Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtskraftwirkung der Entscheidung im Bestellungsverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

Die rechtskräftige Abweisung des Antrags des Betriebsrats auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden mit der Begründung, die Einigungsstelle sei offensichtlich unzuständig, läßt nicht das Rechtsschutzinteresse des Betriebsrats an der Feststellung des umstrittenen Mitbestimmungsrechts entfallen. Der Betriebsrat kann erneut die Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden beantragen, wenn das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht unter den Beteiligten rechtskräftig festgestellt worden ist.

 

Orientierungssatz

Auslegung der Ziffer 4.3 Abs 3 des Urlaubsabkommens für die Arbeiter und Angestellten der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden vom 23. Januar 1979.

 

Normenkette

TVG § 1; ZPO § 256; ArbGG § 98; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 4

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Beschluss vom 10.11.1987; Aktenzeichen 8 TaBV 3/87)

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 10.03.1987; Aktenzeichen 4 BV 7/86)

 

Gründe

A. Der Arbeitgeber ist ein Unternehmen der Automobilindustrie. Antragsteller des vorliegenden Verfahrens ist der für das Werk U gebildete Betriebsrat. Auf die Arbeitsverhältnisse der in diesem Werk beschäftigten Arbeitnehmer finden die Tarifverträge für die Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden Anwendung, darunter der Manteltarifvertrag für die Arbeiter und Angestellten vom 28. Juni 1984 (im folgenden MTV) und das Urlaubsabkommen für die Arbeiter und Angestellten vom 23. Januar 1979 (im folgenden UA).

Das Urlaubsabkommen enthält u.a. folgende Bestimmungen:

1.2.1 Der Tarifvertrag regelt die Mindestbedingungen

des Urlaubs ... Ergänzende Bestimmungen können

durch Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitge-

ber und Betriebsrat vereinbart werden.

...

1.2.3 Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bleibt

unberührt, soweit nicht durch diesen Tarifver-

trag eine abschließende Regelung getroffen ist.

2.12 Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind

die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berück-

sichtigen, ...

...

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß

§ 87 BetrVG bleibt unberührt.

3.10 Werksferien sind ... mit dem Betriebsrat zu ver-

einbaren ... Der Betriebsrat kann den Abschluß

einer solchen Vereinbarung ablehnen oder fordern,

wenn ...

...

4.1 Das Urlaubsentgelt (während des Erholungs- und

Zusatzurlaubs zu zahlender Lohn/Gehalt und zu-

sätzliche Urlaubsvergütung) errechnet sich wie

folgt: ...

...

4.3 Das Urlaubsentgelt wird grundsätzlich vor Antritt

des Urlaubs gezahlt.

Das Urlaubsentgelt wird grundsätzlich an den für

die betreffenden Lohn-/Gehaltsabrechnungszeiträu-

me festgelegten Lohn-/Gehaltszahlungstagen bezahlt,

jedoch während des Urlaubs fällige Lohn-/Gehalts-

oder Lohnabschlagszahlungen vor Antritt des Ur-

laubs ausbezahlt. Sofern eine Lohnabrechnung aus

zeitlichen Gründen nicht möglich ist, kann eine Ab-

schlagszahlung in ungefährer Höhe des Nettolohnes

der fälligen Lohnzahlung erfolgen.

Durch Betriebsvereinbarung kann der Termin für

die Fälligkeit der zusätzlichen Urlaubsvergütung

einheitlich festgelegt werden, jedoch nicht später

als zum 30. Juni eines Urlaubsjahres.

In der Vergangenheit hat der Betriebsrat den Abschluß einer Betriebsvereinbarung über die Festlegung eines einheitlichen Fälligkeitstermins für die Auszahlung der zusätzlichen Urlaubsvergütung verlangt. Der Arbeitgeber hat den Abschluß einer solchen Betriebsvereinbarung abgelehnt. Der Betriebsrat hat daraufhin beim Arbeitsgericht die Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden beantragt. Der Antrag ist vom Arbeitsgericht abgewiesen worden. Die Beschwerde des Betriebsrats hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Der Betriebsrat hat daraufhin das vorliegende Verfahren anhängig gemacht.

