Entscheidungsstichwort (Thema)

Zustimmungsersetzung zur Kündigung einer Betriebsratsvorsitzenden

 

Leitsatz (redaktionell)

Verdacht der Kassenmanipulation

 

Normenkette

BetrVG § 103; KSchG § 15; BGB § 626

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Beschluss vom 20.08.1990; Aktenzeichen 4 TaBV 13/90)

ArbG Hildesheim (Beschluss vom 11.01.1990; Aktenzeichen 2 BV 8/89)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1) (Arbeitgeberin) gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 20. August 1990 – 4 TaBV 13/90 – wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

I. Die Antragstellerin (Arbeitgeberin) betreibt ein Einzelhandelsfilialunternehmen, in dessen Filiale in H. der Beteiligte zu 2) Betriebsrat ist. Die Beteiligte zu 3) ist dessen Betriebsratsvorsitzende. Sie ist seit dem 14. Oktober 1974 als Kassiererin beschäftigt und zwar gegen ein monatliches Bruttoeinkommen von ca. 2.400,– DM.

Mit Schreiben vom 10. und 13. November 1989 beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Kündigung der Beteiligten zu 3) wegen des Verdachtes von Kassenmanipulationen. Der Betriebsrat verweigerte durch Beschlüsse vom 13. und 14. November 1989 seine Zustimmung. Mit ihrem am 21. November 1989 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag begehrte die Arbeitgeberin die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Kündigung der Beteiligten zu 3), und zwar aufgrund folgenden Sachverhalts:

Am 7. November 1989 war die Beteiligte zu 3) an der Kasse 3 der Filiale in H. tätig. An dieser Kasse entstanden im Laufe des Tages insgesamt vier sogenannte Fehlbons im Gesamtwert von 57,24 DM.

Bei der Kassiertätigkeit besteht die Gefahr, daß derartige Fehlbons erstellt werden, wenn die Kassiererin irrtümlich zu viel Ware als verkauft in die Kasse eingegeben hat oder wenn erst beim Bezahlen festgestellt wird, daß der Kunde zu wenig oder gar kein Geld bei sich hat, um die im Warenkorb angesammelte Ware tatsächlich bezahlen zu können. In derartigen Fällen besteht die Kassieranweisung, daß ein sogenannter Zweitbon über die tatsächlich herausgegebene und bezahlte Ware zu fertigen ist, den der Kunde dann als Beleg mitnimmt. Fehlbon und Zweitbon erscheinen dann jeweils auf dem laufenden Kassenkontrollstreifen. Der Zweitbon ist aufgrund einer Kassenanweisung der Arbeitgeberin grundsätzlich im unmittelbaren Anschluß an den Fehlbon in die Kasse einzugeben; dabei ist die Kassenaufsicht unverzüglich zu benachrichtigen und der Fehlbon von der Kassenaufsicht abzuzeichnen. Der Fehlbon wird dann auf der Kassiererabrechnung vom Tagessoll in Abzug gebracht und ist gesondert auf der Abrechnung auszuweisen. Die Erstellung eines Zweitbons kann nur dann unterbleiben, wenn der Kunde mangels Zahlung gar keine Waren mitnimmt und deshalb auch keinen Bon erhält.

Unter den Beteiligten ist unstreitig, daß am 7. November 1989 drei Fehlbons mit den Nummern 2537, 2568 und 2279 entstanden sind, während die Beteiligte zu 3) an der Kasse tätig war. Diese Bons sind – wenn auch nachträglich – von der Kassenaufsicht, der Zeugin O., abgezeichnet worden. Auch der Fehlbon 2551 stammt von der Beteiligten zu 3), ohne daß er der Kassenaufsicht zur Abzeichnung vorgelegt wurde. Ausweislich der auf den Fehlbons jeweils als fehlerhaft von der Beteiligten zu 3) gekennzeichneten Einzelbeträge sind von den Kunden insoweit insgesamt Waren im Werte von 51,27 DM mitgenommen und auch bezahlt worden, ohne daß darüber Zweitbons erstellt worden sind, wie dies die Kassenanweisung vorsieht. Der Kassenkontrollstreifen für den 7. November 1989 weist unstreitig den Gesamtbetrag von 51,27 DM oder die richtigen Einzelbeträge nicht aus.

