Entscheidungsstichwort (Thema)

Wahlrecht bei Urlaubsentgelt. Mitbestimmung des Betriebsrats

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Tarifvertragsparteien dürfen für die Bemessung des Urlaubsentgeltes den konkreten Lohnausfall heranziehen. Ebenso dürfen sie regeln, das Urlaubsentgelt nach dem Durchschnitt der letzten vor der Urlaubsgewährung abgerechneten zwölf Kalendermonate zu bemessen. Das gilt auch für den gesetzlichen Mindesturlaub.

2. Es ist zulässig, wenn die Tarifvertragsparteien dem Arbeitgeber die Auswahl zwischen beiden Berechnungsmethoden überlassen.

3. Ein derartiges Wahlrecht ist in § 12 III. Nr. 1 iVm. Protokollnotiz I. 5 MTV vereinbart. Der Arbeitgeber hat das ihm danach zustehende Wahlrecht nach billigem Ermessen auszuüben.

4. Bei der Ausübung dieses Wahlrechts hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

 

Orientierungssatz

1. § 12 III. Nr. 1 MTV bestimmt, daß für die Bemessung des Urlaubsentgelts grundsätzlich das Lohnausfallprinzip zugrunde zu legen ist. Protokollnotiz I. Nr. 5 MTV räumt dem Arbeit-geber ein Wahlrecht dahingehend ein, abweichend von diesem Regelfall das Urlaubsentgelt nach den durchschnittlichen Verhältnissen der letzten zwölf abgerechneten Kalendermonate zu berechnen. Einer Betriebsvereinbarung bedarf es hierfür nicht; diese ist nur erforderlich, soweit ein anderer Referenzzeitraum gewählt wird.

2. Sowohl die Berechnung des Urlaubsentgeltes nach dem Lohnausfallprinzip als auch die Bestimmung eines Referenzzeitraums von zwölf abgerechneten Kalendermonaten durften die Tarifvertragsparteien abweichend von § 11 BUrlG durch Tarifvertrag festlegen (§ 13 Abs. 1 BUrlG). Sie durften dem Arbeitgeber auch das Wahlrecht zwischen beiden übertra-gen, da sie die grundlegende Entscheidung noch selber getroffen haben.

3. Der Arbeitgeber hat dieses Wahlrecht nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) auszuüben.

4. Die Ausübung des Wahlrechts unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Es geht um die Feststellung abstrakt genereller Prinzipien der Entgelt-berechnung. Sie sind tariflich nicht so bestimmt festgelegt, daß das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG entfiele. Verletzt der Arbeitgeber das Mitbestim-mungsrecht, ist das Urlaubsentgelt weiterhin nach dem tariflichen Regelfall des § 12 III. Nr. 1 MTV zu berechnen.

 

Normenkette

BGB §§ 315, 611; BUrlG §§ 11, 13 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 03.07.2001; Aktenzeichen 11 Sa 2021/00)

ArbG Bocholt (Urteil vom 14.09.2000; Aktenzeichen 3 Ca 959/99)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 3. Juli 2001 – 11 Sa 2021/00 – aufgehoben.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 14. September 2000 – 3 Ca 959/99 – abgeändert, soweit die Klage abgewiesen wurde.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 160,23 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 31. Januar 1999 und 83,06 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 31. August 1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Berechnung des tariflichen Urlaubsentgelts in der chemischen Industrie.

Der Kläger ist als Operateur in Schichtarbeit bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden im maßgeblichen Zeitraum kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit die Vorschriften des Manteltarifvertrages für die chemische Industrie für die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und Berlin (West) vom 24. Juni 1992 in der Fassung vom 19. Dezember 1996 (künftig: MTV) Anwendung. Für die Berechnung des tariflichen Urlaubsentgelts enthält der MTV folgende Regelungen:

„(…)

§ 12

Urlaub

(…)

III.

Urlaubsentgelt

1. Für den Urlaub ist ein Entgelt zu zahlen in Höhe des Arbeitsverdienstes, den der Arbeitnehmer erhalten würde, wenn er gearbeitet hätte. Das Urlaubsentgelt bemißt sich nach der tariflichen regelmäßigen Arbeitszeit oder der davon abweichend vereinbarten Arbeitszeit ohne Mehrarbeit und Mehrarbeitszuschläge, auch soweit diese pauschaliert sind. (…)

Protokollnotizen

I.

