Entscheidungsstichwort (Thema)

Internationales Privatrecht. Seearbeitsrecht. Internationales Schiffsregister. Zur Anwendbarkeit des Rechts der Republik Indien auf in Bombay abgeschlossene Heuerverträge mit indischen Seeleuten

 

Leitsatz (amtlich)

Die Arbeitsverhältnisse der Seeleute aus dem Nicht-EG-Ausland auf im internationalen Schiffsregister eingetragenen Schiffen unter deutscher Flagge richten sich mangels Rechtswahl nach dem Recht des Staates, zu dem sich aus der Gesamtheit der Umstände die engere Verbindung ergibt.

 

Normenkette

Internationales Privatrecht; Arbeitsrecht; FlRG § 21 Abs. 4 S. 1; EGBGB Art. 30 Abs. 2, Art. 6, 34; SeemG § 1

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 09.12.1993; Aktenzeichen 5 (6) Sa 163/93)

ArbG Lübeck (Urteil vom 10.01.1991; Aktenzeichen 1c Ca 1729/90)

 

Tenor

  • Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 9. Dezember 1993 – 5 (6) Sa 163/93 – insoweit aufgehoben, als die Klage unter entsprechender teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Lübeck vom 10. Januar 1991 – 1c Ca 1729/90 – hinsichtlich der Zahlung von 15.955,80 DM brutto zuzüglich 119,20 DM netto abzüglich gezahlter 2.309,12 DM abgewiesen worden ist.
  • Im übrigen wird die Revision des Klägers gegen das vorbezeichnete Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein zurückgewiesen.
  • Im Umfang der Aufhebung des Urteils wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger, ein indischer Seemann, nimmt die beklagte deutsche Reederei auf Zahlung einer höheren als der vereinbarten Heuer, ferner auf Urlaubsentgelt und Verpflegungsgeld für die Dauer des Urlaubs, eine Abstoppheuer, die Kosten seiner Unterbringung im Seemannsheim sowie auf Schmerzensgeld in Anspruch.

Die in L… ansässige Beklagte betreibt eine Reederei. Ein Heueragent hatte für die Beklagte einen auf ein Jahr befristeten Heuervertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten vermittelt. Der Heuervertrag ist in englischer Sprache abgefaßt worden; der Kläger hat ihn am 16. Januar 1990 in Bombay vor einem dortigen Rechtsanwalt und vor einem dortigen Notar unterschrieben. Zugleich ist der Vertrag dort “for employer” unterschrieben worden. Hiernach hatte sich der Kläger verpflichtet, als “AB Seaman” auf dem Motorschiff “Vineta” der Beklagten zu fahren und an dreißig Tagen im Monat einschließlich Sonnabenden, Sonntagen und Feiertagen täglich acht Stunden zu arbeiten. Die Beklagte verpflichtete sich zur Zahlung einer monatlichen Heuer von 250 US-Dollar; für die Überstunde war 1 US-Dollar zu zahlen. Die Kosten der Hin- und Rückreise hatte die Beklagte zu tragen. Sie hatte den Kläger auch gegen Krankheit und Unfall zu versichern.

Das MS “Vineta”, ein Schiff für die “kleine Fahrt” mit einer Größe von 499 BRT, führte die Bundesflagge und war im internationalen Schiffsregister der Bundesrepublik Deutschland (ISR) eingetragen. Sein Heimathafen war L…. Auf dem Schiff nahm der Kläger seine Arbeit am 20. Januar 1990 vertragsgerecht auf. Im Seefahrtsbuch des Klägers ist vermerkt, daß er als Fachkraft anmusterte. Auf Anordnung der Beklagten hat der Kläger das Schiff am 7. Juli 1990 in Brunsbüttel verlassen; die Beklagte hatte es ausgeflaggt. Der Kläger ist in einem Seemannsheim in Hamburg untergebracht worden. Obwohl die Beklagte ihn aufgefordert hatte, nach Maßgabe seines Heuervertrags auf einem anderen Schiff der Beklagten zu arbeiten, ist der Kläger für die Beklagte nicht mehr tätig geworden. Im Wege einer einstweiligen Verfügung setzte er gegen die Beklagte durch, ihm die Heimreise nach Indien zu bezahlen. Der Kläger hat Deutschland verlassen.

