3.2.1 Vorbemerkung

Der Begriff des Betriebsübergangs ist in den letzten Jahren durch das Eingreifen des Europäischen Gerichtshofs einer erheblichen Verunsicherung unterlegen.

Das BAG hatte jahrelang einen Betriebsübergang angenommen, wenn die wesentlichen materiellen bzw. immateriellen Betriebsmittel vom Erwerber übernommen wurden. Im Fall "Christel Schmidt" entschied dann der EuGH am 14.4.1994[1], dass eine bloße Funktionsnachfolge – die Übernahme der Tätigkeit einer einzelnen Putzfrau durch ein Reinigungsinstitut – bereits zu den Rechtsfolgen des § 613a BGB führe.

Die durch diese Entscheidung entstandene Rechtsunsicherheit wurde in der Folge durch eine weitere Begriffsdefinition des EuGH klargestellt: Nunmehr sollte es darauf ankommen, ob eine wirtschaftliche Einheit, die ihre Identität bewahrt, übergeht. Dabei soll diese wirtschaftliche Einheit auch gegeben sein, wenn ausschließlich eine Personenmehrheit übernommen wird.

Was zunächst die Rechtsfolge des § 613a BGB bildete – eine Anordnung des Übergangs der Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer – wurde zur Tatbestandsvoraussetzung des § 613a BGB deklariert. An die Stelle des bisherigen Betriebsbegriffs trat ein neuer Begriff, der ganz wesentlich von dem unternehmerischen und personellen Konzept des Erwerbers abhängig war. Damit hatte es zum Teil der neue Auftragnehmer in der Hand, einen Betriebsübergang herbeizuführen oder nicht.

Zu weiterer Verunsicherung der Praxis hat eine neue Entscheidung des EuGH geführt, wonach es nicht mehr erforderlich sein soll, dass der übernommene Betriebsteil seine organisatorische Selbstständigkeit beim Erwerber bewahrt.[2] Es müsse lediglich "der Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Sachzusammenhangs gewahrt" bleiben. Es wird befürchtet, dass ein Identitätsverlust nach dem neuen EuGH-Urteil nur noch in Ausnahmefällen angenommen werden kann, etwa bei einer vollständigen Zerschlagung der übernommenen Produktionsfaktoren durch den Erwerber oder einer vollständigen Ersetzung des bisherigen Betriebszwecks durch neue Tätigkeiten und Aufgaben der Mitarbeiter.[3]

Das BAG sah sich zu einer Präzisierung gerufen, in welchen Fällen die Rechtsfolgen des § 613a BGB zukünftig eintreten sollen. Im Folgenden wird – insbesondere in Ziffer 3.2.7 – auf die Inhalte dieser neuen Rechtsprechung des BAG eingegangen.

[1] EuGH, Urteil v. 14.4.1994, Rs. C-392/92,

"Christel Schmidt" DB 1994 S. 1370.

[2] EuGH, Urteil v. 12.2.2009, C-466/07 – [Klarenberg] Rn. 47 f., NZA 2009 S. 251.
[3] Grobys, "Europarichter erschweren Kündigung beim Betriebsübergang", in: FAZ, Nr. 173, v. 29.7.2009, S. 19.

3.2.2 Übergang einer wirtschaftlichen Einheit, die ihre Identität bewahrt

Kernpunkt der Klarstellung des Betriebsbegriffs ist nach der Rechtsprechung des EuGH das Bestehenbleiben einer wirtschaftlichen Einheit, die ihre Identität bewahrt ("Ayse Süzen"[1]). Der Begriff "Einheit" bezieht sich dabei grundsätzlich auf eine "organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung", wobei nach neuester Rechtsprechung des EuGH die organisatorische Selbstständigkeit in der aufnehmenden Einrichtung nicht mehr erhalten bleiben muss.[2]

Bei der Prüfung, ob eine Einheit übergegangen ist, müssen sämtliche, den betreffenden Vorgang kennzeichnende Tatsachen berücksichtigt werden.

Teilaspekte der Gesamtwürdigung sind nach Auffassung des EuGH

  • die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs
  • der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter
  • der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs
  • die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft
  • der etwaige Übergang der Kundschaft
  • der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten
  • die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit.

Die Identität der Einheit darf allerdings nicht als Übertragung einer bloßen Tätigkeit, als "Funktionsnachfolge", verstanden werden.

3.2.3 Die Übernahme von materiellen bzw. immateriellen Betriebsmitteln

Nach bisher geltender ständiger Rechtsprechung des BAG[1] war und ist weiterhin für den Begriff des Betriebs im Sinne des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB der allgemeine Betriebsbegriff zugrunde zu legen. Danach ist der Betrieb

"eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Unternehmer mithilfe von sächlichen und immateriellen Mitteln allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt[2]".

Ein Betriebsübergang ist damit anzunehmen, wenn der neue Inhaber mit den übernommenen Betriebsmitteln den Betrieb oder Betriebsteil im Wesentlichen fortführen kann. Die Übernahme eines Betriebs oder Betriebsteils setzt nicht die Übernahme aller, sondern nur der für die Erfüllung der arbeitstechnischen Zwecke wesentlichen Betriebsmittel voraus.

Was unter den Begriff "wesentliche Betriebsmittel" fällt, wird abhängig von der Eigenart des jeweiligen Betriebs beurteilt.[3]

  • Bei Produktionsbetrieben kommt es im Wesentlichen auf d...

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