(…)

5. Bei der Entgeltfortzahlung ohne Arbeitsleistung können Entgeltbestandteile, die monatlich regelmäßig, aber nicht in gleicher Höhe anfallen, nach den durchschnittlichen Verhältnissen der letzten 12 abgerechneten Kalendermonate oder eines anderen durch Betriebsvereinbarung festzulegenden Zeitraums berechnet werden; (…)”.

Vereinbarungen zwischen der Beklagten und dem bei ihr gebildeten Betriebsrat zur Berechnung der Entgeltbestandteile des Urlaubsentgelts bestehen nicht.

Der Kläger hatte am 14. November 1998 sowie am 28. und 29. August 1999 Urlaub. Die Beklagte berechnete das Urlaubsentgelt des Klägers – wie in allen vergleichbaren Fällen – unter Zugrundelegung eines zwölfmonatigen Durchschnittswerts der regelmäßigen Entgeltbestandteile.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das Urlaubsentgelt sei nach § 12 III. Ziff. 1 MTV zu berechnen. Die Protokollnotiz I. 5. (künftig: Protokollnotiz) sei nicht anwendbar. Auch die Berechnung auf der Basis der letzten zwölf abgerechneten Kalendermonate bedürfe einer Betriebsvereinbarung. Jedenfalls bestehe ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

Erstinstanzlich hat der Kläger zunächst hinsichtlich der noch streitigen Urlaubsvergütung für den 14. November 1998 einen Betrag in Höhe von 162,05 DM brutto und für den 29. August 1999 einen Betrag in Höhe von 147,23 DM brutto gefordert. Die Berechnung ist nach § 12 III. Nr. 1 MTV erfolgt und rechnerisch unstreitig. Das Arbeitsgericht hat der Klage insoweit stattgegeben, als es auch unter Anwendung des Referenzprinzips der Protokollnotiz für jeden der drei Urlaubstage noch eine Zahlung in Höhe von 1,82 DM brutto errechnete. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat nur der Kläger Berufung eingelegt. Er hat in der Berufungsinstanz erklärt, sich für den 29. August 1999 eine Überzahlung in Höhe von 60,53 DM auf die Forderung für den 28. August 1999 anrechnen lassen zu wollen. Er hat sich weiterhin den bereits rechtskräftig ausgeurteilten Bruttobetrag von 5,46 DM mit 3,64 DM auf die Forderung für den 28. August 1999 und mit 1,82 DM auf die für den 14. November 1998 anrechnen lassen.

Der Kläger hat deshalb zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 160,23 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 31. Januar 1999 sowie weitere 83,06 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 31. August 1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, ihr stehe auf Grund der Protokollnotiz ein Wahlrecht zu, das nicht an eine Mitwirkung des Betriebsrats gebunden sei.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger den zuletzt gestellten Antrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

I. Die Revision ist begründet. Dem Kläger stehen die von ihm geltend gemachten Beträge einschließlich Verzugszinsen zu.

Das Urlaubsentgelt ist nach § 12 III. Nr. 1 MTV und nicht nach der Protokollnotiz zu berechnen. Zwar haben die Tarifvertragsparteien für die Berechnung des Urlaubsentgelts dem Arbeitgeber das Wahlrecht eingeräumt, das Urlaubsentgelt entweder nach dem Lohnausfallprinzip oder auf der Grundlage der letzten zwölf abgerechneten Monate (Referenzmethode) zu errechnen. Die Beklagte war jedoch nicht berechtigt, von der Referenzmethode Gebrauch zu machen. Ihre Wahl verstieß gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, so daß es bei der Anwendung des Lohnausfallprinzips nach § 12 III. Nr. 1 MTV bleibt.

1. Nach § 611 BGB iVm. § 12 III. Nr. 1 des hier nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG anwendbaren MTV hat der Kläger einen Anspruch auf Zahlung eines Urlaubsentgelts „in Höhe des Arbeitsverdienstes, den der Arbeitnehmer erhalten würde, wenn er gearbeitet hätte”. Nach dieser Bestimmung hat der Arbeitgeber deshalb – wie vom Kläger der Berechnung der Klageforderung zugrunde gelegt – das Arbeitsentgelt nach dem Lohnausfallprinzip zu zahlen.

