Im Jahr 2010 gab es in der Rechtsprechung des BAG eine Abkehr vom Grundsatz der Tarifeinheit.[1] Durch das Tarifeinheitsgesetz vom Juli 2015 wurde das Tarifvertragsgesetz (TVG) geändert, so dass wieder der Grundsatz "Ein Betrieb, ein Tarifvertrag" gilt.

Haben mehrere Gewerkschaften unterschiedliche Tarifverträge für ein und dieselbe Beschäftigtengruppe abgeschlossen, findet im Betrieb nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft Anwendung, die in diesem Betrieb die meisten Mitglieder hat (Tarifkollision, § 4a Abs. 2 TVG). Dabei kommt es auf die Mitgliederzahlen zum Zeitpunkt des Abschlusses des letzten kollidieren Tarifvertrags an, sog. Mehrheitstarifvertrag. Das BVerfG hat § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG als unvereinbar mit Art. 9 Abs. 3 GG angesehen.[2] Seit dem 1.1.2019 ist § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG daher ergänzt worden durch die Formulierung „wurden beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags die Interessen von Arbeitnehmergruppen, die auch von dem nach dem 1. Hs. nicht anzuwendenden Tarifvertrag erfasst werden, nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt, sind auch die Rechtsnormen dieses Tarifvertrags anwendbar".

Seitens der Minderheitsgewerkschaft kann die Nachzeichnung des mit der Mehrheitsgewerkschaft geschlossenen Tarifvertrags verlangt werden, § 4a Abs. 4 TVG.

Im Falle der Tarifpluralität, d. h. mehrere Gewerkschaften haben unterschiedliche Tarifverträge für verschiedene Beschäftigtengruppen abgeschlossen, sind alle Tarifverträge für die jeweilige Beschäftigtengruppe anwendbar.

Im Bereich des öffentlichen Dienstes kann es insbesondere durch Ärzte in Krankenhäusern oder durch Lokomotivführer im Ergebnis zu einer Blockade von Unternehmen durch diese Splittergruppen kommen, die gruppenegoistische Sonderinteressen zulasten der Gesamtbelegschaft verfolgen.[3] Durch den geringen Aufwand, den solche Arbeitnehmergruppen benötigen, um einen massiven Druck auf den Arbeitgeber auszuüben, ist die Arbeitskampfparität erheblich zuungunsten des Arbeitgebers verschoben. Ungeklärt ist, wie ein Arbeitgeber auf einen solchen Arbeitskampf reagieren kann und soll. Eine Aussperrung der nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer ist grundsätzlich unverhältnismäßig, da diesen der von der Spartengewerkschaft geführte Arbeitskampf nicht zugutekommt – im Bereich der Krankenhäuser sogar schadet, da die Ausgabensteigerungen durch Einkommenszuwächse der Ärzte oftmals durch Personalabbau bei anderen Beschäftigtengruppen aufgefangen werden müssen. Im Ergebnis wäre dies eine doppelte Aufopferung des übrigen Krankenhauspersonals. Somit ist es auch nicht möglich, nach den Grundsätzen eines Unterstützungsstreiks die übrigen Arbeitnehmer auszusperren. In der Literatur wird eine lösende Aussperrung vorgeschlagen, d. h. die Arbeitsverhältnisse werden beendet.[4] Dies kommt praktisch nicht in Betracht, da der Arbeitgeber auf die Arbeitnehmergruppe dringend angewiesen ist. Damit stößt das Arbeitskampfrecht an seine Grenzen. Letztlich wird man an die Verhältnismäßigkeit eines Streiks von Sparten- und Spezialistengewerkschaften strenge Maßstäbe anlegen müssen, die auch die Interessen des Gemeinwohls im verstärkten Maße berücksichtigen. Notwendig ist eine Notdienstvereinbarung, die zumindest den Bereich der Daseinsvorsorge abdeckt. Kommt es zu längeren Arbeitskämpfen, die sich erheblich auf die Allgemeinheit auswirken, ist es Sache der Tarifvertragsparteien, die Allgemeinheit im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit über die Arbeitsbedingungen zu informieren. Durch den Druck seitens der Bevölkerung – die regelmäßig Hauptleidtragende dieses Arbeitskampfs ist – wird dann ein Tarifabschluss in die eine oder andere Richtung gefördert.

[3] Vgl. Frank Bayreuther, Tarif- und Arbeitskampfrecht in der Neuorientierung, NZA 2008 S. 12.
[4] Stefan Greiner, Der Arbeitskampf der GDL, NZA 2007 S. 1023.

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