Entscheidungsstichwort (Thema)

Gekürzte Jahressonderzuwendung nach Streikteilnahme

 

Leitsatz (amtlich)

1. Während der Teilnahme am Streik ruhen die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis.

2. Sieht ein Tarifvertrag die anteilige Kürzung einer Jahressonderzuwendung für alle Zeiten vor, in denen das Arbeitsverhältnis „kraft Gesetzes oder Vereinbarung oder aus sonstigen Gründen” ruht, erfaßt eine solche Regelung mangels anderer Hinweise auch das Ruhen während eines Streiks.

3. Da eine solche Kürzung nur die im Tarifvertrag vorgegebene Ordnung vollzieht, liegt in ihr keine unzulässige Maßregelung wegen der Teilnahme am Streik.

 

Normenkette

GG Art. 9; BGB § 611; Bundes-MTV für die Angestellten, gewerblichen Arbeitnehmer und Auszubildenden der Süßwarenindustrie vom 11. Mai 1994 § 13 Abschn. I

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 27.04.1998; Aktenzeichen 11 Sa 179/98)

ArbG Hannover (Urteil vom 19.11.1997; Aktenzeichen 1 Ca 445/97)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 27. April 1998 – 11 Sa 179/98 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Teilnahme an einem Streik den Anspruch auf eine tarifliche Jahressonderzahlung gemindert hat.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Süßwarenindustrie. Sie wendet den Bundesmanteltarifvertrag für die Angestellten, gewerblichen Arbeitnehmer und Auszubildenden der Süßwarenindustrie vom 11. Mai 1994 (MTV) an. In § 13 MTV ist u.a. bestimmt:

„I. Jahres-Sonderzuwendung für unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer

1. Arbeitnehmer, die am 1. Dezember eines Kalenderjahres eine ununterbrochene Betriebszugehörigkeit von elf Monaten haben und sich an diesem Tag im ungekündigten Arbeitsverhältnis befinden, erhalten eine Jahres-Sonderzuwendung.

Sie beträgt

ab 1. Januar 1994

95 %

ab 1. Januar 1998

100 %

des tariflichen Monatsentgelts bzw. der tariflichen monatlichen Ausbildungsvergütung für Auszubildende.

4. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung oder aus sonstigen Gründen ruht, erhalten keine Leistung; ruht das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung.

5. Die Berücksichtigung von Fehlzeiten wird durch Betriebsvereinbarung geregelt, ausgenommen jedoch

  1. Zeiten, für die dem Beschäftigten ein Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts oder der Ausbildungsvergütung zusteht (z.B. Urlaub, unverschuldete Krankheit bis zu sechs Wochen, entschädigungspflichtige Arbeitsverhinderung i. S. der entsprechenden Regelungen dieses Manteltarifvertrages),
  2. Zeiten unverschuldeter Erkrankung über sechs Wochen hinaus bis zu weiteren 20 Wochen je Krankheitsfall einschl. Fortsetzungserkrankungen,
  3. Zeiten des Bezugs von Mutterschaftsgeld,
  4. Zeiten der Arbeitsfreistellung bei Pflege eines erkrankten Kindes gem. § 45 SGB V.
  5. …”

Die zuvor geltende Fassung des § 13 I Nr. 4 MTV vom 22. August 1989 lautete wie folgt:

„Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr kraft Wehrpflichtgesetz oder Gesetz über den zivilen Ersatzdienst oder Vereinbarung ruht, erhalten keine Leistung; ruht das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung.”

Im Tarifkonflikt um die volle Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wurde u. a. das in B gelegene Werk der Beklagten vom 15. November bis zum 4. Dezember 1996 bestreikt. Der dort beschäftigte Arbeitnehmer B nahm in der genannten Zeit am Streik teil. Für das Unternehmen der Beklagten wurde das Ziel des Arbeitskampfes durch Tarifvertrag der Parteien vom 4. Dezember 1996 erreicht. Ihm wurde eine Protokollnotiz beigefügt, in der es u. a. heißt:

„2. Aus Anlaß oder im Zusammenhang mit der Tarifbewegung der Süßwarenindustrie in der Zeit vom 15.10. bis 7.12.1996 werden gegenüber den Arbeitnehmern der B KG keine arbeitsrechtlichen Maßnahmen (Abmahnungen, Kündigungen) ergriffen. Dies gilt nicht für Straftaten. Bereits veranlaßte Maßnahmen werden zurückgenommen. Der bei der Streikteilnahme erfolgte Entgeltabzug bleibt hiervon unberührt. Schadensersatzansprüche aus Anlaß oder im Zusammenhang mit der Tarifauseinandersetzung entfallen ebenfalls.”

