Entscheidungsstichwort (Thema)

Antragsbefugnis der Gewerkschaft im Beschlußverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Antragsbefugnis im Beschlußverfahren ist nach den allgemeinen Regeln über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen.

2. In betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten ist antragsberechtigt nur, wer aus dem Betriebsverfassungsrecht eigene Rechte geltend macht oder Anträge zum Schutz seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition stellt.

3. Wenn Tarifvertragsparteien die Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung geltend machen, nehmen sie keine eigenen Rechte aus der Betriebsverfassung wahr. Ihnen fehlt für einen Antrag mit diesem Streitgegenstand die Antragsbefugnis (im Anschluß an den Beschluß des Senats vom 25. Mai 1982 - 1 ABR 19/80 = BAGE 39, 86, 89 f = AP Nr 2 zu § 87 BetrVG 1972 Prämie, zu B I 2 der Gründe, mit weiteren Nachweisen).

 

Normenkette

TVG § 9; ArbGG § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 27.08.1986; Aktenzeichen 5 TaBV 10/86)

ArbG Lübeck (Beschluss vom 11.03.1986; Aktenzeichen 3 BV 87/85)

 

Gründe

A. Die antragstellende Gewerkschaft will festgestellt wissen, daß eine zwischen dem Arbeitgeber (Antragsgegner) und dem Betriebsrat abgeschlossene Betriebsvereinbarung zur Regelung des Zeitausgleichs zwischen Betriebsnutzungszeit und individueller regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit der Arbeitnehmer unwirksam ist.

Die Bezirksleitung Hamburg der antragstellenden Gewerkschaft schloß am 11. Juli 1984 mit dem Arbeitgeberverband der Metallindustrie Hamburg-Schleswig-Holstein e.V. den "Manteltarifvertrag Teil 2 für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Metallindustrie Hamburgs und Umgebung" und den "Manteltarifvertrag Teil 2 für die Angestellten in der Metallindustrie Hamburgs und Umgebung". Diese Tarifverträge enthalten Vorschriften über die Verkürzung, die mögliche unterschiedliche Länge und die Lage der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer (vgl. zum Inhalt des Tarifvertrags die entsprechenden Bestimmungen eines anderen Tarifbezirks, abgedruckt im Beschluß des Senats vom 18. August 1987 - 1 ABR 30/86 -, der zur Veröffentlichung vorgesehen ist). Der Arbeitgeber ist tarifgebunden.

Zur Umsetzung des Tarifvertrags schlossen Arbeitgeber und Betriebsrat am 29. April 1985 eine Betriebsvereinbarung ab, die auszugsweise wie folgt lautet:

"§ 2 Die Dauer der individuellen regelmäßigen

wöchentlichen Arbeitszeit beträgt für alle

Arbeitnehmer 38,5 Stunden.

§ 3 Verteilung der Arbeitszeit

a) .....

In den Monaten November bis März beträgt

die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer

38,5 Stunden,

nämlich von Montag bis Donnerstag

8,0 Stunden,

am Freitag 6,5 Stunden.

.....

b) Die tatsächliche Arbeitszeit beträgt

ab 1. Mai 1985 bis 31. Oktober 1985

und für die Folgejahre ab 1. April

eines Jahres bis 31. Oktober des Jahres

für alle Arbeitnehmer 40,0 Stunden.

§ 4 Der Ausgleich zur Erreichung der individuellen

regelmäßigen Arbeitszeit erfolgt

durch Freischichten.

Deren Lage ist einvernehmlich zwischen Betriebsrat

und Arbeitgeber festzulegen.

Die Betriebspartner sind sich darüber einig,

daß die Freischichten grundsätzlich

im Zeitraum zwischen November und März

des Folgejahres liegen.

.....

Die Freischichten sollen gleichmäßig auf

die Monate des Ausgleichszeitraumes verteilt

werden."

Die IG Metall hat die Auffassung vertreten, die Betriebsvereinbarung sei tarifwidrig, weil die Durchführung der Arbeitszeitverkürzung in Gestalt von freien Tagen nur zulässig sei, wenn die Betriebsmittelnutzungszeit nicht verkürzt werde. Darüber hinaus sei der Zeitausgleich durch freie Tage an die Zwei-Monats-Grenze in § 2 Abschnitt A Nr. 1 Abs. 8 Satz 3 MTV Teil 2 gebunden. Die Unwirksamkeit könne sie aus eigenem Recht in einem Beschlußverfahren geltend machen.

Die IG Metall hat zuletzt in der Beschwerdeinstanz beantragt

festzustellen, daß die "Betriebsvereinbarung

vom 29. April 1985" zum Bereich der

Verkürzung der Wochenarbeitszeit, gültig

ab 1. Mai 1985, wegen Tarifwidrigkeit

rechtsunwirksam ist, soweit der Ausgleich

zur Erreichung der individuellen Arbeitszeit

durch freie Tage erfolgen soll,

hilfsweise

festzustellen, daß die "Betriebsvereinbarung

vom 29. April 1985" zum Bereich Verkürzung

der Wochenarbeitszeit, gültig ab

1. Mai 1985, wegen Tarifwidrigkeit unwirksam

ist, soweit

- der Ausgleich durch Freischichten zur

Erreichung der individuellen regelmäßigen

Arbeitszeit grundsätzlich im

Zeitraum zwischen November und März

des Folgejahres liegen müssen und

- die individuelle regelmäßige wöchentliche

Arbeitszeit von 38,5 Stunden/

Woche nicht im Durchschnitt von zwei

Monaten erreicht wird.

Der Arbeitgeber hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Der IG Metall fehle die Antragsbefugnis. Es handele sich nicht um eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit, da die IG Metall lediglich eine von ihr gewünschte Auslegung des Tarifvertrags feststellen lassen wolle. Die Gewerkschaft könne ein Beschlußverfahren nur einleiten, wenn dies das Gesetz ausdrücklich vorsehe. In einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition sei die Gewerkschaft nicht betroffen. Im übrigen stehe die angegriffene Betriebsvereinbarung auch nicht im Widerspruch zu der neuen tarifvertraglichen Arbeitszeitregelung in der Metallindustrie. Insbesondere sei der Zeitausgleich durch freie Tage nicht an die Einhaltung einer Zwei-Monats-Grenze gebunden.

Die Anträge sind in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die IG Metall ihren ursprünglichen Hilfsantrag weiter. Außerdem beantragt sie jetzt hilfsweise

festzustellen, daß die "Betriebsvereinbarung

vom 29. April 1985" zum Bereich der

Verkürzung der Wochenarbeitszeit, gültig

ab 1. Mai 1985, wegen Tarifwidrigkeit

rechtsunwirksam ist, soweit die für den

Betrieb der Beteiligten zu 2) festgelegte

wöchentliche Arbeitszeit für den Zeitraum

April bis Oktober eines jeden Jahres

im Durchschnitt aller Vollzeitbeschäftigten

nicht 38,5, sondern 40 Stunden/Woche

ergibt.

B. Die Rechtsbeschwerde der IG Metall ist nicht begründet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist der Antrag der Gewerkschaft unzulässig, weil der Gewerkschaft die Antragsbefugnis fehlt.

1. Die Antragsbefugnis ist Voraussetzung für eine Sachentscheidung. Sie ist nicht mit der Beteiligungsbefugnis identisch. Wenn auch der Antragsteller stets "notwendiger" Beteiligter und deshalb beteiligungsbefugt ist, so kann ihm dennoch die Antragsbefugnis fehlen (BAGE 37, 31 = AP Nr. 2 zu § 83 ArbGG 1979). Die Antragsbefugnis folgt nicht aus § 83 Abs. 3 ArbGG. Diese Vorschrift bestimmt allein, welche beteiligungsfähigen Personen oder Zusammenschlüsse im bereits eingeleiteten Beschlußverfahren zu beteiligen sind. Die Norm besagt nichts über das Recht, einen Antrag im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren stellen zu können (Beschluß des Sechsten Senats vom 30. Oktober 1986 - 6 ABR 52/83 -, zu B II 2 der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Die Antragsbefugnis ist vielmehr nach den Regeln über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen (§ 81 Abs. 1 ArbGG). Von Ausnahmen wie der Prozeßstandschaft abgesehen, kann jemand ein gerichtliches Verfahren nur einleiten, der behauptet, Träger des streitbefangenen Rechts zu sein. Bei Streitfragen betriebsverfassungsrechtlicher Art ist zu untersuchen, ob die den Streitgegenstand betreffenden Normen des Betriebsverfassungsgesetzes dem Antragsteller eine eigene Rechtsposition zuordnen, die es erlaubt, sich mittels eigenen Antrages zu schützen (Beschluß des Sechsten Senats vom 30. Oktober 1986, aaO). Die Antragsbefugnis ist gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung betroffen werden kann. Das ist immer dann der Fall, wenn der Antragsteller eigene Rechte geltend macht (Beschluß des Senats vom 10. Juni 1986 - 1 ABR 59/84 -, zu B III 4 der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen).

2. Eine das Antragsrecht der Gewerkschaft begründende betriebsverfassungsrechtliche Betroffenheit liegt nicht vor. Maßgebend ist der Streitgegenstand, der vom Antrag bestimmt wird. Beantragen die Tarifvertragsparteien eine Entscheidung über die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung oder eines Einigungsstellenspruchs, machen sie keine eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechte geltend. Sie sind ebensowenig von dieser Entscheidung betroffen wie von der Entscheidung, ob und inwieweit dem Betriebsrat in einer bestimmten Angelegenheit ein Mitbestimmungsrecht zusteht oder nicht. Daß ein zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat umstrittenes Mitbestimmungsrecht in seinem Bestand oder seinem Umfang von tariflichen Regelungen abhängig sein kann, steht dem nicht entgegen (vgl. Beschluß des Senats vom 25. Mai 1982 - 1 ABR 19/80 - BAGE 39, 86, 89 f. = AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Prämie, zu B I 2 der Gründe, mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Beschluß des Sechsten Senats vom 9. Februar 1984 - 6 ABR 10/81 - BAGE 45, 132, 136 f. = AP Nr. 9 zu § 77 BetrVG 1972, zu II 2 der Gründe).

Auch wenn Arbeitgeber und Betriebsrat nach einem Tarifvertrag die Möglichkeit haben, die Arbeitszeit der einzelnen Arbeitnehmer ungleichmäßig über die Wochen zu verteilen, handelt es sich bei einem Streit über die Wirksamkeit eines Spruchs der Einigungsstelle nur um einen Streit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Die Verteilung der tariflichen Arbeitszeit innerhalb der Woche oder über mehrere Wochen hinweg ist originäre Aufgabe von Arbeitgeber und Betriebsrat (Buchner, NZA 1986, 377, 380, unter III 1 d). Das Interesse der Verbände, daß anläßlich einer Entscheidung in einer betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheit tarifliche Bestimmungen in bestimmter Weise verstanden werden, ist allgemeiner Art und vermag eine materielle betriebsverfassungsrechtliche unmittelbare Betroffenheit nicht zu begründen (vgl. Beschluß des Senats vom 25. Mai 1982, aaO). Das Betriebsverfassungsgesetz hat weder den Gewerkschaften noch den Arbeitgeberverbänden eine allgemeine Aufsichtsfunktion gegenüber Betriebsvereinbarungen oder Sprüchen der Einigungsstelle zugewiesen.

Damit werden Betriebsvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nicht schlechthin einer gerichtlichen Kontrolle entzogen. Zum einen können die tarifvertragsschließenden Parteien in einem eigenen Rechtsstreit den Inhalt des Tarifvertrags klären lassen, soweit sie darüber streiten (§ 9 TVG). Diese Entscheidungen sind zwar nur in Rechtsstreitigkeiten zwischen tarifgebundenen Parteien sowie zwischen diesen und Dritten für die Gerichte und Schiedsgerichte bindend. Ein Rechtsstreit aber, in dem der umstrittene Inhalt eines Tarifvertrags festgestellt werden soll, hat darüber hinaus auch tatsächliche Auswirkungen. Es ist kaum anzunehmen, daß sich eine Einigungsstelle nicht an den festgestellten Tarifinhalt halten wird. Außerdem ist kein Arbeitnehmer an eine Betriebsvereinbarung gebunden, die wegen Verstoßes gegen einen Tarifvertrag nichtig ist. Im Rechtsstreit zwischen einem von der Regelung betroffenen Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber muß daher geprüft werden, ob die Betriebsvereinbarung wirksam ist.

3. Der erstmals in der Rechtsbeschwerdeinstanz gestellte Hilfsantrag ist auch deshalb unzulässig, weil der Streitstoff nicht ausgeweitet werden darf (§ 93 Abs. 1 ArbGG, § 92 Abs. 2 Satz 1 ArbGG in Verb. mit § 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Dr. Kissel Dr. Heither Matthes

Breier H. Paschen

 

Fundstellen

Haufe-Index 437011

BAGE 56, 44-49 (LT1-3)

BAGE, 44

BB 1987, 1669

BB 1987, 2166

NZA 1987, 626

NZA 1988, 26-27 (LT1-3)

RdA 1987, 384

AP § 81 ArbGG 1979 (LT1-3), Nr 6

AR-Blattei, Arbeitsgerichtsbarkeit XII Entsch 146 (LT1-3)

AR-Blattei, ES 160.12 Nr 146 (LT1-3)

ArbuR 1987, 342-343 (T)

EzA § 81 ArbGG 1979, Nr 11 (LT1-3)

MDR 1988, 171-171 (LT1-3)

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