Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindung an Verweisungsbeschluß

 

Leitsatz (amtlich)

  • Die bindende Wirkung von Verweisungsbeschlüssen (§ 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17a Abs. 2 S. 3 GVG n.F.) ist auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 3 ZPO zu beachten (ständige Rechtsprechung, vgl. statt vieler BAG Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – EzA § 17a GVG Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt).
  • Das bedeutet: Es ist das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschlußgelangt ist, es sei denn, dieser ist ausnahmsweise nicht bindend. In diesem Fall ist dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den zweiten Verweisungsbeschluß gelangt ist, es sei denn, (auch) dieser ist ausnahmsweise nicht bindend.
  • Beschlüsse der Arbeitsgerichte, durch die der Rechtsstreit wegen örtlicher Unzuständigkeit verwiesen wurde, sind zu begründen (§ 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG n.F.). Formelhafte Wendungen, wie die, es sei weder ein allgemeiner noch ein besonderer Gerichtsstand gegeben, stellen keine Begründung dar.
 

Normenkette

ZPO § 36 Nr. 6, § 29 Abs. 1; ArbGG § 48 Abs. 1 n.F.; GVG § 17a Abs. 2 n.F.; GG Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Bonn (Beschluss vom 29.09.1993; Aktenzeichen 3 Ca 2425/93)

 

Tenor

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht Stuttgart – Kammern Aalen – bestimmt.

 

Tatbestand

I. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung und um Weiterbeschäftigung. Der Kläger wohnt in R… (Arbeitsgerichtbezirk Stuttgart – Kammern Aalen –); die Beklagte hat ihren Sitz in E… (Arbeitsgerichtsbezirk Bonn – Gerichtstag Euskirchen –).

Der Kläger ist seit dem 1. Juli 1990 als Gebietsverkaufsleiter für Deutschland/Süd bei der Beklagten beschäftigt. Mit seiner Klage wendet er sich gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 1993; er begehrt ferner die Weiterbeschäftigung. Der Kläger erhob Klage beim Arbeitsgericht Stuttgart – Kammern Aalen –, und zwar unter Berufung auf Ziff. 13 seines Anstellungsvertrages, wonach aufgrund seiner Tätigkeit als Gebietsleiter Deutschland/Süd sein Wohnsitz maßgebend sei. Die Beklagte vertrat demgegenüber den Standpunkt, zuständig sei das Arbeitsgericht Bonn – Gerichtstag Euskirchen. Denn dort liege der technisch-wirtschaftliche Mittelpunkt des Arbeitsverhältnisses der Parteien. Zwar stelle grundsätzlich die Arbeitsstätte den einheitlichen Leistungsort für alle Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis dar; dies gelte jedoch im Streitfall nicht, da der Kläger seine Arbeitsleistung in ständigem Wechsel in verschiedenen Arbeitsgerichtsbezirken in seinem Tätigkeitsbereich erbringe.

Die Güteverhandlung vom 16. Juli 1993 des Arbeitsgerichts Stuttgart – Kammern Aalen – endete mit dem Beschluß: “Weitere Anordnungen ergehen von Amts wegen”. Unter dem 29. Juli 1993 erging folgender – beiden Parteien zur Kenntnis gegebener – Beschluß:

Dem Beklagten-Vertreter wird Gelegenheit gegeben, bis 18. August 1993 darzulegen, weshalb die Entscheidung des BAG in AP Nr. 1 zu Art. 5 Brüsseler Abkommen nicht einschlägig sein soll.

Mit Schriftsatz vom 10. August 1993 vertrat die Beklagte die Auffassung, daß die genannte Entscheidung für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nicht einschlägig sei. Ohne daß dieser Schriftsatz dem Kläger zugeleitet worden war, erging am 17. August 1993 folgender Beschluß:

Das Arbeitsgericht Stuttgart erklärt sich für örtlich unzuständig.

Der Rechtsstreit wird an das örtlich zuständige Arbeitsgericht Euskirchen verwiesen.

Gründe:

Es ist weder ein allgemeiner noch ein besonderer Gerichtsstand gegeben (§ 48a I ArbGG i.V.m. § 17a Abs. IV GVG). Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 48 I Nr. 1 ArbGG).

Dieser Beschluß wurde den Parteien zugesandt.