Die Beklagte zahlte an ihren Mitarbeiter B für das Jahr 1996 eine um 0,383 % je Streiktag, insgesamt um 108,50 DM verringerte Jahressonderzuwendung. Die aus seiner Sicht in dieser Höhe offenstehende Forderung trat B mit Schreiben vom 14. März 1997 an die Klägerin ab. Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits trafen unter dem 26. Mai 1997 eine Musterprozeßvereinbarung.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen einer nur anteiligen Zahlung nach § 13 I Nr. 4 MTV seien nicht erfüllt. Während die Tarifnorm voraussetze, daß das Arbeitsverhältnis ruhe, seien bei einem Streik lediglich die Hauptleistungspflichten – nicht aber die Nebenpflichten – suspendiert. Für einen Anspruch in voller Höhe spreche ferner, daß die Tarifvertragsparteien die Gestaltungen des § 13 I Nr. 5 b bis d MTV als bloße „Fehlzeiten” eingeordnet hätten, die den Anspruch nicht reduzieren könnten, obwohl bei ihnen die beiderseitigen Hauptleistungspflichten ebenfalls ruhten. Diesem Verständnis entsprächen Tarifrealität und -geschichte. Bestimmungen über die Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit einem Arbeitskampf fänden sich regelmäßig nicht in „gewöhnlichen” Tarifverträgen, sondern in Übereinkünften, welche die Tarifvertragsparteien anläßlich der Beendigung eines Arbeitskampfes träfen. Die Änderung der aus dem Jahre 1989 stammenden Fassung des § 13 I Nr. 4 MTV durch die Formulierung „kraft Gesetzes oder Vereinbarung oder aus sonstigen Gründen” sei 1994 ausschließlich deshalb erfolgt, weil Unsicherheit darüber bestanden habe, ob das Arbeitsverhältnis im Falle des Erziehungsurlaubs kraft Gesetzes oder Vereinbarung oder aber aufgrund einseitiger Erklärung der oder des Berechtigten ruhe.

Die Klägerin hat weiter die Meinung geäußert, zumindest verstoße die anteilige Kürzung der Jahressonderzahlung gegen das Maßregelungsverbot in Nr. 2 der Protokollnotiz zum Tarifvertrag vom 4. Dezember 1996. Einzige zulässige Folge der Streikteilnahme sei danach, daß insoweit kein Entgelt zu zahlen gewesen sei.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 108,50 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Januar 1997 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, es gebe keine Grundlage für den behaupteten Anspruch. Das Arbeitsverhältnis habe während des Streiks geruht. Folglich liege ein Fall des § 13 I Nr. 4 MTV vor, der den von ihr vorgenommenen Abzug rechtfertige. Die Tarifvertragsparteien hätten mit den Nrn. 4 und 5 a bis d des § 13 I MTV eine klare Unterscheidung getroffen zwischen Ruhenstatbeständen einerseits und Fehlzeiten andererseits, denen lediglich Zeiten der Arbeitsbefreiung oder Leistungsstörungen zugrunde lägen. In § 13 I Nr. 4 MTV hätten sich die Tarifpartner mit dem nicht näher erläuterten Begriff des „Ruhens” der juristischen Fachsprache bedient. Er könne daher nur in dem allgemein anerkannten Sinne verstanden werden. Hätte die Änderung des § 13 I Nr. 4 MTV im Jahre 1994 allein die Einbeziehung des Erziehungsurlaubs klarstellen sollen, wäre es ein leichtes gewesen, dies durch die Einfügung der Worte „oder Erziehungsurlaub” zum Ausdruck zu bringen.

Auch die Protokollnotiz zum Tarifvertrag vom 4. Dezember 1996 stütze den Anspruch nicht. Die Minderung der Jahressonderzuwendung sei keine „Maßnahme” i. S. der Protokollnotiz. Anders als Abmahnungen, Kündigungen und Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Streik seien sämtliche Fragen des Entgelts nicht eigenständig geregelt worden, wie Nr. 2 Satz 4 der Protokollnotiz zeige.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dem Arbeitnehmer B habe nur die gewährte verringerte Zahlung zugestanden, weil sein Arbeitsverhältnis während der Teilnahme an dem Streik aus sonstigen Gründen i. S. von § 13 I Nr. 4 MTV geruht habe. Die Anwendung der Kürzungsbestimmung führe auch nicht zu einer Maßregelung der streikenden Arbeitnehmer gemäß § 612 a BGB. Schließlich verstoße die Kürzung nicht gegen die dem Tarifvertrag vom 4. Dezember 1996 angefügte Protokollnotiz Nr. 2. Die Minderung des Anspruchs sei unmittelbare Folge der Streikteilnahme. Hätte die Protokollnotiz hieran etwas ändern sollen, hätte es einer ausdrücklichen Regelung bedurft.

