Leitsatz (redaktionell)

Ein Konzernbetriebsrat hat eine Auftragsangelegenheit nach § 58 Abs. 2 BetrVG zur Regelung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 mit den jeweiligen Konzernunternehmen zu verhandeln. Die Leitung der herrschenden Konzerngesellschaft kann in diesen Fällen nicht zum Abschluß einer Konzernbetriebsvereinbarung verpflichtet werden.

 

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über die Befugnis eines nach § 58 Abs. 2 BetrVG beauftragten Konzernbetriebsrats zum Abschluß einer Konzernbetriebsvereinbarung mit der Konzernleitung.

Der Antragsteller ist der bei der Beteiligten zu 2) gebildete Konzernbetriebsrat. Er wurde zunächst von 13 Gesamt- bzw. Einzelbetriebsräten durch schriftlichen Beschluß nach § 58 Abs. 2 BetrVG vorbehaltslos beauftragt, in Verhandlungen mit der Konzernleitung eine Vereinbarung über die Erstattung von Kontoführungsgebühren sowie bezahlte Freistellung für den notwendigen Bankbesuch zu treffen und bei Scheitern der Verhandlungen ein Einigungsstellenverfahren durchzuführen. An der Beauftragung haben zuletzt noch der zu 6) beteiligte Gesamtbetriebsrat sowie die zu 7) und 8) beteiligten Betriebsräte festgehalten.

Nachdem die zu 2) beteiligte Konzernobergesellschaft Verhandlungen mit dem Konzernbetriebsrat abgelehnt hatte, leitete der Konzernbetriebsrat das Bestellungsverfahren nach § 98 ArbGG ein. Die durch rechtskräftigen Beschluß des Landesarbeitsgerichts eingesetzte Einigungsstelle erklärte sich mit Spruch vom 11. November 1994 für unzuständig, weil die fragliche Mitbestimmungsangelegenheit mit den einzelnen Konzernunternehmen zu verhandeln sei.

Der Konzernbetriebsrat hat die Ansicht vertreten, die Einigungsstelle habe ihre Zuständigkeit zu Unrecht verneint. In den Auftragsangelegenheiten des § 58 Abs. 2 BetrVG werde eine gesetzliche Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats begründet. Dem folge auf Arbeitgeberseite die Zuständigkeit der Konzernobergesellschaft, mit der die übertragenen Angelegenheiten zu verhandeln und durch Konzernbetriebsvereinbarung zu regeln seien.

Der Konzernbetriebsrat hat, soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung, beantragt

festzustellen, daß der Spruch der Einigungsstelle vom 11. November 1994 unwirksam ist.

Der Beteiligte zu 2) hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Die übrigen Beteiligten haben keine Anträge gestellt.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Konzernbetriebsrats hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgen der Konzernbetriebsrat sowie die beteiligten Betriebsräte und der Gesamtbetriebsrat ihr bisheriges Antragsziel. Der Beteiligte zu 2) beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde. Die übrigen Beteiligten haben keine Anträge gestellt.

B. Die Rechtsbeschwerden sind unbegründet. Der Spruch der Einigungsstelle vom 11. November 1994 ist wirksam. Die Einigungsstelle war zu einer Entscheidung in der vorliegenden Mitbestimmungsangelegenheit nicht befugt. Zu Recht haben die Vorinstanzen angenommen, daß die beteiligte Konzernobergesellschaft für den Abschluß einer Konzernbetriebsvereinbarung mit dem nach § 58 Abs. 2 BetrVG beauftragten Konzernbetriebsrat nicht zuständig war.

1. Nach § 76 Abs. 1 BetrVG ist die Einigungsstelle u. a. zuständig für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen dem Konzernbetriebsrat und dem Arbeitgeber. Die Entscheidung der Einigungsstelle über ihre Zuständigkeit unterliegt der gerichtlichen Rechtskontrolle (BAG Beschluß vom 22. Oktober 1985 - BAGE 50, 43, 46 = AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Leistungslohn, zu B I der Gründe und Beschluß vom 30. Januar 1990 - 1 ABR 2/89 - BAGE 64, 117, 128 = AP Nr. 41 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, zu B II 2 a der Gründe).