Er ist der Ansicht, ihm stehe ein "erzwingbares Mitbestimmungs- und Initiativrecht" bei der Festlegung des Fälligkeitszeitpunktes für die zusätzliche Urlaubsvergütung zu. Die tarifliche Regelung in Ziff. 4.3 UA schließe ein Mitbestimmungs- und Initiativrecht nicht aus.

Der Betriebsrat hat daher beantragt

festzustellen, daß er ein erzwingbares Mitbe-

stimmungs- und Initiativrecht besitzt zum Ab-

schluß einer Betriebsvereinbarung über die Fäl-

ligkeit der zusätzlichen Urlaubsvergütung nach

Ziff. 4.3 Abs. 3 UA.

Der Arbeitgeber hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er ist der Ansicht, der Antrag sei unzulässig. Nachdem der Antrag des Betriebsrats auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden rechtskräftig abgewiesen sei, habe der Betriebsrat an der Feststellung eines erzwingbaren Mitbestimmungs- und Initiativrechts kein Rechtsschutzinteresse mehr, da es zur Errichtung einer Einigungsstelle nicht mehr kommen könne. Darüber hinaus sei der Antrag auch unbegründet. Dem Betriebsrat stehe ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht nicht zu. Ziff. 4.3 Abs. 3 UA gestatte die Festlegung eines einheitlichen Fälligkeitstermins für die zusätzliche Urlaubsvergütung nur durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats abgewiesen, das Landesarbeitsgericht dem Antrag jedoch stattgegeben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Arbeitgeber die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung.

B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht und damit auch ein Initiativrecht des Betriebsrats für eine Betriebsvereinbarung hinsichtlich eines einheitlichen Fälligkeitstermins für die Auszahlung der zusätzlichen Urlaubsvergütung bejaht.

I. Der Antrag des Betriebsrats ist zulässig.

1. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats dahin verstanden, daß dieser die Feststellung begehrt, er sei auch gegen den Willen des Arbeitgebers berechtigt, den Abschluß einer Betriebsvereinbarung über die einheitliche Festlegung des Fälligkeitstermins für die Auszahlung der zusätzlichen Urlaubsvergütung zu verlangen und zur Durchsetzung dieses Verlangens einen verbindlichen Spruch der Einigungsstelle herbeizuführen. Damit hat das Landesarbeitsgericht das Begehren des Betriebsrats zutreffend erfaßt und umschrieben. Ihm ist auch darin zu folgen, daß der so verstandene Antrag ausreichend bestimmt ist. Er bezeichnet eindeutig diejenige Angelegenheit, deren Regelung der Betriebsrat durch Ausübung des geltend gemachten Mitbestimmungsrechts erstrebt.

2. Für diesen Antrag ist auch das erforderliche Feststellungsinteresse gegeben.

a) Unter den Beteiligten ist im Streit, ob dem Betriebsrat das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht zusteht. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, daß in einem solchen Falle Arbeitgeber oder Betriebsrat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben, daß das umstrittene Mitbestimmungsrecht dem Betriebsrat zusteht bzw. nicht zusteht (Beschluß vom 16. August 1983 - 1 ABR 11/82 - AP Nr. 2 zu § 81 ArbGG 1979; zuletzt Beschluß vom 13. Oktober 1987 - 1 ABR 10/86 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).

b) Entgegen der Ansicht des Arbeitgebers ist das Rechtsschutzinteresse des Betriebsrats an der begehrten Entscheidung auch nicht dadurch entfallen, daß der vom Betriebsrat vor Einleitung des vorliegenden Verfahrens gestellte Antrag nach § 98 ArbGG auf Bestellung eines Vorsitzenden für eine Einigungsstelle, die die angestrebte Regelung beschließen sollte, rechtskräftig abgewiesen worden ist. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

