Entscheidungsstichwort (Thema)

Anordnung 1954. Zuständigkeit der Arbeitsgerichte

 

Leitsatz (amtlich)

Für Klagen auf Feststellung von Anwartschaften und Ansprüchen auf eine Zusatzrente nach der Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben vom 9. März 1954 – AO 1954 – sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig.

 

Normenkette

ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3a, § 48 Abs. 1, § 72 Abs. 6, § 53 Abs. 1 S. 1; GVG § 17a Abs. 3-4; Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben vom 9. März 1954 (GBl. S. 301)

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Beschluss vom 10.08.1993; Aktenzeichen 3 Ta 24/93)

ArbG Dresden (Beschluss vom 21.06.1993; Aktenzeichen 11 Ca 641/93)

 

Tenor

  • Die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 10. August 1993 – 3 Ta 24/93 – wird zurückgewiesen.
  • Die Beklagte hat die Kosten der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.
 

Tatbestand

I. Der Kläger will festgestellt haben, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm eine Zusatzrente zu zahlen. Vorab streiten die Parteien um die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen.

Die Beklagte ist die Rechtsnachfolgerin des volkseigenen Betriebes “O…” Starkstrom-Anlagenbau … Zwischen dem Kläger und dem volkseigenen Betrieb bzw. der Beklagten als Rechtsnachfolgerin bestand vom 13. Juli 1960 bis zum 30. Juni 1991 ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger ist aus betriebsbedingten Gründen aus dem Betrieb der Beklagten ausgeschieden.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, ihm “gemäß Vereinbarung” eine personengebundene Zusatzrente zu zahlen. Er hat sich auf ein Schriftstück vom 31. Juli 1989 berufen. Es heißt dort:

  • “Zusatzrentenversorgung

    Gemäß einer Vereinbarung vom 1.1.1979 zwischen dem Minister für Elektrotechnik/Elektronik und dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund – Zentralvorstand der IG Metall – wurde festgelegt,

    • daß alle Kolleginnen und Kollegen des ehemaligen VEB “O… Werk”, die vor dem 31.12.1962 und
    • alle Kolleginnen und Kollegen des ehemaligen Institutes für Elektroenergieanlagen (IEA), die vor dem 31.12.1967

    ein Arbeitsrechtsverhältnis in einem dieser Betriebe begründeten, einen Anspruch auf eine Zusatzrentenversorgung haben, wenn die dazu festgelegten Bedingungen “Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigen volkseigenen Betrieben vom 9.3.1954” (GBl. DDR Nr. 30/1954) erfüllt wurden.

    Wir möchten Sie hiermit informieren, daß nach Prüfung Ihrer Unterlagen und unter der Voraussetzung einer ununterbrochenen Beschäftigung bis zum Rentenalter in unserem Betrieb ein personengebundener Anspruch auf die Zusatzrente besteht.”

Dieses Schreiben wurde unterzeichnet vom Betriebsdirektor und vom Vorsitzenden der Betriebsgewerkschaftsleitung.

Die in diesem Schreiben erwähnte “Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben vom 9. März 1954” (GBl. S. 301 – AO 1954) beruht auf einer Verordnung des Ministerrats über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter und der Rechte der Gewerkschaften vom 10. Dezember 1953 (GBl. S. 1219). Diese Verordnung enthielt Bestimmungen über den Bezug einer Zusatzrente. Die Zusatzrente sollte aus Mitteln des Betriebes erbracht werden. Das Ministerium der Finanzen wurde verpflichtet, in die Finanzpläne der Betriebe die erforderlichen Mittel aufzunehmen. Zur Durchführung dieser Verordnung erließ das Ministerium für Arbeit die bereits erwähnte AO 1954. Diese Anordnung sah im wesentlichen vor:

