Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsatzbeschwerde. Tarifauslegung

 

Leitsatz (amtlich)

Hat das Bundesarbeitsgericht über die von der Nichtzulassungsbeschwerde (Grundsatzbeschwerde) als höchstrichterlich ungeklärt bezeichnete Auslegung eines Tarifvertrages entschieden, so kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu. Das gilt auch dann, wenn die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu dem von einer anderen Tarifvertragspartei mit gleichlautendem Wortlaut abgeschlossenen Anschlußtarifvertrag ergangen ist.

 

Normenkette

ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 72a Abs. 1 Nr. 2; Manteltarifvertrag für den Groß- und Außenhandel in Bayern vom 18. Oktober 1982 § 18 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG München (Urteil vom 27.09.1996; Aktenzeichen 8 Sa 617/96)

ArbG München (Urteil vom 07.03.1989; Aktenzeichen 15 Ca 350/96)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 27. September 1996 – 8 Sa 617/96 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 1.320.000,00 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin wegen des Verrats von Geschäftsgeheimnissen zum Schadenersatz verpflichtet ist.

Die Beklagte ist promovierte Diplomchemikerin. Sie war von Januar 1981 bis Ende September 1983 bei der Klägerin als angestellte Produktmanagerin im Außendienst mit dem Vertrieb medizinisch-diagnostischer Produkte beschäftigt. Diese Produkte bezog die Klägerin fast ausschließlich von dem amerikanischen Unternehmen BioDx. Die Parteien hatten kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart.

Zu Beginn des Jahres 1983 geriet die Klägerin gegenüber ihrem Lieferanten in Zahlungsschwierigkeiten. Dieser bot daraufhin der Beklagten den Vertrieb seiner Produkte an. Die Beklagte kündigte ihr Arbeitsverhältnis am 15. August 1983 zum 30. September 1983. Am 1. Oktober 1983 nahm die Beklagte mit einer gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten gegründeten und am 11. Oktober 1983 ins Handesregister eingetragenen Firma den Vertrieb der Produkte der BioDx in dem Gebiet auf, das bisher die Klägerin betreut hatte. Dies teilte sie etwa 140 Kunden der Klägerin mit.

Die Klägerin stellte am 3. November 1983 Antrag auf Konkurs eröffnung. Am 10. Januar 1984 wurde das Konkursverfahren über ihr Vermögen eröffnet. Der Konkursverwalter entließ sämtliche Mitarbeiter und stellte den Geschäftsbetrieb ein.

Im Zuge eines Ermittlungsverfahrens wurde bei dem Lebensgefährten der Beklagten eine Fotokopie der Kundenumsatzliste der Klägerin vom 29. Juli 1983 gefunden. Die Beklagte ist wegen des Verrats von Geschäftsgeheimnissen in Tateinheit mit Unterschlagung zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Ihre Berufung und Revision blieben erfolglos.

Mit der am 15. Januar 1986 erhobenen Klage hat die Klägerin von der Beklagten Schadenersatz in Höhe von 1.320.000,00 DM verlangt, weil sie durch kollusives Zusammenwirken mit der BioDx den geschäftlichen Zusammenbruch ihres Unternehmens verursacht habe. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben und den Rechtsstreit an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage erneut abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Nichtzulassungsbeschwerde.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gem. § 72a Abs. 1 Nr. 2 ArbGG kann nur angenommen werden, wenn die Entscheidung von der Auslegung eines bestimmten Tarifbegriffs abhängt und diese Auslegung von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teiles der Allgemeinheit eng berührt (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. nur den Beschluß vom 31. März 1993 – 7 AZN 59/93 – AP Nr. 41 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz). Sie ist daher zu verneinen, wenn die strittige Frage der Tarifauslegung nicht mehr klärungsbedürftig ist, weil sie bereits vom Bundesarbeitsgericht entschieden wurde und gegen diese Entscheidung keine neuen Gesichtspunkte vorgebracht werden (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit dem Beschluß vom 5. Dezember 1977 – 4 AZN 41/79 – BAGE 32, 203, 210 = AP Nr. 1 zu § 72a ArbGG 1979 Grundsatz).

2. Die Klägerin rügt die fehlerhafte Auslegung der Ausschlußklausel des § 18 Abs. 2 des Manteltarifvertrags für den Groß- und Außenhandel in Bayern vom 18. Oktober 1982. Das Landesarbeitsgericht hat den in dieser Regelung enthaltenen Tarifbegriff “Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” dahingehend ausgelegt, daß er alle Ansprüche zwischen den Parteien erfaßt, die aus dem Arbeitsverhältnis resultieren und damit auch Ansprüche aus einer unerlaubten oder strafbaren Handlung des Arbeitnehmers einschließt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die strittige Auslegungsfrage nicht mehr klärungsbedürftig. Nach der zu anderen tariflichen Ausschlußklauseln ergangenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehören grundsätzlich Schadenersatzansprüche aus unerlaubter Handlung, die auf demselben Sachverhalt wie vertragliche Schadenersatzansprüche beruhen, wegen des einheitlichen Lebensvorgangs auch dann zu den vom Verfall erfaßten Ansprüchen, wenn der Tarifvertrag die Ausschlußfrist ohne weiteren Zusatz für “Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” regelt (ständige Rechtsprechung seit BAG Urteil vom 30. September 1970 – 1 AZR 535/69 – AP Nr. 2 zu § 70 BAT; zuletzt BAG Urteil vom 27. April 1995 – 8 AZR 582/94 – n.v.). Für die hier auszulegende tarifliche Ausschlußklausel des § 18 Abs. 2 des MTV für den Groß- und Außenhandel in Bayern vom 18. Oktober 1982 hat das Bundesarbeitsgericht bereits mit Urteil vom 26. April 1990 (– 8 AZR 153/89 – n.v.) entschieden, daß keine Besonderheiten vorliegen, die eine andere Auslegung rechtfertigen. Da dem Tarifwortlaut kein Anhaltspunkt für eine Differenzierung zwischen vorsätzlich und fahrlässig begangenen Handlungen entnommen werden könne, seien von dieser tariflichen Ausschlußfrist auch Ansprüche erfaßt, die auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruhten (vgl. BAG Urteil vom 26. April 1990, aaO).

Unerheblich ist, ob dem Urteil des Achten Senats der zwischen dem Landesverband des Bayerischen Groß- und Außenhandels einerseits und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen sowie der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr andererseits abgeschlossene MTV vom 18. Oktober 1982 (für allgemeinverbindlich erklärt in der Bekanntmachtung im Bundesanzeiger Nr. 167 vom 7. September 1983, S. 9876) oder der am selben Tag zwischen dem Landesverband des Bayerischen Groß- und Außenhandels und der Deutschen-Angestellten-Gewerkschaft abgeschlossene MTV zugrunde lag. Beide Tarifverträge haben einen gleichlautenden Wortlaut (vgl. Bayerische Tarifsammlung TR 24-100 ab 37). Ist ein gleichlautender Tarifvertrag zunächst mit der einen und im Anschluß daran mit der anderen Gewerkschaft abgeschlossen worden, kommt nur eine einheitliche Auslegung der identischen tariflichen Bestimmungen in Betracht. Deshalb ist mit dem Urteil des Achten Senats vom 26. April 1990 der Klärungsbedarf für die zwischen den Parteien umstrittene Auslegungsfrage des allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrages entfallen.

III. Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Beschwerde nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 25 Abs. 2 GKG.

 

Unterschriften

Leinemann, Reinecke, Düwell, Schodde, Fox

 

Fundstellen

Haufe-Index 884875

FA 1998, 19

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