Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung eines katholischen Chefarztes wegen Wiederverheiratung -Aussetzung aufgrund Vorabentscheidungsersuchens

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Rechtsstreit ist bis zur Entscheidung über das Vorabentscheidungsgesuch an den EuGH auszusetzen, wenn zwar die verfassungsrechtliche Beurteilung durch das BVerfG Bindungswirkung entfaltet, aber noch nicht feststeht, ob dies mangels Vereinbarkeit mit Unionsrecht unberücksichtigt bleiben muss.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2; ZPO §§ 148, 563 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 01.07.2010; Aktenzeichen 5 Sa 996/09)

ArbG Düsseldorf (Urteil vom 30.07.2009; Aktenzeichen 6 Ca 2377/09)

 

Tenor

Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.

 

Tatbestand

I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter, die Klage abzuweisen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung des Senats vom 8. September 2011 (– 2 AZR 543/10 – BAGE 139, 144), mit welcher die Revision der Beklagten zurückgewiesen worden war, durch Beschluss vom 22. Oktober 2014 (– 2 BvR 661/12 – BVerfGE 137, 273) aufgehoben und die Sache an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen.

 

Entscheidungsgründe

II. Das Revisionsverfahren war gem. § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen des Senats vom heutigen Tag (BAG 28. Juli 2016 – 2 AZR 746/14 (A) –) auszusetzen. Die Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof ist für die Entscheidung über die Revision vorgreiflich. Zwar hat der Senat aufgrund der innerprozessualen Bindungswirkung analog § 563 Abs. 2 ZPO die verfassungsrechtliche Beurteilung durch das Bundesverfassungsgericht in der zurückverweisenden Entscheidung vom 22. Oktober 2014 (– 2 BvR 661/12 – BVerfGE 137, 273) zugrunde zu legen (vgl. Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Bethge BVerfGG 46. Aufl. § 31 Rn. 39). Damit steht aber noch nicht fest, ob diese ggf. mangels Vereinbarkeit mit Unionsrecht unberücksichtigt bleiben muss (BAG 28. Juli 2016 – 2 AZR 746/14 (A) – Rn. 35 ff.). Dagegen erwiese sich die Revision, unterstellt, das Unionsrecht stünde dem nationalen Verständnis des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nicht entgegen, als begründet und führte zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Die Voraussetzungen des § 563 Abs. 3 ZPO für eine eigene Sachentscheidung des Senats lägen auch unter Berücksichtigung des von den Parteien im fortgesetzten Revisionsverfahren gehaltenen Vorbringens nicht vor. Es bedürfte ergänzender Feststellungen zu den nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 22. Oktober 2014 (– 2 BvR 661/12 – aaO) im Rahmen der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls auf Seiten des Klägers zu beachtenden Interessen.

1. Der Kläger hätte gegen eine Loyalitätsanforderung verstoßen, die ihm nach dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts zulässigerweise auferlegt war und an die er sich freiwillig durch den Abschluss des Arbeitsvertrags mit der Beklagten gebunden hatte. Diese wöge bei ihm als iSd. § 5 Abs. 3 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22. September 1993 (– GrO 1993 – Amtsblatt des Erzbistums Köln S. 222) leitenden Mitarbeiter nach dem zu beachtenden Selbstbestimmungsrecht der römisch-katholischen Kirche besonders schwer. Es handelte sich nicht um ein bloß einmaliges – überwundenes – Fehlverhalten, sondern die Beklagte wäre bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers voraussichtlich dauerhaft mit seinem illoyalen Verhalten, dem Leben in einer kirchlich ungültigen Ehe, konfrontiert gewesen (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 182, BVerfGE 137, 273).

2. Soweit der Kläger die „Vertragsgestaltung” hinsichtlich der Geltung der in der GrO 1993 bestimmten Loyalitätsanforderungen für unklar hält, vermöchte dies nicht zu einer abweichenden Beurteilung zu führen.

a) Der Kläger macht nicht geltend, die Unklarheit ergebe sich schon aus der isolierten Betrachtung seines Arbeitsvertrags. Dafür gibt es auch objektiv keine Anhaltspunkte.

b) Soweit er darauf abstellen will, die Unklarheit folge daraus, dass die Beklagte vom Wortlaut her identische Chefarztverträge ebenso mit evangelischen Chefärzten geschlossen, diesen aber im Falle einer Wiederheirat nicht gekündigt habe, gibt es zum konkreten Vertragswortlaut bei anderen Chefärzten bislang keine Feststellungen. Das Vorbringen des Klägers ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt unschlüssig. Zum einen hat er – bis auf den Fall des schon bei seiner Einstellung durch die Beklagte zum zweiten Mal verheirateten Dr. H – weder dargelegt, um die Verträge welcher Chefärzte es sich handeln soll, noch hat er behauptet, dass er den Inhalt der fraglichen Verträge bereits vor seiner Wiederverheiratung gekannt habe. Zum anderen wäre bei identischem Vertragswortlaut auch die GrO 1993 jeweils in Bezug genommen, die aber hinsichtlich der Loyalitätserwartungen gerade zwischen katholischen und nichtkatholischen Mitarbeitern unterscheidet.

3. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wie ihn das Landesarbeitsgericht bei der Interessenabwägung zugunsten des Klägers berücksichtigt hat, läge nicht vor, weil die römisch-katholische Kirche nach nationalem Verfassungsverständnis an Katholiken auch bei gleich gelagerter Tätigkeit weiter gehende Loyalitätsanforderungen als an Angehörige anderer Konfessionen oder konfessionslose Arbeitnehmer stellen darf. Ebenso darf sie das Leben in einer nach kirchlichem Recht ungültigen Ehe als gegenüber dem Zusammenleben in nichtehelicher Gemeinschaft schwerer wiegenden Verstoß werten (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 172 ff., BVerfGE 137, 273). Sie hätte daher ihr Kündigungsrecht auch nicht dadurch verwirkt, dass sie nicht schon das eheähnliche Zusammenleben des Klägers mit seiner künftigen zweiten Ehefrau zum Anlass für eine Kündigung seines Arbeitsverhältnisses genommen hat. Es sind auch keine Umstände festgestellt oder objektiv ersichtlich, aus denen sich ergäbe, dass die Beklagte ihr Kündigungsrecht dadurch verwirkt hätte, dass sie die Kündigung erst im März 2009 erklärte, obwohl sie bereits im November 2008 Kenntnis von der zweiten Eheschließung des Klägers erlangt hatte. Das gilt sowohl für das Zeit- als auch für das Umstandsmoment. Die Beklagte musste nicht nur das in der GrO 1993 vorgeschriebene beratende Gespräch mit dem Kläger führen, sondern auch den Aufsichtsrat beteiligen und eine Stellungnahme des Generalvikars einholen. Angesichts der – auch für die Beklagte und das Krankenhaus – weitreichenden Folgen des Kündigungsentschlusses ist es nicht zu beanstanden, dass sie dabei umsichtig und ohne Hast vorging (so bereits BAG 8. September 2011 – 2 AZR 543/10 – Rn. 13, BAGE 139, 144).

4. Der Senat könnte die erforderliche Bewertung der nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bei der Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu beachtenden Interessen des Klägers auf der Basis der bisherigen Feststellungen nicht selbst vornehmen. Dafür bedürfte es weiterer Sachaufklärung.

a) Dies gilt zunächst für die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Bewertung, ob die Rechtspositionen des Klägers und seiner zweiten Ehefrau aus Art. 6 Abs. 1 GG und den Wertungen aus Art. 8 Abs. 1 sowie Art. 12 EMRK in einem Maße tangiert sind, das es rechtfertigen würde, den Interessen des Klägers den Vorrang vor den Interessen der Beklagten einzuräumen (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 180, BVerfGE 137, 273).

aa) Soweit der Kläger im Personalgespräch am 25. November 2008 mitgeteilt haben soll, mit Rücksicht auf seine beiden Kinder von einer kirchlichen Annullierung der ersten Ehe abgesehen zu haben, bevor er standesamtlich die zweite Ehe geschlossen habe, ist dies nicht geeignet, besondere Interessen an seiner Wiederheirat zu begründen. Nach dem kirchlichen Selbstverständnis ist es – solange die Annullierung nicht feststeht – unerheblich, ob diese bereits beantragt war oder aus welchen Gründen zunächst nicht. Zudem ist weder vom Kläger dargelegt noch objektiv ersichtlich, dass die kirchenrechtlichen Voraussetzungen für eine Annullierung seiner ersten Ehe gegeben gewesen wären.

bb) Dass die Schließung der zweiten Ehe nach dem Vorbringen des Klägers möglicherweise kein öffentliches Ärgernis ausgelöst hat, ist nach der hier noch maßgeblichen GrO 1993 ebenfalls unerheblich für die kündigungsrechtliche Sanktion eines leitenden Mitarbeiters.

cc) Soweit der Kläger behauptet hat, er sei von seiner ersten Ehefrau böswillig verlassen worden, ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass dies – ggf. unter Berücksichtigung weiterer Umstände – für ein besonderes Interesse am Eingehen einer zweiten Ehe sprechen könnte. Ein solcher Sachverhalt ist aber bislang vom Kläger nicht substantiiert vorgetragen worden.

dd) Soweit das Landesarbeitsgericht ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen hat, ist ebenfalls denkbar, dass sich aus dem damit in Bezug genommenen Vorbringen besondere Interessen des Klägers an der zweiten Eheschließung ergeben könnten. Es fehlt aber auch insoweit bislang an Feststellungen.

