Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmung des Betriebsrats bei befristeter Einstellung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Betriebsrat kann die Zustimmung zu der vom Arbeitgeber beabsichtigten Einstellung eines Arbeitnehmers wegen Verstoßes gegen eine Norm im Sinne des § 99 Abs 2 Nr 1 BetrVG nur dann verweigern, wenn nach dem Zweck der verletzten Norm die geplante Einstellung ganz unterbleiben muß. Hingegen ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Einstellungen kein Instrument einer umfassenden Vertragsinhaltskontrolle.

2. Läßt eine tarifliche Regelung (hier: § 2 Abs 6 des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten des Berufsbildungswerks Gemeinnützige Bildungseinrichtung des DGB GmbH idF vom 1. April 1990) befristete Arbeitsverträge nur bei Vorliegen eines sachlichen oder in der Person des Arbeitnehmers gegebenen Grundes zu, so handelt es sich dabei in der Regel nicht um eine Norm, deren Verletzung eine Zustimmungsverweigerung nach § 99 Abs 2 Nr 1 BetrVG begründen könnte.

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Entscheidung vom 23.08.1993; Aktenzeichen 4 TaBV 2/93)

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 13.01.1993; Aktenzeichen 9 BV 14/92)

 

Gründe

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat seine Zustimmung zur befristeten Einstellung von Arbeitnehmern mit der Begründung verweigern darf, die Befristung verstoße gegen eine tarifliche Regelung.

Der Arbeitgeber ist eine bundesweit tätige Bildungseinrichtung. Weiterer Beteiligter ist der in seiner Bezirksgeschäftsstelle Hamburg gewählte Betriebsrat. Bei den in Hamburg durchgeführten Bildungsmaßnahmen handelt es sich zu ca. 60 % um Auftragsmaßnahmen des Arbeitsamtes. Darüber hinaus organisiert die Geschäftsstelle eigene Bildungsveranstaltungen. Alle Maßnahmen werden ausschließlich durch das Arbeitsamt finanziert.

Zu den Auftragsmaßnahmen gehören die sog. ausbildungsbegleitenden Hilfen. Das Arbeitsamt weist dem Arbeitgeber Lehrgänge für jeweils ein Jahr zu. Es entscheidet jährlich neu über die Vergabe von Anschlußmaßnahmen. Die ausbildungsbegleitenden Hilfen sind dem Jugendbildungsbereich zugeordnet. In diesem Bereich beschäftigt der Arbeitgeber in Hamburg etwa 40 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Etwa die Hälfte dieser Beschäftigten ist befristet eingestellt, die meisten davon nicht für die volle Arbeitszeit, sondern nur für einzelne Stunden.

Der Arbeitgeber wendet auf die Arbeitsverhältnisse seiner Arbeitnehmer einen Haustarifvertrag an (im folgenden: MTV). § 2 Abs. 6 MTV enthält zur Zulässigkeit von Befristungen folgende Regelung:

"Der Abschluß eines befristeten Arbeitsvertrages

ist nur zulässig, wenn für die Befristung im

Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ein sachlicher

oder in der Person des Arbeitnehmers liegender

Grund vorliegt."

Nachdem das Arbeitsamt Mittel für eine Bildungsmaßnahme vom 1. September 1992 bis zum 31. August 1993 bewilligt hatte, beabsichtigte der Arbeitgeber, die bis zum 31. August 1992 befristeten Arbeitsverhältnisse zweier Sozialpädagoginnen sowie eines Sozialpädagogen um ein weiteres Jahr zu verlängern. Er beantragte hierzu mit Schreiben vom 19. August 1992 die Zustimmung des Betriebsrats. Mit Schreiben vom 25. August 1992 verweigerte der Betriebsrat seine Zustimmung u.a. mit der Begründung, die vorgesehenen Befristungen verstießen gegen § 2 Abs. 6 MTV. Mit Schreiben vom 1. September 1992 unterrichtete der Arbeitgeber den Betriebsrat darüber, daß er die Einstellungen vorläufig durchführen werde. Die Bildungsmaßnahme müsse unbedingt am 1. September 1992 beginnen, nachdem die Arbeitsverwaltung bereits die Teilnehmer zugewiesen habe. Der Betriebsrat blieb bei seiner Verweigerung.