Der Senat hat wiederholt zur Frage des Verhältnisses des Verfahrens nach § 98 ArbGG zur Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden zu einem Beschlußverfahren auf Feststellung eines umstrittenen Mitbestimmungsrechts Stellung genommen. Er hat ausgesprochen, daß über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats in einem Beschlußverfahren eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden kann, auch bevor die Einigungsstelle einen Spruch gefällt hat. Das Bestellungsverfahren nach § 98 ArbGG dürfe auch nicht mit Rücksicht auf ein anhängiges Beschlußverfahren über das umstrittene Mitbestimmungsrecht ausgesetzt werden. Er hat den Sinn des Bestellungsverfahrens nach § 98 ArbGG darin gesehen, daß der Betriebsrat, der in einer bestimmten Angelegenheit ein Mitbestimmungsrecht in Anspruch nimmt und über die erstrebte Regelung keine Einigung mit dem Arbeitgeber erzielt, die Einigungsstelle auch dann soll anrufen können, wenn das Mitbestimmungsrecht selbst unter den Betriebspartnern umstritten ist. Auch in solchen Fällen könne der Betriebsrat die Errichtung der Einigungsstelle über das Verfahren nach § 98 ArbGG erreichen, es sei denn, daß die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist, d.h. daß offensichtlich das in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht nicht besteht. Auf der anderen Seite könne dem Arbeitgeber nicht verwehrt werden, die Frage, ob das in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht besteht oder nicht, alsbald zur gerichtlichen Entscheidung zu stellen. Nur eine unbedingte Parallelität des Bestellungs- und des Einigungsstellenverfahrens auf der einen Seite und des Beschlußverfahrens über das umstrittene Mitbestimmungsrecht auf der anderen Seite gewährleiste, daß einerseits nicht Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats dadurch blockiert werden, daß das in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht selbst bestritten wird und darüber ein Beschlußverfahren anhängig gemacht wird, und daß andererseits die Frage, ob das umstrittene Mitbestimmungsrecht besteht, nicht unnötig lange in der Schwebe gelassen werden muß (vgl. zuletzt ausführlich Beschluß des Senats vom 6. Dezember 1983, BAGE 44, 285 = AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung).

Aus diesem Zweck des Bestellungsverfahrens nach § 98 ArbGG folgt, daß in ihm nicht abschließend und für die Betriebspartner verbindlich die Frage entschieden wird, ob das vom Betriebsrat in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht oder nicht. Auch die Abweisung des Antrags auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden mit der Begründung, das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht bestehe offensichtlich nicht, ist keine die Betriebspartner bindende Entscheidung über das Bestehen des Mitbestimmungsrechts. Streitgegenstand des Bestellungsverfahrens ist allein die Errichtung der Einigungsstelle durch Benennung des Vorsitzenden und gegebenenfalls durch Bestimmung der Zahl der Beisitzer jeder Seite.

Die rechtskräftige Abweisung des Antrags auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden besagt auch nicht, daß der Betriebsrat zu keiner Zeit mehr die Errichtung einer Einigungsstelle betreiben und diese anrufen könne, auch dann nicht, wenn zwischen den Betriebspartnern rechtskräftig entschieden ist, daß das in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht doch besteht. Die den Antrag auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden mit der Begründung, die Einigungsstelle sei offensichtlich unzuständig, abweisende Entscheidung des Arbeitsgerichts besagt lediglich, daß der Betriebsrat von seinem in Anspruch genommenen Mitbestimmungsrecht, das vom Arbeitgeber bestritten wird, so lange keinen Gebrauch machen kann, bis die Frage, ob ihm das in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht zustehe, zu seinen Gunsten und für die Betriebspartner verbindlich entschieden worden ist. Mit der rechtskräftigen Feststellung, daß dem Betriebsrat das in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht zustehe, entfällt in einem doch noch notwendig werdenden Bestellungsverfahren für das Arbeitsgericht die Notwendigkeit, die Zuständigkeit der Einigungsstelle noch zu prüfen. Das Arbeitsgericht ist nun vielmehr an die rechtskräftige Entscheidung, daß das Mitbestimmungsrecht besteht und die Einigungsstelle daher zuständig ist, gebunden. Es kann den Antrag auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden nicht mehr mit der Begründung abweisen, die Einigungsstelle sei (offensichtlich) unzuständig.