Diese tarifliche Bestimmung ist – auch soweit sie den gesetzlichen Urlaub betrifft – zulässig. Allerdings weicht sie von der gesetzlichen Regelung ab. Danach errechnet sich die Höhe des fortzuzahlenden Urlaubsentgeltes nach dem Zeitfaktor – auf Grund der Freistellung während des Urlaubs ausgefallene Arbeitszeit – und dem Geldfaktor. Der Geldfaktor bemißt sich nach dem für die Ausfallzeit zugrunde zu legenden Verdienst. § 11 Abs. 1 BUrlG stellt dazu – mit Ausnahme der kraft besonderer gesetzlicher Wertung ausgeschlossenen zusätzlichen Überstundenvergütung – auf das in den letzten 13 Wochen vor der Urlaubsgewährung erhaltene Arbeitsentgelt ab (Senat 22. Januar 2002 – 9 AZR 601/00 – AP BUrlG § 11 Nr. 55 = EzA BUrlG § 13 Nr. 58; 9. November 1999 – 9 AZR 771/98 – BAGE 92, 343). Von dieser Berechnungsmethode dürfen die Tarifvertragsparteien jedoch nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG abweichen. Danach ist auch die Berechnung nach dem konkreten Lohnausfall – wie sie der MTV hier vorsieht – zulässig (Senat 22. Januar 2002 – 9 AZR 601/00 – aaO; BAG 19. September 1985 – 6 AZR 460/83 – BAGE 49, 370).

2. Von der tariflich als Regelfall festgelegten Errechnung der Urlaubsvergütung nach dem Lohnausfallprinzip durfte die Beklagte nicht abweichen. Zwar gibt die Protokollnotiz dem Arbeitgeber das Recht, die Referenzmethode zu wählen. Der Tarifvertrag setzt auch nicht voraus, daß diese Wahlmöglichkeit dem Arbeitgeber durch eine Betriebsvereinbarung eröffnet wird. Die Beklagte hätte jedoch vor ihrer Entscheidung zugunsten der Referenzmethode nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG die Zustimmung des Betriebsrats einholen müssen. Da dessen Zustimmung fehlt und auch nicht ersetzt ist, verbleibt es beim tarifvertraglich geregelten Grundfall der Errechnung des Urlaubsentgelts nach dem Lohnausfallprinzip.

a) In der zum Tarifvertragsinhalt gehörenden Protokollnotiz haben die Tarifvertragsparteien für alle Arten der Entgeltfortzahlung ohne Arbeitsleistung eine besondere Regelung für die Berechnung der Entgeltbestandteile, die monatlich regelmäßig, aber nicht in gleicher Höhe anfallen (sog. variable Entgeltbestandteile) getroffen. Danach soll die Entgelthöhe statt nach dem Lohnausfallprinzip nach den durchschnittlichen Verhältnissen der letzten zwölf abgerechneten Kalendermonate und damit nach der Referenzmethode berechnet werden. Diese Regelung gilt auch für das Urlaubsentgelt; denn für die Dauer des Urlaubs wird das Entgelt fortgezahlt. Die Tarifvertragsparteien räumen damit ein Bestimmungsrecht ein, auf Grund dessen vom Regelfall des § 12 III. Nr. 1 MTV abgewichen werden kann. Begünstigter ist der Arbeitgeber. Zwar wird er in der tarifvertraglichen Vorschrift nicht ausdrücklich benannt. Nach Lage der Dinge kommt er allein als Wahlberechtigter in Betracht (vgl. BAG 28. November 1984 – 5 AZR 123/83 – BAGE 47, 238). Ihm obliegt die Berechnung des Urlaubsentgeltes, bei der nach der Protokollnotiz die Referenzmethode zugrunde gelegt werden kann. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die Protokollnotiz lediglich den Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit einer entsprechenden Vereinbarung gewähren wollte.

b) Entgegen der Ansicht des Klägers setzt die Anwendbarkeit des Wahlrechts aus der Protokollnotiz nicht voraus, daß eine Abrechnung nach der Referenzmethode bezogen auf die letzten zwölf Monate erst mit Abschluß einer Betriebsvereinbarung wirksam wird. Hätten die Tarifvertragsparteien eine Betriebsvereinbarung auch dann für notwendig erachtet, wenn der Referenzzeitraum zwölf abgerechnete Kalendermonate betragen sollte, wäre die in der Protokollnotiz vorgenommene Abgrenzung zu anderen Referenzzeiträumen nicht erforderlich gewesen. Die Unterscheidung macht auch Sinn. Der von den Tarifvertragsparteien selbst normativ festgelegte Referenzzeitraum wird von ihnen als angemessen betrachtet. Mit der Ausübung des Wahlrechts durch den Arbeitgeber steht deshalb eine normative Regelung zur Berechnung des Urlaubsentgelts zur Verfügung. Soll nach den besonderen Verhältnissen einzelner Betriebe eine anderweitige Regelung gefunden werden, bedarf auch dies einer normativen Gestaltung. Das wäre die Betriebsvereinbarung nach § 77 BetrVG.