Der Arbeitgeber hat die Auffassung vertreten, der Betriebsrat könne seine Zustimmungsverweigerung nicht darauf stützen, daß die vorgesehenen Befristungen unwirksam seien. Ihm stehe im Rahmen seines Mitbestimmungsrechts bei Einstellungen nicht das Recht einer umfassenden Inhaltskontrolle des geplanten Arbeitsverhältnisses zu. Es genüge für die Zustimmungsverweigerung nicht, daß einzelne Vertragsbestimmungen - wie die auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezogene Befristungsabrede - gegen ein Gesetz oder einen Tarifvertrag verstießen. Im übrigen seien die vorgesehenen erneuten Befristungen sachlich gerechtfertigt.

Der Arbeitgeber hat beantragt,

1. die Zustimmung des Betriebsrats zu der Ein-

stellung der Sozialpädagoginnen Ute L und

Gudrun K sowie des Sozialpädagogen Klaus

W zu ersetzen;

2. festzustellen, daß die Einstellungen der Sozi-

alpädagoginnen Ute L und Gudrun K

sowie des Sozialpädagogen Klaus W drin-

gend erforderlich waren.

Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen.

Er hat zweitinstanzlich weiter beantragt

festzustellen, daß der Betriebsrat bei befriste-

ten Einstellungen eines Arbeitnehmers seine Zu-

stimmung gemäß § 99 Abs. 2 Ziffer 1 BetrVG im

Einzelfall verweigern kann mit der Begründung,

die Befristung sei wegen Verstoßes gegen § 2

Abs. 6 des MTV für die Beschäftigten des Berufs-

fortbildungswerkes Gemeinnützige Bildungseinrich-

tung des DGB GmbH vom 1. April 1990 unzulässig.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, er sei berechtigt, die Zustimmung zu einer Einstellung zu verweigern, falls eine vorgesehene Befristung gegen tarifliche Bestimmungen verstoße. Das Mitbestimmungsrecht bei Einstellungen schließe das Recht ein, einzelne Vertragsbedingungen auf ihre Übereinstimmung mit gesetzlichen oder tariflichen Normen zu kontrollieren. Für die hier vorgesehenen erneuten Befristungen fehle es an einem sachlichen Grund.

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen des Arbeitgebers stattgegeben. Auf die Beschwerde des Betriebsrats hat das Landesarbeitsgericht die Anträge abgewiesen, dem zweitinstanzlich gestellten Feststellungsantrag des Betriebsrats hingegen stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Arbeitgeber die Zurückweisung des Feststellungsantrags des Betriebsrats, während er die eigenen Anträge für erledigt erklärt, nachdem die drei Mitarbeiter inzwischen in unbefristete Arbeitsverhältnisse übernommen worden sind.

B. I. Das Verfahren war einzustellen, soweit es die Anträge des Arbeitgebers auf Zustimmungsersetzung und Feststellung der Dringlichkeit der vorläufigen Durchführung der Maßnahme betrifft.

1. Der hierauf gerichtete Antrag des Arbeitgebers ist entgegen der Auffassung des Betriebsrats nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Er bedarf jedoch der Auslegung. Zwar begehrt der Arbeitgeber nach dem Wortlaut seines Antrags nicht nur die Feststellung der Erledigung und die Einstellung des Verfahrens, sondern auch die "Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen". Dieser Antrag ist jedoch nicht im Sinne eines eigenständigen Aufhebungsantrages zu verstehen. Aus seiner Begründung ergibt sich vielmehr, daß der Arbeitgeber eine Erledigungserklärung gemäß § 95 Satz 4 i. Verb. mit § 83 a Abs. 3 ArbGG abgeben und in diesem Zusammenhang anregen wollte, die Beschlüsse für gegenstandslos zu erklären. Mit diesem Inhalt bestehen gegen die Zulässigkeit des Antrags keine Bedenken.

