Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsorglicher Sozialplan für hypothetische Betriebsänderung

 

Leitsatz (amtlich)

  • Betriebsrat und Arbeitgeber können für noch nicht geplante, aber in groben Umrissen schon abschätzbare Betriebsänderungen einen Sozialplan in Form einer freiwilligen Betriebsvereinbarung aufstellen. Darin liegt noch kein (unzulässiger) Verzicht auf künftige Mitbestimmungsrechte.
  • Soweit ein solcher vorsorglicher Sozialplan wirksame Regelungen enthält, ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 112 BetrVG verbraucht, falls eine entsprechende Betriebsänderung später tatsächlich vorgenommen wird.
 

Normenkette

BetrVG §§ 111-112, 76

 

Verfahrensgang

LAG München (Beschluss vom 14.11.1996; Aktenzeichen 4 TaBV 67/95)

ArbG München (Beschluss vom 24.08.1995; Aktenzeichen 11 BV 179/95)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Konkursverwalters gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts München vom 14. November 1996 – 4 TaBV 67/95 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat wegen der Stillegung des Betriebs vom Konkursverwalter den Abschluß eines Sozialplans verlangen kann.

Die Gemeinschuldnerin unterhielt in München einen Betrieb, in dem Verpackungsmaterialien hergestellt wurden. Sie firmierte ursprünglich als M… Papierwerke GmbH. Ausweislich der Bilanz für 1992 war die Gesellschaft überschuldet. Das Betriebsgrundstück stand im Eigentum einer Gesellschaft, deren Gesellschafter mit denen der Gemeinschuldnerin identisch waren.

Angesichts dieser Lage plante die Gemeinschuldnerin Anfang 1993, die zweite Schicht im Kunststoffbereich entfallen zu lassen. Dies sollte zu einer Reduzierung der Belegschaft führen. Von 115 Arbeitnehmern, die Ende Februar 1993 noch beschäftigt waren, sollten bis zu 14 Arbeitnehmer entlassen werden. Für die Folgezeit wurde ein weiterer Personalabbau ins Auge gefaßt. Wegen der bevorstehenden Entlassungen schlug die Arbeitgeberin dem Betriebsrat im Februar 1993 den Abschluß eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans vor. Da über die Höhe der Abfindungen keine Einigung erzielt werden konnte, wurde eine Einigungsstelle gebildet, die im Frühjahr 1993 mehrmals tagte. Zu den weiter geplanten Maßnahmen heißt es im Protokoll der Einigungsstellensitzung vom 18. Mai 1993:

“…

2. Sodann werden ausgiebig die Möglichkeiten erörtert, die Firma am Leben zu erhalten. Dabei stehen als Optionen der Verkauf des Geländes und die Suche nach einem Teilhaber im Vordergrund. Die Aufstellung eines Sozialplans könne die Beurteilung der finanziellen Lage des Unternehmens und dadurch auch die Entscheidung eines an einer Teilhaberschaft Interessierten erleichtern. …

4. Die Zielsetzung des Arbeitgebers stellt sich etwa folgendermaßen dar: Der Arbeitgeber will für eine überschaubare Phase, etwa bis Ende 1994, freie Hand haben, den Betrieb gesund zu schrumpfen, allerdings nicht jeden, der gehen will, gehen lassen müssen.

…”

Der angesprochene Verkauf des Betriebsgrundstücks durch die Schwestergesellschaft stand im Zusammenhang mit Überlegungen, den Betrieb ins Umland von München oder ins Elsaß zu verlegen.

Am 19. Juli 1993 wurde für den Betrieb durch einstimmigen Spruch der Einigungsstelle ein Sozialplan aufgestellt, in dem u.a. folgendes bestimmt ist:

“1. Dieser Sozialplan … gilt für die Fälle einer Personalreduzierung infolge einer Einschränkung der Produktion oder der Stillegung des Betriebes oder eines wesentlichen Betriebsteiles. Er gilt auch für einen Umzug des Betriebes über mehr als 100 Kilometer Luftlinie. …

2. Dieser Sozialplan tritt sofort in Kraft. Er tritt am 31.12.1994 außer Kraft. Er wirkt nicht nach. Er kann nicht gekündigt werden.