c) Die durch den Tarifvertrag eröffnete Möglichkeit des Arbeitgebers, einen Referenzzeitraum von zwölf Monaten zu wählen, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Es liegt insbesondere kein Verstoß gegen das BUrlG vor.

aa) Gemäß § 11 BUrlG beträgt der Referenzzeitraum bei der Bestimmung des gegen die Berechnung des Urlaubsentgelts einzustellenden Geldfaktors 13 Wochen. Davon kann für den gesetzlichen Mindesturlaub nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG durch Tarifvertrag abgewichen werden. Die Bestimmung eines Referenzzeitraums von zwölf Monaten ist daher auch dann unbedenklich, wenn das für den gesetzlichen Mindesturlaub zu zahlende Entgelt betroffen ist (BAG 17. Januar 1991 – 8 AZR 644/89 – BAGE 67, 94).

bb) Es verstößt auch nicht gegen zwingendes Urlaubsrecht, daß die Tarifvertragsparteien dem Arbeitgeber ein Wahlrecht zwischen dem Lohnausfallprinzip und der Referenzmethode auf der Basis von zwölf abgerechneten Kalendermonaten eingeräumt haben. Die Tariföffnungsklausel in § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG gewährt den Tarifvertragsparteien zwar kein Recht, ihre Abweichungsbefugnis auf Dritte zu übertragen (Leinemann/Linck Urlaubsrecht 2. Aufl. § 13 Rn. 10; ErfK/Dörner 3. Aufl. BUrlG § 13 Rn. 60; Dersch/Neumann BUrlG 8. Aufl. § 11 Rn. 84). Hier haben die Tarifvertragsparteien aber nicht ihre Regelungsmacht übertragen. Sie haben die für die Bemessung wesentlichen Vorgaben selbst gesetzt. Daß sie zwei alternative Bemessungsvorschriften zur Verfügung gestellt haben, ist dabei unerheblich.

d) Die von der Beklagten getroffene Auswahl ist auch nicht unbillig.

Hat der Arbeitgeber das Recht, Arbeitsbedingungen einseitig zu bestimmen, so muß er – falls kein freies Ermessen eingeräumt ist (vgl. BAG 30. August 2000 – 4 AZR 560/99 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 172 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 121) – sein Bestimmungsrecht nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) ausüben (Senat 27. Februar 2002 – 9 AZR 562/00 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Rundfunk Nr. 36 = EzA TVG § 4 Rundfunk Nr. 23 mwN; BAG 15. November 2000 – 5 AZR 365/99 – BAGE 96, 228). Ob das geschehen ist, unterliegt nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB der gerichtlichen Kontrolle. Aus den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ergeben sich keine Anhaltspunkte für Ermessensfehlgebrauch.

e) Die von der Beklagten getroffene Wahl ist jedoch unwirksam. Die Beklagte hat das Mitbestimmungsrecht des bei ihr gebildteten Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht gewahrt.

aa) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung mitzubestimmen. Bei der Auslegung des Begriffs der betrieblichen Lohngestaltung ist die Sicherung der Transparenz und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges zu berücksichtigen (HaKo-BetrVG/Kohte § 87 Rn. 90 f.). Dem Betriebsrat steht daher ein umfassendes Mitbestimmungsrecht zu (Fitting/BetrVG 21. Aufl. § 87 Rn. 407; DKK/Klebe BetrVG 8. Aufl. § 87 Rn. 241). Da unter Urlaubsentgelt der während der Urlaubsgewährung weiterbestehende Anspruch auf Arbeitsentgelt nach § 611 BGB zu verstehen ist (Senat 20. Juni 2000 – 9 AZR 405/99 – BAGE 95, 104), muß Urlaubsentgelt auch hinsichtlich des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats so zu behandeln sein wie sonstiges Entgelt. Dessen Gestaltung unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

Dieses Mitbestimmungsrecht besteht dann, wenn es um die Festlegung von abstrakt generellen Grundsätzen der Lohnfindung geht (BAG 26. August 1997 – 1 ABR 16/97 – BAGE 86, 249). Darum geht es auch bei der Ausübung der dem Arbeitgeber durch die Protokollnotiz eingeräumten Wahlmöglichkeit. Er kann zwischen zwei abstrakt generellen Prinzipien wählen, nach denen er das Urlaubsentgelt berechnet.