Wollte man der Abweisungsentscheidung im Bestellungsverfahren - wie die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers nach wie vor vertritt - bindende Wirkung auch für den Fall beimessen, daß später das in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht rechtskräftig festgestellt wird, würde das Bestellungsverfahren seines Zweckes beraubt. Der Betriebsrat könnte immer dann, wenn das in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht vom Arbeitgeber bestritten wird, das Bestellungsverfahren vor einer rechtskräftigen Entscheidung über das Mitbestimmungsrecht nicht betreiben, da er von seinem Mitbestimmungsrecht - so es besteht - doch keinen Gebrauch machen kann, wenn sein Antrag auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden aufgrund der bloßen Offensichtlichkeitsprüfung abgewiesen wird, einer Prüfung, an der die ehrenamtlichen Richter nicht mitwirken und die der Überprüfung durch das Bundesarbeitsgericht nicht unterliegt, da die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts endgültig ist (§ 98 Abs. 2 Satz 4 ArbGG). Gerade die Unsicherheit der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte über die Frage, ob im Bestellungsverfahren nach § 98 ArbGG in der Fassung von § 124 Nr. 12 des Betriebsverfassungsgesetzes von 1972 das Bestehen des geltend gemachten Mitbestimmungsrechts abschließend zu prüfen ist, obwohl an der Entscheidung die ehrenamtlichen Richter nicht mitwirken und die Rechtsbeschwerde ausgeschlossen ist, hat den Gesetzgeber veranlaßt, in der Arbeitsgerichtsnovelle vom 21. Mai 1979 durch Einfügung des Satzes 2 in § 98 Abs. 1 ArbGG klarzustellen, daß eine solche abschließende Prüfung nicht erfolgen und der Antrag auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden nur abgewiesen werden soll, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist, d.h. wenn das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht offensichtlich nicht besteht.

Die rechtskräftige Abweisung des Antrags des Betriebsrats auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden läßt daher nicht das Rechtsschutzinteresse des Betriebsrats an der Feststellung des unter den Beteiligten streitigen Mitbestimmungsrechts entfallen. Der Betriebsrat kann gegebenenfalls erneut die Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden beantragen, wenn das geltend gemachte Mitbestimmungsrecht unter den Beteiligten rechtskräftig festgestellt worden ist.

II. Der Antrag des Betriebsrats ist auch begründet.

1. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht von § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG ausgegangen, wonach der Betriebsrat über Zeit, Ort und Art der Auszahlung des Arbeitsentgelts mitzubestimmen hat. Die Frage, ob die zusätzliche Urlaubsvergütung einheitlich zu einem bestimmten Fälligkeitstermin ausgezahlt werden soll, ist eine Frage der Zeit der Auszahlung des Arbeitsentgelts im Sinne dieser Bestimmung.

2. Diesem Mitbestimmungsrecht steht eine tarifliche Regelung der gleichen Angelegenheit nicht entgegen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats schließt eine tarifliche Regelung einer Angelegenheit - hier der Zeitpunkt der Zahlung der zusätzlichen Urlaubsvergütung - ein gesetzliches Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG dann und insoweit nicht aus, als die tarifliche Regelung selbst den Betriebspartnern eine nähere Ausgestaltung der Regelung zuweist oder diesen eine andere Regelung gestattet (Beschluß vom 22. Dezember 1981, BAGE 37, 255 = AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; Beschluß vom 28. Februar 1984 - 1 ABR 37/82 - AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang). Schon Ziff. 1.2.1 UA bestimmt ebenso wie Ziff. 1.2.1 MTV, daß der Tarifvertrag (nur) die Mindestbedingungen regelt und daß ergänzende Bestimmungen durch Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbart werden können. Beide Tarifverträge bestimmen darüber hinaus in Ziff. 1.2.3, daß Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats unberührt bleiben, soweit nicht durch den Tarifvertrag eine abschließende Regelung getroffen ist.

