Entscheidungsstichwort (Thema)

Freistellung eines Auszubildenden für die Zeit des Berufsschulunterrichts

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nach § 7 Satz 1 BBiG ist der Auszubildende für die Teilnahme am Berufsschulunterricht und an Prüfungen freizustellen. Gem. § 12 Abs. 1 Nr. 1 BBiG ist die Vergütung dem Auszubildenden auch für die Zeit der Freistellung fortzuzahlen. Hieraus folgt bei Überschneidungen von Zeiten des Besuchs der Berufsschule und betrieblicher Ausbildung, daß der Besuch des Berufsschulunterrichts der betrieblichen Ausbildung vorgeht. Dies bedeutet zugleich die Ersetzung der Ausbildungspflicht, so daß eine Nachholung der so ausfallenden betrieblichen Ausbildungszeiten von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist.

2. Die Freistellung von der betrieblichen Ausbildung umfaßt notwendigerweise auch die Zeiträume, in denen der Auszubildende zwar nicht am Berufsschulunterricht teilnehmen muß, aber wegen des Schulbesuchs aus tatsächlichen Gründen gehindert ist, im Ausbildungsbetrieb an der betrieblichen Ausbildung teilzunehmen. Dies betrifft insbesondere die Zeiten des notwendigen Verbleibs an der Berufsschule während der unterrichtsfreien Zeit und die notwendigen Wegezeiten zwischen Berufsschule und Ausbildungsbetrieb.

3. Seit dem Außerkrafttreten von § 9 Abs. 4 JArbSchG zum 1. März 1997 fehlt es an einer Anrechnungsregelung, so daß die Summe der Berufsschulzeiten und der betrieblichen Ausbildungszeiten kalenderwöchentlich größer als die regelmäßige tarifliche wöchentliche Ausbildungszeit sein kann.

 

Normenkette

BBiG §§ 7, 12 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 91a; JArbSchG § 9 Abs. 4 in der bis zum 28. Februar 1997 geltenden Fassung

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 24.02.1999; Aktenzeichen 9 Sa 1273/98)

ArbG Detmold (Urteil vom 13.05.1998; Aktenzeichen 1 Ca 407/98)

 

Tenor

1. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen. Im übrigen verbleibt es bei der Kostenentscheidung im Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 24. Februar 1999 – 9 Sa 1273/98 –.

2. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird bis zur übereinstimmenden Erledigungserklärung auf 4.000,00 DM und für die Zeit danach auf 3.500,00 DM festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien haben darüber gestritten, wie sich die Teilnahme des Klägers am Berufsschulunterricht auf die betriebliche Ausbildungszeit ausgewirkt hat.

Der am 12. Januar 1974 geborene Kläger war seit dem 1. Februar 1997 bei der Beklagten als Auszubildender mit dem Ziel der Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechaniker beschäftigt. Für das Ausbildungsverhältnis galt kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit das Abkommen über die Ausbildungsvergütung für Auszubildende des Kraftfahrzeuggewerbes im Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Februar 1996. Danach betrug die regelmäßige wöchentliche Ausbildungszeit seit dem 1. Januar 1997 36,5 Stunden ohne Pausen (§ 2). Im Betrieb galten für den Kläger folgende betriebliche Ausbildungszeiten:

Montags und dienstags:

8.15 Uhr – 17.00 Uhr

mittwochs und donnerstags:

8.15 Uhr – 16.45 Uhr

freitags:

8.15 Uhr – 13.30 Uhr.

Der Kläger hatte Berufsschulunterricht im Blockunterricht. Der Berufsschulunterricht dauerte einschließlich Unterrichtspausen

  • montags, mittwochs und freitags von 7.55 Uhr – 14.45 Uhr,
  • dienstags von 7.55 Uhr – 12.10 Uhr und
  • donnerstags von 7.55 Uhr – 11.10 Uhr.

Die Entfernung zwischen Berufsschule und Ausbildungsbetrieb beträgt etwa 12 km, die Fahrtzeit, abhängig von der Verkehrslage, etwa 30 Minuten.

Mit der am 16. März 1998 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Zeiten des Besuchs der Berufsschule einschließlich Pausenzeiten und notwendiger Wegezeiten seien auf die betriebliche Ausbildungszeit von 36,5 Stunden wöchentlich anzurechnen, so daß er nicht verpflichtet sei, diese Zeiten nachzuholen oder sich auf den Urlaub anrechnen zu lassen.