Der Kläger hat behauptet, in Indien habe er einen Vertrag unterschrieben, ohne dessen Inhalt zu kennen. Ihn sei bedeutet worden, er bekomme seinen richtigen Vertrag in Deutschland. Erst an Bord des MS “Vineta” habe er erfahren, daß seine Heuer nur 250 US-Dollar monatlich betrage, seine Überstundenvergütung nur 1 US-Dollar pro Stunde.

Das Heuerverhältnis unterliege deutschem Recht. Ihm stehe die übliche Heuer zu, nämlich die Durchschnittsheuer auf allen Schiffen der deutschen Handelsflotte. Sein Heuervertrag sei wegen Lohnwuchers nichtig. Es sei nicht zulässig, die geringeren Auslandsheuern oder Auslandslöhne oder die Heuern zugrunde zu legen, die auf im internationalen Schiffsregister eingetragenen Schiffen unter deutscher Flagge gezahlt würden. Die Eintragung in das internationale Schiffsregister erlaube dem deutschen Reeder nur, im Arbeitsvertrag die Anwendung ausländischen Rechts oder ausländischer Tarifverträge zu vereinbaren. Unter Zugrundelegung der Durchschnittsheuer auf allen Schiffen der deutschen Handelsflotte errechne sich seine Forderung wie folgt: Die monatliche Durchschnittsheuer eines Decksmannes betrage ab 1. Januar 1990 2.622,00 DM, ab 1. März 1990 2.730,00 DM brutto. Hieraus errechne sich auch die Vergütung für die Überstunden. Er habe täglich 12 bis 14 Stunden gearbeitet. Zusammen mit dem Urlaubsentgelt errechne sich eine Heuer von 15.955,80 DM brutto sowie ein Verpflegungsgeld für die Dauer des Urlaubs von 119,20 DM netto.

Zudem stehe ihm eine sog. “Abstoppheuer” entsprechend § 70 Seemannsgesetz zu. Sie betrage einen Bruttomonatsbezug. Die Beklagte habe auch die anteiligen Kosten für die Unterbringung und Verpflegung des Klägers im Seemannsheim in Hamburg zu tragen (932,13 DM netto). Weil ihm die Beklagte nicht ermöglicht habe, die Heimreise nach Indien anzutreten, schulde sie ihm ein Schmerzensgeld in angemessene Höhe.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn

  • 18.685,80 DM brutto zuzüglich 1.051,33 DM netto abzüglich erhaltener 2.309,12 DM netto nebst 4 % p.a. Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettodifferenzbetrag seit dem 8. August 1990 zu zahlen;
  • ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat erwidert: Der Heuervertrag sei wirksam. Der Heuervertrag unterliege indischem Recht. In Indien hätten die Heuern damals zwischen 60 und 90 US-Dollar im Monat gelegen. Urlaubsansprüche oder Ansprüche auf freie Tage bestünden dort nicht. Der Heuervertrag sei nicht nach § 138 BGB unwirksam. Nach einer Empfehlung der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf (ILO) habe die Mindestheuer für ausländische Seeleute 286 US-Dollar betragen. Gegenüber den vereinbarten 250 US-Dollar bestehe daher kein auffälliges Mißverhältnis. Die vereinbarte Heuer sei auf Schiffen, die im internationalen Schiffsregister registriert seien, auch üblich.

Auch die sonstigen vom Kläger geltend gemachten Ansprüche stünden ihm nicht zu. Die Voraussetzungen für die Abstoppheuer seien nicht gegeben; die Kosten für die Unterbringung des Klägers im Seemannsheim habe die Beklagte nicht zu tragen. Ebenso fehle es an jeder Voraussetzung für das geltend gemachte Schmerzensgeld.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 2.200,00 DM netto stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Gegen das Urteil haben der Kläger und die Beklagte Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision will der Kläger seine Klageforderungen insgesamt durchsetzen. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet, soweit der Kläger Ansprüche auf eine höhere als die vereinbarte Heuer sowie Ansprüche auf Bezahlung seines Urlaubs einschließlich des dazugehörenden Verpflegungsgeldes verfolgt. Insoweit war der Rechtsstreit unter Aufhebung dieses Teiles des Berufungsurteils an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Es ist nicht, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat, deutsches Recht anzuwenden, sondern das Recht der Republik Indien.

