide fuhren anschließend vom Firmengelände weg. Eine Rechnung oder ein Lieferschein für die Bitumen-Bahnen wurde nicht ausgeschrieben.

Die Beklagte wirft dem Kläger vor, die Bitumen-Bahnen entwendet zu haben. Sie sprach ihm mit Schreiben vom 10. Oktober 1988 „wegen eines Diebstahls am 7. Oktober 1988” die fristlose Kündigung aus. Zur Begründung hat sie vorgetragen:

Die Tat habe nur zufällig durch die Aufmerksamkeit des Betriebsstellenleiters P. aufgedeckt werden können. Der Kläger und sein Arbeitskollege R. seien bis einschließlich 6. Oktober 1988 auf der Baustelle M. beschäftigt gewesen, die der Geschäftsführer A. B. selbst geleitet habe. Nur er sei über die dort anfallenden Arbeiten informiert gewesen. Er sei vom 6. Oktober 1988 an für zwei Tage verreist gewesen. Dies hätten der Kläger und sein Arbeitskollege gewußt. Sie seien am 7. Oktober 1988 um 7.00 Uhr morgens erschienen und hätten dem Betriebsstellenleiter P., der Wahrheit zuwider, erklärt, sie hätten auf der Baustelle noch etwa drei Stunden zu arbeiten, für die Zeit danach solle er ihnen neue Arbeit zuteilen. Sie hätten ein Firmenfahrzeug beladen. Vor dem Wegfahren habe der Betriebsstellenleiter zufällig bemerkt, daß sich auf dem Fahrzeug sechs Bitumen-Bahnen befunden hätten, die nach seiner Einschätzung auf der Baustelle nicht benötigt würden. Er habe deshalb den Sohn des Geschäftsführers in einem Privatwagen hinterhergeschickt. Dieser hätte die beiden nach Beendigung ihrer angeblich noch erforderlichen Arbeiten auf eine von ihm geleitete Baustelle mitnehmen sollen. Er habe sie jedoch weder auf der Baustelle noch anschließend im Haus des Klägers in L. angetroffen.

Gegen 8.45 Uhr seien die beiden zurückgekommen. Der Betriebsstellenleiter habe sie in Gegenwart des kaufmännischen Angestellten H. gefragt, wo sie gearbeitet hätten und was mit den Bitumen-Bahnen sei. Über diesen Vorfall seien beide überrascht und verdutzt gewesen, hätten jede Auskunft verweigert und sich entfernt. Kurz darauf habe der Kläger seinen Kollegen R. zum Angestellten H. mit dem Auftrag geschickt, für die Bitumen-Bahnen eine Rechnung zu erstellen.

Der Kläger und R. wären am 7. Oktober 1988 ab 7.00 Uhr auf einer anderen Baustelle eingesetzt worden und seien somit für mindestens zwei Stunden ausgefallen. Dies sei an einem Freitag, an dem um 14.00 Uhr Geschäftsschluß sei, besonders schwerwiegend. Sie hätten ferner ohne Genehmigung ein Firmenfahrzeug zu privaten Zwecken benutzt.

Der Kläger hat vorgetragen, einen Personaleinkauf getätigt zu haben. Es sei im Betrieb üblich gewesen, dem Angestellten H. mitzuteilen, welche Waren man mitnehme. Der Gegenwert sei dann bei der nächsten Lohnabrechnung abgezogen worden. Eine vorherige Genehmigung sei nicht erforderlich gewesen.

Am 7. Oktober 1988 habe er seinen Kollegen R. gebeten, sechs Bitumen-Bahnen aufzuladen und bei H. einen Lieferschein zu holen. Er sei mit R. zu seinem Haus gefahren und habe dort die Bahnen, die er für seine Garage benötigt habe, abgeladen. Anschließend seien sie zur Baustelle M. gefahren, wo noch Kitt- und Streicharbeiten auszuführen gewesen seien. Nach ihrer Rückkehr in den Betrieb habe ihn der Baustellenleiter P. des Diebstahls bezichtigt. Er habe dies zurückgewiesen. Daraufhin habe ihn P. aufgefordert, reinzugehen und dies in Ordnung zu bringen. Er habe daraufhin R. gefragt, ob er H. wegen der Bahnen und des Lieferscheins Bescheid gegeben habe. R. habe geantwortet, er habe es vergessen. Da er den Schlüssel zum Materiallager gehabt habe, wäre es ihm ein leichtes gewesen, heimlich Material zu entwenden, wenn er dies beabsichtigt hätte.