Die von der Beteiligten zu 3) für den 7. November 1989 erstellte Kassiererabrechnung enthält den Kassensollbestand, der sich aus einer Addition sämtlicher Kassenposten des Tages zuzüglich des zu Beginn des Tages eingegebenen Wechselgeldbetrages ergibt. Die Kassiererabrechnung weist einen Kassen-Ist-Bestand von 4.653,11 DM aus, während das Kassensoll nach Abzug der Fehlbons (51,27 DM) 4.692,38 DM beträgt. Hieraus errechnete die Beteiligte zu 3) einen Kassenfehlbetrag von 39,27 DM. Wie sie jedoch nicht berücksichtigt hatte, betrug der Kassenwechselgeldbestand an diesem Tage ausnahmsweise nur 260,– DM. Unter Hinzurechnung der irrtümlich zuviel veranschlagten 40,– DM Wechselgeld bestand deswegen eine positive Kassendifferenz von 0,73 DM. Hätte die Beteiligte zu 3), wovon sie auch selbst ausgeht, die 51,27 DM entsprechend den Fehlbonpositionen eingenommen und nur versehentlich nicht nachgebont, dann hätte sich ein Kassenplus von ca. 52,– DM ergeben müssen.

Die Arbeitgeberin hat behauptet, die Beteiligte zu 3) sei am 7. November 1989 allein an der Kasse 3 tätig gewesen und deshalb für sämtliche vier Fehlbons verantwortlich. Da sie für diese Fehlbons keine Zweitbons erstellt habe und nur drei Fehlbons verspätet und einer gar nicht von der Kassenaufsicht abgezeichnet worden seien, bestehe der dringende Verdacht der Kassenmanipulation in Höhe des Gegenwerts der vier Fehlbons. Die Beteiligte zu 3) werde vor allem dadurch belastet, daß sie in allen vier Fällen keine Zweitbons erstellt habe. Hierfür gebe es auch keine plausible Erklärung. Auch sei die Kassenaufsicht an jenem Tag erreichbar gewesen.

Gegen die Beteiligte spreche ferner, daß es auch am 11. September 1989, am 11., 16. und 26. Oktober 1989 bei ihr zu Fehlbons gekommen sei. Es bestehe deshalb der dringende Verdacht, daß die Beteiligte zu 3) mehrfach Vermögensdelikte zu ihrem, der Arbeitgeberin, Nachteil begangen und versucht habe, dies durch Nichterstellen der erforderlichen Zweitbons zu verschleiern.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen Kündigung der Beteiligten zu 3) zu ersetzen.

Der Betriebsrat und die Beteiligte zu 3) haben Zurückweisung dieses Antrags beantragt und bestritten, daß die Beteiligte zu 3) am 7. November 1989 allein an der Kasse 3 tätig gewesen sei. Ihr seien auch nur drei Fehlbons zuzurechnen, die von der Kassenaufsicht abgezeichnet worden seien. Es sei möglich, daß gerade in Situationen mit hohem Kundenandrang das Nachbonen vergessen worden sei. Auch sei die Beteiligte zu 3) an jenem Tage wegen der Einführung des freien Dienstleistungsabends mehrfach von der Kasse zum Telefonieren abgerufen worden. Die Fehlbons habe sie selbst kenntlich gemacht, weil die Kassenaufsicht nicht erreichbar gewesen sei. Eine Kassendifferenz könne sich auch daraus ergeben, daß sie zuviel Geld herausgegeben habe oder das Wechselgeld falsch eingezahlt worden sei. Eine Manipulation oder Unterschlagung werde bestritten. Das gelte auch für das angebliche Fehlbonen am 11. September 1989, 11., 16. und 26. Oktober 1989:

Die angeblichen Fehlbons seien der Beteiligten zu 3) nicht zuzurechnen, da sie zumindest teilweise mit weiteren Kassiererinnen an einer Kasse tätig gewesen sei.

Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung der Zeuginnen O. und B. den Antrag zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht nach einer umfangreichen Beweisaufnahme – vor allem zur ordnungsgemäßen Information des Betriebsrats – zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin, um deren Zurückweisung der Betriebsrat und die Beteiligte zu 3) bitten.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist unter revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zunächst fest, daß die Arbeitgeberin den bei ihr gebildeten Betriebsrat ordnungsgemäß i. S. der §§ 102, 103 BetrVG angehört habe. Die Zustimmung zu der beantragten außerordentlichen Kündigung könne jedoch nicht ersetzt werden (§ 103 BetrVG, § 15 KSchG), weil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar sei, § 626 BGB. Zwar sei davon auszugehen, daß die Beteiligte zu 3) alle vier Fehlbons selbst produziert und auch entgegen der Kassenanweisung nicht nachgebont habe. Dabei sei weiter davon auszugehen, daß die Beteiligte zu 3) am 7. November 1989 allein an der Kasse 3 tätig gewesen sei, ohne daß sie selbst näher konkretisiert habe, wer angeblich an ihrer Kasse an diesem Tage gearbeitet haben solle. Auch die theoretische Möglichkeit, daß ein Dritter bewußt 50,– DM aus ihrer Kasse entnommen habe, erscheine fernliegend ebenso wie die Annahme, daß die Kassenaufsicht bei der Vorentnahme von 3.700,– DM an diesem Tage sich etwa um einen Betrag von 50,– DM zum Nachteil der Beteiligten zu 3) verzählt habe, denn der Entnahmebetrag sei im Beisein einer anderen Kassiererin nachgezählt worden. Auch die rein theoretische Möglichkeit, daß die Beteiligte zu 3) zufällig einem Kunden 50,– DM zuviel herausgegeben habe, sei angesichts ihrer jahrzehntelangen Erfahrung fernliegend. Daß die Kasse an jenem Tage etwa zeitweilig unverschlossen gewesen sei, habe sie selbst nicht behauptet. Aufgrund dieser Umstände bestehe deshalb ein dringender Verdacht gegen die Beteiligte zu 3). Gleichwohl sei unter Würdigung aller Umstände der Arbeitgeberin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar. Dabei seien die Persönlichkeit und die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb ebenso zu berücksichtigen wie eine etwaige besondere: Vertrauensstellung oder die Erwartung, daß die Weiterbeschäftigung besondere Gefahren für den Arbeitgeber mit sich bringen könne. Hier sei zu berücksichtigen, daß keine Anhaltspunkte dafür bestünden, daß die Beteiligte zu 3) sich wegen eines Betrages von rund 50,– DM ins wirtschaftliche Abseits als Kassiererin manövrieren würde, zumal sie durch das Nichtbonen unstreitiger Fehlbons selbst den Beweis liefere, möglicherweise Gelder für sich abgezweigt zu haben. Die Beteiligte zu 3) hätte dann eher eine Kassendifferenz in etwa gleicher Höhe entstehen lassen können trotz ordnungsgemäßem Nachbonens und damit eine ansonsten unaufklärbare Ursache für die Kassendifferenz gesetzt. Im übrigen seien Kassendifferenzen nicht nur bei der Beteiligten zu 3), sondern auch bei anderen langjährig beschäftigten Kassiererinnen in noch größerer Höhe entstanden und nicht nur mit Bagatellbeträgen unter 10,– DM. Da die Beteiligte zu 3) bisher wegen Verstoßes gegen die Kassieranweisung nie abgemahnt worden sei, obwohl sie seit 1974 und damit mehr als 15 Jahre lang als Kassiererin beschäftigt sei, sei nicht zu erwarten, daß sie künftig in ähnlicher Weise erneut einen Verdacht gegen ihre Kassenführung werde aufkommen lassen. Zu berücksichtigen sei auch, daß die Beteiligte zu 3) im November 1989 als Vorsitzende des Beriebsrats in Auseinandersetzungen mit der Antragstellerin um die Einführung des Dienstleistungsabends gestanden haben, so daß es eher unwahrscheinlich sei, daß sie ihre und die Stellung des Betriebsrats dadurch massiv gefährdet hätte, indem sie den Verdacht der Unredlichkeit gegen sich als Vorsitzende des Betriebsrats herbeigeführt habe. Zwar habe die Arbeitgeberin auch bei den Nachforschungen weitere nicht nachgebonte Fehlbons festgestellt, doch könne der Beteiligten zu 3) nicht widerlegt werden, daß am 11. September 1989 ein Nachbonen nicht möglich war, weil der Kunde mit den Worten, er habe sein Geld vergessen, den ganzen Warenkorb stehen lassen mußte. Wenn sich die Kassenaufsicht daran nicht erinnern könne, dann könne dies nicht zu Lasten der Beteiligten zu 3) Berücksichtigung finden. Wegen der weiteren Vorfälle sei eine Zuordnung zur Beteiligten zu 3) nicht möglich, weil es keine Kassenanweisung gebe, wonach bei einer Ablösung während des Tages auf dem Kontrollstreifen die Übernahme der Kasse durch eine andere Kassiererin vermerkt werden müsse. Insgesamt sei die Kammer der Überzeugung, daß mit Rücksicht auf die überaus lange Betriebszugehörigkeit, das bisher unbeanstandete Verhalten und die Stellung der Beteiligten zu 3) im Betrieb es der Arbeitgeberin zuzumuten gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis bis zum Ende einer fiktiven Kündigungsfrist nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Fristen für die Kündigung von Angestellten, d.h. bis zum 30. Juni 1990 weiter fortzusetzen. Das Verhalten der Beteiligten zu 3) sei zwar abmahnungswürdig, die allgemeine Interessenabwägung falle aber zu ihren Gunsten aus, auch wenn die Arbeitgeberin gerade bei Kassiererinnen auf unbedingte Redlichkeit angewiesen sei.