  • Einführung der Zusatzrentenversorgung ab 01.01.1954 (§ 1 Abs. 1);
  • Auswahl und Unterrichtung der ausgewählten wichtigsten volkseigenen Betriebe durch den Minister für Arbeit (§ 1 Abs. 2);
  • Einräumung eines Rechtsanspruches auf Zusatzrente für die Arbeiter und Angestellten, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Anordnung oder auch davor in einem dieser Betriebe beschäftigt waren (§ 2);
  • Anspruch in Höhe von 5 % des monatlichen Nettodurchschnittsverdienstes der letzten fünf Jahre, mindestens aber in Höhe von DM 10,-- im Monat (§ 4);
  • Anspruchsvoraussetzungen (vgl. § 3): Der Arbeiter oder Angestellte mußte in diesem Betrieb noch beschäftigt oder aus ihm bereits wegen Invalidität oder Überschreitung der Altersgrenze ausgeschieden sein, überdies eine 20-jährige ununterbrochene Beschäftigungsdauer in diesem Betrieb sowie schließlich den Bezug einer Alters-, Invaliden- oder Unfallvollrente nachweisen;
  • Ausschluß von Angestellten, die Mitglied im Zusatzversorgungssystem der technischen oder in dem der wissenschaftlichen Intelligenz waren (§ 7 Abs. 1) oder wenn der Arbeiter oder Angestellte fristlos entlassen worden war (§ 7 Abs. 2);
  • Hinterbliebene erhielten keine Leistungen (§ 7 Abs. 3);
  • Die Zahlung erfolgte zusätzlich zur Altersversorgung, zur Invaliden- oder zur Unfallvollrente (§§ 3, 8);
  • Verantwortlich für die Anwendung waren die Betriebsleitungen. Diese hatten den Kreis der Berechtigten bis zum Ende des Jahres 1954 festzustellen (§ 11 Abs. 1);
  • Bei Streitigkeiten entschieden die betrieblichen Konfliktkommissionen (§ 12);
  • Die Zahlungen erfolgten aus Mitteln der Betriebe und wurden in den Betriebsplan eingesetzt (§ 10 Abs. 1).

Von dieser Anordnung waren Arbeitnehmer in etwa 350 Betrieben begünstigt. Durch die Bildung von Kombinaten schmolz die Zahl der begünstigten Betriebe später auf etwa 220 bis 270 Betriebe. Zur AO 1954 ergingen 1968 und 1969 “Direktiven” des Leiters des Staatlichen Amtes für Arbeit und Löhne beim Ministerrat. Nach diesen Direktiven wurden keine weiteren Betriebe mehr aufgenommen. Die Leistungen wurden personengebunden an die bisher begünstigten Arbeitnehmer weitergezahlt.

Der Einigungsvertrag regelte zur Zusatzversorgung auf der Grundlage der Anordnung der AO 1954 (Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 4):

  • Die Anordnung ist bis zum 31. Dezember 1991 anzuwenden.
  • Von der Anordnung kann für die Zeit bis zum 31. Dezember 1991 durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung abgewichen werden.
  • Es gilt die Maßgabe unter Sachgebiet F Abschnitt III Nr. 1.”

Der Umfang der Rentenverpflichtungen und Zahlungen ist noch nicht genau ermittelt. Im Schrifttum wird angenommen, daß sich die Anordnung AO 1954 auf ca. eine Million Arbeitnehmer erstreckte (Höfer/Reiners/Wüst, BetrAVG, 3. Aufl., Stand Juni 1993, ART 1262). Nach weiteren Schätzungen zahlte die Sozialversicherung als Zahlstelle im Juni 1990 diese Zusatzrenten an etwa 396.000 Rentner. Weitere 100.000 Renten wurden direkt von den Betrieben an ihre früheren Arbeitnehmer gezahlt (vgl. Wolter, Die Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben und ihre Aufhebung durch den Einigungsvertrag, Gutachten vom 18. Februar 1992, S. 6). Die Renten lagen 1990 zwischen 10,-- und 50,-- M monatlich; der Durchschnitt soll 20,-- M monatlich betragen haben (vgl. Wolter, Gutachten, aaO, S. 6, ähnliche Zahlen auch bei Flecken, BetrAV 1990, 213 und bei Übelhack, AR-Blattei SD 460.1 “Betriebliche Altersversorgung I”, Abschnitt A IX).

Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger Klage beim Arbeitsgericht Dresden erhoben. Er hat beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm eine personengebundene Zusatzrente gemäß Vereinbarung zu zahlen.

Die Beklagte hat die Zulässigkeit des Rechtswegs gerügt. Sie hat die Auffassung vertreten, es handele sich um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit in einer Angelegenheit der Sozialversicherung. Die AO 1954 regele Ansprüche, die nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen dem System der gesetzlichen Rentenversicherung der ehemaligen DDR zuzurechnen seien. Die ausgewählten Betriebe hätten aufgrund staatlicher Anordnung und nicht freiwillig gezahlt. Sie hätten keinen Gestaltungsspielraum gehabt. Der Einigungsvertrag habe die Zuordnung zum Sozialversicherungsrecht bestätigt.

Das Arbeitsgericht Dresden hat im Beschluß vom 21. Juni 1993 den vom Kläger beschrittenen Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen als zulässig angesehen (§ 48 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 17a Abs. 3 GVG). Die Beklagte hat sofortige Beschwerde zum Landesarbeitsgericht Chemnitz erhoben. Das Landesarbeitsgericht hat diese Beschwerde zurückgewiesen (Beschluß vom 10. August 1993 – 3 Ta 24/93 –). Es hat die weitere Beschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde der Beklagten ist unbegründet.

A. Gegen eine Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs durch die Berufsrichter des Senats bestehen keine Bedenken.

1. Über die weitere sofortige Beschwerde gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 bis 6 GVG entscheidet der Senat ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht. Das folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 72 Abs. 6 i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG (BAG Beschluß vom 10. Dezember 1992 – 8 AZB 6/92 – AP Nr. 4 zu § 17a GVG; Beschluß vom 15. April 1992 – 2 AZB 32/92 – AP Nr. 12 zu § 5 ArbGG 1979).

2. Das Landesarbeitsgericht hat seine Beschwerdeentscheidung durch den Vorsitzenden erlassen. Das ist nicht zu beanstanden. Die lückenhafte Regelung des Beschwerdeverfahrens im Arbeitsgerichtsgesetz ist um den entsprechend anzuwendenden § 53 ArbGG zu ergänzen (BAG Beschluß vom 10. Dezember 1992 – 8 AZB 6/92 – AP Nr. 4 zu § 17a GVG, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 78 Rz 13; Oetker, NZA 1989, 201, 205 f.).

B. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist eröffnet.

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis zuständig. Zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis gehören auch Ansprüche auf eine betriebliche Altersversorgung. Dagegen entscheiden gemäß § 51 Abs. 1 SGG die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung. Hierzu rechnet auch die Rentenversicherung.