3. Wem durch die Firma M… bis spätestens 31.12.1994 aus betrieblichen Gründen gekündigt wird, der erwirbt dadurch einen Anspruch auf eine nach diesem Sozialplan zu berechnende Abfindung. Maßgebend für die Anwendung dieses Sozialplans ist der Tag des Zugangs der Kündigung, nicht das Ende der Kündigungsfrist.

9. Sobald sich abzeichnet, daß die Betriebsänderung, deren Durchführung Grundlage dieses Sozialplans ist, am 31.12.1994 noch nicht abgeschlossen ist, oder daß nach dem 31.12.1994 eine weitere Betriebsänderung vorgenommen werden soll, wird rechtzeitig das Verfahren nach §§ 111 ff. BetrVG durchgeführt werden.

10. Der Arbeitgeber verpflichtet sich, den Betriebsrat über die Entwicklung der betrieblichen Planungen hinsichtlich einer Stillegung oder einer Verlegung so früh wie möglich zu informieren und jeweils mit ihm darüber zu beraten.”

Wie die Beteiligten in der mündlichen Anhörung vor dem Senat übereinstimmend erklärt haben, ist die Möglichkeit einer Stillegung des ganzen Betriebes nur wegen der erwogenen Verlegung ins Elsaß in den Sozialplan einbezogen worden. In diesem Fall hätte nämlich der Standort München aufgegeben werden müssen. Auch hätte die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz ins Elsaß verlegen müssen, was die Liquidation der GmbH und die Neugründung einer Gesellschaft französischen Rechts erfordert hätte.

Ende Juni 1994 wurde das Betriebsgrundstück in München an die Stadt verkauft und dabei die Verpflichtung übernommen, es bis zum Jahresende zu räumen. Am 1. September 1994 beantragte die Gemeinschuldnerin die Eröffnung des Vergleichsverfahrens. Ende Oktober 1994 kündigte sie allen Arbeitnehmern fristgemäß. Zum 30. November 1994 wurde der Betrieb stillgelegt. Am 15. Dezember 1994 wurde das Anschlußkonkursverfahren eröffnet. Der Antragsteller wurde zum Konkursverwalter bestellt.

Mit Schreiben vom 30. März 1995 kündigte der Betriebsrat den Sozialplan fristlos und forderte den Konkursverwalter zu Verhandlungen über einen neuen Sozialplan auf. Der Konkursverwalter weigerte sich. Das Arbeitsgericht bestellte auf Antrag des Betriebsrats einen Einigungsstellenvorsitzenden und bestimmte die Zahl der Beisitzer. Die Einigungsstelle hielt am 29. November 1995 ihre erste Sitzung ab.

Der Konkursverwalter hat die Auffassung vertreten, der Betriebsrat könne nicht verlangen, daß wegen der Betriebsstillegung der Sozialplan von 1993 geändert oder gar ein neuer Sozialplan abgeschlossen werde. Sein insoweit bestehendes Mitbestimmungsrecht habe der Betriebsrat bereits ausgeübt. Der Sozialplan 1993 sei auch auf die Betriebsstillegung anwendbar, denn sie sei während seiner Laufzeit erfolgt.

Wegen der Konkurseröffnung und der daraus folgenden Beschränkung der Abfindungsansprüche auf die Konkursquote sei nicht etwa die Geschäftsgrundlage entfallen. Bereits beim Abschluß des Sozialplans sei für die Betriebsparteien erkennbar gewesen, daß dessen Volumen von ca. 1,6 Mio DM die finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens übersteige. Dem Betriebsrat sei die Überschuldung des Unternehmens bekannt gewesen.

Der Konkursverwalter hat beantragt

festzustellen, daß der Betriebsrat nicht berechtigt sei, den Abschluß eines neuen Sozialplans oder die Abänderung des Sozialplans vom 19. Juli 1993 zu verlangen und zur Durchsetzung dieses Verlangens einen verbindlichen Spruch der Einigungsstelle herbeizuführen.

Der Betriebsrat hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Nach seiner Meinung ist der Antrag des Konkursverwalters bereits unzulässig. Ein Tätigwerden der Einigungsstelle könne nicht vorbeugend unterbunden werden. Die Gerichte seien auf die nachträgliche Kontrolle von Einigungsstellensprüchen beschränkt.

