Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung übertariflicher Zulagen auf Tariferhöhung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG dient der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit und ist daher im Grundsatz auf eine vergleichende Bewertung des gesamten betrieblichen Entgeltgefüges angewiesen. Bestehen jedoch für Teile der Belegschaft verschiedenartige Entgeltsysteme, die durch Unterschiede der Tätigkeiten bedingt sind, so erstreckt sich das Mitbestimmungsrecht nicht auf das Verhältnis der einzelnen Entgeltsysteme zueinander.

2. Hieraus folgt, daß eine Entgelterhöhung bei Angestellten in Leitungspositionen, deren Gehälter aufgrund einer betrieblichen Regelung nicht unerheblich oberhalb der höchsten Tarifgruppe liegen, außer Betracht zu bleiben hat, soweit es um die Frage geht, ob die gleichzeitig bei anderen Arbeitnehmern vorgenommene Anrechnung einer Tariferhöhung auf übertarifliche Zulagen einen Gestaltungsspielraum offen läßt und deshalb der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 19.12.1994; Aktenzeichen 15 TaBV 4/94)

ArbG Stuttgart (Entscheidung vom 22.04.1994; Aktenzeichen 20 BV 19/93)

 

Gründe

A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat im Werk M bei der Anrechnung der Tariferhöhung im Jahre 1993 auf übertarifliche Zulagen mitzubestimmen hatte.

Die Arbeitgeberin beschäftigt in ihrem Betrieb in M rund 280 Arbeitnehmer. Sie ist kraft Verbandszugehörigkeit an die Tarifverträge der Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden gebunden. Die - monatlich zu zahlenden - Tariflöhne und -gehälter wurden zum 1. April 1993 um 3 % erhöht. Gleichzeitig verkürzte sich die tarifliche Wochenarbeitszeit von 37 auf 36 Stunden.

Im Betrieb bestehen verschiedenartige Arbeitszeit- und Entgeltregelungen. Insoweit läßt sich die Belegschaft in fünf Gruppen einteilen, deren Arbeitsentgelte sich im Zusammenhang mit der Tariferhöhung 1993 in unterschiedlicher Weise änderten:

- Die Arbeiter und Angestellten, deren regelmäßige Arbeits-

zeit mit der normalen tariflichen Wochenarbeitszeit über-

einstimmt, erhalten neben ihrem Tarifentgelt eine überta-

rifliche Zulage. Diese ist bei den einzelnen Arbeitneh-

mern unterschiedlich hoch. Die Arbeitgeberin hat sich die

Anrechnung mit "Erhöhungen der tariflichen... Lohnbe-

standteile" bzw. "Erhöhungen des Tarifgehalts" einzelver-

traglich vorbehalten. Die Tariferhöhung von 3 % wurde bei

diesen Arbeitnehmern in vollem Umfang auf die Zulage an-

gerechnet.

- Auch die Arbeiter und Angestellten, mit denen eine indi-

viduelle regelmäßige Arbeitszeit von 40 Wochenstunden

oder Teilzeitarbeit vereinbart ist, erhalten zum Tarif-

entgelt eine übertarifliche Zulage in unterschiedlicher

Höhe. Die Anrechnung mit Tariferhöhungen ist in gleicher

Weise wie bei der ersten Gruppe vorbehalten. Die indivi-

duelle Arbeitszeit dieser Arbeitnehmer blieb nach der ta-

riflichen Arbeitszeitverkürzung auf 36 Wochenstunden un-

verändert. Deswegen stand ihnen ein tariflicher Arbeits-

zeitverkürzungsausgleich in Höhe von 2,78 % des wöchent-

lichen Arbeitsentgelts zu. Dieser Ausgleich entspricht

rechnerisch ungefähr dem Entgelt für eine Arbeitsstunde.

Die Arbeitgeberin rechnete den Ausgleich ebenso wie die

dreiprozentige Entgelterhöhung in vollem Umfang auf die

Zulagen an, soweit deren Höhe das zuließ.