(1) Der Kläger hat behauptet, seine erste Ehefrau habe sich nicht nur von ihm, sondern auch von den Kindern getrennt. Es habe für ihn auch mit Rücksicht auf seine Kinder eine moralische Verpflichtung zur Legitimierung der zweiten Beziehung bestanden. Im Interesse einer intakten Familie habe der illegitime Zustand beendet werden sollen. Diesem Vortrag ist die Beklagte in den Vorinstanzen entgegengetreten.

(2) Die neue Ehe habe er – der Kläger – auch geschlossen, um weitere Kinder zu bekommen. Unklar ist in diesem Zusammenhang, ob der Kläger mit seinem Vorbringen, die Mitarbeitervertretung habe die Geschäftsführer B und Br im April 2008 darüber informiert, dass seine Lebensgefährtin schwanger sei, behaupten will, es habe tatsächlich eine Schwangerschaft bestanden und auch dies sei ein Grund für die zweite Eheschließung gewesen. Die Beklagte hat bestritten, dass es die behauptete Information gegeben habe.

b) Ebenso an ausreichenden Feststellungen fehlt es mit Blick auf die nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts etwaig nach dem Gedanken des Vertrauensschutzes zugunsten des Klägers zu berücksichtigenden Umstände.

aa) Das Bundesverfassungsgericht hält im Streitfall die Berücksichtigung des Gedankens des Vertrauensschutzes für möglich in Bezug darauf, dass § 10 Abs. 4 Nr. 2 des Dienstvertrags in Abweichung von der GrO 1993 unterschiedliche Bewertungen hinsichtlich von Verstößen gegen kirchliche Grundsätze – Verstoß gegen das Verbot des Lebens in kirchlich ungültiger Ehe einerseits und Verstoß gegen das Verbot des Lebens in nichtehelicher Gemeinschaft andererseits – nicht vorsehe und die individualvertragliche Abrede besonderes Vertrauen des Klägers ausgelöst haben könnte (BVerfG 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12 – Rn. 181, BVerfGE 137, 273).

bb) Allerdings ist bislang nicht festgestellt, dass der Kläger Kenntnis davon gehabt hätte, zur Kündigung berechtigte Vertreter der Beklagten hätten von dem eheähnlichen Zusammenleben mit seiner späteren zweiten Ehefrau gewusst. Dies wäre aber Voraussetzung dafür, dass sich bei ihm überhaupt ein schützenswertes Vertrauen dahingehend hätte bilden können, die Beklagte werde einen solchen Verstoß gegen die Loyalitätsanforderungen und – wegen der gleichgeordneten Aufzählung beider Verstöße als Kündigungsgründe im Arbeitsvertrag – möglicherweise auch eine Wiederheirat nicht zum Anlass für eine Kündigung nehmen. Soweit der Kläger erstmalig im Revisionsverfahren behauptet, ihm sei bekannt gewesen, dass der Geschäftsführung der Beklagten Anhaltspunkte dafür vorgelegen hätten, dass er eine nichteheähnliche Lebensgemeinschaft eingegangen sei, ist dieser Vortrag von der Beklagten ausdrücklich bestritten worden.

cc) Im Übrigen wird die vom Landesarbeitsgericht gezogene Schlussfolgerung, die Beklagte habe „seit Herbst 2006 von der nichteheähnlichen Lebensgemeinschaft mit der neuen Lebensgefährtin des Klägers Kenntnis” gehabt, nicht vom wiedergegebenen Ergebnis der Beweisaufnahme getragen. Die von der Beklagten erhobene Rüge einer Verletzung von § 286 Abs. 1 ZPO ist begründet. Das Landesarbeitsgericht schließt die Kenntnis der Beklagten aus der Aussage des ehemaligen Geschäftsführers P, er sei gegen Ende seiner Dienstzeit von dem weiteren Geschäftsführer B „über das Gerücht informiert worden, dass der Kläger eine neue Lebensgefährtin habe”. Diese Annahme ist denklogisch nicht nachvollziehbar. Wer ein Gerücht kennt, weiß deshalb nicht, dass die mit ihm verbreiteten Tatsachen wahr sind. Das Landesarbeitsgericht begründet seine Schlussfolgerung auch nicht mit sonstigen Indizien. Soweit es auf die Angabe des Zeugen P verweist, man habe sich entschlossen gehabt, „diesen Gerüchten nachzugehen, was letztlich dann wohl doch unterblieben sei”, ergibt sich auch daraus nicht, dass die Beklagte positive Kenntnis von den tatsächlichen Umständen eines eheähnlichen Zusammenlebens des Klägers mit seiner Lebensgefährtin gehabt hätte.

 

Unterschriften

Koch, Berger, Rachor, Torsten Falke, Wolf

 

Fundstellen

Dokument-Index HI10204813

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