Darüber hinaus sei der Antrag unbegründet, weil die Geschäftsgrundlage des Sozialplans 1993 durch die Konkurseröffnung entfallen sei. Beim Abschluß des Sozialplans sei der Konkursfall nicht Regelungsgegenstand gewesen. Im Gegenteil habe der Sozialplan gerade dazu beitragen sollen, den Bestand des Unternehmens mit einer reduzierten Belegschaft und erforderlichenfalls an einem anderen Standort zu sichern. Arbeitgeberin und Betriebsrat seien davon ausgegangen, daß der Sozialplan unter Einbeziehung des Betriebsgrundstücks finanzierbar sei.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Konkursverwalters abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Konkursverwalters hat das Landesarbeitsgericht mit der Begründung zurückgewiesen, die Betriebsstillegung werde zwar vom Sozialplan 1993 erfaßt; dessen Geschäftsgrundlage sei aber entfallen, weil die Abfindungsansprüche der entlassenen Arbeitnehmer nun nur noch mit einer Konkursquote von rund 16 % befriedigt werden könnten. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Konkursverwalter seinen Antrag weiter. Der Betriebsrat bittet, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

B. Die Rechtsbeschwerde war zurückzuweisen. Der Antrag des Konkursverwalters ist zwar zulässig, aber unbegründet. Das hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt.

I. Der Antrag ist zulässig.

1. Er bedarf allerdings der einschränkenden Auslegung. Wie sich aus dem gesamten Vorbringen des Konkursverwalters ergibt, geht es ihm trotz der insoweit unklaren Antragsfassung nur um die Feststellung, daß der Betriebsrat hinsichtlich der zum 30. November 1994 vorgenommenen Stillegung des Betriebs keine neue Sozialplanregelung verlangen kann. Nur insoweit nimmt der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 112 BetrVG in Anspruch. Soweit im Antrag die Durchsetzung eines Sozialplans mit Hilfe der Einigungsstelle erwähnt ist, hat dies für die Bestimmung des Streitgegenstands keine Bedeutung, da auf diese Weise lediglich ein Teil des vom Betriebsrat beanspruchten und vom Konkursverwalter bestrittenen Mitbestimmungsrechts umschrieben wird.

2. Für diesen Antrag besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann der Streit über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts mit einem Feststellungsantrag zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden. Dies gilt auch für den Antrag eines Konkursverwalters auf Feststellung, daß der Betriebsrat nicht berechtigt sei, die Aufstellung eines Sozialplans zu erzwingen (Senatsbeschluß vom 4. Juli 1989 – 1 ABR 35/88 – AP Nr. 27 zu § 111 BetrVG 1972, zu B I der Gründe).

Entgegen der Auffassung des Betriebsrats scheitert die Zulässigkeit des Antrags nicht daran, daß er einen Gegenstand betrifft, über den sich die Beteiligten vor der Einigungsstelle auseinandersetzen. Ein derartiges Vorabentscheidungsverfahren über umstrittene Mitbestimmungsrechte wird vom Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung zugelassen (z.B. Beschluß vom 2. April 1996 – 1 ABR 47/95 – AP Nr. 5 zu § 87 BetrVG 1972 Gesundheitsschutz, zu B II 1a der Gründe; BAGE 62, 1, 4 ff. = AP Nr. 3 zu § 98 ArbGG 1979, zu B I 2b der Gründe). Die Literatur ist dem fast einhellig gefolgt (Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 76 Rz 93; GK-BetrVG/Kreutz, 5. Aufl., § 76 Rz 94, jeweils m.w.N.).

II. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die Stillegung des Betriebs ist nach § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG eine Betriebsänderung, für welche der Betriebsrat nach § 112 BetrVG – notfalls durch Anrufung der Einigungsstelle – einen Sozialplan durchsetzen kann. Davon gehen im Ansatz auch die Beteiligten aus. Dem Mitbestimmungsrecht nach § 112 BetrVG steht hier nicht entgegen, daß der Betrieb längst stillgelegt ist. Ein Sozialplan kann auch für bereits durchgeführte Betriebsänderungen durchgesetzt werden (Senatsbeschluß vom 9. Mai 1995 – 1 ABR 51/94 – AP Nr. 33 zu § 111 BetrVG 1972, zu B I 1 der Gründe). Das Mitbestimmungsrecht ist auch nicht durch den Sozialplan 1993 verbraucht. Das ergibt sich freilich nicht etwa daraus, daß es sich insoweit nur um eine freiwillige Betriebsvereinbarung handelt (1.). Auch ein vorsorglicher Sozialplan kann den Betriebsrat binden (2.). Die hier vorliegende Betriebsstillegung wird indessen vom Sozialplan 1993 nicht erfaßt (3.).