- Angestellte, die als Gruppenleiter tätig sind (sog. EG-1--

Angestellte), erhalten ein "Festes Monatsgehalt", das

nicht unerheblich über der höchsten tariflichen Gehalts-

gruppe liegt. Es ist nicht in tarifliche und übertarifli-

che Bestandteile aufgegliedert. Die Arbeitsverträge die-

ser Angestellten enthalten folgende Bestimmung:

"Treten aufgrund tariflicher Vereinbarungen generell

Änderungen der Effektivgehälter unserer Stuttgarter Ta-

rifangestellten ein, so ändert sich auch Ihr Festes Mo-

natsgehalt, und zwar um den Betrag, um den sich das Ta-

rifgehalt der obersten Tarifgruppe verändert."

Bisher hat die Arbeitgeberin für die Erhöhung der EG-1--

Gehälter jeweils einen Gesamtbetrag vorgegeben, der in

den einzelnen Betrieben unterschiedlich auf die betroffe-

nen Angestellten verteilt werden konnte. Die Wochenar-

beitszeit der EG-1-Angestellten beträgt 40 Stunden. Bis

zu zwölf Mehrarbeitsstunden monatlich sind mit dem Gehalt

abgegolten. Die Arbeitgeberin erhöhte die Gehälter zum

1. April 1993 um einen Betrag, der 3 % des bisherigen

höchsten Tarifgehalts entsprach, sowie um weitere 2,78 %

als Arbeitszeitverkürzungsausgleich. Zugleich bat sie die

EG-1-Angestellten, freiwillig auf 3 % des Festen Monats-

gehalts, berechnet nach dessen bisheriger Höhe, zu ver-

zichten. Dieser Aufforderung folgten fast alle Betroffe-

nen.

- Mit Angestellten auf Abteilungsleiterebene (EG-2-Ange-

stellte) ist ein Richteinkommen vereinbart. Die Vergütung

besteht aus einem festen und einem variablen Anteil, die

so bemessen sind, daß das Richteinkommen nicht um mehr

als 10 % über- oder unterschritten wird. Die Arbeitszeit

richtet sich nach den Erfordernissen der übertragenen

Aufgaben. Mehrarbeit ist durch das Gehalt abgegolten. Die

Arbeitgeberin erhöhte die Richteinkommen zum 1. April

1993 um unterschiedliche, im einzelnen nicht festgestell-

te Beträge. Auf entsprechende Aufforderung verzichteten

fast alle EG-2-Angestellten auf 3 % ihres festen Gehalts-

anteils.

- Die Angestellten oberhalb der Ebene der Abteilungsleiter

(EG-3-Angestellte) sind nach übereinstimmender Auffassung

der Arbeitgeberin und des Betriebsrats leitende Ange-

stellte.

Das System der EG-Gehälter beruht auf einer zwischen der Arbeitgeberin und dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossenen Betriebsvereinbarung, in der die Gruppen EG-1 bis 3 als "außertarifliche Einkommensgruppen" bezeichnet sind. Die Arbeitgeberin unterrichtete den Betriebsrat über die beabsichtigte Anrechnung der Tariferhöhung auf die in den beiden unteren Arbeitnehmergruppen gezahlten Zulagen, sie holte aber nicht seine Zustimmung dazu ein. Eine von ihr vorgeschlagene Betriebsvereinbarung, nach der die Anrechnung des Arbeitszeitverkürzungsausgleichs von 2,78 % unterbleiben sollte, lehnte der Betriebsrat ab. Auch bei der Erhöhung der EG-Gehälter bestimmte er nicht mit; insoweit hat das Landesarbeitsgericht im vorliegenden Verfahren rechtskräftig festgestellt, daß die Arbeitgeberin das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzt habe.