Unbegründet ist dagegen die Revision hinsichtlich der weiteren vom Kläger verfolgten Ansprüche, nämlich der sog. Abstoppheuer, der Kosten für Unterkunft und Verpflegung im Seemannsheim in Hamburg und des Schmerzensgeldes. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. In diesem Umfang ist die Berufung unzulässig. Ob sie, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat, unbegründet ist, kann dahinstehen.

I. Zu Recht ist das Berufungsgericht von der internationalen Zuständigkeit der deutschen Arbeitsgerichte ausgegangen.

1. Die internationale Zuständigkeit ist eine auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachtende Sachurteilsvoraussetzung. Sie richtet sich mangels besonderer Regelungen im wesentlichen nach der örtlichen Zuständigkeit. Ist ein deutsches Gericht örtlich zuständig, so ist damit in der Regel auch die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. statt vieler: Urteil vom 24. August 1989 – 2 AZR 3/89 – BAGE 63, 17, 22, m.w.N.).

2. Hier ist ein deutsches Gericht, nämlich das Arbeitsgericht Lübeck örtlich zuständig. In dessen Bezirk hat die aus einem Arbeitsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG) gerichtlich in Anspruch genommene Beklagte ihren allgemeinen Gerichtsstand (§ 17 Abs. 1 ZPO).

II. Das Landesarbeitsgericht hat das Rechtsverhältnis der Parteien zu Unrecht nach deutschem Recht beurteilt. Anwendbar ist das Recht der Republik Indien.

1. Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Ansicht im wesentlichen ausgeführt: Mangels ausdrücklicher Rechtswahl der Parteien sei die Frage des anzuwendenden Rechts unter Zugrundelegung des Art. 30 Abs. 2 EGBGB zu klären. Trotz erheblicher Auslandsbeziehungen ergebe sich aus dem Arbeitsvertrag, daß deutsches Recht anzuwenden sei. Gemäß Art. 30 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB sei der Kläger durch die nur in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Beklagte eingestellt worden. Zudem sei er nach seinem Arbeitsvertrag verpflichtet, seine Tätigkeit auf dem MS “Vineta” zu verrichten, so daß er seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat zu verrichten habe. Auch aus der Gesamtheit der Umstände ergebe sich nicht, daß der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis engere Verbindungen zu einem anderen Staat aufweise. Der Vertrag sei zwar in Indien geschlossen worden. Bereits die Vertragssprache – Englisch – habe jedoch nur noch einen lokkeren Bezug zur Republik Indien. Der Ort der Arbeitsleistung habe schließlich mit Indien nichts mehr zu tun. Es sei davon auszugehen, daß das MS “Vineta” kaum regelmäßig in indischen Gewässern verkehrt habe; vielmehr sei es regelmäßig in europäischen Gewässern eingesetzt gewesen. Da kein Land als einziges Verkehrsgebiet des MS “Vineta” hervorsteche, komme auch ein engerer Bezug zu einem anderen europäischen Recht nicht in Betracht.

2. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der Revision nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat den Zusammenhang zwischen Art. 30 Abs. 2 EGBGB und § 21 Abs. 4 Satz 1 FlRG (eingeführt durch Gesetz vom 23. März 1989, BGBl. I S. 550) verkannt und Art. 30 Abs. 2 EGBGB falsch angewendet. Art. 30 Abs. 2 EGBGB lautet:

  • Mangels einer Rechtswahl unterliegen Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse dem Recht des Staates,

    • in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, selbst wenn er vorübergehend in einen anderen Staat entsandt ist, oder
    • in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, sofern dieser seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet,

    es sei denn, daß sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, daß der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis engere Verbindungen zu einem anderen Staat aufweist; in diesem Fall ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.”

a) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß sich die Frage des anzuwendenden Rechts mangels einer Rechtswahl der Parteien (Art. 27 Abs. 1 EGBGB; Art. 30 Abs. 1 EGBGB) nach § 30 Abs. 2 EGBGB richtet.

b) Für Art. 30 Abs. 2 EGBGB schreibt § 21 Abs. 4 Satz 1 FlRG eine bestimmte Auslegung vor. Nach § 21 Abs. 4 Satz 1 FlRG unterliegen die Arbeitsverhältnisse der Besatzungsmitglieder eines im Internationalen Seeschiffahrtsregister eingetragenen Kauffahrteischiffes, die im Inland keinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben, bei der Anwendung des Art. 30 EGBGB nicht schon aufgrund der Tatsache, daß das Schiff die Bundesflagge führt, dem deutschen Recht. Daraus folgt, daß in einem solchen Fall das maßgebliche Recht ohne Rücksicht auf das Führen der Bundesflagge zu ermitteln ist.

c) Das Bundesverfassungsgericht hat § 21 Abs. 4 Satz 1 FlRG für mit der Verfassung vereinbar erklärt (Urteil vom 10. Januar 1995 – 1 BvF 1/90, 1 BvF 342, 348/90 – ≪gekürzt in NZA 1995, 272 ff.≫). Insbesondere wird die Berufsfreiheit der deutschen Seeleute nicht dadurch verletzt, daß der Gesetzgeber auf deutschen Handelsschiffen, die in das Internationale Seeschiffahrtsregister eingetragen sind, den Abschluß arbeitsrechtlicher Vereinbarungen nach Maßgabe ausländischen Rechts erleichtert hat. Es verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, daß nach § 21 Abs. 4 FlRG ausländische Seeleute auf deutschen Handelsschiffen zu Heimatheuern beschäftigt werden können.

d) In der Literatur war insbesondere vor der Einführung des § 21 Abs. 4 Satz 1 FlRG umstritten, welche objektiven Merkmale für Arbeitsverhältnisse auf Handelsschiffen im internationalen Verkehr heranzuziehen sind. Einerseits wurde angenommen, daß bei Fehlen einer Rechtswahl die Arbeitsverträge nach den Regelanknüpfungen des Art. 30 Abs. 2 Halbsatz 1 Nr. 1 EGBGB dem Recht des Staates unterliegen, dessen Flagge das Schiff als der gewöhnliche Arbeitsort des Seemannes führt (Däubler, RIW 1987, 249, 251 f.; Gamillscheg, ZfA 1983, 307, 342; Geffken, AiB 1987, 11, 14; Kronke, DB 1984, 404, 405, 406; Mankowski, RabelsZ 1989, 487, 495; Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 4. Aufl., Rz 733). Andererseits wurde die Ansicht vertreten, gemäß Nr. 2 des Art. 30 Abs. 2 Halbsatz 1 sei das Recht des Staates maßgebend, in dem sich die einstellende Niederlassung befindet (Hönsch, NZA 1988, 113, 114; KR-Weigand, 3. Aufl., Internationales Arbeitsrecht, Rz 29; W.… Lorenz, IPrax 1987, 269, 276, Fn 74; Palandt/Heldrich, BGB, 54. Aufl., Art. 30 EGBGB, Anm. 4a). Der Auffassung, daß an das Recht der Flagge anzuknüpfen sei, entzieht – wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat – § 21 Abs. 4 Satz 1 FlRG für Zweitregisterschiffe den Boden. Nunmehr gelten insoweit die arbeitsrechtlichen Bestimmungen desjenigen Staates, auf den die Gesamtheit aller maßgeblichen Umstände im Sinne von Art. 30 Abs. 2 Halbsatz 2 EGBGB hindeutet.

Zu diesen Umständen rechnen die Nationalitäten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, der Ort des Vertragsschlusses, die Vertragssprache, der Zahlungsort und die Modalitäten für die Heuer. Hiernach ergeben sich beim Anheuern von Seeleuten im Ausland durchweg engere Verbindungen zu dem ausländischen Staat. Jedenfalls kann ein Reeder solche Umstände herbeiführen und Heuerverträge (wie auch Kollektivvereinbarungen) abschließen, die den Einfluß der deutschen Gewerkschaften praktisch ausschalten. In der Praxis wird entsprechend verfahren (BVerfG Urteil vom 10. Januar 1995, aaO).