Der Kläger hat beantragt,

  1. festzustellen, daß die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10. Oktober 1988 rechtsunwirksam ist und das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zu unveränderten Arbeitsbedingungen auf unbestimmte Zeit fortbesteht,
  2. das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wird gegen Zahlung einer vom Gericht festzusetzenden angemessenen Abfindungszahlung aufgelöst,

    hilfsweise zu Ziff. 2:

    die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Spengler und Obermonteur zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung der Zeugen R., B., H. und P. die Klage abgewiesen.

Es hat für nachgewiesen erachtet, daß der Kläger die Bitumen-Bahnen entwendet habe. Zwar habe der Zeuge R. ausgesagt, vom Kläger angewiesen worden zu sein, sich von dem Zeugen H. einen Lieferschein geben zu lassen. Er habe dies jedoch nicht getan, weil er geglaubt habe, der Kläger werde den Zeugen H. selbst informieren. Die Kammer habe dem Zeugen R. jedoch nicht geglaubt. Seine Aussage sei erkennbar von dem Bestreben getragen, dem Kläger zu helfen. Bereits in der in eigener Sache am 26. Oktober 1988 durchgeführten Güteverhandlung habe der Zeuge den Eindruck hinterlassen, er und der Kläger hätten eine Dummheit gemacht, aus der er so schnell wie möglich herauskommen wollte. Er habe sich nach vierjähriger Beschäftigung auf eine ordentliche Kündigung ohne Abfindung geeinigt, ein Verhalten, das nicht damit begründet werden könne, er habe eine neue Stelle gefunden. Entscheidend für die Überzeugsbildung der Kammer sei aber gewesen, daß der Kläger, von dem Zeugen P. zur Rede gestellt, nichts von einem Auftrag an den Zeugen R. gesagt habe, sich bei dem Zeugen H. einen Lieferschein zu holen. Er hätte sich auf diese Weise sofort durch die Anhörung von R. entlasten können. Daraus sei zu folgern, daß es einen solchen Auftrag nicht gegeben habe und die Bitumen-Bahnen entwendet werden sollten. Dieses Verhalten stelle einen wichtigen Kündigungsgrund dar. Hinzu komme das anschließende Verhalten des Klägers, der ohne Genehmigung der Beklagten ein Dienstfahrzeug zum Transport der Bitumen-Bahnen zu seinem Wohnort benutzt habe, wobei dahinstehen könne, ob er diese Stunden vergütet erhalten habe oder nicht.

Mit seiner Berufung hat der Kläger vorgetragen, es sei nicht nachvollziehbar, wie das Arbeitsgericht zu dem negativen Eindruck von dem Zeugen R. gekommen sei. Der Zeuge sei in der Güteverhandlung nicht anwesend gewesen. Er habe bereits eine neue Arbeitsstelle gefunden gehabt. Dies habe er seinem, des Klägers, Prozeßbevollmächtigten erzählt. Dieser habe ihn darauf hingewiesen, er könne mit dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten sprechen und sich auf eine ordentliche Kündigung einigen. In der Güteverhandlung habe sich der Zeuge überhaupt nicht geäußert. Im vorliegenden Verfahren habe der Vorsitzende dem Zeugen ein schlechtes Gewissen unterstellt, weil er sich mit der Beklagten auf eine ordentliche Kündigung ohne Abfindung geeinigt habe. Der Zeuge habe hierzu erklärt, er habe auf Jeden Fall vermeiden wollen, daß sein neuer Arbeitgeber von seinem Prozeß gegen seinen alten Arbeitgeber erfahre. Seines Wissens habe die Beklagte noch nie eine Abfindung gezahlt, er sei kein Gewerkschaftsmitglied und ein Rechtsanwalt sei ihm zu teuer. Auf die weitere Frage des Vorsitzenden, warum er im Gütetermin nicht gesagt habe, die Sache sei so abgelaufen, wie von ihm, dem Kläger vorgetragen, habe sein, des Klägers, Prozeßbevollmächtigter darauf hingewiesen, der Zeuge habe damals keine Gelegenheit gehabt, etwas zu sagen. Er habe aber auf dem Flur des Gerichts dem Vorsitzenden gegenüber eine entsprechende Erklärung abgeben wollen, der jedoch nichts habe davon hören wollen.