1. Der Sozialplan 1993 war in seinem hier interessierenden Teil nicht erzwingbar nach § 112 BetrVG.

a) Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 112 BetrVG knüpft an die jeweilige konkrete Betriebsänderung an. Nur für diese kann der Betriebsrat einen Sozialplan durchsetzen. Dagegen kann er für möglicherweise künftig einmal anfallende, aber noch nicht geplante Betriebsänderungen einen Sozialplan nicht verlangen (BAGE 44, 260, 265 = AP Nr. 10 zu § 113 BetrVG 1972, zu 1 der Gründe; Urteil vom 25. Oktober 1983 – 1 AZR 225/82 –, n.v.).

Die Voraussetzungen für die Aufstellung eines Sozialplans nach § 112 BetrVG lagen hier nur vor, soweit die Arbeitgeberin im Juli 1993 bereits Betriebseinschränkungen und eine Reduzierung des Personals beabsichtigte, z.B. durch Abschaffung der zweiten Schicht im Kunststoffbereich. Zusätzliche Betriebsänderungen, wie ein weiterer Personalabbau im Verlauf der folgenden anderthalb Jahre zum Zwecke des “Gesundschrumpfens”, die Verlegung des Betriebs ins Umland oder ins Elsaß oder seine völlige Stillegung wurden in diesem Zeitpunkt zwar neben anderen Maßnahmen für möglich angesehen, waren aber von der Arbeitgeberin noch nicht beabsichtigt. Dies ergibt sich auch aus Nr. 9 und 10 des Sozialplans 1993, die auf der Annahme beruhen, daß sich während seiner Laufzeit die Notwendigkeit weiterer Betriebsänderungen ergeben könnte, für welche dann erst die Beteiligungsrechte des Betriebsrates nach den §§ 111 ff. BetrVG entstanden wären. Ausdrücklich sind in Nr. 10 des Sozialplans 1993 die Verlegung und die Stillegung des Betriebs als Fälle genannt, für die Informations- und Beratungsrechte des Betriebsrates erst künftig in Betracht kommen sollten, die also bei Abschluß des Sozialplanes noch nicht beabsichtigt waren.

b) Insoweit enthält der Sozialplan 1993 Regelungen in Form einer freiwilligen Betriebsvereinbarung.

aa) Derartige vorsorgliche Sozialpläne können zwar nicht nach § 112 Abs. 4 BetrVG erzwungen werden, sind aber nach herrschender Meinung im Schrifttum zulässig (Däubler in Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 5. Aufl., §§ 112, 112a Rz 130; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., §§ 112, 112a Rz 27; GK-BetrVG/Fabricius, 5. Aufl., §§ 112, 112a Rz 26; Löwisch, BetrVG, 4. Aufl., § 112 Rz 31; MünchArbR/Matthes, § 354 Rz 7). Auch das Bundesarbeitsgericht hat vorsorgliche Sozialpläne in mehreren Entscheidungen beiläufig für möglich gehalten, ohne daß dabei allerdings die Frage ihrer Zulässigkeit ausdrücklich erörtert worden wäre (Urteil vom 25. Oktober 1983 – 1 AZR 225/82 –, n.v.; BAGE 44, 260, 265 = AP Nr. 10 zu § 113 BetrVG 1972, zu 1 der Gründe; BAGE 77, 313, 325 = AP Nr. 86 zu § 112 BetrVG 1972, zu B II 3b aa der Gründe).

Gegen die herrschende Meinung wird allerdings von Röder/Baeck (Interessenausgleich und Sozialplan, 2. Aufl. 1997, S. 126 Fußn. 494) eingewandt, für den Bereich der §§ 111 ff. BetrVG fehle eine Ermächtigung zum Abschluß freiwilliger Betriebsvereinbarungen. Dieser Einwand überzeugt nicht. Die umfassende Regelungskompetenz der Betriebsparteien in sozialen Angelegenheiten, die in § 77 Abs. 3 und § 88 BetrVG zum Ausdruck kommt (BAGE 63, 211, 216 = AP Nr. 46 zu § 77 BetrVG 1972, zu C I 2 der Gründe), erstreckt sich auch auf die Befugnis zum Abschluß freiwilliger Sozialpläne. Die Grenzen zwischen den im Betriebsverfassungsgesetz so bezeichneten sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten sind fließend (BAGE 63, 211, 216 = AP, aaO). Das zeigt sich gerade am Beispiel des Sozialplans, der die sozialen Belange der von einer wirtschaftlichen Entscheidung des Unternehmens betroffenen Arbeitnehmer wahren soll. Einer ausdrücklichen Ermächtigung zum Abschluß freiwilliger Betriebsvereinbarungen für den Bereich der §§ 112 ff. BetrVG bedarf es daher nicht. Die Systematik der Gliederung des Gesetzes in Abschnitte über soziale, personelle und wirtschaftliche Angelegenheiten hat nicht den Zweck und die Bedeutung, eine abgestufte Regelungskompetenz der Betriebspartner zum Ausdruck zu bringen.

bb) Der Annahme einer freiwilligen Regelung steht hier nicht entgegen, daß der Sozialplan 1993 von einer Einigungsstelle aufgestellt wurde. Zwar kann die Einigungsstelle in Fällen, in denen die Voraussetzungen für einen erzwingbaren Sozialplan fehlen, nicht nach § 112 Abs. 4 BetrVG die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen. Das hat sie aber auch nicht getan. Vielmehr liegt eine Entscheidung im freiwilligen Einigungsstellenverfahren nach § 76 Abs. 6 BetrVG vor. Die nach dieser Vorschrift erforderliche Annahme des Spruchs, für die es nach allgemeiner Meinung keine Formerfordernisse gibt (z.B. Berg in Däubler/Kittner/Klebe, aaO, § 76 Rz 13; GK-BetrVG/Kreutz, § 76 Rz 103), ist hier zumindest konkludent erfolgt. Über den Sozialplan 1993 konnte in der Einigungsstelle Übereinstimmung zwischen beiden Seiten erzielt werden. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Arbeitgeberin oder der Betriebsrat mit dem Ergebnis im Grunde nicht einverstanden gewesen wären. Für den Bestand einer Regelung als freiwillige Betriebsvereinbarung kann es nicht darauf ankommen, ob die Betriebsparteien sie allein oder im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens zustande gebracht haben.

2. Auch ein freiwilliger Sozialplan kann das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verbrauchen, soweit das von den Betriebspartnern gewollt ist. Betriebsrat und Arbeitgeber binden sich dann durch die freiwillige Betriebsvereinbarung auch für künftige Regelungstatbestände.

a) Allerdings ist nicht zu verkennen, daß ein vorsorglicher Sozialplan unter besonderen rechtlichen Voraussetzungen, nämlich nicht in Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach § 112 BetrVG zustande kommt. Weil bei seinem Abschluß noch keine Betriebsänderung geplant ist, könnte der Betriebsrat den Sozialplan nicht erzwingen. Dieser Umstand steht indessen nicht von vornherein gegen die Möglichkeit des Betriebsrats, sich durch einen freiwilligen Sozialplan zu binden. Das ergibt sich aus dem Zweck des § 112 BetrVG, der durch Einräumung eines Mitbestimmungsrechts sicherstellen soll, daß der Betriebsrat das Interesse der Arbeitnehmer an einem angemessenen Ausgleich der mit der Betriebsänderung verbundenen Nachteile wirksam zur Geltung bringen kann. Auch mit einem vorsorglichen Sozialplan läßt sich dieser Zweck erfüllen. Dadurch, daß der Betriebsrat – noch – nicht über das Mitbestimmungsrecht nach § 112 BetrVG verfügt, muß seine Position nicht geschwächt sein. Der Betriebsrat ist nämlich nicht gezwungen, sich bereits vor der konkreten Planung einer Betriebsänderung auf einen vorsorglichen Sozialplan einzulassen und entsprechende Vorschläge des Arbeitgebers zu akzeptieren, wenn sie ihm unangemessen erscheinen. Im Gegenteil wird ein vorsorglicher Sozialplan sogar eher auf Veranlassung des Betriebsrats zustande kommen, weil dieser “in guten Zeiten” eine günstige Gelegenheit für eine Regelung sieht, die später, wenn die konkrete Betriebsänderung bevorsteht, möglicherweise so nicht mehr zu erreichen wäre. Das damit auch für die Arbeitnehmerseite verbundenen Risiko, das sich im vorliegenden Fall in Form der Insolvenz verwirklicht hat, kann der Betriebsrat dadurch begrenzen, daß er den Sozialplan nur für Entwicklungen akzeptiert, die er glaubt überblicken zu können. Der Anreiz für den Arbeitgeber, sich auf einen freiwilligen Sozialplan einzulassen, kann darin liegen, daß dadurch künftige Kosten früher kalkulierbar werden. Das hat auch hier eine Rolle gespielt. Schließlich können Arbeitgeber und Betriebsrat deshalb an vorsorglichen Regelungen interessiert sein, weil sie auf diese Weise in Grenzfällen zu erwartende Auseinandersetzungen über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts vorbeugend vermeiden.

b) Gegen die mögliche Sperrwirkung eines vorsorglichen Sozialplans wird allerdings von einem erheblichen Teil der Literatur unter Berufung auf das Senatsurteil vom 29. November 1983 (BAGE 44, 260, 265 = AP Nr. 10 zu § 113 BetrVG 1972, zu 1 der Gründe) eingewandt, sie führe zu einem unzulässigen Verzicht auf künftige Mitbestimmungsrechte (Däubler in Däubler/Kittner/Klebe, aaO, §§ 112, 112a Rz 131; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 112 Rz 23a; Löwisch, aaO, § 112 Rz 31; Rumpff/Boewer, Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten, 3. Aufl. 1990, Kap. I Rz 78 f.; Däubler, NZA 1985, 545, 546 f.; im Ergebnis ebenso, aber ohne Begründung, Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, §§ 112, 112a Rz 27). Die Bedenken greifen in dieser Allgemeinheit nicht durch (MünchArbR/Matthes, § 354 Rz 7; Röder/Baeck, aaO, S. 127), verweisen aber zutreffend auf die Grenzen der Sperrwirkung vorsorglicher Sozialpläne.

aa) Das erwähnte Urteil betraf ein spezielles Problem. Der Senat entschied, daß ein für ein Jahr abgeschlossener und mit einer Verlängerungsklausel versehener Sozialplan, der für alle aus betrieblichen Gründen entlassenen Arbeitnehmer Abfindungszahlungen vorsieht, den Arbeitgeber nicht seiner gesetzlichen Pflicht enthebt, bei künftigen Betriebsänderungen jeweils mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich zu versuchen. Durch die Vereinbarung eines Sozialplans, der alle künftigen, bei seiner Aufstellung noch gar nicht absehbaren Betriebsänderungen erfaßt, kann der Betriebsrat nicht von vornherein sein Einverständnis mit allen diesen nach Art und Ausmaß noch völlig ungewissen Betriebsänderungen geben. Das liefe nämlich darauf hinaus, daß der Betriebsrat auf seine Beteiligungsrechte hinsichtlich künftiger Interessenausgleiche verzichtet. Ein solcher Verzicht ist aber nicht möglich.

Diese Gesichtspunkte gelten nicht in gleicher Schärfe für den Abschluß von Sozialplänen. Der Interessenausgleich ist seiner Natur nach auf den Einzelfall bezogen, denn durch ihn soll der Betriebsrat Einfluß auf die Gestaltung der konkreten Betriebsänderung nehmen können. Dies schließt vorweggenommene Regelungen für künftige, in ihren Einzelheiten noch nicht absehbare Maßnahmen aus. In der vorweggenommenen Regelung läge in Wirklichkeit ein Verzicht auf die Mitgestaltung der künftigen Betriebsänderung.

Im Unterschied dazu geht es bei Sozialplänen um die Festlegung von Ansprüchen der Arbeitnehmer für den Fall, daß sie infolge einer Betriebsänderung bestimmte Nachteile erleiden, z.B. entlassen werden. Dieser Gegenstand ist einer abstrakt-generell auf künftige Fälle bezogenen Regelung zugänglich, die von den besonderen Umständen der einzelnen Betriebsänderung unabhängig ist. Die Regelung kann sowohl die von ihr erfaßten Betriebsänderungen als auch die vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen abstrakt umschreiben. Dies zeigen die tariflichen Rationalisierungsschutzabkommen, deren Inhalt oft den Charakter eines Sozialplans hat. Der Zeitfaktor – Abschluß einer Betriebsvereinbarung in einem Zeitpunkt, in dem sich das “Ob” und das “Wie” einer Betriebsänderung noch nicht konkretisieren lassen – mindert hier die Einflußmöglichkeiten des Betriebsrats nicht. Mit der Aufstellung eines vorsorglichen Sozialplans verzichtet der Betriebsrat nicht auf Beteiligungsrechte, sondern nimmt ihre Ausübung vorweg. Das hiergegen von Däubler (NZA 1985, 545, 546) angeführte Argument, auch der Sozialplan müsse einzelfallbezogen gestaltet werden, wie die in § 112 Abs. 5 BetrVG für die Einigungsstelle enthaltenen Vorgaben zeigten, überzeugt nicht. Die in dieser Vorschrift normierten Vorgaben gelten nicht für die von den Betriebsparteien einverständlich abgeschlossenen Sozialpläne; hier bestehen weitere Regelungsspielräume (Däubler in Däubler/Kittner/Klebe, aaO, §§ 112, 112a Rz 64; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, §§ 112, 112a Rz 50). Auch dem Hinweis von Däubler (NZA 1985, 545, 546) auf die Gefahr einer Veränderung der Verhältnisse zwischen dem Abschluß des Sozialplans und dem Eintritt der Betriebsänderung kommt kein entscheidendes Gewicht zu, weil bei wesentlichen Änderungen die Möglichkeit besteht, den Sozialplan wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage anzupassen.

Im übrigen ist es zulässig und nicht unüblich, daß ein Mitbestimmungsrecht im Vorgriff auf denkbare künftige Fälle ausgeübt wird. So ist es anerkannt, daß Betriebsrat und Arbeitgeber vorsorgliche Regelungen für den noch ungewissen Fall treffen können, daß Überstunden erforderlich werden sollten, deren Anordnung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt (Senatsbeschluß vom 10. März 1992 – 1 ABR 31/91 – AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Regelungsabrede, zu B I 2a der Gründe; Senatsbeschluß vom 12. Januar 1988 – 1 ABR 54/86 – AP Nr. 8 zu § 81 ArbGG 1979, zu B II 2 der Gründe). Auch insoweit liegt in der Vorwegnahme einer Regelung für im einzelnen noch nicht absehbare Fälle kein Verzicht auf die Mitbestimmung.

Schließlich ist zu berücksichtigen, daß vorsorgliche Sozialpläne nur dann ein für die betriebliche Praxis brauchbares Instrument sind, wenn sie beide Parteien binden können. Bestünde lediglich die Möglichkeit, den Arbeitgeber zu binden, so daß das Leistungsvolumen des vorsorglichen Sozialplans zwar nicht mehr unterschritten, vom Betriebsrat aber durch Ausübung seines Mitbestimmungsrechts nach § 112 BetrVG noch erweitert werden könnte (so Däubler in Däubler/Kittner/Klebe, aaO, §§ 112, 112a Rz 131; Rumpff/Boewer, aaO, Kap. I Rz 79), dann gäbe es für den Arbeitgeber kaum noch Veranlassung, sich auf eine solche Vereinbarung einzulassen. Ein sinnvolles Regelungsinstrument würde faktisch unmöglich gemacht.

bb) Das bedeutet indessen nicht, daß sich der Betriebsrat durch den Abschluß eines vorsorglichen Sozialplans für künftige Betriebsänderungen beliebig binden könnte. Eine Grenze ergibt sich insoweit daraus, daß sich der Betriebsrat nicht verpflichten kann, auf die Ausübung seines Mitbestimmungsrechts zu verzichten. Ein unzulässiger Verzicht auf das Mitbestimmungsrecht läge in einem Sozialplan für Betriebsänderungen, deren Vornahme, Gegenstand und Ausmaß sowie Rahmenbedingungen noch völlig ungewiß sind. In einem derartigen Fall kann nicht von der Ausübung des Mitbestimmungsrechts im Vorgriff ausgegangen werden. Dem Betriebsrat fehlten dann nämlich alle tatsächlichen Anhaltspunkte für die Abwägung der Interessen der betroffenen Arbeitnehmer und der übrigen Belegschaft sowie der betrieblichen Belange.