Das Arbeitsgericht Bonn – Gerichtstag Euskirchen – erörterte am 10. September 1993 mit den Parteien die Frage der örtlichen Zuständigkeit und wies darauf hin, daß es den Verweisungsbeschluß für unverbindlich und in der Sache für fehlerhaft halte. Die Parteienvertreter erklärten, zur Zuständigkeit nicht mehr Stellung nehmen zu wollen.

Durch Kammerbeschluß vom 29. September 1993 hat sich das Arbeitsgericht Bonn für örtlich unzuständig erklärt und “den Rechtsstreit dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des Arbeitsgerichts Stuttgart/Kammern Aalen als örtlich zuständiges Gericht” vorgelegt.

 

Entscheidungsgründe

II. Örtlich zuständig ist das Arbeitsgericht Stuttgart – Kammern Aalen –. Dessen Verweisungsbeschluß bindet das Arbeitsgericht Bonn – Gerichtstag Euskirchen – nicht.

1. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO sind erfüllt. Die Arbeitsgerichte Stuttgart und Bonn haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt, ersteres durch formell unanfechtbaren Beschluß vom 17. August 1993, letzteres durch die seine Zuständigkeit abschließend verneinenden Beschluß vom 29. September 1993, der als – im Sinne des § 36 Nr. 6 ZPO rechtskräftige – (Rück)Verweisung anzusehen ist (BGHZ 102, 338, 340 = NJW 1988, 1794, 1795).

2.a) Rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse sind für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Dies ergibt sich aus § 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. Die bindende Wirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch im Bestimmungsverfahren des § 36 Nr. 6 ZPO zu beachten (vgl. statt vieler: BAG Beschluß vom 11. Januar 1982 – 5 AR 221/81 – AP Nr. 27 zu § 36 ZPO). Nur so kann der Zweck des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG n.F. erreicht werden, unnötige und zu Lasten der Parteien gehende Zuständigkeitsstreitigkeiten zu vermeiden. Das bedeutet: regelmäßig ist dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluß gelangt ist (BGHZ 17, 168, 171; BayObLGZ 1991, 387, 389).

Auch fehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend. Lediglich eine offensichtlich gesetzwidrige Verweisung kann diese Bindungswirkung nicht entfalten (BAG Beschluß vom 29. September 1976 – 5 AR 232/76 – AP Nr. 20 zu § 36 ZPO, zu II 2 der Gründe; zum neuen Recht Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 – EzA § 17a GVG Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; Zöller/Vollkommer, ZPO, 18. Aufl., § 36 Rz 25, 28; einschränkend zum neuen Recht Zöller/Gummer, aaO, GVG § 17a Rz 13). Offensichtlich gesetzwidrig ist ein Verweisungsbeschluß dann, wenn er jeder Rechtsgrundlage entbehrt, willkürlich gefaßt ist oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten oder einem von ihnen beruht (BAG Beschluß vom 1. Juli 1992 – 5 AS 4/92 –, aaO, zu II 3a der Gründe; BGHZ 71, 69, 72 f. = NJW 1978, 1163, 1164). Letzteres ist aber nur dann anzunehmen, wenn der Beschluß für die Partei, der das rechtliche Gehör verweigert wurde, unanfechtbar ist. Denn der Mangel des rechtlichen Gehörs kann durch nachträg- liche Anhörung in der Rechtsmittelinstanz geheilt werden. Die nicht angehörte Partei kann in diesem Fall auf die Einlegung des Rechtsmittels verwiesen werden (BAG Beschluß vom 22. September 1992 – 5 AS 8/92 –, n.v.).

b) Unter Anlegung dieses Maßstabes erweist sich der Verweisungsbeschluß des Arbeitsgerichts Stuttgart als offensichtlich gesetzwidrig.

Zunächst besteht Anlaß, darauf hinzuweisen, daß der genannte Beschluß schon deshalb fehlerhaft ist, weil er – entgegen § 48 Abs. 1 ArbGG n.F., § 17a Abs. 4 S. 2 GVG n.F. – nicht begründet worden ist. Die formelhafte Wendung, es sei weder ein allgemeiner noch ein besonderer Gerichtsstand gegeben, stellt keine Begründung dar. Allerdings läßt dieser Umstand den Beschluß noch nicht als offensichtlich gesetzwidrig erscheinen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. neuestens Beschluß vom 1. Juli 1992, aaO) ist eine fehlende Begründung dann unschädlich, wenn sich der Verweisungsgrund aus der Akte ergibt. Das dürfte hier der Fall sein. Das Arbeitsgericht Stuttgart wird sich die Rechtsansicht der Beklagten aus deren Schriftsatz vom 10. August 1993 zu eigen gemacht haben.