Eine abschließende Regelung über den Zeitpunkt der Zahlung des Urlaubsentgelts enthält auch Ziff. 4.3 UA nicht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob schon die zweimalige Verwendung des Wortes "grundsätzlich" die Annahme ausschließt, diese Bestimmung enthalte eine abschließende Regelung. Jedenfalls hinsichtlich des Zeitpunktes der Zahlung der zusätzlichen Urlaubsvergütung stellt Ziff. 4.3 keine abschließende Regelung dar, da sie in Abs. 3 ausdrücklich eine Betriebsvereinbarung über einen einheitlichen Termin für die Fälligkeit der zusätzlichen Urlaubsvergütung zuläßt und für diese lediglich vorgibt, daß dieser Termin nicht nach dem 30. Juni eines Urlaubsjahres liegen darf.

3. Stellt damit Ziff. 4.3 UA keine abschließende tarifliche Regelung dar, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats hinsichtlich des Zeitpunktes für die Zahlung der zusätzlichen Urlaubsvergütung gänzlich ausschließt, so bleibt - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat - lediglich die Frage zu entscheiden, ob dieses dem Betriebsrat belassene Mitbestimmungsrecht auch ein Initiativrecht dahin beinhaltet, daß der Betriebsrat den Abschluß einer solchen Betriebsvereinbarung auch gegen den Willen des Arbeitgebers durch Anrufung der Einigungsstelle soll erzwingen können.

a) Der Wortlaut des Urlaubsabkommens selbst gibt keine Antwort auf diese Frage. Soweit in diesem Abkommen eine Regelung der Betriebspartner oder eine Beteiligung des Betriebsrats angesprochen wird, heißt es in Ziff. 2.12 hinsichtlich der zeitlichen Festlegung des Urlaubs für einzelne Arbeitnehmer lediglich, daß das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 BetrVG unberührt bleibt, und in Ziff. 3.10, daß Werksferien mit dem Betriebsrat zu vereinbaren sind, wobei der Betriebsrat den Abschluß einer solchen Vereinbarung ablehnen oder fordern könne. Diese unterschiedlichen Formulierungen führen nicht zwingend dazu, daß die jeweils angesprochene Beteiligung des Betriebsrats unterschiedlich geregelt werden sollte. Nimmt man an, daß die Bestimmung, der Betriebsrat könne den Abschluß einer Betriebsvereinbarung über Werksferien fordern oder ablehnen, auch ein Initiativrecht für den Betriebsrat beinhaltet und daß daher im Nichteinigungsfalle die Einigungsstelle entscheiden soll, so unterscheidet sich die Regelung in Ziff. 3.10 UA inhaltlich nicht von der Regelung in Ziff. 2.12 UA, wo es heißt, daß das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 BetrVG unberührt bleibt, also auf das gesetzlich bestehende Mitbestimmungsrecht einschließlich des damit verbundenen Initiativrechts und der verbindlichen Entscheidung der Einigungsstelle verweist. Wird aber für ein und denselben Regelungsgehalt eine unterschiedliche Formulierung gewählt, so kann aus einer wiederum anders lautenden Formulierung nicht zwingend geschlossen werden, damit werde auch eine andere Regelung getroffen.

b) Entgegen der Ansicht des Arbeitgebers ergeben auch die verschiedenen Regelungen im Manteltarifvertrag über betriebliche Regelungen unter Beteiligung des Betriebsrats nicht zwingend, daß die Regelung in Ziff. 4.3 UA nur eine freiwillige Betriebsvereinbarung über den Zeitpunkt der Auszahlung der zusätzlichen Urlaubsvergütung zuläßt. Der Manteltarifvertrag verwendet für die Beteiligung des Betriebsrats sehr unterschiedliche Formulierungen. So heißt es in Ziff. 6.9, daß der Vergleichszeitraum - für die Verdienstsicherung - "mit dem Betriebsrat festzulegen" ist und daß er "mit Zustimmung des Betriebsrats" ausgedehnt werden kann. In Ziff. 6.11 wird bestimmt, daß übertarifliche Lohn-/Gehaltsbestandteile auf die Verdienstsicherung "nur im Einvernehmen mit dem Betriebsrat" angerechnet werden können. Nach Ziff. 7.1 ist die Anpassung der tatsächlichen betrieblichen Wochenarbeitszeit an den Durchschnitt von 38,5 Stunden unverzüglich "mit dem Betriebsrat zu vereinbaren". Nach Ziff. 7.5 kann "mit Zustimmung des Betriebsrats" die wöchentliche Arbeitszeit in bestimmter Weise auf die einzelnen Wochentage verteilt werden. Nach Ziff. 8.1 ist Mehrarbeit bis zu 20 Stunden im Monat "mit Zustimmung des Betriebsrats" zulässig. Durch "Betriebsvereinbarung" können mehr als 20 Stunden im Monat zugelassen werden. Weitergehende Mehrarbeit kann "im Einvernehmen mit dem Betriebsrat" verlangt werden. Nach Ziff. 8.2 kann Kurzarbeit "mit Zustimmung des Betriebsrats" eingeführt und nach Ziff. 8.3 der Betrieb an bestimmten Tagen "mit Zustimmung des Betriebsrats" geschlossen werden. Nacht-, Schicht-, Sonn- und Feiertagsarbeit kann nach Ziff. 8.4 nur "nach Vereinbarung mit dem Betriebsrat" eingeführt werden. Der Lohnabrechnungszeitraum ist nach Ziff. 11.2 "durch Betriebsvereinbarung" zu regeln. Für Abschlagszahlungen kann "eine andere Vereinbarung mit dem Betriebsrat" getroffen werden. Nach Ziff. 11.4.2 kann bargeldlose Lohnzahlung "durch Betriebsvereinbarung" eingeführt werden.

Lediglich an zwei Stellen, in Ziff. 7.5.2 und 11.4.2 MTV, wird ausdrücklich geregelt, daß die fehlende Zustimmung des Betriebsrats nicht durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt werden kann. Schon das zwingt in Verbindung mit der einleitenden Vorschrift, daß Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 BetrVG unberührt bleiben, zu der Annahme, daß in allen anderen Fällen, in denen eine Einigung mit dem Betriebsrat, dessen Zustimmung oder eine Betriebsvereinbarung erforderlich ist, die Einigungsstelle verbindlich entscheiden soll. Es trifft nicht zu, daß der Manteltarifvertrag oder auch das Urlaubsabkommen jeweils ausdrücklich bestimmen, wann die fehlende Einigung der Betriebspartner durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt werden soll. Soweit die Rechtsbeschwerde insoweit auf Ziff. 7.1 MTV verweist, ist diese Vorschrift nicht geeignet, ihre Rechtsansicht zu stützen. Ganz abgesehen davon, daß die Grundlage für einen zwingenden Umkehrschluß entfällt, wenn in einigen Beteiligungsfällen ein Spruch der Einigungsstelle ausdrücklich vorgesehen, in anderen ausdrücklich ausgeschlossen, in der Mehrzahl der Fälle aber insoweit keine Aussage getroffen wird, beruht die ausdrückliche Bestimmung in Ziff. 7.1 MTV, daß die Einigungsstelle soll verbindlich entscheiden können, allein auf der von den Tarifpartnern offenbar erkannten Tatsache, daß hinsichtlich der Festlegung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit des einzelnen Arbeitnehmers der Betriebsrat nach § 87 BetrVG gerade kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht hat, so daß es erforderlich war, im Tarifvertrag ausdrücklich zu regeln, daß auch in diesem Falle ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen den Betriebspartnern ersetzen kann (vgl. dazu die Entscheidung des Senats vom 18. August 1987 - 1 ABR 30/86 - AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

c) Wortlaut und Gesamtzusammenhang der tariflichen Bestimmungen im Urlaubsabkommen wie auch im Manteltarifvertrag ergeben daher, daß die Tarifverträge, soweit sie nicht selbst eine abschließende Regelung enthalten, die gesetzlichen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 BetrVG unberührt lassen wollen. Sie regeln jeweils wie in Ziff. 11.4.2 MTV ausdrücklich, wenn diese gesetzlichen Mitbestimmungsrechte dahin eingeschränkt werden sollen, daß die fehlende Einigung nicht durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt werden soll.

d) Mit dieser tariflichen Regelung stimmt auch die Rechtsprechung des Senats überein, wonach tarifliche Regelungen, die ergänzende oder andere Regelungen durch die Betriebspartner zulassen, lediglich den Vorrang der tariflichen Regelung als Sperre für gesetzliche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aufheben, nicht aber selbst - neue - Beteiligungsrechte des Betriebsrats anderer Stärke und Struktur schaffen (Beschluß vom 22. Dezember 1981, BAGE 37, 255 = AP Nr. 7 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung). Die Tarifpartner brauchen daher in solchen Fällen die Zuständigkeit der Einigungsstelle für den Fall der Nichteinigung nicht ausdrücklich zu begründen, weil diese sich unmittelbar aus § 87 Abs. 2 BetrVG ergibt (Beschluß vom 3. April 1979 - 6 ABR 29/77 - AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972). Die Tarifpartner können selbst bestimmen, wie weit sie einer tariflichen Regelung den Vorrang einräumen. Sie können daher auch bestimmen, daß eine ergänzende oder andere Regelung nur durch freiwillige Betriebsvereinbarung getroffen werden kann (Beschluß vom 28. Februar 1984 - 1 ABR 37/82 - AP Nr. 4 zu § 87 BetrVG 1972 Tarifvorrang). Treffen sie eine solche Bestimmung nicht, lassen sie vielmehr "Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats unberührt", und ergibt sich eine Beschränkung der Beteiligung des Betriebsrats auf lediglich freiwillige Betriebsvereinbarungen auch nicht aus dem Zusammenhang der tariflichen Regelungen, so verbleibt es bei den gesetzlichen Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats.

4. Das gesetzliche Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG beinhaltet auch das Recht des Betriebsrats, von sich aus eine Regelung über die Zeit der Auszahlung der zusätzlichen Urlaubsvergütung anzustreben und zu diesem Zweck auch die Einigungsstelle anzurufen. Der Betriebsrat hat auch insoweit ein Initiativrecht.

Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 4. März 1986 (BAGE 51, 187 = AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Kurzarbeit) entschieden und im einzelnen begründet, daß Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG grundsätzlich auch ein Initiativrecht des Betriebsrats einschließen. Grenzen des Mitbestimmungsrechts und damit auch des Initiativrechts können sich nur aus dem Mitbestimmungstatbestand selbst, aus anderen gesetzlichen Vorschriften sowie aus der Systematik und dem Sinnzusammenhang des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben. Solche Grenzen sind hier für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hinsichtlich der Zeit der Auszahlung der zusätzlichen Urlaubsvergütung nicht ersichtlich.

Das Landesarbeitsgericht hat damit zutreffend dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist daher nicht begründet.

Dr. Kissel Matthes Dr. Weller

Dr. Federlin Dr. Hoffmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 437107

BAGE 62, 1-11 (LT1)

BAGE, 1

DB 1989, 1928-1929 (LT1)

BetrVG EnnR BetrVG § 87 Abs 1, Nr 4 (2) (LT1)

DRsp, VI (642) 262 i-k (T)

EWiR 1989, 931-931 (L1)

Gewerkschafter 1990, Nr 4, 38 (ST1)

JR 1989, 88 (S)

JR 1990, 88

NZA 1989, 976-979 (LT1)

RdA 1989, 378

SAE 1991, 37-40 (LT1)

AP § 98 ArbGG 1979 (LT1), Nr 3

AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit XI Entsch 108 (LT1)

AR-Blattei, ES 160.11 Nr 108 (LT1)

EzA § 98 ArbGG 1979, Nr 6 (LT1)

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