Gegenüber dem Zeugen P. habe er am 7. Oktober 1988 nicht rational reagiert, weil er nach 21 Jahren tadelfreien Verhaltens plötzlich mit dem unberechtigten Vorwurf eines Diebstahls überrascht worden sei. Er habe den Vorwurf mit den Worten „ah na, ah na” zurückgewiesen und entsprechend der Aufforderung des Zeugen P. den Zeugen R. zu dem Zeugen H. geschickt, um die Sache in Ordnung zu bringen.

Nicht eindeutig ersichtlich sei, ob das Arbeitsgericht die Kündigung auch alleine wegen der Benutzung des Dienstfahrzeugs für berechtigt halte. Dieser Sachverhalt reiche jedenfalls als Kündigungsgrund nicht aus.

Die Beklagte hat erwidert, der Zeuge R. habe im Gütetermin kein Wort gesprochen, sondern nur den Prozeßbevollmächtigten des Klägers sprechen lassen. Bei Gericht habe deshalb durchaus der Eindruck entstehen können, der Prozeßbevollmächtigte des Klägers spreche für beide. Wenn R. keinen Rechtfertigungsversuch unternommen habe, liege die Annahme nahe, daß er weitere Einwendungen nicht vorzubringen habe. Der Zeuge habe ihren Prozeßbevollmächtigten einen Tag nach dem Gütetermin angerufen und geäußert, der Prozeßbevollmächtigte des Klägers habe nicht in seinem Sinne gesprochen. Sie hätten Blödsinn gemacht, er werde zum nächsten Termin nicht mehr kommen. Daraufhin habe ihr Prozeßbevollmächtigter den Vergleich zwischen ihr und dem Zeugen vermittelt.

Ob die Benutzung des Firmenwagens allein die Kündigung gerechtfertigt hätte, könne dahinstehen, weil beides im Zusammenhang mit dem Diebstahl zu sehen sei.

Das Landesarbeitsgericht hat ohne weitere Beweisaufnahme das arbeitsgerichtliche Urteil abgeändert, das Arbeitsverhältnis der Parteien auf den Antrag des Klägers zum 10. Oktober 1988 aufgelöst und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung von 24.000,– DM an den Kläger verurteilt.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Hierbei hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.

A. Die Revision ist zulässig.

Der Kläger bemängelt fehlende Angaben der Beklagten in der Revisionsschrift zur Parteirolle und den Prozeßbevollmächtigten im Berufungs- und Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren. Diese Rüge ist schon deshalb unbegründet, weil sich diese Daten in jedem Falle aus der nach der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten beim Bundesarbeitsgericht verbliebenen Vorprozeßakte ergeben. In der Revisionsschrift war auch durch Angabe des Aktenzeichens des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens auf dieses Verfahren Bezug genommen worden. Deshalb konnten die Daten innerhalb der Revisionsfrist vom Revisionsgericht ermittelt werden. Das reicht für die Zulässigkeit der Revision aus (vgl. BAG Beschluß vom 18. Februar 1972 – 5 AZR 5/72 – AP Nr. 3 zu § 553 ZPO). Es braucht deshalb nicht näher geprüft zu werden, ob sämtliche vom Kläger angesprochenen Daten für die Zulässigkeit der Revision erheblich sind und sich nicht bereits aus der Revisionsschrift ergeben.

B. Die Revision ist auch begründet.

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung zur Kündigung im wesentlichen wie folgt begründet:

1. Ein Diebstahl sei nicht nachgewiesen. Hierauf könne die fristlose Kündigung somit nicht gestützt werden. Es bestünden vernünftige Zweifel an der Richtigkeit des Vortrags der Beklagten, der Kläger habe am 7. Oktober 1988 die Bitumen-Bahnen in Entwendungsabsicht nach Hause gebracht.

