Leitsatz (redaktionell)

Der Lohnfortzahlungsanspruch nach dem AWbG entsteht nur, wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Erfüllung des Anspruchs auf Freistellung nach dem AWbG nachgekommen ist; eine angebotene unbezahlte Freistellung genügt nicht (Bestätigung der Rechtsprechung, vgl. BAG Urteil vom 24. Oktober 1995 - 9 AZR 547/94 - BAGE 81, 173 = AP Nr. 11 zu § 7 BildungsurlaubsG NRW).

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 19.09.1996; Aktenzeichen 13 Sa 643/96)

ArbG Solingen (Entscheidung vom 15.03.1996; Aktenzeichen 5 Ca 1186/95)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz Nordrhein-Westfalen (AWbG-NRW).

Die Klägerin ist seit August 1988 als Kommissionierin bei der Beklagten, die einen Großhandel für Blumen, Pflanzen und Sämereien betreibt, beschäftigt. Sie ist Gewerkschafts- und Betriebsratsmitglied. Im Januar 1995 teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie beabsichtige, an dem vom zuständigen Ministerium als Arbeitnehmerweiterbildung anerkannten Seminar "Rhetorik für Beruf und Alltag" der Volkshochschule Solingen in der Zeit vom 18. bis 21. April 1995 teilzunehmen und beanspruche dafür Bildungsurlaub nach dem AWbG-NRW.

Mit Schreiben vom 30. Januar 1995 teilte die Beklagte der Klägerin mit:

"Zu Ihrem Antrag auf Freistellung zur Teilnahme an der Bildungsveranstaltung Rhetorik für Beruf und Alltag in der Zeit vom 18.04.1995 bis 21.04.1995 teilen wir mit, daß die Voraussetzungen des Anspruchs nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz nicht erfüllt sind.

Insofern wird sowohl die Freistellung als auch die Entgeltfortzahlung für den beanspruchten Zeitraum abgelehnt.

Sollten Sie dennoch an der Veranstaltung teilnehmen wollen, haben wir gegen eine unbezahlte Freistellung keine Einwände."

Auf dem Formblatt "Nachweis über Fehlzeiten" vom 15. März 1995 nannte die Klägerin in der Spalte "unbez. Freistellung" die bereits mitgeteilten Tage und setzte hinzu "bis z. endg. Klärung durch das Arbeitsgericht". Über die Gewerkschaft bat die Klägerin mit Schreiben vom 20. März 1995, die Gewährung des Bildungsurlaubs nochmals zu überprüfen.

Die Klägerin nahm an der Veranstaltung ohne weitere Rücksprache mit der Beklagten teil; die Beklagte zahlte für diese Zeit keinen Lohn.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 431,88 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen vom Nettobetrag seit 13. Juni 1995 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der vom LAG zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf den geforderten Geldbetrag.

I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach §§ 1 und 7 AWbG. Sie ist nicht durch Erklärung der Beklagten für die Teilnahme an der Bildungsveranstaltung von ihrer Verpflichtung zur Arbeit befreit worden.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats hat der Arbeitnehmer nach § 1 AWbG einen gesetzlichen Freistellungsanspruch von der Arbeit für die Teilnahme an einer Bildungsveranstaltung im Sinne dieses Gesetzes. Der Arbeitnehmer hat kein Selbstbeurlaubungsrecht. Wenn die Voraussetzungen des Gesetzes vorliegen, bedarf es vielmehr einer Handlung des Arbeitgebers, um den Anspruch des Arbeitnehmers zu erfüllen. Der Arbeitgeber muß die Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht erklären (BAG Urteile vom 11. Mai 1993 - 9 AZR 231/89 - BAGE 73, 135 = AP Nr. 2 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW; vom 21. September 1993 - 9 AZR 429/91 - BAGE 74, 204 = AP Nr. 7 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW; vom 7. Dezember 1993 - 9 AZR 325/92 - AP Nr. 8 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW; vom 9. Mai 1995 - 9 AZR 185/94 - BAGE 80, 94 = AP Nr. 14 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW; vom 24. Oktober 1995 - 9 AZR 431/94 - AP Nr. 15 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW, m.w.N.; vom 9. November 1993 - 9 AZR 306/89 - AP Nr. 6 zu § 7 BildungsurlaubsG NRW; vom 24. Oktober 1995 - 9 AZR 547/94 - BAGE 81, 173 = AP Nr. 11 zu § 7 BildungsurlaubsG NRW; vom 9. November 1993 - 9 AZR 9/92 - BAGE 75, 58 = AP Nr. 8 zu § 9 BildungsurlaubsG NRW).

