Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Gratifikation bei betriebsbedingter Kündigung

 

Leitsatz (redaktionell)

Klauseln in einem Tarifvertrag (hier: Tarifvertrag für die bei öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren Beschäftigten vom 19. Dezember 1950 idF vom 3. Juni 1982), die den Anspruch auf eine Sonderzuwendung von dem Bestehen eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses an einem bestimmten Stichtag innerhalb des Bezugsjahres abhängig machen, gelten auch für den Fall einer betriebsbedingten Kündigung (Aufgabe von BAG 27.10.78 5 AZR 287/77 = BAGE 31, 113 = AP Nr 98 zu § 611 BGB Gratifikation).

 

Normenkette

TVG § 1; BGB §§ 162, 611

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 24.05.1984; Aktenzeichen 10 Sa 2370/83)

ArbG Hagen (Westfalen) (Entscheidung vom 29.09.1983; Aktenzeichen 4 Ca 978/83)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf eine tarifvertragliche Sonderzuwendung hat.

Der Kläger ist Vermessungsingenieur. Er war in der Zeit vom 18. Juni 1979 bis zum 31. Dezember 1982 bei dem Beklagten, einem öffentlich bestellten Vermessungsingenieur, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme der Tarifvertrag für die bei öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren Beschäftigten vom 19. Dezember 1950 (im folgenden TV) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers am 15. November 1982 zum 31. Dezember 1982 aus betriebsbedingten Gründen. Mit Schreiben vom 14. Januar 1983 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten den Anspruch auf Sonderzuwendung nach dem Tarifvertrag geltend. Der Tarifvertrag in der Fassung vom 3. Juni 1982 enthält in § 9 u. a. folgende Bestimmungen:

"D) Sonderzuwendungen

-----------------

1. Der Arbeitnehmer einschließlich des Auszubil-

denden erhalten in jedem Kalenderjahr eine

Zuwendung, die spätestens am 10. Dezember aus-

zuzahlen ist, wenn sie

a) seit der ersten Januarwoche im Dienst des

Arbeitgebers gestanden haben und

b) das Arbeitsverhältnis am 01.12. des Jahres

von keiner der Parteien gekündigt worden ist.

2. Scheidet der Arbeitnehmer oder der Auszubildende

bis einschließlich dem 31.03. des folgenden Ka-

lenderjahres aus seinem Verschulden oder auf

eigenen Wunsch aus, so hat er die Zuwendung in

voller Höhe an den Arbeitgeber zurückzuzahlen.

Dies gilt nicht, wenn

a) das Ausbildungsverhältnis vor dem 01. April

durch Vertragsablauf endet oder

b) der Arbeitnehmer wegen Erreichens der Alters-

grenze oder der Inanspruchnahme des vorgezo-

genen Altersruhegeldes aus dem Berufsleben

ausscheidet.

....."

Mit der am 9. Mai 1983 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Zahlung dieser tariflichen Sonderzuwendung. Er hat die Auffassung vertreten, er habe zwar am 1. Dezember 1982 in einem gekündigten Arbeitsverhältnis zum Beklagten gestanden, die Stichtagsregelung in § 9 D 1 b TV sei jedoch wegen des Verbots des widersprüchlichen Verhaltens gemäß § 162 BGB unzulässig. Denn die Sonderzuwendung werde für den Fall der Betriebstreue versprochen, der Arbeitgeber aber nehme dem Arbeitnehmer bei einer betriebsbedingten Kündigung die Möglichkeit, die geforderte Betriebstreue zu erweisen. Auch den Tarifvertragsparteien sei es nicht erlaubt, von diesem Rechtsgrundsatz abzuweichen.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn

1.822,50 DM brutto nebst 4 % Zinsen

seit dem 17. Januar 1983 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat sich auf den Standpunkt gestellt, der Tarifvertrag beinhalte keinen Verstoß gegen ein allgemeines Rechtsprinzip. Insbesondere sei hier § 162 BGB nicht anwendbar, da die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen erfolgt und damit der Eintritt der Bedingung für den Wegfall des Anspruchs auf die tarifliche Sonderzuwendung nicht treuwidrig bewirkt worden sei. Auch im übrigen sei durch die tarifvertragliche Bestimmung kein allgemeines Rechtsprinzip verletzt worden. Dem Kläger sei vielmehr schon im Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages bewußt gewesen, welche Auswirkungen eine betriebsbedingte Kündigung auf den Anspruch auf die Sonderzuwendung haben werde.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die tarifliche Sonderzuwendung verneint, denn der Kläger hat die Voraussetzungen der Tarifnorm nicht erfüllt. Gegen die tarifliche Stichtagsregelung, die den Arbeitnehmer auch im Falle einer betriebsbedingten Kündigung von dem Anspruch auf die Sonderzuwendung ausschließt, bestehen keine rechtlichen Bedenken.

I. Der Kläger hat die in § 9 D 1 des TV genannten Voraussetzungen für den Anspruch auf die tarifliche Sonderzuwendung nicht erfüllt. Nach dieser Tarifvorschrift erhält der Arbeitnehmer, der im Kalenderjahr der Auszahlung seit der ersten Januar-Woche im Dienst des Arbeitgebers gestanden hat und dessen Arbeitsverhältnis am 1. Dezember d. J. von keiner der Parteien gekündigt worden ist, eine Sonderzuwendung. Der Kläger stand zwar seit der ersten Januar-Woche des Jahres 1982 ununterbrochen in einem Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten. Die weitere Voraussetzung für den tariflichen Anspruch, nämlich ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis am 1. Dezember d. J., ist jedoch nicht gegeben, da der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 15. November 1982 zum 31. Dezember 1982 aus betriebsbedingten Gründen gekündigt hatte. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Wortlaut der Tarifvorschrift jede Kündigung umfaßt, also auch die aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochene Kündigung durch den Arbeitgeber.

Damit ist nach dem Wortlaut der Tarifvorschrift ein Anspruch des Klägers auf die tarifliche Sonderzuwendung zu verneinen. Dies wird auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen.

II. Die tarifliche Stichtagsregelung ist wirksam.

1. § 9 D 1 b TV setzt voraus, daß der Arbeitnehmer am 1. Dezember des Bezugsjahres in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht. Zweck der tariflichen Regelung ist also einmal, die in der Vergangenheit, d. h. im jeweiligen Kalenderjahr geleisteten Dienste zu belohnen. Soweit der ungekündigte Bestand des Arbeitsverhältnisses gefordert wird, soll damit im allgemeinen ein Anreiz für zukünftige Betriebstreue gesetzt werden (vgl. BAG Urteil vom 8. November 1978 - 5 AZR 358/77 - AP Nr. 100 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 3 der Gründe, m. w. N.).

Das Bundesarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung Klauseln, nach denen die Jahressonderzuwendung nur solchen Arbeitnehmern zustehen soll, die im Zeitpunkt des Versprechens oder im Zeitpunkt der Auszahlung in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen, grundsätzlich für zulässig erachtet (BAG 17, 142, 145 = AP Nr. 52 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG Urteil vom 21. Februar 1974 - 5 AZR 302/73 - AP Nr. 81 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 3 der Gründe; BAG Urteil vom 13. September 1974 - 5 AZR 48/74 - AP Nr. 84 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 2 a der Gründe; BAG 31, 113, 117 = AP Nr. 98 zu § 611 BGB Gratifikation, zu II 1 der Gründe). Es hat allerdings zugleich auch den Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen Zusagen einer Sonderzuwendung, mit der sowohl die im Bezugszeitraum geleistete Arbeit zusätzlich vergütet als auch ein Anreiz zur weiteren Betriebstreue des Arbeitnehmers gesetzt werden soll, mit Bindungsklauseln für die Zukunft versehen werden dürfen. Mit Urteil vom 13. September 1974 (AP Nr. 84 zu § 611 BGB Gratifikation) und mit Urteil vom 26. Juni 1975 (AP Nr. 86 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 3 der Gründe) hat der Senat Klauseln, die Bestandteil eines Einzelvertrages bzw. einer Betriebsvereinbarung sind und den Arbeitnehmer von dem Bezug der Sonderzuwendung für den Fall der betriebsbedingten Kündigung vor einem Stichtag ausschließen, für unwirksam erklärt. Der Senat hat dies damit begründet, daß bei Vereinbarungen dieser Art eine rechtsmißbräuchliche Vertragsgestaltung vorliege, da dem Arbeitnehmer, der die ihm obliegende Arbeitsleistung im Bezugszeitraum voll erbracht hat, die erwartete Gegenleistung aus Gründen, auf die er keinen Einfluß habe, nicht verweigert werden dürfe. Im übrigen werde der durch die Kündigung ohnehin benachteiligte Arbeitnehmer noch zusätzlich durch den Ausschluß von der Sonderzuwendung bestraft (BAG Urteil vom 13. September 1974 - 5 AZR 48/74 - AP Nr. 84 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 3 a der Gründe, und Urteil vom 26. Juni 1975 - 5 AZR 412/74 - AP Nr. 86 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 3 der Gründe).