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag weiter. Die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß dem Arbeitnehmer B eine Jahressonderzuwendung nach § 13 I Nr. 4 MTV für das Jahr 1996 nur in der um die Dauer der Streikteilnahme anteilig geminderten Höhe zustand. Die Minderung verstieß weder gegen § 612 a BGB noch gegen die in der Protokollnotiz vereinbarte Maßregelungsklausel. Die geltend gemachte weitergehende Forderung konnte deswegen nicht gem. § 398 Satz 1 BGB an die Klägerin abgetreten werden.

I. Der Anspruch des Arbeitnehmers B auf die tarifliche Jahressonderzahlung ist lediglich in der durch die Beklagte erfüllten Höhe entstanden, also vermindert um die den Streiktagen entsprechenden Anteile (vgl. auch Senatsurteil vom 15. Mai 1964 – 1 AZR 432/63 – AP Nr. 35 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 2 der Gründe). Das Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Arbeitnehmer B „ruhte” i. S. des § 13 I Nr. 4 MTV während des Streiks.

1. Nach ständiger Rechtsprechung führt die Teilnahme am Streik zum Ruhen der beiderseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis (vgl. zuletzt etwa Senatsurteil vom 17. Juni 1997 – 1 AZR 674/96 – AP Nr. 150 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG Urteil vom 20. Dezember 1995 – 10 AZR 742/94 – AP Nr. 141 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Wenn die Tarifvertragspartner hier nicht auf das „Ruhen der beiderseitigen Hauptpflichten”, sondern schlicht darauf abgestellt haben, daß das Arbeitsverhältnis „ruht”, besagt das nichts anderes und ist nur eine verkürzte Wiedergabe dieses Tatbestandes (vgl. allgemein zum Begriff des Ruhens BAG Urteil vom 10. Mai 1989 – 6 AZR 660/87 – BAGE 62, 35 = AP Nr. 2 zu § 15 BErzGG, zu B II 1 b und c der Gründe).

Soweit vereinzelt Bedenken dagegen geäußert worden sind, das Ruhen des Arbeitsverhältnisses und das der Hauptpflichten semantisch gleichzusetzen (Rüthers/Henssler, Anm. zum Senatsurteil vom 4. August 1987 – 1 AZR 488/86 – AP Nr. 89 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, unter 2), überzeugen diese nicht. Gerade auch bei den insoweit angesprochenen Suspendierungen kraft Gesetzes aufgrund des Grundwehr- oder Zivildienstes, die neben dem Erziehungsurlaub Gegenstand der Vorgängerbestimmung des § 13 I Nr. 4 MTV in der Fassung von 1989 waren, entfallen nur die Hauptleistungspflichten. Nebenpflichten, wie beispielsweise die Verschwiegenheitspflicht oder Wettbewerbsverbote, bleiben bestehen (vgl. nur für den Wehrdienst ErfK/Ascheid, § 1 ArbPlSchG Rz 6). Entsprechendes gilt für den Erziehungsurlaub (BAG Urteil vom 10. Mai 1989, aaO, zu B II 1 c der Gründe, zugleich für § 1 AÜG und § 15 Abs. 1 Arbeitssicherstellungsgesetz).

2. Entgegen der Auffassung der Klägerin läßt der systematische Zusammenhang mit den in § 13 I Nr. 5 MTV geregelten Gestaltungen keinen Rückschluß auf einen im Wortlaut der Nr. 4 nicht zum Ausdruck gekommenen Tarifzweck zu, der eine Differenzierung zwischen regelmäßig kürzerfristig und länger andauernden Arbeitsverhinderungen geböte. Die von der Öffnung für die Berücksichtigung von Fehlzeiten durch Betriebsvereinbarung ausgenommenen Fälle der Nr. 5 begründen kein Ruhen des Arbeitsverhältnisses.