1. Eine bürgerlich-rechtliche Rechtsstreitigkeit ist dann gegeben, wenn der Streitgegenstand eine unmittelbare Rechtsfolge des Zivilrechts darstellt. Dagegen handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, wenn der Streitgegenstand eine unmittelbare Folge des öffentlichen Rechts ist. Ob ein Rechtsstreit dem bürgerlichen oder dem öffentlichen Recht zuzuweisen ist, richtet sich, wenn eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Zu dessen Beurteilung kommt es in der Regel darauf an, ob die an der Streitigkeit Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen oder gleichgeordnet einander gegenüberstehen (Beschlüsse des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes BGHZ 97, 312, 313 f. = AP Nr. 3 zu § 13 GVG = NJW 1986, 2359 und BGHZ 102, 280, 283 = AP Nr. 1 zu § 13 GVG = NJW 1988, 2295, 2296, zu III 1 der Gründe; Urteil des Senats vom 27. März 1990 – 3 AZR 188/89 – BAGE 64, 272, 274 = AP Nr. 2 zu § 1 RuhegeldG Hamburg, zu 1 der Gründe). Allerdings kann auch im Sozialversicherungsrecht eine gleichgeordnete Beziehung zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten bestehen (vgl. dazu Beschluß des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 4. Juni 1974, BSGE 37, 292 = AP Nr. 3 zu § 405 RVO, m.w.N.). Entscheidend ist deshalb, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des Arbeitsrechts oder des Sozialrechts geprägt wird (BGHZ 89, 250, 252; BAG Urteil vom 13. Juli 1988 – 5 AZR 467/87 – BAGE 59, 169, 171 f. = AP Nr. 11 zu § 2 ArbGG 1979, zu II 2a der Gründe; BAG Urteil vom 15. Januar 1992 – 5 AZR 15/91 – AP Nr. 21 zu § 2 ArbGG 1979, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen, zu 2a der Gründe).

2. In Rechtsprechung und Schrifttum bestehen unterschiedliche Auffassungen über die Zuordnung der Rechtsstreitigkeiten aus der AO 1954. Den Rechtsweg zu den Sozialgerichten halten für gegeben das Landesarbeitsgericht Berlin (Beschluß vom 26. August 1992 – 8 Ta 4/92 –) und das Landesarbeitsgericht Chemnitz (Beschluß vom 14. April 1993 – 5 Ta 10/93 –). Im Schrifttum rechnen Flecken (BetrAV 1990, 213, 214) und Niemeyer (BetrAV 1991, 9) die Zusatzrente aus der Anordnung 1954 nicht zur betrieblichen Altersversorgung. Andererseits hat das Landesarbeitsgericht Berlin (Beschluß vom 14. Januar 1993 – 14 Ta 18/92 –) den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen bejaht. Diese Auffassung wird im Schrifttum überwiegend geteilt (vgl. Cisch, DB 1991, 2301; Höfer/ Reiners/Wüst, aaO, ART 1263 f.; Wolter, Gutachten, aaO, S. 29 ff.; ders., AiB 1992, 507, 511; V. Wagner, AuA 1992, 131; ders., AuA 1993, 62; vgl. auch Höfer/Küpper, DB 1991, 1569, 1571).

3. Die besseren Gründe sprechen für die Auffassung, daß es sich bei den Streitigkeiten aus der Anordnung 1954 um bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis handelt. Die Ansprüche, die der Kläger geltend macht, sind Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Der Kläger leitet sein Klagebegehren nicht aus einem Rechtsverhältnis her, das durch öffentlich-rechtliche Vorschriften des Sozialversicherungsrechts geprägt ist.

a) Das Rechtssystem der DDR unterschied zwischen dem Arbeitsrecht und dem Recht der Sozialversicherung, wenn auch die Sozialversicherung, die vom FDGB geleitet wurde, im Arbeitsgesetzbuch der DDR geregelt war. Träger der Sozialversicherung waren in der DDR entweder der Staat oder die Träger der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme, nicht die Betriebe (vgl. Verordnung zur Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten – SVO – vom 17. November 1977, GBl. I S. 373 und Verordnung über die freiwillige Zusatzversicherung der Sozialversicherung – FZR-Verordnung – vom 17. November 1977, GBl. I S. 395). Auch die Verordnung des Ministerrats vom 10. Dezember 1953 unterschied zwischen der “Sozialversicherungsrente” und der “Zusatzrente aus Mitteln des Betriebes”. Im Unterschied zu Leistungen der Sozialversicherung richtete sich der Anspruch auf eine Zusatzrente nach der Anordnung 1954 gegen die Betriebe, die auch die Mittel für diese Leistungen aufzubringen hatten. Diese Zusatzversorgung wurde den Mitarbeitern aus Anlaß des Arbeitsverhältnisses gewährt (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 AO 1954). Der Träger der gesetzlichen Sozialversicherung war allenfalls Zahlstelle (vgl. Wagner, AuA 1992, 131, 133). Nach § 11 der AO 1954 war der Betriebsleiter für die Durchführung der Anordnung in den Betrieben verantwortlich. Streitigkeiten über den Anspruch oder die Höhe einer Zusatzrente entschied die Konfliktkommission im Betrieb. Diese Konfliktkommissionen waren zur Entscheidung von Arbeitsstreitigkeiten befugt (§ 297 AGB-DDR). Über Streitfälle auf dem Gebiet der Sozialversicherung hatten Beschwerdekommissionen für Sozialversicherung des FDGB zu entscheiden (§ 302 AGB-DDR).

Für die Zuordnung zum Arbeitsrecht spricht auch die Verpflichtung, Voraussetzungen und Inhalt der Zusagen in die Arbeitsverträge und Betriebskollektivverträge aufzunehmen. Nach § 42 AGB-DDR war der Betrieb verpflichtet, die mit den Werktätigen getroffenen Vereinbarungen in einem schriftlichen Arbeitsvertrag festzuhalten.

Für den arbeitsrechtlichen Charakter der Zusatzrente spricht weiter die Regelung, wonach die Zusatzversorgung aus der AO 1954 verfallbar ausgestaltet war. Der Arbeitnehmer mußte aus dem Arbeitsverhältnis – in der Sprache des Westdeutschen Betriebsrentenrechts gesprochen – mit einem Versorgungsfall aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden. Andernfalls verfiel die Anwartschaft (§ 3 AO 1954).

Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht § 5 AO 1954 nicht gegen diese rechtliche Zuordnung. Diese Vorschrift behandelt die Rechtsfolgen einer Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses und die Frage, ob und in welchem Umfange weitere Beschäftigungszeiten in anderen Arbeitsverhältnissen anzurechnen sind. Solche Regelungen werden auch im Bereich der betrieblichen Altersversorgung getroffen. Die Anrechnung von Vordienstzeiten wird häufig vereinbart.

Ein gewichtiges Argument gegen die arbeitsrechtliche Natur der Zusatzversorgung kann nur die fehlende Freiwilligkeit auf Seiten des Arbeitgebers sein. Die von der Anordnung 1954 betroffenen Betriebe waren zur Einführung dieser Zusatzversorgung verpflichtet. Als Abgrenzungsmerkmal verliert dieses Argument aber an Bedeutung, wenn man diese Verpflichtung als Folge eines planwirtschaftlich organisierten staatlichen Wirtschaftssystem betrachtet. In einer auf einem Volkswirtschaftsplan beruhenden Wirtschaft werden Löhne und Leistungen festgelegt. So gesehen fehlt es an der Freiwilligkeit bei allen Leistungen, die der Arbeitnehmer für seine Tätigkeit erhält. Auch wenn ein Arbeitgeber aufgrund einer staatlichen Rechtsgrundlage verpflichtet wird, bestimmte Leistungen zu gewähren, kann ein bürgerlich-rechtlicher Rechtsanspruch entstehen. Die Begründung der Verpflichtung ändert nichts an der Rechtsnatur des Anspruchs (vgl. BAGE 64, 272 = AP Nr. 2 zu § 1 RuhegeldG Hamburg, betreffend Versorgungsansprüche nach dem RuhegeldG in Hamburg).