Es bedarf hier keiner ins Einzelne gehenden Klärung der Grenze zwischen einem vorsorglichen Sozialplan und einem unzulässigen Verzicht auf die Ausübung des Mitbestimmungsrechts nach § 112 BetrVG. Hier ist die Grenze jedenfalls nicht überschritten. Der Sozialplan 1993 war auf einen Zeitraum von anderthalb Jahren beschränkt. Für diese begrenzte Zeit war sowohl für die Arbeitgeberin als auch für den Betriebsrat absehbar, mit welchen Betriebsänderungen und welchen wirtschaftlichen sowie sonstigen Rahmenbedingungen sie als realen Möglichkeiten zu rechnen hatten.

3. Zu den Betriebsänderungen, die der Sozialplan 1993 als vorsorgliche Regelung erfaßt, gehört die hier streitbefangene Stilllegung des Betriebs nicht.

Der Wortlaut des Sozialplans 1993 ist allerdings insoweit offen, denn in Nr. 1 sind Personalreduzierungen infolge Produktionseinschränkungen, der Verlegung des Betriebs oder der Stillegung von Teilen oder des gesamten Betriebs nebeneinander ohne weitere Einschränkung aufgeführt. Aus der Entstehungsgeschichte des Sozialplans ergibt sich jedoch, daß eine völlige Aufgabe des Betriebs, wie sie hier infolge des Konkurses stattgefunden hat, nicht Regelungsgegenstand sein sollte. Der Sozialplan sollte nach den von der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat in der Einigungsstelle geäußerten Vorstellungen gerade ein Beitrag dazu sein, Sanierungsbemühungen zu erleichtern, indem er die entsprechenden Belastungen besser kalkulierbar machte. Er sollte Betriebsänderungen begleiten, die der Rettung des angeschlagenen Betriebs dienten. Beides steht der Annahme entgegen, er habe auch bereits eine Regelung für den Fall des Scheiterns dieser Bemühungen enthalten.

Bestätigt wird dieses Verständnis durch den übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten in der Anhörung vor dem Senat, daß die Betriebsstillegung infolge Konkurses, also das Fehlschlagen des Rettungsversuchs, in der Einigungsstelle als Regelungsgegenstand des Sozialplans nicht zur Diskussion gestanden habe. Soweit im Sozialplan von einer Stillegung des ganzen Betriebs gesprochen werde, sei die seinerzeit als eine von mehreren Rettungsvarianten in Betracht gekommene Aufgabe des Standorts München bei Neugründung des Betriebs im Elsaß gemeint gewesen. Allerdings hätte es sich bei einem solchen Vorgang betriebsverfassungsrechtlich wohl um eine Betriebsverlegung gehandelt und nicht um die Stillegung des Betriebs. Dennoch erscheint es nachvollziehbar, wenn die Betriebspartner, zumal angesichts der hierdurch erforderlich werdenden Liquidation der Betriebsinhaberin und Neugründung einer Gesellschaft im Ausland, dies als Abbruch der bisherigen Tätigkeit empfunden und daher mit dem rechtlich unzutreffenden Begriff der Stillegung bezeichnet haben.

Da die im November 1994 vorgenommene Stillegung des Betriebs vom Sozialplan 1993 gar nicht erfaßt wird, stellt sich nicht mehr die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob dessen Geschäftsgrundlage durch den Konkurs entfallen ist.

 

Unterschriften

Dieterich, Rost, Wißmann, Münzer, Kehrmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 884849

BAGE, 228

BB 1998, 56

DB 1998, 265

FA 1998, 56

NZA 1998, 216

ZIP 1998, 1412

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge