Verfahrensgang

LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 28.06.1996; Aktenzeichen 4 Sa 48/96)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 19.03.1998; Aktenzeichen 1 BvR 10/97)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 28. Juni 1996 – 4 Sa 48/96 – wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

 

Tatbestand

I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die der Beklagte auf der Grundlage von § 53 BAT-O wegen angenommener mangelnder persönlicher Eignung des Klägers für den öffentlichen Dienst ausgesprochen hat. Das Arbeitsgericht hat die Kündigung als sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 KSchG angesehen und die Klage als unbegründet abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der auf Divergenz gestützten Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.

1. Nach § 72a Abs. 1 ArbGG kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht selbständig durch Beschwerde angefochten werden, wenn das anzufechtende Urteil von einer Entscheidung der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Als Zulassungsgrund ist in der Beschwerdebegründung darzulegen, daß das anzufechtende Urteil einen allgemeinen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz aufgestellt hat und daß dieser von einem in der divergenzfähigen Entscheidung aufgestellten Rechtssatz abweicht. Dagegen reicht die Darlegung einer fehlerhaften oder unterlassenen Anwendung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen in dem Gesetz genannten Gerichts zur Begründung einer auf Divergenz gestützten Nichtzulassungsbeschwerde nicht aus. Ein abstrakter Rechtssatz kann sich auch aus scheinbar nur fallbezogenen Formulierungen ergeben, wenn zweifelsfrei ist, welchen Rechtssatz die Entscheidung aufgestellt hat.

2. Die Rüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe auf die im Jahre 1994 ausgesprochene ordentliche Kündigung die Kündigungsregelung nach Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag angewendet und damit den nicht ausdrücklich formulierten Rechtssatz aufgestellt, diese Kündigungsregelung finde auch nach dem 31. Dezember 1993 Anwendung, ist zwar zutreffend, doch beruht die anzufechtende Entscheidung nicht auf diesem Rechtssatz. Vielmehr hat das anzufechtende Urteil zu Beginn der Entscheidungsgründe ausgeführt, daß das Arbeitsgericht mit der erstinstanzlichen Entscheidung die fristgemäße Kündigung zu Recht für rechtswirksam gehalten habe und die Angriffe der Berufung des Klägers eine andere rechtliche Würdigung nicht rechtfertigten. Damit hat das anzufechtende Urteil die Würdigung des erstinstanzlichen Urteils in Bezug genommen. Darin wird ausgeführt, daß die streitgegenständliche Kündigung nicht gemäß § 1 KSchG unwirksam sei, weil sie durch das Verhalten des Klägers sozial gerechtfertigt werde. Damit stehen die Ausführungen des anzufechtenden Urteils zu der Kündigungsregelung des Einigungsvertrages in Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag rechtlich neben der vom Berufungsgericht aufrechterhaltenen Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Urteils, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 des anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes. Insofern führt das anzufechtende Urteil mit Recht aus, daß die Kündigungsregelung nach Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 der Anlage I zum Einigungsvertrag neben die Kündigungsgründe des § 1 KSchG tritt. Ist die Kündigung bereits nach § 1 KSchG sozial gerechtfertigt und wirksam, kommt es auf das Vorliegen der besonderen Kündigungsgründe nach Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anlage I zum Einigungsvertrag rechtlich nicht mehr an.

3. Soweit der Kläger geltend macht, das anzufechtende Urteil habe den Rechtssatz aufgestellt, ein Gericht brauche sich bei der Auslegung einer Erklärung in einem bestimmten Sinne nicht mit den von einer Partei vorgetragenen Gründen dafür auseinanderzusetzen, daß diese Partei die Erklärung in einem ganz anderen Sinne verstanden habe, und könne gleichwohl dieser Partei unterstellen, die Erklärung so wie das Gericht verstanden zu haben, und dürfe darauf die Kündigung stützen, kann ein solcher Rechtssatz den Ausführungen des anzufechtenden Urteils nicht entnommen werden. Ein vom Berufungsgericht nicht selbst formulierter, aber durch eine nur scheinbar fallbezogene Würdigung verdeckter divergierender Rechtssatz kann dem anzufechtenden Urteil nur dann zwingend entnommen werden, wenn er sich aus der Begründung unmittelbar und so deutlich ergibt, daß zweifelsfrei ist, welchen Rechtssatz die Entscheidung aufgestellt hat (vgl. etwa BAG Beschluß vom 10. Juli 1984 – 2 AZN 337/84 – AP Nr. 15 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz, mit weiteren Nachweisen). Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Vielmehr hat das Landesarbeitsgericht auf Seite 11 der Entscheidungsgründe eine Einlassung des Klägers zur Auslegung seiner Erklärung vom 1. November 1991 gewürdigt. Daß das Landesarbeitsgericht mit dem anzufechtenden Urteil eine umfassende Würdigung der vom Kläger vorgetragenen Auslegungsgesichtspunkte unterlassen haben könnte, begründet deshalb nicht die Annahme, das Landesarbeitsgericht sei zwingend von dem Rechtssatz ausgegangen, diese Auslegungsgesichtspunkte dürften rechtlich außer Betracht gelassen werden. Insofern könnte gleichermaßen eine unzureichende Sachverhaltswürdigung vorliegen, die nicht zur Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde führen würde.

4. Soweit der Kläger geltend macht, das anzufechtende Urteil sei ebenso wie Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts von Rechtssätzen des Bundesverfassungsgerichts zur Unzumutbarkeit der Selbstbezichtigung abgewichen, ist eine Divergenz nicht gegeben, denn die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts leitet die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Auskunft als Nebenpflicht aus § 242 BGB her. Eine rechtsgeschäftliche Auskunftspflicht wird auch von der angezogenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt.

5. Soweit der Kläger geltend macht, das anzufechtende Urteil habe den Rechtssatz aufgestellt, nur persönlich-familiär begründete besondere Umstände könnten bei der Einzelfallprüfung zu einer anderen Beurteilung führen, kann ein solcher Rechtssatz aus den Ausführungen des anzufechtenden Urteils mit der oben unter II. 3. der Gründe dargelegten notwendigen Sicherheit nicht abgeleitet werden.

6. Die angezogene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Magdeburg (gemeint ist offenbar das Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt in Halle) vom 16. Februar 1995 ist, nachdem das Bundesarbeitsgericht mit den vom Kläger selbst zitierten Entscheidungen zu der Rechtsfrage entschieden hat, nicht mehr divergenzfähig.

III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

IV. Streitwert: unverändert

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, Krause, E. Schmitzberger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1766843

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