Rz. 9

Tarifverträge und Arbeitsverträge können jederzeit dann zulässigerweise vom BUrlG abweichen, wenn sie Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten. Das BUrlG enthält lediglich Mindestansprüche.[1]

Regelungen, die zum Nachteil des Arbeitnehmers vom BUrlG abweichen, sind im Rahmen eines Tarifvertrags insoweit zulässig, als sie nicht die §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG betreffen. Individualrechtliche Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem Arbeitsvertrag dürfen dagegen keine Abweichungen zulasten des Arbeitnehmers beinhalten (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG). Vertragsparteien, die nicht tarifgebunden sind, können aber tarifliche Regelungen, die vom BUrlG zulasten des Arbeitnehmers abweichen, dadurch zur Anwendung bringen, dass sie auf die einschlägige tarifliche Urlaubsregelung einzelvertraglich Bezug nehmen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG[2]).

 

Rz. 10

Die Tarifvertrags- bzw. Arbeitsvertragsparteien können zudem bei Urlaubsansprüchen, die über den Mindesturlaubsanspruch des BUrlG hinausgehen, von den Grundsätzen des BUrlG abweichende inhaltliche Vereinbarungen treffen.[3] Die Grundsätze des BUrlG können dann nur insoweit herangezogen werden, als die tarifliche oder vertragliche Vereinbarung nicht abschließend ist. Da das BUrlG auch den unionsrechtlich nach der Richtlinie 2003/88/EG verbindlichen Urlaub abdeckt, fallen arbeitsvertragliche bzw. tarifliche Mehrurlaubsansprüche nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie.[4]

 
Wichtig

Für einen vom Gesetz abweichenden Regelungswillen der Tarif- bzw. Arbeitsvertragsparteien müssen deutliche Anhaltspunkte bestehen, die auch im Regelungstext ihren Niederschlag gefunden haben.[5] Der Tarif- oder Arbeitsvertrag muss erkennen lassen, dass zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Ansprüchen unterschieden wird. Ein eigenständiger Regelungswille kann sich auch aus Übertragungs- und Verfallsregeln ergeben, die wesentlich von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichen.[6] Es sind aber immer die einschlägigen tariflichen Bestimmungen zu den jeweiligen Regelungsgegenständen (z. B. Fristenregime einerseits, Abgeltungsanspruch andererseits) zu untersuchen. Beinhaltet z. B. ein Tarifvertrag eigenständige Fristen für die Übertragung und den Verfall des Urlaubs, schließt dies nicht aus, dass die Tarifvertragsparteien die gesetzliche Urlaubsabgeltungsregelung für angemessen gehalten und deshalb insoweit auf eine Sonderreglung für den tariflichen Mehrurlaub verzichtet haben.[7] Fehlen deutliche Anhaltspunkte für einen vom Gesetz abweichenden Regelungswillen, gilt für die übergesetzlichen tariflichen bzw. arbeitsvertraglichen Ansprüche nichts anderes als für die gesetzlichen Ansprüche.

 
Praxis-Beispiel

Ein Arbeitnehmer ist seit mehreren Jahren in der 5-Tage-Woche bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Ihm steht damit ein Mindesturlaubsanspruch nach dem BUrlG in Höhe von 20 Arbeitstagen zu (24 Werktage gem. § 3 Abs. 1 BUrlG: 6 Werktage/Woche × 5 Arbeitstage[8]). Weder der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber sind tarifgebunden. Sie vereinbaren in ihrem Arbeitsvertrag einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen. Zudem vereinbaren sie, dass beim Eintritt sowie Ausscheiden des Arbeitnehmers während eines Kalenderjahres der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nur 1/12 pro vollen Monat des Jahresurlaubs beträgt, wobei der gesetzliche Urlaubsanspruch jedenfalls bestehen bleiben soll. Der Arbeitnehmer scheidet zum 31.7. eines Jahres aus dem Arbeitsverhältnis aus.

Lösung

Bei der Berechnung des (Gesamt-)Urlaubsanspruchs ist zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch und dem darüber hinausgehenden vertraglichen Urlaubsanspruch zu differenzieren. Da der Arbeitnehmer seit mehreren Jahren beschäftigt ist und somit die Wartezeit des § 4 BUrlG bereits erfüllt hat, entstand mit Beginn des neuen Kalenderjahres[9] der volle gesetzliche Urlaubsanspruch. Der so entstandene volle gesetzliche Urlaubsanspruch wird durch das Ausscheiden des Arbeitnehmers im Laufe des Kalenderjahres auch nicht gekürzt. Dies wäre nur der Fall, wenn er in der ersten Hälfte des Kalenderjahres – also bis zum 30.6. – ausschiede (§ 5 Abs. 1c BUrlG[10]). Der Arbeitnehmer hat deshalb jedenfalls Anspruch auf 20 Tage gesetzlichen Mindesturlaub.

Das ist auch entsprechend in dem Arbeitsvertrag vereinbart.

Der gesetzliche Mindesturlaub würde aber auch dann nicht durch die vertragliche Vereinbarung der Zwölftelung bei unterjährigem Ausscheiden verringert, wenn im Arbeitsvertrag nicht festgehalten wäre, dass der Mindesturlaub bestehen bleibt.[11] Denn insofern verstieße die vertragliche Regelung gegen zwingendes Gesetzesrecht, da nur beim Ausscheiden in der ersten Jahreshälfte der nach § 1 BUrlG erworbene Vollurlaubsanspruch gekürzt werden kann, nicht dagegen beim Ausscheiden in der 2. Jahreshälfte. Die vertraglich vereinbarte Kürzung des gesetzlichen Vollurlaubs unabhängig vom Zeitpunkt des Ausscheidens wäre nichtig und für die Berechnung des Urlaubsanspruchs unbeachtlich.[12]

Hätten die Parteien im Arbeitsvertrag hinsichtlich des zusätzlichen Urlaubs von 10 Tage...

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