Für die Gegenstände der Nr. 5 a macht dies auch die Revision nicht geltend. Ihnen ist schon nach dem Wortlaut der Bestimmung – beispielhaft angeführt sind Urlaub, unverschuldete Krankheit bis zu sechs Wochen und entschädigungspflichtige Arbeitsverhinderung nach § 9 MTV – gemeinsam, daß sie die Hauptpflicht des Arbeitgebers, die Arbeitsvergütung zu zahlen, unberührt lassen oder im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit durch die Entgeltfortzahlungspflicht fortsetzen.

Nr. 5 b erfaßt die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit von der siebten bis zur zwanzigsten Woche, die den Arbeitnehmer wegen seines Unvermögens, die absolute Fixschuld der Arbeitsleistung zu erbringen, gem. § 275 Abs. 1 und 2 BGB von seiner Arbeitspflicht befreit (vgl. etwa ErfK/Dörner, § 3 EntgeltfortzG Rz 6). Die Vergütungspflicht des Arbeitgebers entfällt nach § 323 Abs. 1 BGB, an ihre Stelle tritt unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 2 EntgeltfortzG ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung (ErfK/Dörner, § 3 EntgeltfortzG Rz 7). Es handelt sich somit um die Leistungsstörung der Unmöglichkeit, die nur eintreten kann, weil die Hauptleistungspflichten nicht ruhen.

Auch der in Nr. 5 d genannte § 45 (Abs. 3 Satz 1) SGB V begründet bei Pflege eines erkrankten Kindes nur einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung. Es liegt keine Suspendierung vor, wird der Vergütungsausfall doch durch die Gewährung von Krankengeld nach § 44 SGB V ausgeglichen, soweit keine vorrangige Pflicht zur Fortzahlung des Entgelts nach arbeitsrechtlichen Vorschriften besteht (vgl. etwa Staudinger/Oetker, BGB, 13. Aufl. (1997), § 616 Rz 59).

Selbst wenn man zugunsten der Revision davon ausginge, daß die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis während der Zeiten des Bezugs von Mutterschaftsgeld (§ 13 I Nr. 5 c MTV) in den Schutzfristen der § 3 Abs. 2 und § 6 Abs. 1 Satz 1 sowie 2 MuSchG vor und nach der Geburt ruhen (so ErfK/Schlachter, § 6 MuSchG Rz 7 und 10; anders aber BAG Urteil vom 10. Mai 1989 – 6 AZR 660/87 – BAGE 62, 35, 39 = AP Nr. 2 zu § 15 BErzGG, zu B II 1 e der Gründe), wäre dies für die Auslegung des § 13 I Nr. 4 ohne Bedeutung. Im Hinblick auf die abweichende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (aaO) ist nämlich anzunehmen, daß die Tarifvertragsparteien diese Zeiten nicht für Ruhenstatbestände hielten, die mit denen der Nr. 4 vergleichbar wären. Auch Nr. 5 c beeinträchtigt daher nicht die klare Trennung zwischen Ruhen einerseits (Nr. 4) und bloßer Arbeitsverhinderung andererseits (Nr. 5).

3. Während des Arbeitskampfes ruhte das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers B jedenfalls aus „sonstigen Gründen” i. S. des § 13 I Nr. 4 MTV.

a) Im Unterschied zu der früheren Fassung des Tarifvertrages sind die Ruhens-tatbestände des § 13 I Nr. 4 MTV nicht auf Wehr- und Zivildienst sowie Erziehungsurlaub beschränkt. Er erfaßt nach dem jetzigen Wortlaut jegliches Ruhen „kraft Gesetzes” oder „Vereinbarung” oder „aus sonstigen Gründen”. Ob die Neufassung der Tarifnorm im Jahr 1994 allein auf rechtliche Unsicherheiten der Tarifpartner über die Art der Suspendierung während des Erziehungsurlaubs zurückgeht, wie die Klägerin behauptet, das Landesarbeitsgericht aber nicht festgestellt hat, ist nicht entscheidungserheblich. Mit dem neu aufgenommenen Begriff des Ruhens „aus sonstigen Gründen” wurde nach Wortlaut und erkennbarem Sinn der Erklärung jedenfalls ein Auffangtatbestand geschaffen, der jegliche Suspendierung, die nicht bereits „kraft Gesetzes” oder „Vereinbarung” eintritt, erfaßt. Es besteht demzufolge kein Raum dafür, einen ggf. abweichenden wirklichen Willen der seinerzeit handelnden Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, der im geänderten Wortlaut nicht zum Ausdruck kommt (vgl. BAG Urteil vom 21. Juli 1993 – 4 AZR 468/92 – BAGE 73, 364, 368 f. = AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung, zu B II 1 a aa der Gründe).

b) Deshalb ist es auch bedeutungslos, daß es nicht der gewöhnlichen Tarifübung entsprechen mag, die Folgen eines Arbeitskampfes gewissermaßen vorsorglich und ohne Anlaß der Beendigung eines konkreten Arbeitskampfes zu regeln (in diesem Sinne BAG Urteil vom 20. Dezember 1995 – 10 AZR 742/94 – AP Nr. 141 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 4 der Gründe). Da der Wortlaut eindeutig ist, ist die praktische Tarifübung nicht ergänzend für die Auslegung heranzuziehen (vgl. BAG Urteil vom 21. Juli 1993, aaO).