3. Hiernach unterliegt das Arbeitsverhältnis der Parteien indischem Recht.

a) Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht unter Hinweis auf Art. 30 Abs. 2 Halbsatz 1 Nr. 2 EGBGB gemeint, deutsches Recht sei anzuwenden, weil der Kläger durch ein nur in der Bundesrepublik Deutschland niedergelassenes Unternehmen eingestellt worden ist. Die Frage, ob es sich bei der Beklagten um ein Unternehmen mit Sitz nur in Deutschland gehandelt hat oder nicht, ist hier nicht entscheidend. Vielmehr kommt es für Fälle der vorliegenden Art auf den Ort des Vertragsschlusses an (BVerfG Urteil vom 10. Januar 1995, aaO, siehe auch Puttfarken, See-Arbeitsrecht: Neues im IPR (1988), S. 10). Der Arbeitsvertrag mit dem Kläger ist in Bombay, also in der Republik Indien abgeschlossen worden. Für die Beklagte war beim Vertragsschluß ein Heueragent tätig. Die Einschaltung eines Heueragenten für den Abschluß von Heuerverträgen ist in der internationalen Seeschiffahrt üblich, wenn die arbeitgebende Reederei am Einstellungsort keine Niederlassung besitzt und der Heuervertrag auch nicht erst an Bord ihres Schiffes abgeschlossen wird.

b) Die Geltung indischen Rechts ergibt sich hier aus Art. 30 Abs. 2 Halbsatz 2 EGBGB. Danach unterliegen Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse mangels einer Rechtswahl dem Recht des Staates, zu dem sich aus der Gesamtheit der Umstände “engere Verbindungen” des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses ergeben.

Für die Frage, wann eine engere Verbindung zu einer bestimmten Rechtsordnung vorliegt, stellt das Gesetz auf die “Gesamtheit der Umstände” ab. In der amtlichen Begründung des IPR-NeuregelungsG (BT-Drucks. 10/504, S. 81) ist ausgeführt, die Anknüpfungen des Art. 30 Abs. 2 Halbsatz 1 Nr. 1 und 2 EGBGB seien nicht als starre Regeln zu verstehen; Ausnahmen seien möglich, wenn besondere Umstände dies geböten. Dementsprechend ist, soweit § 21 Abs. 4 Satz 1 FlRG nichts anderes gebietet, auf die Kriterien zurückzugreifen, die die Rechtsprechung und die Rechtslehre für die Bestimmung des auch nach früherem Recht bei Fehlen einer Rechtswahl anzuwendenden Rechts entwickelt haben (BAG Urteil vom 24. August 1989 – 2 AZR 3/89 – BAGE 63, 17, 26 f.).

c) Die engere Verbindung besteht hier zum Recht der Republik Indien.

Obwohl der Kläger auf dem MS “Vineta” zu arbeiten hatte, verrichtete er seine Tätigkeit nicht stets in “ein und demselben Staat”. Das Gegenteil wäre nur anzunehmen gewesen, wenn das MS “Vineta” ausschließlich in deutschen Hoheitsgewässern eingesetzt gewesen wäre. Auf das Führen der Bundesflagge kann auch unter diesem Gesichtspunkt mit Rücksicht auf § 21 Abs. 4 Satz 1 FlRG nicht abgestellt werden Ein Schiff ist ein Ort, aber kein Staat (Puttfarken, aaO, S. 10, m.w.N.).

Für die Anwendung deutschen Rechts spricht, daß die beklagte Reederei ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland hat. Andererseits wurde der Heuervertrag in Bombay abgeschlossen, also in einem Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Kläger besitzt. Außerdem hielt sich der Kläger bei Abschluß des Vertrages eben in Indien auf und dort hatte er auch – wie sein Heuervertrag zeigt – seinen Wohnsitz. Die Sprache des Heuervertrags weist ebenfalls auf die Anwendbarkeit indischen Rechts hin. Der Auffassung des Landesarbeitsgerichts, die Sprache – Englisch – habe nur noch einen lockeren Bezug zur Republik Indien, kann nicht gefolgt werden. Bei Ausrufung der Republik Indien wurde Englisch zur amtlichen Sprache und damit zur Staatssprache erklärt; als zweite Staatssprache ist ab 1965 Hindi hinzugekommen (Brockhaus Enzyklopädie, 19. Aufl., Bd. 10, S. 427 re. Sp.).