In der Entscheidung vom 27. Oktober 1978 (BAG 31, 113 = AP Nr. 98 zu § 611 BGB Gratifikation) hat der Senat diese Grundsätze dann auch auf eine tarifliche Bindungsklausel erweitert. In der Entscheidung wird zur Begründung ausgeführt, daß es einer Vertragspartei nach § 162 BGB untersagt sei, sich auf den Nichteintritt eines für die Leistungsgewährung vorausgesetzten Erfolges zu berufen, wenn sie selbst diesen Erfolg vereitelt hat. Ein solches Verhalten liege vor, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung während des Bezugszeitraums voll erbracht habe und der Arbeitgeber ihm unter Berufung auf eine Bindungsklausel die Gratifikation verweigere, obgleich der Arbeitnehmer nur durch eine betriebsbedingte Kündigung gehindert werde, die darüber hinaus von ihm erwartete Betriebstreue zu leisten. Ein derartiges allgemeines Rechtsprinzip könne auch ein Tarifvertrag nicht brechen.

2. An dieser Ansicht kann der Senat - insoweit im Ergebnis mit dem Landesarbeitsgericht übereinstimmend - nicht festhalten.

Mit dem Hinweis auf den Rechtsgedanken des § 162 BGB kann die Wirksamkeit der umstrittenen Bindungsklausel nicht in Frage gestellt werden.

a) Nach § 162 BGB ist es einer Vertragspartei untersagt, sich auf den Eintritt oder Nichteintritt eines Ereignisses zu berufen, den sie selbst treuwidrig herbeigeführt oder verhindert hat (BAG 4, 306, 309 = AP Nr. 34 zu § 1 KSchG; MünchKomm-H. P. Westermann, BGB, 2. Aufl., § 162 Rz 18; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 162 Rz 6). Erforderlich ist ein treuwidriges Verhalten einer Partei; ein Verhalten also, das darauf abzielt, ein für die Leistungsverpflichtung vorausgesetztes Ereignis unter Verstoß gegen Treu und Glauben zu verhindern (Staudinger/Dilcher, aaO, § 162 Rz 2). Dementsprechend hat auch das Bundesarbeitsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung § 162 BGB im wesentlichen nur dann herangezogen, wenn dem Arbeitnehmer durch die treuwidrige Ausübung von Gestaltungsrechten des Arbeitgebers Rechtsnachteile drohten (vgl. BAG 24, 177, 184 ff. = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu A II 2 b der Gründe; bei Kündigungen des Arbeitgebers kurz vor Erfüllung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG vgl. zuletzt BAG 40, 42, 49 = AP Nr. 24 zu § 102 BetrVG 1972, zu II der Gründe). Auch der erkennende Senat hat im Rahmen des Gratifikationsrechts wiederholt § 162 BGB bei einem konkret treuwidrigen Verhalten des Arbeitgebers angewendet (BAG Urteil vom 29. März 1965 - 5 AZR 6/65 - BAG 17, 142 = AP Nr. 52 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 7. Juni 1972 - 5 AZR 495/71 - AP Nr. 73 zu § 611 BGB Gratifikation und zuletzt Urteil vom 27. Oktober 1978 - 5 AZR 139/77 - AP Nr. 96 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 2 e der Gründe). Anknüpfungspunkt für die Rechtsfolge des § 162 BGB kann also nur das Verhalten der Vertragspartei, das zum Eintritt oder Nichteintritt der Bedingung führt, nicht bereits die Vereinbarung der Bedingung selbst sein. Soweit in der Rechtsprechung daher von einer mißbräuchlichen Vertragsgestaltung durch den Arbeitgeber die Rede ist (vgl. Urteil vom 13. September 1974 - 5 AZR 48/74 - AP Nr. 84 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 3 a der Gründe), kann die Vorschrift nicht zur Rechtskontrolle herangezogen werden. Insoweit steht nur der Weg einer gerichtlichen Inhaltskontrolle des Arbeitsvertrages offen.