Diese Würdigung beruht nicht auf einem revisiblen Rechtsfehler.

2. Die allgemeine Rüge der Verletzung materiellen Rechts greift demgegenüber nicht durch, wobei die Rechtsbeschwerde die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, der Betriebsrat sei vollständig und ordnungsgemäß (§ 102 BetrVG) zur beabsichtigten Kündigung der Beteiligten zu 3) angehört worden, ersichtlich nicht angreift. Diese Darlegungen des Beschwerdegerichts sind auch aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

a) Das Beschwerdegericht ist im Anschluß an die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach auch der dringende Verdacht einer strafbaren Handlung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann (seit BAG Urteil vom 24. März 1958 – 2 AZR 587/55 – AP Nr. 5 zu § 626 BGB Verdacht strafbare Handlung; siehe ferner Senatsurteil vom 3. April 1986 – 2 AZR 324/85 – AP Nr. 18, a.a.O., zu II 1 a der Gründe; BAG Urteil vom 20. Januar 1984 – 7 AZR 143/82 – n. v., zu II 2 der Gründe), zu dem Ergebnis gekommen, aufgrund des Fehlbonens der Beteiligten zu 3) am 7. November 1989 in vier Fällen bestehe ihr gegenüber der dringende, objektiv begründete Verdacht einer Kassenmanipulation in Höhe des Gegenwertes der vier Bons von ca. 52,– DM, zumal weder ein Dritter die Möglichkeit des Zugriffs, noch andere Mitarbeiter während der Mittagspause Zugang zur Kasse gehabt hätten und auch ein Verzählen der Kassenaufsicht bei der Vorentnahme von 3.700,– DM im Beisein einer Kollegin fernliegend sei. Hiervon geht auch die Rechtsbeschwerde aus.

b) Das Landesarbeitsgericht ist dann in einem zweiten Prüfungsabschnitt – wiederum in Übereinstimmung mit der BAG-Rechtsprechung (Senatsurteil vom 17. Mai 1984 – 2 AZR 3/83 – AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbare Handlung, zu II 1 b der Gründe) – zu der Auffassung gekommen, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles sei im Rahmen der Interessenabwägung der Arbeitgeberin jedoch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf einer fiktiv zu bestimmenden Kündigungsfrist bis 30. Juni 1990 zumutbar. Nur diese Würdigung wird von der Beschwerde angegriffen.

c) Insoweit unterliegt die Entscheidung des Beschwerdegerichts aber nur einer beschränkten Nachprüfung. Bei der Frage, ob eine außerordentliche Kündigung durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt ist, geht es um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, der nur einer eingeschränkten Nachprüfung durch das Revisionsgericht dahin unterliegt, ob der Tatsachenrichter den Begriff des wichtigen Grundes als solchen richtig erkannt hat – dies wird von der Rechtsbeschwerde hier nicht gerügt – und ob bei der Interessenabwägung alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalles dahin überprüft worden sind, ob es dem Kündigenden unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Die Bewertung der für und gegen die Unzumutbarkeit sprechenden Umstände liegt weitgehend im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz. Hält sich das Beschwerdegericht in diesem Rahmen, kann das Rechtsbeschwerdegericht die angegriffene Würdigung nicht durch eine eigene ersetzen (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG Urteil vom 2. Juni 1960 – 2 AZR 91/58 – BAGE 9, 263 = AP Nr. 42 zu § 626 BGB, zu III 2 der Gründe).