Der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 7 AWbG entsteht deshalb nur dann, wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Freistellung des Arbeitnehmers nachgekommen ist. Weigert er sich, die Freistellungserklärung abzugeben, kann der Arbeitnehmer versuchen, den Anspruch gerichtlich durchzusetzen. Erlangt er die Freistellungserklärung nicht vor dem Besuch der Veranstaltung, so fehlt es an einer Voraussetzung für den gesetzlichen Entgeltanspruch.

2. An dieser Rechtsprechung ist entgegen der Auffassung der Klägerin festzuhalten. Zu Unrecht meint die Klägerin, es genüge für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung, daß sie der Beklagten mitgeteilt habe, sie werde an der Bildungsveranstaltung teilnehmen.

Die Klägerin hat dafür auf die amtliche Begründung (Landtag NRW, Drucksache 9/3295 vom 21. März 1984, S. 12) hingewiesen. Dort heißt es, daß der Arbeitnehmer nach seiner Mitteilung über die Bildungsveranstaltung ohne Genehmigung des Arbeitgebers der Arbeit fernbleiben dürfe. Dem Arbeitgeber stehe auch kein Recht zu, die Veranstaltung inhaltlich darauf zu überprüfen, ob sie mit dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz übereinstimme. Abgelehnt werden könne die Arbeitnehmerweiterbildung zu einem bestimmten Zeitpunkt nur, wenn zwingende betriebliche oder dienstliche Belange oder Urlaubsanträge anderer Arbeitnehmer entgegenstehen. Bei Widerspruch des Arbeitnehmers könne der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht beantragen, die Zustimmung zu ersetzen.

Diese Erwägungen im Gesetzgebungsverfahren sind nicht Inhalt des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes geworden. Insbesondere läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen, daß dem Arbeitnehmer ein Selbstbeurlaubungsrecht zusteht. Das Recht des Arbeitnehmers, an einer Bildungsveranstaltung nach § 1 Abs. 2 AWbG teilzunehmen, umfaßt nicht zugleich die Befugnis, diesen Anspruch durch Fernbleiben von der Arbeit selbst zu erfüllen. Die Pflicht zur Beseitigung der Arbeitspflicht für die Dauer des dem Arbeitnehmer zustehenden Bildungsurlaubs obliegt dem Arbeitgeber, der insoweit als Schuldner des Arbeitnehmers diesen für die Teilnahme an der Bildungsveranstaltung von dessen Pflicht zur Arbeitsleistung freistellen muß. Nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht befreit hat, besteht nach § 7 AWbG der Entgeltanspruch des Arbeitnehmers für diese Zeit fort.

Die von der Klägerin aus anderen Gesetzen herangezogenen Regelungen rechtfertigen ebenso kein anderes Ergebnis. Die Klägerin hat übersehen, daß die Beseitigung der Arbeitspflicht eines Arbeitnehmers nach den von ihr genannten anderen Vorschriften jeweils auf anderen Voraussetzungen beruht, die mit der Freistellungs- und der Entgeltfortzahlungspflicht nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz nicht vergleichbar sind.

3. Ein Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung läßt sich auch nicht mit den Erwägungen des Landesarbeitsgerichts rechtfertigen.

Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, eine besondere Freistellung von der Arbeitspflicht nach dem AWbG gebe es nicht. Deshalb genüge die in Kenntnis von der beabsichtigten Seminarteilnahme der Klägerin abgegebene Erklärung der Beklagten, gegen eine unbezahlte Freistellung habe sie keine Einwände. Der fehlende Verpflichtungswille der Beklagten zur Entgeltfortzahlung sei unbeachtlich.

Das Landesarbeitsgericht übersieht, daß auf den gesetzlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlte Freistellung nach dem AWbG die allgemeinen Vorschriften des Schuldrechts anzuwenden sind. Nach § 362 Abs. 1 BGB erlischt das Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Der Schuldner ist berechtigt, bei einer Leistung zu bestimmen, ob und ggf. welche seiner Verpflichtungen getilgt werden soll. Gegen den erklärten Willen des Schuldners kann eine Leistung nicht eine Bestimmung unterlegt werden, die diese nicht hat.

Die Beklagte hat es ausdrücklich abgelehnt, einen etwaigen Anspruch der Klägerin auf bezahlte Freistellung zu erfüllen. Auf die Entscheidung des Senats vom 9. November 1993 (- 9 AZR 306/89 - AP Nr. 6 zu § 7 BildungsurlaubsG NRW) kann sich die Klägerin deshalb nicht berufen.