Der Betriebsrat hat, soweit für die Rechtsbeschwerde noch von Interesse, die Auffassung vertreten, die Anrechnung der TAriferhöhung auf die übertariflichen Zulagen in den beiden unteren Arbeitnehmerkategorien sei mitbestimmungspflichtig gewesen. Zwar sei die Anrechnung, wenn man nur auf diese beiden Gruppen abstelle, vollständig und damit mitbestimmungsfrei gewesen. Eine solchermaßen beschränkte Sicht sei aber verfehlt, denn die Anrechnung könne nicht unabhängig von der gleichzeitigen Gehaltserhöhung im EG-Bereich beurteilt werden. Sowohl die Anrechnung als auch die durch Gehaltsverzicht teilweise zurückgenommene Erhöhung der EG-Gehälter hätten dem Ziel gedient, die Personalkosten möglichst stabil zu halten. Außerdem sei zu berücksichtigen, daß die EG-1-Angestellten teilweise Gewerkschaftsmitglieder seien, deren Gehälter sich aus einem tariflichen und einem übertariflichen Bestandteil zusammensetzten. Eine gemeinsame Bewertung der zum 1. April 1993 in den verschiedenen Gruppen vorgenommenen Änderungen der Gehälter sei auch geboten, um eine Umgehung der Mitbestimmung zu verhindern. Anderenfalls könnte die Arbeitgeberin dadurch, daß sie den Kreis der Empfänger übertariflicher Gehaltsbestandteile in möglichst viele Gruppen aufspalte, die Mitbestimmung bei der Anrechnung sachwidrig beschränken.

Der Betriebsrat hat zuletzt noch beantragt

festzustellen, daß die Arbeitgeberin durch die

betriebliche Lohngestaltung im Werk M ab

1. April 1993, die in der Anrechnung von Tarif-

lohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen sowie

in Gehaltserhöhungen der Einkommensgruppen 1 und

2 bestand, das Mitbestimmungsrecht des Betriebs-

rats verletzt hat.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Nach ihrer Auffassung war die Anrechnung nicht mitbestimmungspflichtig. Sie sei vollständig erfolgt, so daß kein Spielraum für eine abweichende Gestaltung bestanden habe. Die Anrechnung der Tariferhöhung in den beiden unteren Gruppen könne mitbestimmungsrechtlich nicht mit der Gehaltserhöhung in den anderen Gruppen in Zusammenhang gebracht werden. Insoweit bestünden verschiedenartige Vergütungssysteme. Die zwischen diesen vorhandenen Unterschiede seien sachlich gerechtfertigt. Ein Mitbestimmungsrecht könne immer nur innerhalb des Dotierungsrahmens bestehen, der sich auf ein einheitliches Vergütungssystem beziehe.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat ihn, soweit er die Anrechnung der Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen betrifft, auf die Beschwerde der Arbeitgeberin abgewiesen, hinsichtlich der Gehaltserhöhungen in den Gruppen EG 1 und 2 jedoch den erstinstanzlichen Beschluß bestätigt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Antrag weiter. Die Arbeitgeberin bittet, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

B. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

I. Sie ist in vollem Umfang zulässig. Allerdings bezieht sich der in der Rechtsbeschwerdeinstanz gestellte Antrag des Betriebsrats nach seinem Wortlaut auf die gesamte betriebliche Lohngestaltung im Werk M zum 1. April 1993; diese bestand in der Anrechnung der Tariferhöhung auf übertarifliche Zulagen sowie den Gehaltserhöhungen der Einkommensgruppen 1 und 2. Hinsichtlich des Mitbestimmungsrechts bei den Gehaltserhöhungen wäre die Rechtsbeschwerde nicht statthaft. Insoweit war der Betriebsrat beim Landesarbeitsgericht erfolgreich, ist also durch den angefochtenen Beschluß nicht beschwert.

Der Antrag ist indessen dahin zu verstehen, daß er nur das vom Betriebsrat bezüglich der Anrechnung der Tariferhöhung in den beiden unteren Arbeitnehmerkategorien in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht, das vom Landesarbeitsgericht verneint worden ist, zum Gegenstand hat. Wie sich aus der Rechtsbeschwerdebegründung ergibt, ist die Gehaltserhöhung bei den Angestellten der Einkommensgruppen 1 und 2 nur deshalb im Antrag erwähnt, weil der Betriebsrat meint, daß sich aus dem Zusammenhang mit ihr die Mitbestimmungspflichtigkeit der Anrechnung ergebe.

II. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der Betriebsrat hatte bei der Anrechnung der Tariferhöhung vom 1. April 1993 auf die übertariflichen Zulagen nicht mitzubestimmen. Die Erhöhung wurde vollständig angerechnet, so daß kein mitbestimmungspflichtiger Gestaltungsspielraum verbleibt.

1. Nach den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen besteht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnung einer Tariferhöhung auf übertarifliche Zulagen dann, wenn sich durch die Anrechnung die bisherigen Verteilungsgrundsätze ändern. Das ist dann der Fall, wenn sich das Verhältnis der Zulagenbeträge zueinander verschiebt. Weiter ist das Mitbestimmungsrecht davon abhängig, daß für eine anderweitige Regelung der Anrechnung innerhalb des vom Arbeitgeber mitbestimmungsfrei vorgegebenen Dotierungsrahmens ein Gestaltungsspielraum verbleibt. Deshalb ist die Anrechnung mitbestimmungsfrei, wenn sie das Zulagenvolumen völlig aufzehrt. Das gleiche gilt, wenn die Tariferhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertariflichen Zulagen angerechnet wird (BAGE 69, 134, 164 ff. = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C III 4 - 6 der Gründe).

2. Zwar haben sich durch die Anrechnung im vorliegenden Fall die Verteilungsrelationen geändert, da die übertariflichen Zulagen bei den betroffenen Arbeitnehmern unterschiedlich hoch waren. Für eine anderweitige Regelung blieb aber kein Gestaltungsspielraum. Die Arbeitgeberin hat, soweit ihr das rechtlich möglich war und die Zulagenbeträge hierfür ausreichten, die Tariferhöhung vollständig auf die übertariflichen Zulagen angerechnet.

a) Im Ergebnis zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß innerhalb der ersten Arbeitnehmergruppe, also bei den Arbeitern und Angestellten mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von zunächst 37 und dann 36 Wochenstunden, die Anrechnung vollständig war. Insoweit haben die Vorinstanzen, ebenso wie die Arbeitgeberin und der Betriebsrat, allein auf die Erhöhung des Monatsentgelts um 3 % abgestellt und die gleichzeitige Arbeitszeitverkürzung außer Betracht gelassen, obwohl die Arbeitgeberin bei den Arbeitnehmern der zweiten Gruppe auch den Arbeitszeitverkürzungsausgleich von 2,78 % als Teil der Tariferhöhung behandelt und angerechnet hat.

Allerdings hat sich auch in der ersten Gruppe das Entgelt pro Arbeitsstunde nicht nur um 3 %, sondern aufgrund der Arbeitszeitverkürzung bei vollem Entgeltausgleich rechnerisch um weitere 2,78 % erhöht. Dennoch war die auf 3 % beschränkte Anrechnung vollständig. Eine Verrechnung der übertariflichen Zulagen mit dem Gegenwert der Arbeitszeitverkürzung war nicht möglich. Der Anrechnungsvorbehalt umfaßte diesen Teil der Erhöhung nicht, sondern nur die dreiprozentige Erhöhung der Monatslöhne und -gehälter. Jede Arbeitszeitverkürzung mit vollem oder teilweisem Entgeltausgleich führt zwar bezogen auf die Zeiteinheit zu einem entsprechend erhöhten Arbeitsentgelt, im allgemeinen Sprachgebrauch wird dieser Effekt aber nicht als Tariferhöhung verstanden und bezeichnet. Es gilt nur als unselbständige Folge der Arbeitszeitverkürzung. Hiervon ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auch bei der Auslegung der im Betrieb formularmäßig vereinbarten Anrechnungsklauseln auszugehen. Bei einem Arbeitsentgelt, das als Monatslohn oder -gehalt geschuldet wird, ist unter einer Tariflohn- (oder -gehalts-) Erhöhung nur die Erhöhung des monatlichen Entgeltbetrages zu verstehen (im Ergebnis ebenso für den Fall einer Arbeitszeitverkürzung bei gleichbleibendem Entgelt BAGE 55, 322, 328 = AP Nr. 58 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie).

b) Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zu folgen, daß die Tariferhöhung innerhalb der zweiten Arbeitnehmergruppe, also bei den Arbeitern und Angestellten mit einer individuellen regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden oder mit Teilzeitarbeit, im Rahmen des Möglichen vollständig auf die übertariflichen Zulagen angerechnet worden ist. Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob auch der tarifliche Arbeitszeitverkürzungsausgleich von 2,78 %, den die Arbeitgeberin in die Anrechnung einbezogen hat, eine Erhöhung des Tarifentgelts im Sinne des vereinbarten Anrechnungsvorbehalts war. Die Vorinstanzen haben dies ohne weiteres angenommen, auch der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in einem insoweit vergleichbaren Fall in diesem Sinn entschieden (BAGE 55, 322 = AP, aaO, mit ablehnender Anm. von Lund). Zweifel könnten sich daraus ergeben, daß es sich hierbei nur um den Gegenwert der im Einzelfall nicht in Anspruch genommenen Arbeitszeitverkürzung handelt. Aber selbst wenn die Arbeitgeberin insoweit individualrechtlich nicht zur Anrechnung befugt gewesen sein sollte, hätte dies mitbestimmungsrechtlich keine Bedeutung. Daß sie mehr angerechnet hätte, als sie durfte, würde nichts daran ändern, daß sie jedenfalls alles das angerechnet hat, was ihr möglich war.

3. Entgegen der Auffassung des Betriebsrats steht der Annahme, die Arbeitgeberin habe vollständig angerechnet, auch nicht der Umstand entgegen, daß sie gleichzeitig die Gehälter der EG-Angestellten erhöht hat. Diese Gehaltserhöhungen sind mitbestimmungsrechtlich von der gleichzeitigen Anrechnung zu trennen. Eine zusammenfassende Würdigung, wie sie der Betriebsrat für richtig hält, ist deshalb nicht möglich, weil für die zwei unteren Arbeitnehmergruppen einerseits und die Gruppen der EG-Angestellten andererseits unterschiedliche Entgeltsysteme bestehen, die bezüglich des hier interessierenden Bestandteils - der übertariflichen Leistungen - keine Gemeinsamkeiten aufweisen.

a) Die Zulagen, mit denen die Arbeitgeberin die Tariferhöhung verrechnet hat, haben in den Gehältern der EG-Angestellten keine Entsprechung. Diese Gehälter können nicht in einen tariflichen Bestandteil und eine übertarifliche Zulage in Höhe des über das Tarifgehalt hinausgehenden Betrags zerlegt werden. Nach den Kriterien, die der Senat in seinem Urteil vom 28. September 1994 (- 1 AZR 870/93 - AP Nr. 68 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu III der Gründe) entwickelt hat, kann nicht angenommen werden, die Arbeitsvertragsparteien hätten mit den EG-Gehältern zugleich stillschweigend vereinbart, daß diese sich aus dem Tarifgehalt und einer übertariflichen Zulage zusammensetzen sollten. Auch soweit es sich bei den EG-Angestellten um Tarifangestellte handelt, bauen ihre Gehälter nicht auf einem Tarifgehalt auf. Insoweit besteht vielmehr ein betriebliches Vergütungssystem oberhalb der tariflichen Gehaltsskala, die offenbar für gehobene Angestelltenpositionen als unzureichend empfunden wird.

Daß die EG-Angestellten keine übertarifliche Zulage erhalten, ergibt sich daraus, daß die Arbeitsvertragsparteien bei der Vereinbarung der "Festen Monatsgehälter" und der "Richtgehälter" im Unterschied zur Gehaltsregelung für die Angestellten der beiden unteren Gruppen weder eine Zulage ausgewiesen noch sonst in irgendeiner Form an das Gehalt angeknüpft haben, das den betreffenden Angestellten nach dem tariflichen Gehaltsgruppenschema jeweils zustünde. Wer eine übertarifliche Zulage vereinbart, muß auch die tarifliche Basis klären, auf welche sie aufgestockt werden soll. Daran fehlt es hier. Vielmehr stellt die Vergütungsstruktur der EG-Angestellten ein eigenständiges betriebliches Eingruppierungssystem dar, das auf einer Betriebsvereinbarung der Arbeitgeberin mit dem Gesamtbetriebsrat beruht. Die Unabhängigkeit dieses Systems von den Tarifgehältern zeigt sich schon daran, daß die EG-Gruppen in dieser Betriebsvereinbarung als außertarifliche Einkommensgruppen bezeichnet sind, für sie also nach den Vorstellungen der Betriebspartner eine tarifliche Eingruppierung nicht in Betracht kommen soll. Bestätigt wird dies durch die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, daß zwischen der höchsten Tarifgruppe und den niedrigsten EG-Gehältern ein nicht unerheblicher Abstand besteht.

Nach dem angeführten Senatsurteil vom 28. September 1994 (aaO) kann es allerdings gegen die Annahme eines tarifunabhängigen Entgeltsystems sprechen, wenn die betrieblich festgelegten Gehälter jeweils anläßlich von Tariferhöhungen angehoben werden und dabei der relative Abstand zum obersten Tarifgehalt gewahrt bleibt. Diese Voraussetzung liegt hier indessen nicht vor. Die EG-1-Angestellten haben zwar einen vertraglichen Anspruch auf eine derartige Anpassung. Die Bedeutung dieses Anspruchs beschränkte sich aber nach der bisherigen Handhabung darauf, einen Sockel der jeweiligen Gehaltserhöhung abzusichern. Tatsächlich war diese nicht etwa bei allen betroffenen Angestellten auf das Ausmaß der Tariferhöhung beschränkt und damit gleich hoch. Vielmehr gab die Arbeitgeberin für die Erhöhung der EG-1-Gehälter jeweils einen Gesamtbetrag vor, über dessen Verteilung in den einzelnen Betrieben unterschiedlich entschieden werden konnte. Daß die Arbeitgeberin bei den Gehaltserhöhungen zum 1. April 1993 anders verfahren und auch bei den EG-1-Angestellten nur der Tarifentwicklung gefolgt ist, steht dem Grundsatz der Unabhängigkeit des Systems der EG-Gehälter vom Tarifvertrag nicht entgegen.

b) Der Einwand des Betriebsrats, der Arbeitgeberin dürfe nicht gestattet werden, durch Schaffung verschiedenartiger Vergütungssysteme die Reichweite der betrieblichen Mitbestimmung zu beschränken, greift hier nicht durch.

Allerdings weist der Betriebsrat zutreffend auf den Zweck des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hin. Er besteht darin, die Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmers orientierten oder willkürlichen Lohngestaltung zu schützen. Die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges und die Wahrung der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit sollen gesichert werden (BAGE 69, 134, 158 = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu C III 1 a der Gründe). Damit dient das Mitbestimmungsrecht der Verteilungsgerechtigkeit im Betrieb, die im Grundsatz nur mit Hilfe einer vergleichenden Wertung des gesamten betrieblichen Entgeltgefüges zu erreichen ist. Der Arbeitgeber kann den Gegenstand eines solchen Vergleichs und damit die Tragweite des Mitbestimmungsrechts nicht dadurch einschränken, daß er die Belegschaft beliebig in Gruppen von Arbeitnehmern aufspaltet, für die er jeweils verschiedenartige Entgeltsysteme vorsieht.