Er hat zuletzt beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, ihn für die Zeit des Berufsschulunterrichts (Blockunterricht) von den betriebsüblichen Ausbildungszeiten

    Montag und Dienstag 8.15 Uhr

    17.00 Uhr,

    Mittwoch und Donnerstag 8.15 Uhr

    16.45 Uhr,

    Freitag 8.15 Uhr

    13.30 Uhr wie folgt freizustellen:

    Montag und Mittwoch bis 15.15 Uhr,

    Dienstag bis 12.40 Uhr,

    Donnerstag bis 11.40 Uhr,

    freitags ganztägig,

  2. der Beklagten zu untersagen, ihn über die betriebsübliche Ausbildungszeit gem. Antrag zu 1. hinaus auszubilden, oder anderweitig zu beschäftigen,
  3. festzustellen, daß an Berufsschultagen (Blockunterricht) von den betriebsüblichen Ausbildungszeiten

    • Montag und Dienstag von 8.15 Uhr – 17.00 Uhr,
    • Mittwoch und Donnerstag 8.15 Uhr – 16.45 Uhr,
    • Freitag 8.15 Uhr – 13.30 Uhr

    die Zeiten des Berufsschulbesuchs einschließlich Wegezeit:

    • Montag und Mittwoch bis 15.15 Uhr,
    • Dienstag bis 12.40 Uhr,
    • Donnerstag bis 11.40 Uhr,
    • freitags ganztägig,

    auf die betriebsübliche Ausbildungszeit anzurechnen sind, und er über diese betriebsübliche Ausbildungszeit hinaus weder auszubilden noch anderweitig zu beschäftigen ist,

  4. hilfsweise festzustellen, daß die tarifliche, wöchentliche Ausbildungszeit einschließlich der Zeit für die Freistellung zum Besuch der Berufsschule 36,5 Stunden beträgt,
  5. hilfsweise festzustellen, daß er nicht verpflichtet ist, mehr als 32 Stunden pro Woche, hilfsweise mehr als 35 Stunden pro Woche Ausbildungszeit in den Wochen bei der Beklagten zu absolvieren, in denen er einen Tag Berufsschulunterricht hat,
  6. hilfsweise festzustellen, daß er auch an den Tagen, an denen er Blockunterricht in der Berufsschule hat, nicht verpflichtet ist, montags und dienstags länger als bis 17.00 Uhr, mittwochs und donnerstags länger als bis 16.45 Uhr, freitags länger als bis 13.30 Uhr bei der Beklagten als Auszubildender zu arbeiten, unter Berücksichtigung, daß die Berufsschule von 7.55 Uhr bis 14.45 Uhr, dienstags bis 12.10 Uhr und donnerstags bis 11.10 Uhr dauert, jeweils 15 Minuten Pause von 9.25 Uhr bis 9.40 Uhr und von 11.10 Uhr bis 11.25 Uhr und 20 Minuten Pause von 12.55 Uhr bis 13.15 Uhr gegeben sind und die Fahrtzeit von der Berufsschule bis zum Betrieb 30 Minuten dauert,
  7. hilfsweise festzustellen, daß an Berufsschultagen die Zeit vom Beginn der ersten Unterrichtsstunde bis zum Ende der letzten Unterrichtsstunde auf die betriebliche Arbeitszeit anzurechnen ist,
  8. hilfsweise festzustellen, daß an Berufsschultagen die Wegezeit zwischen Berufsschule und Arbeitsstätte auf die betriebliche Arbeitszeit anzurechnen ist,

    hilfsweise, daß die Zeit zu vergüten ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, mit Wegfall der Regelung des § 9 Abs. 4 Jugendarbeitsschutzgesetz könnten volljährige Auszubildende bis zu 48 Stunden pro Woche beschäftigt werden. Hierauf sei nur die reine Berufsschulzeit ohne Pausen- und Wegezeiten anzurechnen. Zu beachten sei lediglich für die betriebliche Ausbildung, daß die tariflich geregelte Grenze der betrieblichen Ausbildungszeit von 36,5 Stunden eingehalten werde. Demgemäß sei der Kläger in einer Woche mit Blockunterricht von 25 Zeitstunden Dauer verpflichtet, sich weitere 23 Stunden im Betrieb ausbilden zu lassen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt, den Kläger für die Zeit des Berufsschulunterrichts von den betriebsüblichen Ausbildungszeiten

  • Montag und Dienstag 8.15 Uhr – 17.00 Uhr,
  • Mittwoch und Donnerstag 8.15 Uhr – 16.45 Uhr,
  • Freitag 8.15 Uhr – 13.30 Uhr

wie folgt freizustellen:

  • Montag und Mittwoch bis 15.15 Uhr,
  • Dienstag bis 12.40 Uhr,
  • Donnerstag bis 11.40 Uhr,
  • freitags ganztägig,

und es zu unterlassen, den Kläger über die betriebsübliche Ausbildungszeit hinaus auszubilden oder anderweitig zu beschäftigen. Mit der Revision hat die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter verfolgt. Nachdem das Ausbildungsverhältnis des Klägers beendet ist, haben beide Parteien den Rechtsstreit mit widerstreitenden Kostenanträgen für erledigt erklärt.

II. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen. Im übrigen verbleibt es bei der im Berufungsurteil getroffenen Kostenentscheidung.

1. Die Kostenentscheidung ist gem. § 91 a Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu treffen. Dafür ist grundsätzlich der mutmaßliche Ausgang des Rechtsstreits maßgebend. Aufgrund des bisherigen Sach- und Streitstandes wäre bei streitiger Entscheidung die Revision zurückzuweisen gewesen. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsstreit zutreffend entschieden.

2. Das Landesarbeitsgericht hat richtig erkannt, daß die vom Kläger begehrte Freistellung von der betrieblichen Ausbildung und das Verbot der Nachholung der Ausbildung außerhalb der betrieblichen Ausbildungszeit aus § 7 BBiG folgt. Für die Begründetheit der Klage hat es keiner Norm bedurft, die eine Anrechnung der Berufsschulzeit und der damit im Zusammenhang stehenden Wegezeiten auf die tarifliche oder einzelvertraglich vereinbarte regelmäßige wöchentliche Ausbildungszeit anordnete. Wie die Parteien zutreffend gesehen haben, fehlt es hieran seit der Streichung des § 9 Abs. 4 JArbSchG am 1. März 1997 für volljährige Auszubildende. Eine entsprechende tarifvertragliche oder einzelvertragliche Regelung bestand für die Parteien des Rechtsstreits nicht.

3. Nach § 7 S 1 BBiG hat der Ausbildende den Auszubildenden für die Teilnahme am Berufsschulunterricht und an Prüfungen freizustellen. Gem. § 12 Abs. 1 Nr. 1 BBiG ist die Vergütung dem Auszubildenden auch für die Zeit der Freistellung nach § 7 fortzuzahlen. Hieraus folgt bei zumindest teilweisen Überschneidungen von Zeiten des Besuchs der Berufsschule und betrieblicher Ausbildungszeit, daß der Besuch des Berufsschulunterrichts der betrieblichen Ausbildung vorgeht und diese ersetzt. Kraft Gesetzes ist der Ausbildende verpflichtet, den Auszubildenden von der Ausbildung im Betrieb freizustellen. Ordnet das Gesetz die Freistellung an, bedeutet dies zugleich die Ersetzung der Ausbildungspflicht, so daß eine Nachholung der so ausfallenden betrieblichen Ausbildungszeiten von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist.

4. Das Landesarbeitsgericht hat gleichfalls richtig entschieden, daß zu den Zeiten der Teilnahme am Berufsschulunterricht iSv. § 7 S 1 BBiG auch die Zeiten des notwendigen Verbleibs an der Berufsschule während der unterrichtsfreien Zeit und der notwendigen Wegezeiten zwischen Berufsschule und Ausbildungsbetrieb gehören. Anders als die Beklagte meint, ist insofern nicht die Anrechnung von Pausen- und Wegezeiten auf die betriebliche Ausbildungszeit geregelt oder notwendigerweise zu regeln, vielmehr bestimmt § 7 BBiG, daß der Auszubildende von der betrieblichen Ausbildungszeit freizustellen ist. Diese Freistellung von der betrieblichen Ausbildung umfaßt notwendigerweise auch die Zeiträume, in denen der Auszubildende zwar nicht am Berufsschulunterricht teilnehmen muß, aber aus tatsächlichen Gründen gehindert ist, im Ausbildungsbetrieb an der betrieblichen Ausbildung teilzunehmen.

5. Seit dem Außerkrafttreten von § 9 Abs. 4 JArbSchG zum 1. März 1997 fehlt es an einer auf das Rechtsverhältnis der Parteien anwendbaren Anrechnungsregelung. Hieraus folgt, wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat, daß die Summe der Berufsschulzeiten und der betrieblichen Ausbildungszeiten kalenderwöchentlich größer als 36,5 Stunden sein kann. Dieses Ergebnis ist davon abhängig, inwieweit Berufsschul- und betriebliche Ausbildungszeiten auf identische Zeiträume fallen.

 

Unterschriften

Griebeling, Müller-Glöge, Kreft

 

Fundstellen

Haufe-Index 599789

BB 2001, 1312

DB 2001, 1260

NWB 2001, 2253

BuW 2001, 700

EBE/BAG 2001, 90

AiB 2003, 565

FA 2001, 280

NZA 2001, 892

SAE 2001, 278

AuA 2002, 90

PersR 2001, 273

SchuR 2002, 151

SchuR 2003, 21

PP 2001, 26

www.judicialis.de 2001

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