b) Ein widersprüchliches und treuwidriges Verhalten kann dem Arbeitgeber im Falle der betriebsbedingten Kündigung nicht ohne weiteres unterstellt werden. Die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben würde voraussetzen, daß der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nur aufgelöst hat, um die Entstehung des Gratifikationsanspruchs des Arbeitnehmers zu vereiteln. Dem steht jedoch bereits entgegen, daß auch die betriebsbedingte Kündigung nicht beliebig, sondern nur unter den von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen (vgl. dazu BAG 31, 157, 161, 162 = AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu II 1 a und b der Gründe; zuletzt BAG Urteil vom 17. Oktober 1980 - 7 AZR 675/78 - AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu 3 b der Gründe) ausgesprochen werden kann. Wird sie aber von dem Arbeitgeber erklärt, so hat der Arbeitnehmer die Gefahr des Bestandes seines Arbeitsverhältnisses selbst zu tragen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG). § 162 BGB kann daher nicht ohne weiteres im Falle der betriebsbedingten Kündigung angewandt werden. Seine Voraussetzungen sind erst dann gegeben, wenn dem Arbeitgeber ein konkretes treuwidriges Verhalten nachzuweisen ist (vgl. auch Schwerdtner in der gemeinsamen Anm. zu AP Nr. 84 und 86 zu § 611 BGB Gratifikation). Die Rechtsprechung des Senats kann daher mit der bisher gegebenen Begründung nicht aufrechterhalten werden.

3. Es kann dahingestellt bleiben, ob einzelvertraglich eine solche Stichtagsregelung rechtswirksam ist. Jedenfalls ist dem Berufungsgericht darin zu folgen, daß ein Verbot einer solchen Regelung nicht auch auf die Tarifvertragsparteien erstreckt werden kann.

a) In der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist anerkannt, daß Tarifverträge nur in beschränktem Maße der gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen, da sie von gleichberechtigten Partnern des Arbeitslebens ausgehandelt werden und eine Institutsgarantie gemäß Art. 9 Abs. 3 GG genießen. Wegen der Gleichgewichtigkeit der Tarifvertragsparteien ist zunächst davon auszugehen, daß bei einer Gesamtbetrachtung der tariflichen Regelungen die Arbeitnehmerinteressen angemessen berücksichtigt werden. Es besteht insoweit eine materielle Richtigkeitsgewähr für die tariflichen Regelungen; sie haben die Vermutung für sich, daß sie den Interessen beider Seiten gerecht werden und keiner Seite ein unzumutbares Übergewicht vermitteln. Die Tarifvertragsparteien haben hiernach im Unterschied zu den Arbeitsvertragsparteien eine weitgehende Gestaltungsfreiheit. Sache der Gerichte ist es nicht zu prüfen, ob dabei jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung gefunden wurde. Die Tarifverträge sind allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen die Verfassung, zwingendes Gesetzesrecht oder die guten Sitten verstoßen (BAG 22, 144, 151 ff. = AP Nr. 12 zu § 15 AZO, zu IV 3 der Gründe m. w. N.; BAG 22, 252, 267 = AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu B IV 3 b der Gründe; BAG 38, 118, 129 = AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung).

In dem danach verbleibenden Gestaltungsspielraum kann einer Tarifnorm erst dann die Anerkennung versagt werden, wenn sie zu einer grundlegenden Schlechterstellung von Arbeitnehmern im Vergleich zu einer sachlich vertretbaren Lösung führt. Hierbei sind allerdings die Gesamtauswirkungen der Tarifregelung zu beachten. Wegen der generellen Tarifwirkung, die zahlreiche Arbeitsverhältnisse erfaßt, kann die Beurteilung nicht auf den Einzelfall bezogen werden. Es sind vielmehr in diese Betrachtung alle Arbeitnehmer einzubeziehen, die von der tariflichen Regelung betroffen sind. Den Tarifvertragsparteien muß es überlassen bleiben, in eigener Verantwortung Vorteile in einer Hinsicht mit Zugeständnissen in anderer Hinsicht auszugleichen. Eine bestimmte Leistung des Arbeitgebers zu erhalten, kann es daher erforderlich machen, daß der Anspruch auf sie mit Einschränkungen verbunden wird, die Nachteile für einzelne Arbeitnehmer oder eine Gruppe davon mit sich bringen können (vgl. BAG 28, 14, 20 = AP Nr. 40 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu 2 d der Gründe; BAG 38, 118, 129 = AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung).

Vor allem im Bereich des Gratifikationsrechts ist den Tarifvertragsparteien ein weiträumiger Ermessensspielraum eingeräumt. Denn bei der Festsetzung der Gratifikationsleistungen und sonstigen Sonderzuwendungen handelt es sich nicht nur um einen Teilbereich der Lohnregelungsbefugnis und damit um einen typischen Regelungsbereich der Tarifvertragsparteien. Die Sonderzuwendungen des Arbeitgebers und ihre Voraussetzungen müssen vielmehr im Zusammenhang mit den Lohntarifen im übrigen gesehen werden. Ein Vorteil im Entgeltsystem kann ein Zugeständnis im Bereich der Gratifikationen erforderlich machen. Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht auch in seiner Rechtsprechung zum Gratifikationsrecht, und hier insbesondere zu den Bindungs- und Rückzahlungsklauseln, den Tarifvertragsparteien einen weiten Gestaltungsspielraum zugestanden und dabei auch die Vereinbarung von Klauseln erlaubt, die in Einzelarbeitsverträgen regelmäßig als unzulässig angesehen werden (BAG 18, 217, 220 = AP Nr. 54 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 3 der Gründe; BAG Urteil vom 16. November 1967 - 5 AZR 157/67 - AP Nr. 63 zu § 611 BGB Gratifikation; Urteil vom 14. März 1984 - 5 AZR 217/82 -, zu II 1 a am E. der Gründe, unveröffentlicht). Tarifvertragsklauseln, die den Anspruch auf eine Sonderzuwendung nicht allein an die Betriebszugehörigkeit knüpfen, sondern von weiteren Voraussetzungen abhängig machen, können danach nicht ohne weiteres als unzulässig angesehen werden, selbst wenn der Arbeitnehmer die Erfüllung der weiteren Voraussetzung nicht beeinflussen kann.

b) Im Streitfalle ist darüber hinaus von besonderer Bedeutung, daß - wie auch die Revision eingesteht - die Stichtagsregelung in den Tarifvertrag nur aufgenommen wurde, weil dies eine unabdingbare Voraussetzung für die Arbeitgeberseite war, eine Sonderzuwendung überhaupt durch den Tarifvertrag abzusichern. Die Arbeitgeberseite wollte den tariflichen Anspruch grundsätzlich davon abhängig machen, daß dem am 1. Dezember des Kalenderjahres in einem gekündigten Arbeitsverhältnis stehenden Arbeitnehmer keine Sonderzuwendung zukommen sollte, auch wenn der Kündigung betriebsbedingte Gründe zugrunde liegen. Die Gewerkschaftsseite hat ihrerseits den Anspruchsvoraussetzungen mit dieser Einschränkung zugestimmt, offenbar im Hinblick auf eine Gesamtabwägung und in der Absicht, den Arbeitnehmern überhaupt den Anspruch zu verschaffen. Von daher ist auch eine Teilunwirksamkeit der tariflichen Bindungsklausel, die die übrigen Anspruchsvoraussetzungen auf die Sonderzuwendung unberührt lassen würde, ausgeschlossen.