2. Die im Einigungsstellenverfahren beteiligte Konzernobergesellschaft war auf Arbeitgeberseite für die Regelung der fraglichen Mitbestimmungsangelegenheit nicht zuständig.

a) Nach § 58 Abs. 1 BetrVG ist der Konzernbetriebsrat zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die den Konzern oder mehrere Konzernunternehmen betreffen und durch die einzelnen Gesamtbetriebsräte auf Unternehmensebene nicht geregelt werden können. Der Anwendungsbereich des § 58 Abs. 1 BetrVG betrifft nicht nur diejenigen Angelegenheiten, deren Regelung dem Gesamtbetriebsrat oder im Falle des § 54 Abs. 2 BetrVG dem Einzelbetriebsrat objektiv oder subjektiv unmöglich sind. Erfaßt werden auch solche, bei denen ein zwingendes Erfordernis nach einer konzerneinheitlichen oder zumindest unternehmensübergreifenden Regelung besteht. Das bestimmt sich nach dem konkreten Regelungsziel sowie den Verhältnissen des jeweiligen Konzerns und seiner Unternehmen. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen oder ein bloßes Koordinationsinteresse des Konzernbetriebsrats oder der Konzernleitung genügen hierfür nicht (BAG Beschluß vom 20. Dezember 1995 - 7 ABR 8/95 - AP Nr. 1 zu § 58 BetrVG 1972).

b) Der Konzernbetriebsrat ist ein selbständiges Organ der Betriebsverfassung. Er ist weder dem Gesamtbetriebsrat oder einem Einzelbetriebsrat der jeweiligen Konzernunternehmen übergeordnet (§ 58 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) noch deren Weisung unterworfen (Trittin in Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 5. Aufl., § 58 Rz 3, m.w.N.). Im Rahmen seiner Zuständigkeit nach § 58 Abs. 1 BetrVG hat er dieselben Rechte und Pflichten wie ein Betriebsrat (BAG Beschluß vom 20. Dezember 1995, aaO, zu B III 3 der Gründe).

Das Betriebsverfassungsgesetz enthält allerdings keine Regelung zur Arbeitgeberfunktion im Verhältnis zum Konzernbetriebsrat. Die Vorschrift des § 58 Abs. 1 BetrVG ist derjenigen des § 50 Abs. 1 BetrVG nachgebildet, der die Rechtsstellung und die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats im Verhältnis zu den einzelnen Betriebsräten regelt. Bei diesen Betriebsverfassungsorganen ist eine Bestimmung des jeweiligen betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitgebers verzichtbar, weil stets das Unternehmen Vertragsarbeitgeber der vom Betriebsrat oder dem Gesamtbetriebsrat repräsentierten Arbeitnehmer ist, mit dem die betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten zu verhandeln und zu vereinbaren sind.

Mit der Einrichtung des Konzernbetriebsrats hat der Gesetzgeber einer Beeinträchtigung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte infolge konzernspezifischer Entscheidungsstrukturen und der dadurch eröffneten faktischen und rechtlichen Einflußmöglichkeiten des herrschenden Konzernunternehmens entgegenwirken wollen. Dazu müssen folgerichtig entsprechende betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte auf der Ebene der Konzernleitung angesiedelt werden. Für den Bereich des nach § 58 Abs. 1 BetrVG zuständigen Konzernbetriebsrats ist daher anerkannt, daß ihm als Verhandlungs- und Vertragspartner die Konzernobergesellschaft gegenübersteht, die durch das jeweilige Leitungsorgan handelt und zum Abschluß sog. Konzernbetriebsvereinbarungen befugt ist (Däubler/Kittner/Klebe, aaO, § 58 Rz 7 f.; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 58 Rz 18 ff.; GK-Kreutz, BetrVG, 5. Aufl., § 58 Rz 5, 14 f.; Hess/ Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 4. Aufl., § 58 Rz 2; Dietz/ Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 58 Rz 32).