Aus der Tatsache, daß der Ort der Arbeitsleistung mit Indien nichts mehr zu tun hatte, läßt sich nicht ableiten, daß nicht das Recht der Republik Indien, sondern das der Bundesrepublik Deutschland für die arbeitsvertraglichen Beziehungen der Parteien maßgeblich wäre. Die vereinbarte Währung, in der die Heuer gezahlt werden sollte, läßt ebenfalls nicht den Schluß auf eine engere Verbindung zum deutschen Recht als zum Recht der Republik Indien zu. Für die Anwendung indischen Rechts spricht schließlich auch die Tatsache, daß nicht nur der Arbeitsvertrag in Bombay geschlossen worden ist, sondern auch, daß der Kläger dort angeworben worden ist. Er ist also nicht etwa nach Bombay gebracht worden, damit indisches Recht gelte, sondern er ist in seinem Heimatstaat angeworben worden. Insgesamt spricht daher mehr dafür, “engere Verbindungen” i.S.d. Art. 30 Abs. 2 EGBGB zu der Republik Indien anzunehmen. Daher unterliegen Heuervertrag und Heuerverhältnis der Parteien nicht deutschem, sondern indischem Recht.

III. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist daher aufzuheben, soweit es sich nicht aus einem anderen Grund als zutreffend erweist (§ 563 ZPO).

1. Hinsichtlich des höheren Heueranspruchs, der Urlaubsvergütung und des Verpflegungsgeldes für die Dauer des Urlaubs erweist sich das Urteil des Landesarbeitsgerichts nicht aus anderen Gründen als richtig. Hierfür kommt es darauf an, ob sich diese Ansprüche nach dem Recht der Republik Indien herleiten.

a) Der Anwendung indischen Rechts auf diese Streitgegenstände steht Art. 34 EGBGB in Verb. mit § 1 SeemG nicht entgegen.

Nach Art. 34 EGBGB lassen die Kollisionsnormen des vertraglichen Schuldrechts die Anwendung derjenigen Bestimmungen des deutschen Rechts unberührt, die ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln (sog. Eingriffsnormen). Welche Bestimmungen im einzelnen Eingriffsnormen im Sinne des Art. 34 EGBGB sind, ist im Gesetz nur gelegentlich geregelt (z.B. § 98 Abs. 2 Satz 1 GWB). Fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzesförmigen Regelung, so kann sich nur noch aus Sinn und Zweck der jeweiligen Norm ergeben, ob sie ohne Rücksicht auf das nach den anderen deutsche Kollisionsnormen anzuwendende Recht eines anderen Staates international zwingend gelten soll. Hierfür kommen vor allem Normen in Betracht, deren Zweck sich nicht im Ausgleich widerstreitender Interessen der Vertragsparteien erschöpft, sondern auch auf öffentliche Interessen gerichtet ist (vgl. BAG Urteil vom 24. August 1989, BAGE 63, 17, 31 f.). Solche Normen ergeben sich vorliegend insbesondere nicht aus den Bestimmungen des deutschen Seemannsgesetzes vom 26. Juli 1957 (BGBl. II S. 713).