Sei die Aussage des Zeugen R. richtig, so hätte der Kläger nicht heimlich und deswegen offensichtlich nicht in rechtswidriger Zueignungsabsicht gehandelt. Das Arbeitsgericht halte den Zeugen zu Unrecht für unglaubwürdig. Daß er sich rasch und ohne Abfindung mit der Beklagten auf eine ordentliche Kündigung verständigt habe, könne, müsse aber nicht Ausdruck eines schlechten Gewissens sein. Das Arbeitsgericht habe für seine Wertung keine weiteren tatsächlichen Feststellungen getroffen. Es handele sich deshalb im Ergebnis um eine Spekulation, bei der das Arbeitsgericht seine subjektiven Vorstellungen von einer wirtschaftlich zweckmäßigen Prozeßführung mit den ihm nicht näher bekannten des Klägers (richtig: des Zeugen) kurzerhand gleichgesetzt habe. Tatsächlich könne aber das Prozeßverhalten des Zeugen, wie das Vorbringen der Berufung zeige, durchaus ökonomisch und auch psychologisch verständlich sein. Dieses Berufungsvorbringen habe die Beklagte nicht bestritten. Es sei deshalb jedenfalls nicht ausgeschlossen, daß der Zeuge sich bei dem Vergleichsabschluß in seinem Prozeß von diesen vom Kläger vorgetragenen Gründen habe leiten lassen und nicht wegen eines schlechten Gewissens so gehandelt habe.

Ebensowenig sei die weitere Annahme des Arbeitsgerichts zwingend und daher überzeugend, die Reaktion des Klägers selbst auf den Vorhalt des Zeugen P., er habe gestohlen, sei nicht die eines zu Unrecht Beschuldigten, sondern eines ertappten Diebes. Die Reaktion eines Beschuldigten auf einen solchen Vorwurf sei eine Frage des Temperaments, der psychischen Verfassung und der jeweiligen Umstände des Einzelfalles. Feststellungen zur psychischen Verfassung des Klägers habe das Arbeitsgericht nicht getroffen. Eine Annahme, der Kläger hätte im Falle einer unberechtigten Verdächtigung mit entschiedenem Protest reagiert, sei deshalb wiederum eine Projektion der emotionalen Befindlichkeit des Richters auf diejenige des Klägers.

Schon aus diesen Gründen könne das Beweisergebnis des ersten Rechtszuges nur dahin gewürdigt werden, daß das Verteidigungsvorbringen des Klägers nicht widerlegt und mindestens nicht auszuschließen sei, daß er vor dem Abtransport der Bitumen-Bahnen den Zeugen R. beauftragt habe, für diese einen Lieferschein zu besorgen.

Gegen eine Diebstahlsabsicht spreche ferner, daß der Kläger im Besitz eines Schlüssels zum Materiallager gewesen sei und deshalb mit wesentlich geringerem Risiko Waren hätte wegnehmen können. Bei einem Diebstahl in aller Öffentlichkeit hätte er sich zudem den Zeugen R. zum Mitwisser gemacht und wäre jederzeit erpressbar gewesen.

2. Eine Verdachtskündigung habe die Beklagte in beiden Instanzen nicht geltend gemacht, sondern sich darauf berufen, der Kläger habe gestohlen. Eine solche Kündigung wäre aber auch schon deshalb nicht hinreichend vorgetragen, weil die Beklagte den Kläger nicht vor Ausspruch der Kündigung angehört habe.

3. Der Kläger habe zwar insoweit vertragswidrig gehandelt, als er die Bitumen-Bahnen mitgenommen habe, ohne vorher mit der Beklagten einen Vertrag geschlossen zu haben. Dies sei erforderlich gewesen, weil es der Beklagten freigestanden habe, zu verkaufen. Auch habe er die Ware aufgeladen, ohne einen Lieferschein zu haben. Schließlich habe er das Firmenfahrzeug ohne Erlaubnis für eine Privatfahrt benutzt. Dieses Verhalten rechtfertige aber bei Abwägung der gegenseitigen Interessen keine fristlose Kündigung.

II. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Würdigung des Berufungsgerichts, die Kündigung könne nicht auf Diebstahl gestützt werden, weil dem Kläger keine Entwendungsabsicht nachzuweisen sei.

1. Der Diebstahl von Waren gleich welchen Wertes ist ein zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund geeigneter Umstand (Senatsurteil vom 17. Mai 1984 – 2 AZR 3/83 – AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).

2. Wie die Revision durchgreifend rügt, beruht die Feststellung des Berufungsgerichts, dem Kläger könne keine Entwendungsabsicht nachgewiesen werden, auf einem Verfahrensfehler. Das Berufungsgericht hätte den Zeugen R. nochmals vernehmen müssen.

a) Entgegen der Ansicht des Klägers ist die von der Revision erhobene Verfahrensrüge zulässig.

Nach § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO muß die Revisionsbegründung die Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm sowie bei Verfahrensrügen die Bezeichnung der Tatsachen enthalten, die den Mangel ergeben. Diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung im vorliegenden Fall.

Darin wird § 398 ZPO als die verletzte Rechtsnorm bezeichnet und ausgeführt, nach dieser Vorschrift müsse das Berufungsgericht einen Zeugen, dessen Glaubwürdigkeit es anders beurteilen wolle als die erste Instanz, nochmals vernehmen.

Des weiteren wird dort vorgetragen, daß der Zeuge R. vom Arbeitsgericht vernommen und für unglaubwürdig gehalten worden sei. Anschließend wird der wesentliche Inhalt der Zeugenaussage wiedergegeben und vorgetragen, der erstinstanzliche Richter habe sich von der Persönlichkeit des Zeugen aufgrund seines – in der Revisionsbegründung ebenfalls wiedergegebenen – Verhaltens in seinem eigenen Prozeß und bei seiner Aussage ein Bild gemacht und dieses in die Beweiswürdigung einbezogen. Damit hat die Beklagte in der Revisionsbegründung die Tatsachen vorgetragen, die nach ihrer Ansicht eine nochmalige Vernehmung des Zeugen R. in der Berufungsinstanz erforderlich machten.

Schließlich werden in der Revisionsbegründung die Umstände vorgetragen, aufgrund derer die Beweiswürdigung nach einer nochmaligen Vernehmung des Zeugen R. zugunsten der Beklagten hätte ausfallen können und müssen. Damit hat die Beklagte auch ausreichend dargelegt, daß das angefochtene Urteil auf dem gerügten Verfahrensfehler beruht.

Demgegenüber verweist der Kläger zur Zulässigkeit einer auf die unterbliebene Vernehmung eines Zeugen gestützten Verfahrensrüge auf Rechtsprechungsgrundsätze, nach denen Beweisangebot und Beweisthema nach Schriftsatz und Seitenzahl angegeben werden müssen. Hierbei übersieht er, daß diese Grundsätze für den Fall der Übergehung eines Beweisangebots, nicht aber für den hier vorliegenden Fall der nochmaligen Vernehmung eines Zeugen in der Berufungsinstanz gelten, insoweit bedarf es keiner neuen Beweisanträge, sondern das Landesarbeitsgericht hat selbständig zu entscheiden, ob es Zeugen erneut vernehmen will.

b) Die Verfahrensrüge ist auch begründet.

aa) Es steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen im ersten Rechtszug gehörten Zeugen nochmals nach § 398 ZPO vernimmt oder sich mit der Verwertung der protokollierten erstinstanzlichen Aussagen begnügt. Jedoch besteht im Rahmen dieses Ermessens eine Pflicht zur erneuten Vernehmung, wenn das Berufungsgericht die Aussage anders bewerten will als die erste Instanz und hierfür Faktoren im Vordergrund stehen, die die Glaubwürdigkeit und deren Beurteilung – wie die Urteilsfähigkeit des Zeugen, sein Erinnerungsvermögen und seine Wahrheitsliebe – betrafen und wesentlich vom persönlichen Eindruck des Zeugen auf den Richter abhängen. Geht es dagegen nur darum, ob der Inhalt der protokollierten Aussage (objektiv) für die Beweisfrage ergiebig ist oder nicht, kann der zweitinstanzliche Richter grundsätzlich die Aussage ohne nochmalige Vernehmung anders beurteilen (vgl. BAG Urteil vom 26. September 1989 – 3 AZR 375/89 – AP Nr. 3 zu § 398 ZPO; BGH Urteil vom 8. Januar 1985 – VI ZR 96/83 – VersR 1985, 341, 347 f., zu B II 2 der Gründe; jeweils m.w.N.).

bb) Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht verstoßen. Ohne den Zeugen R. nochmals zu vernehmen, hat es ihn im Gegensatz zum Arbeitsgericht für glaubwürdig angesehen. Das Arbeitsgericht hatte seine Entscheidung in diesem Punkt damit begründet, die Bekundungen des Zeugen seien erkennbar von dem Bestreben getragen gewesen, dem Kläger zu helfen, der Zeuge habe bereits in eigener Sache in der Güteverhandlung einen solchen Eindruck hinterlassen. Somit hat es Faktoren berücksichtigt, die die Glaubwürdigkeit betreffen und deren Beurteilung wesentlich vom persönlichen Eindruck des Zeugen auf den Richter abhängen; hinsichtlich des Verhaltens des Zeugen in der Güteverhandlung hat es ausdrücklich hervorgehoben, welchen Eindruck der Zeuge hinterlassen habe. Deshalb durfte das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht ohne nochmalige Vernehmung abweichend beurteilen, auch wenn ihm die vom Arbeitsgericht gegebene Begründung nicht ausreichend oder nicht überzeugend erschien.

cc) Auf diesem Verfahrensfehler beruht auch die Entscheidung des Berufungsgerichts zur Kündigung, soweit diese mit Diebstahl begründet wird.

Das Berufungsgericht hat seine Überzeugung, dem Kläger sei keine Entwendungsabsicht nachzuweisen, maßgeblich darauf gestützt, daß der Zeuge R. glaubwürdig, deshalb das Vorbringen des Klägers nicht widerlegt und zumindest nicht auszuschließen sei, der Kläger habe vor dem Abtransport der Bitumen-Bahnen den Zeugen beauftragt, sich einen Lieferschein zu besorgen. Es ist nicht auszuschließen, daß seine Beweiswürdigung anders ausgefallen wäre, wenn es die Glaubwürdigkeit des Zeugen aufgrund einer eigenen Vernehmung beurteilt hätte (vgl. BAG Urteil vom 26. September 1989, a.a.O.). Auf die ebenfalls vom Arbeitsgericht abweichende Beurteilung der Reaktion des Klägers auf den Diebstahlsvorwurf des Zeugen P. hat es seine Entscheidung nicht selbständig, sondern im Zusammenhalt mit der Würdigung der Aussage des Zeugen R. gestützt.

III. Der dargelegte Verfahrensfehler nötigt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

1. Zu Unrecht meint die Revision, die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts verdiene den Vorzug, so daß der Senat in der Sache abschließend entscheiden könne. Eine ersetzende Entscheidung ist dem Revisionsgericht gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO nur möglich, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung und bei Anwendung des Gesetzes auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. Im vorliegenden Fall sind jedoch wegen eines Verfahrensfehlers nochmalige tatsächliche Feststellungen erforderlich, die nur das Berufungsgericht treffen kann.

2. Zugunsten der Beklagten kann auch nicht mit der Begründung durcherkannt werden, die Kündigung sei als Verdachtskündigung oder wegen sonstiger Vertragspflichtverletzungen wirksam. Das angefochtene Urteil ist insoweit frei von revisiblen Rechtsfehlern.

a) Nach den Maßstäben der Verdachtskündigung konnte die Kündigung bereits deshalb nicht beurteilt werden, weil die Beklagte nach dem bisherigen Sach- und Streitstand die Kündigung hierauf nicht gestützt hat. Nach dem Kündigungsschreiben wurde die Kündigung „wegen Diebstahls am 7.10.1988” erklärt. An dieser Ansicht hat die Beklagte im Prozeß festgehalten. Auf den ausdrücklichen Hinweis des Klägers (Bl. 130 Vor A), der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten habe auf richterlichen Vorhalt in der Güteverhandlung erklärt, es handele sich um keine Verdachtskündigung, sondern um eine Kündigung wegen Diebstahls, hat die Beklagte erwidert (Bl. 132 Vor A), über den Inhalt der Kündigung brauchten die Parteien nicht zu streiten, er ergebe sich aus dem Kündigungsschreiben. Der Verdacht einer strafbaren Handlung ist gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, ein eigenständiger Kündigungsgrund, der im Tatvorwurf nicht zwangsläufig enthalten ist. Der Arbeitgeber muß die Kündigung deshalb zumindest hilfsweise auf den Verdacht stützen, wenn er sie gerichtlich unter diesem Gesichtspunkt beurteilt wissen will (BAG Urteil vom 3. April 1986 – 2 AZR 324/85 – AP Nr. 18 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, zu II 1 b und c, aa der Gründe).

b) Die Würdigung des Berufungsgerichts, die im einzelnen aufgezeigten Vertragspflichtverletzungen des Klägers rechtfertigten bei Abwägung der beiderseitigen Interessen die Kündigung nicht, hält sich im Rahmen des dem Tatrichter bei der Anwendung des Rechtsbegriffs des wichtigen Grundes zustehenden Beurteilungsspielraums. Auch die Revision erhebt insoweit keine Rügen, sondern will diese Vertragsverletzungen nur im Falle einer Zurückverweisung zur sozialen Rechtfertigung der dann hilfsweise in eine ordentliche Kündigung umzudeutenden fristlosen Kündigung berücksichtigt wissen.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Triebfürst, Dr. Ascheid, Jansen, Beckerle

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073617

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