c) Nach § 58 Abs. 2 BetrVG kann ein Gesamtbetriebsrat oder im Fall des § 54 Abs. 2 BetrVG auch ein Einzelbetriebsrat den Konzernbetriebsrat beauftragen, eine Angelegenheit für ihn zu behandeln. Das setzt voraus, daß die fragliche Angelegenheit in den Zuständigkeitsbereich des beauftragenden Gesamtbetriebsrats bzw. Einzelbetriebsrats fällt und demzufolge mit dem Arbeitgeber auf Betriebs- oder Unternehmensebene zu regeln ist. Eine davon abweichende Verlagerung der Zuständigkeit auf seiten des Arbeitgebers durch Delegation des Mitbestimmungs- oder Mitwirkungsrechts findet nicht statt (Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, § 58 Rz 20; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aaO, § 58 Rz 22; Dietz/Richardi, aaO, § 58 Rz 27; Konzen, RdA 84, 65, 76; a.A. GK-Kreutz, aaO, § 58 Rz 14, 38; Hanau, ZGR 84, 468, 481; Trittin, aaO, § 58 Rz 51 soweit die Angelegenheit mehrere Konzernunternehmen betrifft).

3. Die gegenteilige Auffassung des Konzernbetriebsrats wird weder vom Wortlaut noch vom Sinn und Zweck des Delegationsrechts getragen. Sie ist auch nicht nach dem Inhalt des geltend gemachten Mitbestimmungsrechts geboten.

a) § 58 Abs. 1 BetrVG enthält seinem Wortlaut nach eine Zuständigkeitsregelung zugunsten des Konzernbetriebsrats. Demgegenüber normiert Abs. 2 dieser Vorschrift eine beschränkte Delegationsbefugnis des Gesamtbetriebsrats. Danach kann der Gesamtbetriebsrat unter weiteren Voraussetzungen den Konzernbetriebsrat beauftragen, "eine Angelegenheit für ihn zu behandeln". Damit bringt das Gesetz zum Ausdruck, daß der mit bestimmten betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten beauftragte Konzernbetriebsrat anstelle des beauftragenden Gesamtbetriebsrats handeln und ihn insoweit auch vertreten kann (Dietz/Richardi, aaO, § 58 Rz 22, § 50 Rz 35; GK-Kreutz, aaO, § 58 Rz 38, § 50 Rz 54 f.). Dieser gesetzlichen Ermächtigung bedarf es deswegen, weil nach den Strukturprinzipien des Betriebsverfassungsrechts die Arbeitnehmervertretungen auf Betriebsrats-, Gesamtbetriebsrats- und Konzernbetriebsratsebene eigenständige Betriebsverfassungsorgane mit unterschiedlichen durch Gesetz gegeneinander abgegrenzten Zuständigkeitsbereichen sind. Sie können sich untereinander weder wechselseitig vertreten noch sind sie berechtigt, für ein anderes Betriebsverfassungsorgan zu handeln. Hierzu bedarf es einer gesetzlichen Grundlage, die zum Schutz der Eigenständigkeit des jeweiligen Betriebsverfassungsorgans an besondere Voraussetzungen gebunden ist. Mit der Beauftragung erhält der Konzernbetriebsrat lediglich die Befugnis, anstelle des originär zuständigen Betriebsverfassungsorgans tätig zu werden. Verhandlungspartner auf seiten des Gesamtbetriebsrats bzw. Betriebsrats ist das Konzernunternehmen. Ein Wechsel auf Arbeitgeberseite durch Übertragung der Handlungsbefugnis findet nicht statt.

b) Ein anderes Ergebnis legen die Gesetzesmaterialien nicht nahe (a.A. GK-Kreutz, aaO, § 58 Rz 14). Zwar findet sich in einem Nebensatz zur Begründung des Schriftformenerfordernisses des § 58 Abs. 2 Satz 3 BetrVG in den Ausschußberatungen der Hinweis, daß der Konzernbetriebsrat eine Auftragsangelegenheit "mit der Konzernleitung behandele" (BT-Drucks. VI/2729, S. 26). Demgegenüber wird aus der vorangegangenen Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. VI/1786, S. 43, 44) deutlich, daß die Regelung der Delegationsbefugnis nicht den Austausch des Verhandlungs- und Vertragspartners auf Arbeitgeberseite zum Ziel hat, sondern dazu dient, dem beauftragenden Betriebsverfassungsgremium die besonderen Verhandlungsmöglichkeiten des Konzernbetriebsrats aufgrund dessen unmittelbaren Kontakts zur Konzernleitung zugute kommen zu lassen. Diesem Anliegen wird in den Verhandlungen des Konzernbetriebsrats mit den Konzernunternehmen ausreichend Rechnung getragen. Der Konzernbetriebsrat ist stets in der Lage, sein konzernspezifisches Wissen, seine konzernweiten Informationsmöglichkeiten sowie seinen faktischen Einfluß und seinen Zugang zur Konzernleitung bei den Verhandlungen mit den Konzernunternehmen zugunsten des beauftragenden Gesamtbetriebsrats oder Betriebsrats zu nutzen.