II. Die danach einschlägige Kürzungsbestimmung des § 13 I Nr. 4 MTV verstößt nicht gegen § 612 a BGB. Nach dieser Vorschrift darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder Maßnahme nicht deshalb benachteiligen, weil der Arbeitnehmer zulässigerweise seine Rechte ausübt, wozu auch die Teilnahme an einem Streik gehört. Die Tarifvertragsparteien können allgemein bestimmen, in welchem Umfang eine tarifliche Sonderzahlung durch Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung ausgeschlossen oder gemindert werden soll (BAG Urteil vom 20. Dezember 1995, aaO, zu II 2 c der Gründe; vgl. auch Löwisch/Krauß, AR-Blattei SD 170.3.1 Rz 71). Da § 13 I Nr. 4 MTV alle Ruhenstatbestände betrifft, handelt es sich um eine solche allgemeine Regelung.

III. Die Klägerin kann einen Anspruch auch nicht aus Nr. 2 der Protokollnotiz zum Tarifvertrag vom 4. Dezember 1996 herleiten. Auch dies hat das Landesarbeitsgericht richtig gesehen.

Die hier eingetretene Minderung des Anspruchs auf die Jahressonderzahlung führt nicht zu einer nach der Protokollnotiz untersagten Maßregelung. Unter einer solchen ist jede unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer zu verstehen, die auf die Teilnahme am Arbeitskampf abstellt, sofern diese Unterscheidung nicht schon durch die Rechtsordnung selbst vorgegeben ist (vgl. nur Senatsurteil vom 17. Juni 1997 – 1 AZR 674/96 – AP Nr. 150 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 1 der Gründe). Die Minderung des Anspruchs auf die Jahressonderzuwendung vollzieht aber allein die von § 13 I Nr. 4 MTV vorgegebene Ordnung und stellt keine arbeitsrechtliche Maßnahme i. S. des Satzes 1 der Nr. 2 der Protokollnotiz dar. Sie ist die Folge daraus, daß der Streik die Hauptpflichten suspendierte und die Tarifnorm für den Anspruch den bloßen Bestand eines ruhenden Arbeitsverhältnisses nicht ausreichen läßt (vgl. zu der umgekehrten Gestaltung des Erfordernisses des bloß rechtlichen Bestandes BAG Urteil vom 20. Dezember 1995, aaO, zu II 2 und 5 der Gründe). Die Frage, ob die in der Klammer genannten Abmahnungen und Kündigungen den Begriff der arbeitsrechtlichen Maßnahme abschließend oder nur beispielhaft ausfüllen, kann deswegen unerörtert bleiben.

Um den Anspruch in voller Höhe entgegen dem Ausschlußgrund des § 13 I Nr. 4 MTV aufrecht zu erhalten, den Vergütungsverlust also auszuschließen, hätte es einer ausdrücklichen Vereinbarung in dem Maßregelungsverbot bedurft (vgl. schon Senatsurteil vom 15. Mai 1964 – 1 AZR 432/63 – AP Nr. 35 zu § 611 BGB Gratifikation, zu 4 der Gründe; für die Kürzung von Entgelt im engeren Sinne Senatsurteil vom 17. Juni 1997 – 1 AZR 674/96 – AP Nr. 150 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 2 der Gründe). Diese wurde hier nicht getroffen.

 

Unterschriften

Wißmann, Bepler, Rost, Metz, Bolt

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 03.08.1999 durch Klapp, Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 436329

BAGE, 154

BB 1999, 1763

BB 2000, 776

DB 2000, 677

ARST 2000, 180

EWiR 2000, 575

FA 1999, 337

FA 2000, 157

FA 2000, 93

NZA 2000, 487

SAE 2000, 166

ZIP 2000, 510

ZTR 2000, 218

AP, 0

AuA 2000, 338

MDR 2000, 648

ZfPR 2000, 212

AUR 2000, 159

RdW 2000, 217

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