Nach § 1 SeemG gelten die Vorschriften dieses Gesetzes für alle Kauffahrteischiffe, die nach dem Flaggenrechtsgesetz vom 8. Februar 1951 (BGBl. I S. 79) die Bundesflagge führen. Ob diese Bestimmungen jemals als eine eigenständige Kollisionsnorm des internationalen Privatrechts aufzufassen war (vgl. im einzelnen: Puttfarken, aaO, S. 4 f., m.w.N.; MünchKomm-Martiny, 2. Aufl., Art. 30 EGBGB Rz 48, Fn 110c – d), kann dahinstehen. Spätestens mit dem Inkrafttreten des Art. 30 Abs. 2 EGBGB in der seit dem 1. September 1986 geltenden Fassung hat § 1 SeemG keine kollisionsrechtliche, sondern nur noch materiell-rechtliche innerstaatliche Bedeutung (vgl. BAG Urteil vom 24. August 1989, BAGE 63, 17, 33 f.). Die materiellen Bestimmungen des Seemannsgesetzes enthalten hinsichtlich der Höhe der Heuer, der Urlaubsvergütung und des Verpflegungsgeldes für den Urlaub keine Eingriffsnormen im Sinne des Art. 34 EGBGB.

b) Im erneuten Berufungsverfahren ist mithin der Inhalt der einschlägigen Normen des indischen Rechts festzustellen. Insoweit trifft den Kläger vor dem deutschen Gericht die Darlegungs- und Beweislast für die Rechtssätze des indischen Rechts, aus denen sich die verfolgten Ansprüche ergeben sollen. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Voraussetzungen, die zur Begründung des Anspruchs nach indischem Recht vorliegen müssen, richten sich ihrerseits nach indischem Recht. Dabei wird, soweit sich hierfür Anhaltspunkte ergeben, auch zu prüfen sein, ob der Anwendung einzelner Rechtssätze des indischen Rechts der ordre public Art. 6 EGBGB) entgegensteht.

Nach Art. 6 EGBGB ist “eine Rechtsnorm” eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Durch diesen die gesamte Anwendung ausländischen Rechts in Deutschland beherrschenden allgemeinen Grundsatz wird nicht die Anwendung des ausländischen Rechts im Inland schlechthin ausgeschlossen, sondern nur die Anwendbarkeit einzelner Sätze des ausländischen Rechts. Die Ausnahmevorschrift des Art. 6 EGBGB greift indessen nur ein, wenn die Anwendung der ausländischen Rechtsnorm im Einzelfall zu einem Ergebnis führt, das mit der in der entsprechenden deutschen Regelung liegenden Gerechtigkeitsvorstellung in unerträglichem Widerspruch steht (vgl. BAG Urteil vom 24. August 1989, BAGE 63, 17, 30 f.).

2. Als im Ergebnis richtig erweist sich das Urteil des Landesarbeitsgerichts dagegen insoweit, als es die Forderungen des Klägers auf Zahlung der Abstoppheuer analog § 70 SeemG, der anteiligen Kosten für Unterkunft und Verpflegung im Seemannsheim Hamburg und auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes wegen Vorenthaltung der Rückbeförderung abgewiesen hat. Insoweit ist die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts mangels Begründung bereits unzulässig.

a) Zur Zulässigkeit eines Rechtsmittels gehört, daß es sich mit dem anzufechtenden Urteil auseinandersetzt. Umfaßt eine Klage mehrere Streitgegenstände, muß hinsichtlich jedes Streitgegenstandes, der mit einem Rechtsmittel weiterverfolgt wird, dargelegt werden, weshalb die angefochtene Entscheidung unrichtig sein soll (ständige Rechtsprechung, vgl. statt vieler BAGE 2, 58, 59 = AP Nr. 2 zu § 554 ZPO, zu I der Gründe; BAG Urteil vom 16. März 1994 – 8 AZR 97/93 – AP Nr. 29 zu § 4 KSchG 1969).

b) Der Kläger hat schon im ersten Rechtszug eine Abstoppheuer, anteilige Kosten für Unterkunft und Verpflegung im Seemannsheim sowie ein Schmerzensgeld geltend gemacht. Das Arbeitsgericht hat zu diesen Streitgegenständen jeweils gesondert begründet, warum es diese Ansprüche nicht für gegeben erachtet hat. Der Kläger hat zwar auch insoweit gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berufung eingelegt; seine Berufungsbegründung befaßt sich jedoch mit diesen Streitgegenständen nicht.

 

Unterschriften

Griebeling, Schliemann, Reinecke, Dr. Hirt, Horst Kraft

 

Fundstellen

Haufe-Index 870806

BAGE, 84

JR 1996, 176

NZA 1995, 1191

IPRspr. 1995, 57

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