Die Erledigung kann noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz erklärt werden, wenn das erledigende Ereignis nach Erlaß der zweitinstanzlichen Entscheidung eingetreten ist. Die Erklärung setzt nur voraus, daß die Rechtsbeschwerde zulässig ist. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, daß die Rechtsbeschwerde erst nach Eintritt des erledigenden Ereignisses eingelegt wurde. Dieses läßt nämlich die formelle Beschwer nicht entfallen (vgl. BGH Urteil vom 7. November 1974 - III ZR 115/72 - NJW 1975, 539; BGHZ 106, 359, 368; Thomas/Putzo, ZPO, 18. Aufl., § 91 a Rz 41; Zöller/Vollkommer, ZPO, 18. Aufl., § 91 a Rz 51).

2. Hinsichtlich der Anträge des Arbeitgebers ist das Verfahren erledigt. Ein erledigendes Ereignis liegt vor, wenn nach Rechtshängigkeit des Antrags tatsächliche Umstände eintreten, aufgrund derer der Antrag als unzulässig oder unbegründet abgewiesen werden müßte. Es kommt im Beschlußverfahren nicht darauf an, ob der Antrag ursprünglich zulässig oder begründet war. Zustimmungsersetzungsanträge sowie Anträge gemäß § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG erledigen sich mit der Beendigung der betreffenden personellen Einzelmaßnahme (Senatsbeschluß vom 26. April 1990 - 1 ABR 79/89 - BAGE 65, 105).

Die drei Mitarbeiter, deren befristete Einstellung umstritten war, sind - wie in der mündlichen Anhörung vor dem Senat klargestellt wurde - inzwischen mit Zustimmung des Betriebsrats in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen worden. Damit hat sich der ursprüngliche Streit erledigt. Das Verfahren war also hinsichtlich der Anträge des Arbeitgebers einzustellen.

II. Die Rechtsbeschwerde ist begründet, soweit sich der Arbeitgeber gegen den Feststellungsantrag des Betriebsrats wendet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann der Betriebsrat die Zustimmung zu der befristeten Einstellung eines Arbeitnehmers nicht mit der Begründung verweigern, die Befristung verstoße gegen § 2 Abs. 6 MTV.

1. Nach ständiger Senatsrechtsprechung kann der Betriebsrat einer personellen Maßnahme seine Zustimmung gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG nur dann verweigern, wenn die Maßnahme selbst gegen eine Bestimmung in einem Gesetz, einem Tarifvertrag oder eine sonstige Norm verstößt. Geht es - wie hier - um die Einstellung, muß diese als solche untersagt sein. Hingegen genügt es nicht, daß einzelne Vertragsbedingungen einer Norm zuwiderlaufen (Senatsbeschluß vom 20. Juni 1978 - 1 ABR 65/75 - AP Nr. 8 zu § 99 BetrVG 1972; BAGE 49, 180 = AP Nr. 21 zu § 99 BetrVG 1972; BAGE 59, 380 = AP Nr. 60 zu § 99 BetrVG 1972; BAGE 63, 226 = AP Nr. 77 zu § 99 BetrVG 1972; Senatsbeschluß vom 22. Januar 1991 - 1 ABR 18/90 - AP Nr. 86 zu § 99 BetrVG 1972; Senatsbeschluß vom 28. Januar 1992 - 1 ABR 45/91 - AP Nr. 95 zu § 99 BetrVG 1972). Hieran hält der Senat fest.

a) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat der Senat auch in jüngeren Entscheidungen dem Betriebsrat im Rahmen des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG keine umfassende Vertragsinhaltskontrolle zugestanden. Maßgebend ist vielmehr stets, ob die maßgebliche Norm die Einstellung als solche verbietet. Ob das der Fall ist, läßt sich allerdings regelmäßig nicht ohne Prüfung des Inhalts des Arbeitsvertrages beantworten, da sich erst aus diesem die Art der vorgesehenen Beschäftigung ergibt (vgl. auch Kittner in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 4. Aufl., § 99 Rz 173, wonach der auf den Arbeitseinsatz bezogene Vertragsinhalt maßgeblich ist). Daraus folgt aber nicht, daß die Beanstandung beliebiger Vertragsbedingungen genügte; erforderlich ist vielmehr, daß der - ggf. durch Auslegung zu ermittelnde - Zweck der verletzten Norm nur verwirklicht werden kann, wenn die personelle Maßnahme in der vorgesehenen Art ganz unterbleibt.

Das dem Betriebsrat nach Maßgabe des § 99 BetrVG eingeräumte Zustimmungsverweigerungsrecht dient in erster Linie dem Schutz kollektiver Interessen der Belegschaft, mittelbar aber auch dem Individualschutz der Arbeitnehmer. Geschützt werden sollen die Betroffenen vor den nachteiligen Folgen personeller Maßnahmen, die sie selbst nicht abschätzen oder vermeiden können. Dies gilt auch für die Einstellung im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.

b) Hiervon ausgehend ist ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG bei Einstellungen immer dann gegeben, wenn die tatsächliche Beschäftigung durch die Verbotsnorm aus Gründen des kollektiven oder individuellen Arbeitnehmerschutzes verhindert werden soll. In Betracht kommen etwa Normen, mit denen - im weitesten Sinne - Gesundheitsgefahren für die Beschäftigten selbst oder auch für Dritte ausgeschlossen werden sollen - so die Beschäftigung von Jugendlichen, schwangeren Frauen, gesundheitsbeeinträchtigten Arbeitnehmern auf bestimmten besonders belastenden Arbeitsplätzen. Das Verbot der Beschäftigung kann auch arbeitsmarktpolitische oder sozialpolitische Ziele verfolgen. So hat der Senat ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats angenommen bei der Einstellung eines Leiharbeitnehmers, die von vornherein auf einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten beabsichtigt war und deshalb gegen Art. 1 § 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG verstieß (BAGE 59, 380 = AP Nr. 60 zu § 99 BetrVG 1972). Das gleiche gilt bei der Einstellung eines Arbeitnehmers ohne die nach § 19 AFG erforderliche Arbeitserlaubnis (Senatsbeschluß vom 22. Januar 1991 - 1 ABR 18/90 - AP Nr. 86 zu § 99 BetrVG 1972).

Ein Einstellungsverbot kann sich weiter aus einer gesetzlichen Regelung ableiten, die zugunsten besonders schutzbedürftiger dritter Personen ein bestimmtes Auswahlverfahren bei der Besetzung von Arbeitsplätzen verlangt. Als Schutznorm in diesem Sinne hat der Senat § 14 Abs. 1 Satz 1 SchwbG angesehen und angenommen, daß der Betriebsrat seine Zustimmung zu einer Einstellung verweigern kann, wenn der Arbeitgeber nicht geprüft hat, ob der freie Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer besetzt werden könnte (BAGE 63, 226 = AP Nr. 77 zu § 99 BetrVG 1972). Ein tarifliches Verbot der Beschäftigung lag der Entscheidung vom 28. Januar 1992 (- 1 ABR 45/91 - AP Nr. 95 zu § 99 BetrVG 1972) zugrunde. Unzulässig war danach die Beschäftigung mit einer Arbeitszeit unterhalb einer wöchentlichen Mindestarbeitszeit von 20 Stunden. Der Senat hat diese Regelung dahin verstanden, daß die Tarifvertragsparteien eine so geringfügige Beschäftigung von Arbeitnehmern ganz untersagen wollten.

c) Bei der Auslegung des § 99 BetrVG ist zu berücksichtigen, daß die Vorschrift dem Betriebsrat nur die Möglichkeit gibt, der Einstellung in der vom Arbeitgeber beabsichtigten Form zuzustimmen oder die Zustimmung insgesamt zu verweigern. Er kann hingegen nicht die Einstellung zu anderen - normgemäßen - Bedingungen durchsetzen. Insoweit steht ihm nur ein negatives Mitgestaltungsrecht zu. Dieser "Rigorismus der Rechtsfolgen des § 99 BetrVG" (Kohte, AuR 1986, 188, 191) gebietet eine differenzierende Betrachtung von Normverstößen. Eine Zustimmungsverweigerung ist danach nicht bei jedem Verstoß gerechtfertigt, sondern erst dann, wenn der Normzweck nur dadurch erreicht werden kann, daß die Einstellung insgesamt unterbleibt.