Die Wahl der Entlohnungsmethode nach § 12 III. Nr. 1 MTV oder nach der Protokollnotiz betrifft auch einen kollektiven Tatbestand. Denn es wird für alle Arbeitnehmer des Betriebs die Berechnungsmethode bestimmt.

bb) Dem Mitbestimmungsrecht steht nicht der Vorrang einer tariflichen Regelung entgegen.

Nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG entfällt das Mitbestimmungsrecht, sofern eine abschließende tarifvertragliche Regelung besteht. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn die Regelung dem Arbeitgeber noch Handlungsalternativen offen läßt (BAG 16. April 2002 – 1 ABR 34/01 – AP BetrVG 1972 § 87 Akkord Nr. 9). So ist es hier. Der MTV läßt dem Arbeitgeber die Wahl zwischen dem Lohnausfallprinzip und der auf zwölf Kalendermonate bezogenen Referenzmethode. Auch wenn der Arbeitgeber dieses Wahlrecht nur nach billigem Ermessen ausüben kann, kommt nicht nur eine richtige Entscheidung in Betracht. Somit handelt es sich nicht um Vollzug einer Vorschrift, sondern auch um eine zutreffende Regelung. Da es nach § 87 BetrVG Zweck des Mitbestimmungsrechts ist, über alle Regelungsfragen gemeinsam mit dem Betriebsrat zu beraten und zu entscheiden (BAG 16. Juni 1998 – 1 ABR 68/97 – BAGE 89, 139), erfaßt es auch die Frage, ob ein Wahlrecht ausgeübt werden soll. So wird sichergestellt, daß die Arbeitnehmer vor einer einseitigen Entscheidung über die Lohngestaltung geschützt werden (vgl. BAG 26. August 1997 – 1 ABR 16/97 – aaO).

Die Einschränkung des Mitbestimmungsrechts kann auch nicht in Form eines Umkehrschlusses daraus abgeleitet werden, daß der Tarifvertrag nur für die Festlegung eines von zwölf Monaten abweichenden Referenzzeitraums für die Urlaubsentgeltberechnung eine Betriebsvereinbarung vorsieht. Damit regelt der Tarifvertrag lediglich die Form der Mitbestimmung des Betriebsrats – Betriebsvereinbarung statt Regelungsabrede – nicht aber die Frage, ob überhaupt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Tarifvertragsparteien das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hätten ausschließen können (zu den Grenzen der Möglichkeit, dem Arbeitgeber durch Tarifvertrag Regelungsbefugnisse für Fragen zu übertragen, die der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG unterliegen vgl. BAG 17. November 1998 – 1 ABR 12/98 – BAGE 90, 194).

cc) Der Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht führt dazu, daß die Beklagte weiterhin das Urlaubsentgelt nach der Referenzmethode § 12 III. Nr. 1 MTV abzurechnen hat.

Die Verletzung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer führt zur Unwirksamkeit solcher Maßnahmen und Rechtsgeschäfte, die den Arbeitnehmer belasten (BAG – Großer Senat – 3. Dezember 1991 – GS 2/90 – BAGE 69, 134). Sie bewirkt nicht, daß dem Arbeitnehmer Ansprüche entstehen, die ohne die Verletzung des Mitbestimmungsrechts nicht gegeben wären (BAG 28. September 1994 – 1 AZR 870/93 – BAGE 78, 74; 20. August 1991 – 1 AZR 326/90 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 50 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 29; vgl. zum Sonderfall der Aufrechterhaltung einer Vergütungsordnung nunmehr 11. Juni 2002 – 1 ABR 390/01 – DB 2002, 2725).

Da die von der Beklagten ausgeübte Wahl der Referenzmethode dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats widerspricht, verbleibt es bei der Bemessung des Urlaubsentgelts nach dem Lohnausfallprinzip. Das entspricht dem in § 12 III. Nr. 1 MTV aufgestellten Regel- und Ausnahmeverhältnis.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 ZPO.

 

Unterschriften

Düwell, Krasshöfer, Zwanziger

 

Fundstellen

BAGE 2004, 65

BB 2003, 1232

DB 2003, 1278

FA 2003, 190

NZA 2003, 1219

ZTR 2003, 349

AP, 0

EzA-SD 2003, 6

EzA

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