Entscheidend ist, daß das Arbeitsgericht Stuttgart – Kammern Aalen – dem Kläger rechtliches Verhör versagt hat. Der Verweisungsbeschluß ist eine Überraschungsentscheidung. Aufgrund des vorangegangenen Beschlusses vom 29. Juli 1993, wodurch der Beklagten Gelegenheit gegeben wurde, darzulegen, weshalb die Entscheidung des BAG AP Nr. 1 Art. 5 Brüsseler Abkommen nicht einschlägig sein soll, durfte der Kläger davon ausgehen, daß das Arbeitsgericht Stuttgart – Kammern Aalen – sich für örtlich zuständig hielt. Vor einer abweichenden Entscheidung mußte es dem Kläger Gelegenheit zur Äußerung geben. Das hat es nicht getan.

3. Ist der erste Verweisungsbeschluß – wie hier – ausnahmsweise nicht bindend, ist dasjenige Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache durch den zweiten Verweisungsbeschluß (die Rückverweisung) gelangt ist, es sei denn, (auch) dieser ist ausnahmsweise nicht bindend (BGH Beschluß vom 2. März 1983, – IVb ARZ 49/82 – NJW 1983, 1859; BayObLGZ 1986, 285, 288). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Das Arbeitsgericht Bonn – Gerichtstag Euskirchen – hat die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Stuttgart mit zutreffenden Erwägungen bejaht. Der Senat hat dazu in seinem nicht veröffentlichten Beschluß vom 12. März 1992 – 5 AS 10/91 – folgendes ausgeführt:

Der Europäische Gerichtshof und das Bundesarbeitsgericht haben zu Art. 5 Nr. 1 des Übereinkommens der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen entschieden, daß als Erfüllungsort, der nach dieser Bestimmung für die Zuständigkeit in Sachen mit Auslandsberührung maßgebend ist, bei allen Klagen aus Arbeitsverhältnissen nur der Ort der Arbeitsleistung anzusehen ist (EuGHE 1982, 1891; EuGHE 1989, 358 = EuZW 1990, 35; BAG Urteil vom 12. Juni 1986 – 2 AZR 398/85 – AP Nr. 1 zu Art. 5 Brüsseler Abkommen). Dieser Auffassung ist auch für § 29 ZPO zu folgen. Bei Arbeitsverhältnissen ist in der Regel von einem einheitlichen (gemeinsamen) Erfüllungsort auszugehen. Das ist der Ort, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung zu erbringen hat (Zöller/Vollkommer, ZPO, 17. Aufl., § 29 Rz 25 “Arbeitsvertrag”; MünchKomm-Keller, BGB, 2. Aufl., § 269 Rz 21; vgl. auch LAG Berlin Urteil vom 19. Mai 1960 – 2 Sa 14/60 – AP Nr. 3 zu § 269 BGB). Das für diesen Ort zuständige Arbeitsgericht ist auch für Kündigungsschutzklagen zuständig. Auf die Frage, von wo aus das Arbeitsentgelt gezahlt wird und wo sich die Personalverwaltung befindet, kommt es regelmäßig nicht an.

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Erfüllungsort für die Arbeitsleistung eines für die Bearbeitung eines größeren Bezirks angestellten Reisenden ist aber dessen Wohnsitz, wenn er von dort aus seine Reisetätigkeit ausübt. Dies gilt unabhängig davon, ob er täglich nach Hause zurückkehrt und in welchem Umfang er vom Betrieb Anweisungen für die Gestaltung seiner Reisetätigkeit erhält (BAG Urteil vom 12. Juni 1986 – 2 AZR 398/85 – AP Nr. 1 zu Art. 5 Brüsseler Abkommen). Zu diesem Personenkreis gehört auch der Kläger. Mit der Verweisung an das Arbeitsgericht Stuttgart – Kammern Aalen – hat das Arbeitsgericht Bonn der vom Kläger unter mehreren zuständigen Gerichten getroffenen Wahl (§ 35 ZPO) Rechnung getragen.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke

 

Fundstellen

Haufe-Index 845964

NJW 1994, 1815

JR 1994, 308

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