d) Diesem eingeschränkten Überprüfungsmaßstab wird der angefochtene Beschluß gerecht.

aa) Soweit zunächst gerügt wird, das Landesarbeitsgericht sei zu Unrecht von einer Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung für rund sieben Monate ausgegangen, wird die Bemessung dieses Zeitraums für eine ordentliche Kündigung, die das Landesarbeitsgericht unter fiktiver Anwendung des § 2 AngKSchG beanstandungsfrei zugrundegelegt hat, ersichtlich nicht in Zweifel gezogen.

bb) Soweit geltend gemacht wird, das Landesarbeitsgericht habe in der Interessenabwägung nicht hinreichend die Vertrauensstellung der Beteiligten zu 3) berücksichtigt, trifft das nicht zu. Das Landesarbeitsgericht hat in den Gründen (S. 19 unten, S. 22 oben und mitte) die besondere Stellung der Beteiligten zu 3) als Kassiererin, hinsichtlich der die Arbeitgeberin auf unbedingte Redlichkeit angewiesen sei, gewürdigt. Inwiefern dies unvollständig bzw. „nicht hinreichend” geschehen sei, legt die Rechtsbeschwerde nicht dar. Sie will offensichtlich nur ihre Würdigung anstelle derer des Gerichts setzen.

cc) Auch soweit beanstandet wird, im Rahmen der Interessenabwägung habe die Überlegung des Gerichts nichts zu suchen, daß sich die Beteiligte zu 3) wegen eines Betrages von 50,– DM als Kassiererin nicht ins wirtschaftliche Abseits manövrieren werde, bezeichnet die Revision keinen Rechtsfehler. Denn es ist gerade Aufgabe des Gerichts, im zweiten Abschnitt der Prüfung des § 626 BGB die besonderen Umstände des Einzelfalles, u.a. auch die Persönlichkeit der Beteiligten zu 3) zu berücksichtigen. So hat auch das Bundesarbeitsgericht (Senatsurteil vom 17. Mai 1984 – 2 AZR 3/83 – AP, a.a.O., zu II 1 b der Gründe) darauf abgestellt, zunächst sei in einem ersten Prüfungsabschnitt zu erörtern, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet sei, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben, und dann sei (in einem zweiten Abschnitt) zu prüfen, ob bei der Berücksichtigung dieses Umstandes und der Interessenabwägung die konkrete Kündigung gerechtfertigt sei (ebenso KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 626 BGB Rz 58 ff.). Die Darlegung des Landesarbeitsgerichts erscheint daher – zumindest aus der persönlichen Anschauung des Tatsachenrichters – vertretbar, ist in sich nicht widersprüchlich oder unlogisch. Etwas derartiges zeigt die Rechtsbeschwerde auch nicht konkret auf.

dd) Zu Unrecht wirft sie dem Landesarbeitsgericht Unlogik und einen Verstoß gegen Denkgesetze insoweit vor, als dieses im Hinblick auf die Persönlichkeit der Beteiligten zu 3) gemeint hat, zu deren Gunsten die Tatsache werten zu können, daß sie durch das Nichtbonen unstreitiger Fehlbons dem Arbeitgeber selbst den Beweis geliefert habe, möglicherweise Gelder für sich abgezweigt zu haben. Sie meint, eine Kassiererin mache sich gerade verdächtig, wenn ihre Kassenabrechnung Fehlbeträge aufweise; Fehlbons zu produzieren, sei dann besonders raffiniert und unauffällig.

Wie die Rechtsbeschwerde dabei verkennt, hat das Landesarbeitsgericht im ersten Prüfungsabschnitt selbst einen dringenden Tatverdacht angenommen, dann aber berücksichtigt, es könne auch für die Beteiligte zu 3) sprechen, wenn sie mit dem Unterlassen des Nachbonens dem Arbeitgeber den Nachweis des Verdachts stark erleichtert habe. Insoweit mögen beide Annahmen denkgesetzlich möglich sein, ohne daß sich folgern läßt, wenn das Landesarbeitsgericht auf die von ihm getroffene Annahme abstelle, so sei dies in sich widersprüchlich oder unlogisch. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß zumindest drei der vier Fehlbons von der Kassenaufsicht – wenn auch nachträglich – abgezeichnet worden sind, was gegen eine unauffällige Handhabung spricht. Jedenfalls hätte die Kassenaufsicht bereits in diesem Zusammenhang das fehlende Nachbonen beanstanden können. Das Landesarbeitsgericht hat auch nicht beschönigt, daß die Beteiligte zu 3) mit dem fehlenden Nachbonen ganz offensichtlich gegen die entsprechende Dienstanweisung verstoßen hat. Ein unrichtiges Nachbonen wäre jedenfalls raffinierter gewesen und hätte eine unberechtigte Kassenentnahme besser vertuscht, als wenn dies überhaupt unterlassen wurde.