Verbietet also einerseits ein Tarifvertrag den Abschluß von Arbeitsverträgen mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 20 Stunden, hat andererseits der Betriebsrat aber keine Möglichkeit, eine Beschäftigung mit mindestens 20 Stunden durchzusetzen, kann die Verletzung der tariflichen Norm nur dadurch ausgeschlossen werden, daß die Beschäftigung ganz unterbleibt. Deshalb hat der Senat dem Betriebsrat insoweit ein entsprechendes Zustimmungsverweigerungsrecht zugestanden (Senatsbeschluß vom 28. Januar 1992 - 1 ABR 45/91 - AP Nr. 95 zu § 99 BetrVG 1972). Anders hat der Senat Befristungsabreden beurteilt (Beschluß vom 20. Juni 1978 - 1 ABR 65/75 - AP Nr. 8 zu § 99 BetrVG 1972; entsprechend BAGE 49, 180 = AP Nr. 21 zu § 99 BetrVG 1972). Verstoßen diese gegen den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz, daß die Befristung eines Arbeitsverhältnisses eines sachlichen Grundes bedarf, so liegt darin kein Normenverstoß, der nur dadurch verhindert werden könnte, daß die Einstellung des Arbeitnehmers gänzlich unterbleibt. Nach dem Normzweck ist nicht die Beschäftigung als solche untersagt, sondern nur die vereinbarte Beendigung durch Zeitablauf. Dieser Normzweck wird durch die Einstellung nicht vereitelt, weil die unzulässige Befristungsabrede unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis unbefristet zustande kommt. Es ist hier also nicht erforderlich, die Einstellung ganz zu untersagen.

2. § 2 Abs. 6 MTV ist keine Norm, die eine Beschäftigung im Rahmen eines unzulässig befristeten Arbeitsverhältnisses generell untersagt oder deren Schutzzweck nur realisiert werden kann, indem die Einstellung bei tarifwidriger Befristung ganz unterbleibt.

a) Eine so weitgehende Rechtsfolge käme nur in Betracht, wenn etwa im Sinne einer "Absperrtechnik" verhindert werden sollte, daß Arbeitnehmer überhaupt aufgrund unzulässig befristeter Arbeitsverträge in den Betrieb aufgenommen werden sollten, um etwa der Gefahr einer Aufteilung der Belegschaft in eine Stamm- und eine Randbelegschaft sowie der Gefahr eines möglicherweise damit verbundenen Unterbietungswettbewerbs zu begegnen (vgl. Mayer, BlStSozArbR 1985, 225, 228; Kohte, BB 1986, 397, 406; ders., AuR 1986, 188, 192; Wenning-Morgenthaler, BB 1989, 1050, 1053; andererseits BAG Urteil vom 27. April 1988 - 7 AZR 593/87 - AP Nr. 4 zu § 1 BeschFG 1985, zu I 2 b der Gründe, zu der vergleichbaren Befristungsregelung in Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr. 1 SR 2 y BAT). Ein so weitgehender Normzweck ist jedoch entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts § 2 Abs. 6 MTV nicht zu entnehmen. Die Vorschrift will zum Schutze des einzelnen Arbeitnehmers die Wirksamkeit einer Befristungsabrede vom Vorliegen eines sachlichen Grundes abhängig machen. Ihr Ziel ist hingegen nicht eine Beschränkung der Organisationsgewalt des Arbeitgebers im Hinblick auf eine bestimmte Zusammensetzung der Belegschaft (so auch BAG Urteil vom 27. April 1988, aaO). Dies ergibt eine Auslegung der Tarifnorm.

Ihr Wortlaut ist allerdings nicht eindeutig. Wenn der Abschluß eines befristeten Arbeitsvertrages "nur zulässig" ist bei Vorliegen eines sachlichen Grundes, kann dies sowohl im Sinne eines Verbots befristeter Verträge überhaupt als auch nur im Sinne einer Unzulässigkeit unbegründeter Befristungsabreden verstanden werden. Immerhin wird der Abschluß von befristeten Arbeitsverträgen nicht schlechthin untersagt. Die tarifliche Regelung knüpft vielmehr erkennbar an die von der Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Befristungen entwickelten Grundsätze an. Danach sind Befristungen unzulässig, wenn sie als Gestaltungsmittel objektiv funktionswidrig verwendet werden. Dies ist anzunehmen, wenn dem Arbeitnehmer der durch Kündigungsschutzbestimmungen im weitesten Sinne gewährleistete Bestandsschutz seines Arbeitsverhältnisses ohne sachlichen Grund entzogen wird. Maßgebender Beurteilungszeitpunkt ist der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Fehlt es an einem sachlichen Grund, führt dies nicht zur Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages insgesamt, sondern nur zur Unwirksamkeit der Befristungsabrede mit der Folge, daß der Arbeitsvertrag als unbefristet abgeschlossen gilt (ständige Rechtsprechung seit BAGE 10, 65 = AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag).

