Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsabgeltung. Arbeitsunfähigkeit. Verfall. Mehrurlaub

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der vierwöchige Mindesturlaubsanspruch verfällt nicht, wenn ein Arbeitnehmer bis zum Ende des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig erkrankt ist (vgl. EuGH [20.01.2009] – C-350/06 u.a. – Sch.-H.).

2. Es steht in der Freiheit der Arbeits- oder Tarifvertragsparteien, den Verfall eines darüber hinausgehenden arbeits-, tarifvertrag- oder gesetzlichen zusätzlichen Erholungsurlaubs mit oder nach dem 31.03. des Folgejahres zu bestimmen (vgl. BAG [24.03.2009] – 9 AZR 983/07), soweit nicht Sonderbestimmungen wie § 17 Abs. 2 BEEG gelten.

3. Ob eine arbeitsvertragliche Verfallklausel übergesetzliche Urlaubsansprüche auch im Fall durchgehender Arbeitsunfähigkeit erfassen soll, ist durch Auslegung zu ermitteln (BAG, a.a.O.).

4. Eine arbeitsvertraglich in Bezug genommene tarifvertragliche Urlaubsfristenregelung gilt im Fall durchgehender Arbeitsunfähigkeit nicht für den vierwöchigen Mindesturlaub (BAG, a.a.O.). Darüber hinausgehende tarifliche Urlaubsansprüche verfallen im Regelfall wie bisher. Es bedarf keiner Anhaltspunkte für eine tarifvertragliche Differenzierung zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Erholungsurlaubsansprüchen (gegen BAG [24.03.2009] – 9 AZR 983/07). Im Zweifel ist in einer tarifvertraglichen Verfallsregelung für Urlaubsansprüche eine Gleichbehandlung arbeitsfähiger und arbeitsunfähiger Arbeitnehmer gewollt (mit BAG [07.09.2004] – 9 AZR 587/03), soweit dies gesetzlich zulässig ist.

5. Dies gilt auch für den über § 3 Abs. 1 BUrlG hinausgehenden zusätzlichen Erholungsurlaub nach § 125 SGB IX (a.A. LAG Düsseldorf [02.02.2009] – 12 Sa 486/06).

 

Normenkette

RL 2003/88/EG Art. 7; BAT § 47 Abs. 7, § 51; BUrlG § 7 Abs. 3; SGB IX § 125

 

Tenor

I. Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 3.154,80 EUR brutto (in Worten: dreitausendeinhundertvierundfünfzig 80/100) brutto zu zahlen.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

III. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits z u3/5, das beklagte Land zu 2/5 zu tragen; bis auf die Kosten der Verweisung, die die Klägerin allein zu tragen hat.

IV. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.600,22 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Urlaubsabgeltung trotz mehrjähriger Arbeitsunfähigkeit.

Die am …1950 geborene, schwerbehinderte Klägerin war bei dem beklagten Land als Angestellte in einer Fünf-Tage-Woche tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft unstreitiger, nicht näher dargelegter Bezugnahme der BAT i.V.m. dem Anwendungstarifvertrag des beklagten Landes Anwendung.

Die Klägerin hatte im Jahr 2005 nach § 48 Abs. 1 BAT Anspruch auf einen tariflichen Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen und nach § 125 SGB IX einen zusätzlichen Urlaubsanspruch von fünf Arbeitstagen. Im Jahr 2005 nahm die Klägerin in der Zeit vom 4. bis 29.07.2005 Urlaub. Die Klägerin war seit dem 23.08.2005 bis zum Ende ihres Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 23.08.2007 wurde der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend ab dem 01.02.2007 zuerkannt. Das beklagte Land teilte der Klägerin mit Schreiben vom 20.09.2007 mit, dass ihr Arbeitsverhältnis nach § 59 Abs. 1 BAT mit Ablauf des 05.10.2007 beendet werde.

Die Klägerin begehrte mit Schreiben vom 13.09.2007 unter anderem „die Verrechnung v. Urlaubstagen” und legte ihre „Urlaubskonten” anbei. Mit Schreiben vom 04.01.2008 lehnte das beklagte Land eine Urlaubsabgeltung ohne Nachweis der Erlangung der Arbeitsfähigkeit ab. Dies lehnte die Klägerin mit unterschriebenem Schreiben vom 10.01.2008 ab und wiederholte darin unter Bezugnahme auf ihr Schreiben vom 13.09.2007 ihr Begehren.

Mit ihrer beim Sozialgericht am 12.02.2008 eingereichten Klage, die dem beklagten Land 14.04.2008 zugestellt wurde, verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche – zuletzt vor dem Arbeitsgericht – weiter.

Die Klägerin begehrt die Abgeltung ihrer Urlaubsansprüche aus den Jahren 2005 – 2007: für das Jahr 2005 die Abgeltung von 15 Urlaubstagen, für das Jahr 2006 von 35 Urlaubstagen und für Januar 2007 von drei Urlaubstagen.

Die Klägerin beruft sich zuletzt auf die Rechtsprechung des EuGH, wonach bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit ein Urlaubsanspruch nicht verfallen könne. Die Klägerin behauptet, dass ihr Monatseinkommen 3.107,01 EUR brutto betragen habe.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin 7.600,22 EUR brutto zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land behauptet, die Klägerin sei auch nach dem 05.10.2007 weiterhin anhaltend arbeitsunfähig erkrankt.

Es ist der Ansicht, dass ein Anspruch der Klägerin auf Urlaubsabgeltung nicht bestehe, da die Klägerin auf Grund ihrer Arbeitsunfähigkeit einen Urlaub nicht habe und nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses nicht hätte nehmen können. Der Urlaubsanspruch sei daher verfallen. Ohne Urlaubsanspruch gäbe es auch keinen Urlaubsabgeltungsanspruch. Dem EuGH-Urteil Sch.-H. sei ...

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