c) Eine Änderung der Zuständigkeit auf Arbeitgeberseite wird auch vom Zweck der Delegationsbefugnis nicht verlangt. Danach soll die fakultative Einschaltung des Konzernbetriebsrats einer Aushöhlung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte infolge konzernspezifischer Entscheidungsstrukturen entgegenwirken und darüber hinaus konzernübergreifende Regelungen ermöglichen, die im Interesse der konzernangehörigen Arbeitnehmer zweckmäßig sind (GK-Kreutz, aaO, § 58 Rz 7, 33, m.w.N.). Das Bedürfnis nach einer Kompensation von Beteiligungsdefiziten ist jedoch von der Art der betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheit abhängig. In denjenigen Angelegenheiten, in denen wie in der vorliegenden der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt, wird eine konzernstrukturbedingte Beeinträchtigung der Entscheidungsautonomie der Konzernunternehmen durch das Einigungsstellenverfahren ausgeglichen. In diesem Verfahren sind mögliche interne Vorgaben des herrschenden Konzernunternehmens als diejenigen des am Einigungsstellenverfahren beteiligten Konzernunternehmens zu behandeln und bei einem Spruch der Einigungsstelle zu berücksichtigen (Oetker, ZfA 1986, 177, 190).

Auch der weitere Gesetzeszweck verlangt keine Verlagerung der Zuständigkeit auf Arbeitgeberseite bei einem Tätigwerden des Konzernbetriebsrats kraft Auftrags. Die Vorschrift zur Regelung der Delegationsbefugnis ist von ihrer Ausgestaltung her nicht darauf ausgerichtet, einheitliche Regelungen für alle konzernangehörigen Arbeitnehmer allein aus Gründen der Zweckmäßigkeit durchzusetzen. § 58 Abs. 1 BetrVG begründet eine Handlungskompetenz des Konzernbetriebsrats in Angelegenheiten, die den gesamten Konzern oder zumindest mehrere Konzernunternehmen betreffen. Im Gegensatz dazu genügt für ein Tätigwerden nach § 58 Abs. 2 BetrVG bereits der Handlungsauftrag eines Gesamtbetriebsrats oder eines Betriebsrats. Konzerneinheitliche oder unternehmensübergreifende Regelungen lassen sich auf diese Weise nicht erreichen. Die Handlungsmacht des Konzernbetriebsrats erstreckt sich in diesen Fällen nur auf die Durchsetzung von Regelungen für diejenigen Arbeitnehmer, die von dem beauftragenden Betriebsverfassungsorgan repräsentiert werden.

d) Die Zuständigkeit der Konzernobergesellschaft auf Arbeitgeberseite im Delegationsfall ist zudem nicht nach dem Inhalt des vorliegenden Mitbestimmungsrechtes geboten. Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG mitzubestimmen bei der Festlegung von Zeit, Ort und Art der Auszahlung des Arbeitsentgelts. Dieses Mitbestimmungsrecht erstreckt sich auch auf die Entscheidung über die Barauszahlung oder bargeldlose Überweisung des Arbeitsentgelts und erfaßt als Annex eine Regelung über die Zahlung von Kontoführungsgebühren oder die Einführung einer Kontostundung, soweit diese Gebühren oder der jeweilige Zeitaufwand für den Arbeitnehmer durch die Überweisung anfallen (BAG Beschluß vom 10. August 1993 - 1 ABR 21/93 - AP Nr. 12 zu § 87 BetrVG 1972 Auszahlung). Es bestimmt sich damit weitgehend nach den Verhältnissen in den jeweiligen Betrieben und Unternehmen sowie den regionalen Besonderheiten der eingeschalteten Bankinstitute und ist schon deswegen nicht auf eine konzerneinheitliche Behandlung angelegt.

 

Fundstellen

BB 1998, 648

FA 1998, 130

NZA 1998, 497

RdA 1998, 189

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