Im vorliegenden Fall ist indessen die Gruppenbildung beim Arbeitsentgelt nicht zu beanstanden, obwohl sie die Zahlung anrechenbarer übertariflicher Zulagen auf die beiden unteren Arbeitnehmergruppen beschränkt. Die technischen Unterschiede der Entgeltsysteme sind gerechtfertigt, weil sie auf Unterschieden in der Bewertung der jeweiligen Tätigkeiten beruhen. Herausgehobene Leitungsfunktionen im Betrieb sind anders zu bewerten und rechtfertigen andere Formen von Leistungsanreizen als nachgeordnete Tätigkeiten. Wird aus diesem Grund beim Arbeitsentgelt zwischen verschiedenen Arbeitnehmergruppen differenziert, so wird Ungleiches entsprechend ungleich behandelt. Das ist zulässig. Ausnahmen, die es bei Sonderformen des Entgelts geben kann, beispielsweise bei Zulagen für bestimmte Belastungen, die unabhängig von der Art der Tätigkeit für alle Arbeitnehmer eines Betriebs bestehen, können hier außer Betracht bleiben.

Sind die Strukturunterschiede zwischen den Entgeltsystemen der beiden unteren Arbeitnehmergruppen einerseits und der EG-Angestellten andererseits zulässig, so kann auch die weitere Entwicklung dieser Systeme im Verhältnis zueinander, z.B. durch Anrechnungen und sonstige Gehaltsveränderungen, kein Gegenstand der Überprüfung nach den Maßstäben der innerbetrieblichen Entgeltgerechtigkeit sein. Das schließt es aus, daß bei der Anwendung des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG die beiden Arbeitgeberentscheidungen - einerseits der Anrechnung einer Tariferhöhung auf die in den unteren Arbeitnehmergruppen gezahlten übertariflichen Zulagen und andererseits einer Erhöhung der "Festen Gehälter" und der "Richteinkommen" der EG-Angestellten - als einheitlicher Regelungsgegenstand angesehen und deshalb der Mitbestimmung des Betriebsrats unterworfen werden.

Entgegen der Auffassung des Betriebsrats ist es in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, daß die Arbeitgeberin mit der Anrechnung der Tariferhöhung auf die übertariflichen Zulagen sowie der - durch die Verzichtsvereinbarungen bewirkten - Beschränkung der Gehaltserhöhung der EG-Angestellten dasselbe Ziel verfolgt hat, nämlich die Stabilisierung der Personalkosten. Kann die Arbeitgeberin mitbestimmungsfrei über die Gewährung, die Zweckbestimmung und den Widerruf übertariflicher Leistungen entscheiden, so kann der Betriebsrat auch nicht darüber mitbestimmen, welche von mehreren zweckverschiedenen Leistungen die Arbeitgeberin kürzt, um ein bestimmtes Einsparvolumen zu erreichen. Das Recht der Arbeitgeberin, über den Zweck der Leistung zu bestimmen, umfaßt auch die Entscheidung darüber, ob ein anderes Ziel ihr so wichtig erscheint, daß demgegenüber der ursprünglich mit der Leistung verfolgte Zweck zurücktreten muß.

Dieterich Rost Wißmann

Der ehrenamtliche Gnade

Richter Dr. Stadler

ist an der Unterschrifts-

leistung gehindert, weil

seine Amtszeit geendet hat.

Dieterich

 

Fundstellen

Haufe-Index 436777

BB 1996, 1113

BB 1996, 1113-1114 (LT1-2)

BB 1996, 540

DB 1996, 736-738 (LT1-2)

DStR 1996, 1495 (K)

BetrVG EnnR BetrVG § 87 Abs 1, Nr 10 (29) (LT1-2)

ASP 1996, Nr 5/6, 60 (K)

BetrAV 1996, 292 (L1-2)

NZA 1996, 484

NZA 1996, 484-487 (LT1-2)

SAE 1997, 167 (L1-2)

AP § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung (LT1-2), Nr 81

AR-Blattei, ES 1540 Nr 42 (LT1-2)

AuA 1996, 321-323 (LT1-2)

EzA-SD 1996, Nr 5, 17-19 (LT1-2)

EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung, Nr 53 (LT1-2)

MDR 1996, 827 (LT1-2)

ZBVR 1997, 3 (L1-2)

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