4. Der Senat weicht mit der hier vertretenen Auffassung auch nicht von seiner Entscheidung vom 7. Dezember 1993 (- 9 AZR 325/92 - AP Nr. 8 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW) ab. Die Klägerin mißversteht den dem Urteil vorangestellten Leitsatz. Danach besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung dann nicht, wenn ein Arbeitgeber mit seiner Ablehnung der Freistellung zum Besuch einer Bildungsveranstaltung gleichzeitig dem Arbeitnehmer eine unbezahlte Freistellung anbietet und der Arbeitnehmer "ohne weitere Erklärung" an der Veranstaltung teilnimmt. Erforderlich sind keine Erklärungen des Arbeitnehmers, sondern Erklärungen des Arbeitgebers als dem möglichen Schuldner der beanspruchten Freistellung.

II. Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich nicht aus einer Sondervereinbarung über eine nachträgliche Vergütung der ausgefallenen Arbeitszeit. Eine solche Vereinbarung haben die Parteien nicht getroffen. Das Schweigen der Beklagten auf die Mitteilung der Klägerin auf dem Fehlzettelnachweis wie auf das Schreiben ihrer späteren Prozeßbevollmächtigten, ist angesichts ihrer zuvor klar geäußerten Ablehnung ohne Bedeutung.

III. Ein Zahlungsanspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht als Anspruch auf Schadenersatz nach § 280 Abs. 1, § 286, § 284 Abs. 1, § 287 Satz 2, §§ 249 ff. BGB.

1. Ein möglicher Schadenersatzanspruch der Klägerin wegen unberechtiger Verweigerung der Freistellung nach dem AWbG durch die Beklagte ist gemäß § 249 BGB auf die Wiederherstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Die Wiederherstellung besteht in der künftigen Freistellung des Arbeitnehmers für die Teilnahme an einer Veranstaltung der Arbeitnehmerweiterbildung. Ein Schadenersatzanspruch in Form der Geldentschädigung ist gemäß § 251 BGB erst statthaft, wenn die Freistellung beispielsweise wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist (vgl. BAG Urteile vom 21. September 1993 - 9 AZR 429/91 BAGE 74, 204 = AP Nr. 7 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW, zu 4 der Gründe; vom 7. Dezember 1993 - 9 AZR 325/92 - AP Nr. 8 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW; vom 24. August 1993 - 9 AZR 240/90 BAGE 74, 99 = AP Nr. 9 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW, zu II 3 der Gründe; vom 5. Dezember 1995 - 9 AZR 666/94 - AP Nr. 22 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW, zu II 1 der Gründe; vom 24. Oktober 1995 - 9 AZR 547/94 - BAGE 81, 173 = AP Nr. 11 zu § 7 BildungsurlaubsG NRW, zu II der Gründe; ebenso Urteil vom 25. Oktober 1994 - 9 AZR 349/93 -, n.v.).

2. Der gegenteiligen Ansicht der Klägerin, die Naturalrestitution richte sich auf Zahlung des Lohns für die Zeit der Seminarteilnahme, kann nicht gefolgt werden. Sie meint, hätte sich die Beklagte nicht schadensverursachend verhalten, hätte sie die Klägerin nach dem AWbG freigestellt und den Lohn für die Dauer des Bildungsurlaubs bezahlt. Deshalb bestünde der Schaden in der Vorenthaltung des Lohnes. Nur wenn ein Arbeitnehmer wegen einer pflichtwidrig verweigerten Freistellung von der Teilnahme an der Bildungsveranstaltung abgesehen habe, bestehe der Schaden in der vorenthaltenen Teilnahme an der Arbeitnehmerweiterbildung. Deshalb sei nur dann der Arbeitgeber zur Ersatzfreistellung verpflichtet.

Die Klägerin verkennt, daß der Schaden nicht in der Nichtzahlung des Arbeitsentgelts für die Dauer ihres Seminarbesuchs liegt, sondern vielmehr darin, daß der durch die Freistellung nicht verbrauchte Anspruch auf Bildungsurlaub mit Ablauf des Kalenderjahres untergegangen ist (zur Befristung des Bildungsurlaubsanspruchs BAG Urteile vom 24. Oktober 1995 - 9 AZR 547/94 BAGE 81, 173 = AP Nr. 11 zu § 7 BildungsurlaubsG NRW; vom 5. Dezember 1995 - 9 AZR 666/94 - AP Nr. 22 zu § 1 BildungsurlaubsG NRW). Die Wiederherstellung im Sinne von § 249 Satz 1 BGB richtet sich deshalb auf Ersatzfreistellung.

3. Ersatzfreistellung hat die Klägerin nicht verlangt. Deshalb kommt es auf die Frage, ob die von der Klägerin besuchte Veranstaltung die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 2 AWbG erfüllt, nicht mehr an, ob also die Beklagte zu Unrecht den Antrag der Klägerin auf Bildungsfreistellung abgelehnt hat und sich deshalb in Verzug befand.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 441827

BB 1998, 1012

FA 1998, 266

NZA 1998, 1116

RdA 1998, 252

ZTR 1998, 332

ArbuR 1998, 248

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