ee) Schließlich bemängelt die Rechtsbeschwerde, das Landesarbeitsgericht habe mit keinem Wort in die Interessenabwägung einbezogen, daß bei der bejahten Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung der Arbeitgeber gezwungen sei, sich durch gezielte Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen zu schützen. Abgesehen davon, daß diese Notwendigkeit nicht zwingend besteht, sondern eine Kontrolle – gerade nach dem festgestellten dringenden Verdacht – wie bei jeder anderen Kassiererin womöglich ausreichen würde, hat die Rechtsbeschwerde nicht verdeutlicht, inwiefern überhaupt zusätzliche Kontrollen etwa mit besonderem Aufwand. Kosten etc. verbunden seien. Was das Landesarbeitsgericht daher zusätzlich in der Interessenabwägung überhaupt konkret hätte berücksichtigen sollen, wird nicht ersichtlich.

ff) Unzutreffend ist die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, daß es sich bei dem Fehlbetrag von 50,– DM nicht um einen geringfügigen Betrag gehandelt habe. Vom Gegenteil ist das Landesarbeitsgericht ersichtlich nicht ausgegangen. Es hat aber im Unterschied zu dem von der Rechtsbeschwerde erwähnten Fall (BAG Urteil vom 24. März 1958 – 2 AZR 587/55 –, AP Nr. 5 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung) eben nicht festgestellt, daß von einem bestimmten Betrag nur ein Teil registriert worden war, was in jenem Fall den Verdacht begründete, der Arbeitnehmer habe den nichtregistrierten Rest entwendet.

3. Schließlich ist auch die hilfsweise erhobene, formelle Rüge erfolglos, das Landesarbeitsgericht sei den Vorfällen vom 11. September 1989, 11., 16. und 26. Oktober 1989 trotz entsprechender Beweisantritte nicht nachgegangen. Diese Rüge entspricht schon nicht den an eine formelle Rüge zu stellenden Zulässigkeitsanforderungen.

a) Die Rechtsbeschwerde beanstandet insoweit eine mangelnde Sachaufklärung. Wenn darin auch ohne Nennung der Gesetzesbestimmung (§ 554 Abs. 3 Nr. 3 ZPO) eine Rüge nach § 286 ZPO gesehen werden kann, so fehlt doch eine genaue Angabe, welchen Beweisantritten hätte nachgegangen werden sollen und was diese erbracht hätten (BAG Urteil vom 27. Oktober 1956 – 2 AZR 297/54 – AP Nr. 3 zu § 554 ZPO). Auch wird nicht detailliert dargelegt, inwiefern die datenmäßig genannten „Vorfälle” den Verdacht einer strafbaren Handlung gerechtfertigt und deshalb zu einer anderen Zumutbarkeitsabwägung des Beschwerdegerichts geführt hätten (siehe auch BAG Urteil vom 9. Februar 1968 – 3 AZR 419/66 – AP Nr. 13 zu § 554 ZPO).

b) Im übrigen hat sich das Landesarbeitsgericht (auf S. 21 mitte der Gründe) mit den weiteren, nicht nachgebonten Fehlbons beschäftigt, ohne daß die Rechtsbeschwerde sich mit den entsprechenden Ausführungen konkret auseinandergesetzt hat. Mit der entsprechenden Würdigung des Landesarbeitsgerichts, am 11. September 1989 sei ein Nachbonen nicht erforderlich gewesen, weil jedenfalls nach der Aussage der Zeugin O. nicht ausgeschlossen sei, daß ein Kunde ohne Geld den Warenkorb habe stehenlassen müssen, setzt sich die Rechtsbeschwerde ebensowenig auseinander wie mit den Darlegungen des Beschwerdegerichts, bei den anderen Vorfällen sei schon eine Zuordnung zur Beteiligten zu 3) nicht möglich.

 

Unterschriften

Hillebrecht, Dr. Ascheid, Bitter, Thieß, Dr. Kirchner

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1081288

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