Dem entspricht die hier zu beurteilende Tarifnorm, wenn sie gleichfalls auf den sachlichen Grund und den Vertragsabschluß als maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt abstellt. Zwar ist sie nicht nur als deklaratorische Verweisung auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze anzusehen, sondern als eigenständige Regelung. Dies spricht aber noch nicht für einen weitergehenden Schutzzweck der Norm. Die deutliche Anlehnung an die Grundsätze der Rechtsprechung belegt vielmehr, daß die Tarifvertragsparteien mit dieser Bestimmung in typischer Weise den Arbeitnehmer vor einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch bloßen Zeitablauf schützen wollten. Sie läßt hingegen nicht erkennen, daß die Tarifvertragsparteien gezielt auf die Zusammensetzung der Belegschaft einwirken wollten (so auch für die vergleichbare tarifliche Regelung in Protokollnotiz Nr. 1 zu Nr.1 SR 2 y BAT, BAG Urteil vom 27. April 1988 - 7 AZR 593/87 - AP Nr. 4 zu § 1 BeschFG 1985, zu I 2 b der Gründe). Hätten sie ein solches Ziel verfolgt, hätten sie dies deutlich zum Ausdruck bringen müssen. Wenn Tarifvertragsparteien rechtstechnisch geprägte Begriffe verwenden, ist davon auszugehen, daß sie diese in ihrer geläufigen Bedeutung verstehen (vgl. etwa BAG Urteil vom 25. November 1992 - 7 AZR 191/92 - AP Nr. 150 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu I 2 der Gründe).

b) Liegt aber der Zweck von § 2 Abs. 6 MTV allein im Schutz des einzustellenden Arbeitnehmers vor einer unsachgemäßen Befristungsabrede, muß die Einstellung nicht ganz untersagt werden. Der Zweck der Regelung wird schon dadurch gesichert, daß die entsprechende Vertragsabrede unwirksam ist und der Arbeitsvertrag als unbefristet zustande gekommen gilt. Die Aufnahme der Beschäftigung verfestigt den im Abschluß des Vertrages liegenden Normverstoß nicht. Hingegen würde der Normzweck verfehlt, wenn mit überschießender Wirkung die Beschäftigung gänzlich untersagt würde, was im Rahmen des § 99 Abs. 2 BetrVG allein in Betracht käme.

Daß der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Befristung gegenüber dem Arbeitgeber selbst geltend machen muß, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Er ist insoweit nicht anders gestellt als bei Verfolgung jeder sonstigen individualrechtlichen Schutzvorschrift. Es ist nicht Aufgabe des Betriebsrats, stellvertretend für den Arbeitnehmer dessen Rechte gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen. Ihm bleibt gemäß § 80 BetrVG die Möglichkeit, die Einhaltung der tariflichen Vorschriften zu überwachen, den Arbeitgeber auf festgestellte Verstöße hinzuweisen und auf deren Abhilfe zu dringen.

Dr. Dieterich Dr. Wißmann Dr. Rost

Dr. Bartelt Brunner

 

Fundstellen

Haufe-Index 436985

BAGE 00, 00

BAGE, 165

DB 1995, 326-327 (LT1-2)

DStR 1995, 228 (T)

AiB 1995, 122-125 (LT1-2)

BetrVG, (37) (LT1-2)

WiB 1995, 253-254 (LT)

ARST 1995, 73-75 (LT1-2)

NZA 1995, 387

NZA 1995, 387-390 (LT1-2)

AP § 99 BetrVG 1972 Einstellung (LT1-2), Nr 4

AR-Blattei, ES 530.14.3 Nr 149 (LT1-2)

EzA § 99 BetrVG 1972, Nr 123 (LT1-2)

MDR 1995, 937-938 (LT)

PersF 1995, 526-527 (T)

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