Zu beachten ist schließlich, daß die Tarifvertragsparteien an der Bindungsklausel trotz der - veröffentlichten - Entscheidung des Senats vom 27. Oktober 1978 festgehalten haben und sich insoweit den Rechtsprechungsgrundsätzen nicht anschließen wollten.

c) Danach ist die tarifliche Klausel, die den Arbeitnehmer auch im Falle der betriebsbedingten Kündigung von dem Anspruch auf die Sonderzuwendung ausschließt, als rechtswirksam anzusehen. Ein Verstoß gegen ein allgemeines Rechtsprinzip, wovon der Senat in der bereits mehrfach erwähnten Entscheidung vom 27. Oktober 1978 (BAG 31, 113, 118, 119 = AP Nr. 98 aaO, zu 2 der Gründe) noch ausgegangen ist, kann insoweit nicht angenommen werden. Vielmehr unterliegt die Ausgestaltung von Leistung und Gegenleistung und damit die Festsetzung der Bedingungen, unter denen die Sonderzuwendung zu gewähren ist bzw. ausgeschlossen werden kann, innerhalb der durch Verfassungs- und zwingendes Gesetzesrecht bestimmten Grenzen allein dem Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien.

4. Die Stichtagsregelung ist auch nicht deshalb unwirksam, weil der Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nur kraft Vereinbarung anzuwenden ist. Die vertragliche Bezugnahme auf einschlägige Tarifverträge ist grundsätzlich zulässig. Zahlreiche arbeitsrechtliche Gesetze erkennen dies ausdrücklich an (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG, § 2 Abs. 3 Satz 2 LohnFG, § 622 Abs. 3 Satz 2 BGB). Der Arbeitnehmer, der sich arbeitsvertraglich mit der Geltung des Tarifvertrages einverstanden erklärt, will - und muß - sich daher so behandeln lassen, wie sich die Organisierten kraft des Tarifvertrages behandeln lassen müssen. Einem solchen Vertrag gegenüber bedarf es der Ausübung von Schutz- und Ordnungsfunktionen durch die Gerichte nicht mehr, beide Aufgaben sind beim Abschluß des Tarifvertrages von den in erster Linie dazu berufenen Tarifvertragsparteien ausgeübt worden (vgl. BAG Urteil vom 23. Februar 1967 - 5 AZR 234/66 - AP Nr. 57 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 3 der Gründe).

III. Der Beklagte könnte sich allerdings dann nicht auf die Stichtagsregelung berufen, wenn er allein oder wesentlich mit dem Ziel gekündigt hätte, die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen zu vereiteln (§ 162 BGB).

Dies hat jedoch weder der Kläger behauptet, noch hat sich die Revision darauf berufen. Der Umstand allein, daß die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1982 ausgesprochen wurde und der Kläger sich infolge der tariflichen Kündigungsfristen (§ 2 Ziff. 6 TV) damit auch am 1. Dezember 1982 in einem gekündigten Arbeitsverhältnis befand, genügt nicht, dem Beklagten ein widersprüchliches Verhalten zu unterstellen. Infolge der maßgeblichen Kündigungsfristen hätte der Beklagte diese Kündigungsmöglichkeit auslassen müssen, wenn der Anspruch des Klägers erhalten bleiben sollte. Dies aber kann von dem Beklagten nicht erwartet werden, wenn, wovon auszugehen ist, betriebsbedingte Gründe für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses vorgelegen haben.

Dr. Thomas Dr. Gehring Schneider

Krebs Arntzen

 

Fundstellen

Haufe-Index 440379

BAGE 49, 281-290 (LT)

BAGE, 281

BB 1986, 807-808 (LT1)

DB 1986, 382-284 (LT1)

NJW 1986, 1063

NJW 1986, 1063-1064 (LT1)

ARST 1986, 85-86 (LT1)

NZA 1986, 225-227 (LT1)

RdA 1986, 133

RdA 1986, 65

SAE 1986, 204-206 (LT1)

AP § 611 BGB Gratifikation (LT), Nr 123

AR-Blattei, ES 820 Nr 86 (LT1)

AR-Blattei, Gratifikation Entsch 86 (LT1)

EzA § 611 BGB, Gratifikation, Prämie Nr 76 (LT1)

MDR 1986, 343-344 (LT1)

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