b) Die nachträgliche Einordnung fremder Versorgungssysteme in die der westdeutschen Rechtsordnung bekannten Kategorien des bürgerlichen Rechts und des öffentlichen Rechts muß für andere Rechtsordnungen, hier für Rechtsordnungen auf sozialistischer Grundlage, immer auf Schwierigkeiten stoßen. Vor ähnlichen Problemen steht auch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, der zu Art. 119 des EWG-Vertrages über den sachlichen Geltungsbereich dieser Bestimmung entscheiden muß. Das Lohngleichheitsgebot des Art. 119 EWG-Vertrages gilt für betriebliche Versorgungsleistungen. Es gilt nicht für Leistungen der Sozialversicherung. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH umfaßt der Begriff des Entgelts im Sinne von Art. 119 Abs. 2 alle gegenwärtigen oder künftigen, in bar oder in Sachleistungen gewährte Vergütungen, sofern sie der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer wenigstens mittelbar aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses gewährt. Dagegen werden von Art. 119 nicht erfaßt die unmittelbar durch Gesetz geregelten, keinerlei vertraglichen Vereinbarungen innerhalb des Unternehmens oder in dem betroffenen Gewerbezweig zulassende Systeme oder Leistungen der sozialen Sicherheit, die zwingend für allgemein umschriebene Gruppen von Arbeitnehmern gelten. Diese Regelungen sichern den Arbeitnehmern Ansprüche aus gesetzlichen Systemen, an deren Finanzierung Arbeitnehmer, Arbeitgeber und gegebenenfalls die öffentliche Hand in einem Maße beteiligt sind, das weniger vom Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als von sozialpolitischen Erwägungen abhängt (EuGH Urteil vom 6. Oktober 1993 – Rs C-109/91 – DB 1993, 2132 = EuZW 1993, 742).

Bei der Zuordnung der auf der Anordnung 1954 beruhenden Zusatzrente der ehemaligen DDR zu Teilrechtsordnungen der Bundesrepublik entstehen vergleichbare Probleme. Das Merkmal der Freiwilligkeit kann nicht zum Maßstabe für nach den Grundsätzen der Planwirtschaft vorgegebene Leistungen gemacht werden. Der Staat als Eigentümer der Betriebe entschied darüber, ob und inwieweit er Leistungen dieses Umfanges und dieser Bedeutung erbringen wollte.

c) Durch den Einigungsvertrag wurde die Zuordnung zum Arbeitsrecht nicht geändert. Zwar ist die befristete Anwendung der Anordnung 1954 bis zum 31. Dezember 1991 in der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H: Gesetzliche Rentenversicherung geregelt. Gegen die Zuordnung zum Recht der Sozialversicherung spricht aber vor allem die im Einigungsvertrag an gleicher Stelle getroffene Regelung, daß von der Anordnung 1954 bis zum 31. Dezember 1991 durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung abgewichen werden kann. Eine solche Regelung wäre mit dem zwingenden Charakter der öffentlich-rechtlichen Ansprüche aus dem Bereich der Sozialversicherung kaum vereinbar. Sozialversicherungsrechtliche Anwartschaften und Ansprüche sind in der Regel nicht tarif- und betriebsvereinbarungsoffen. Näher liegt die Annahme, daß der Einigungsvertrag die Zuordnung der Ansprüche und Anwartschaften zum Arbeitsrecht bestätigt. Tarifverträge regeln den Inhalt von Arbeitsverhältnissen (§ 1 Abs. 1 TVG); sie enthalten keine sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen. Auch der Betriebsrat besitzt keine Regelungsbefugnis auf dem Gebiet der Sozialversicherung.

Schließlich wird die Anordnung 1954 im Gesetz zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets (Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz – AAÜG – vom 31. Juli 1991 – BGBl. I S. 1677) nicht erwähnt. Auch das ist, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht sagt, ein Anzeichen dafür, die Zusatzversorgung nicht als Teil der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern als betriebliche Altersversorgung zu sehen (vgl. Höfer/Reiners/Wüst, aaO, ART 1264).

 

Unterschriften

Dr. Heither, Griebeling, Bepler

 

Fundstellen

Haufe-Index 856644

BAGE, 343

BB 1994, 1082

BB 1994, 1224

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge