Zu einer neuen Form des Arbeitskampfs rief die Gewerkschaft ver.di im Jahr 2007 anlässlich der Verhandlungen zum Manteltarifvertrag im Einzelhandel auf: Mittels der Homepage wurden 40 bis 50 Personen gesucht, die in einer bestreikten Filiale Einkaufswagen mit Waren füllten und diese mit der Begründung, das Geld vergessen zu haben, oder ohne Begründung stehen ließen bzw. Centartikel kauften bzw. mit einem mit Kleinstartikeln überfüllten Einkaufswagen zur Kasse gingen und nach der Eingabe sämtlicher Artikel durch die Verkäuferin erklärten, das Geld vergessen zu haben. Die gesamte Aktion dauerte etwa 1 Stunde, die Gewerkschaft hatte ausdrücklich dazu aufgerufen, keine verderblichen Waren für die Aktion zu nutzen. Im Ergebnis handelt es sich um eine Betriebsbehinderung.

Es handelt sich hierbei nicht um einen typischen Streik im Sinne des Arbeitskampfrechts, gleichwohl handelt es sich beim Flashmob (vom engl. Flashmob = Blitzpöbel)[1] um ein zusätzliches, streikbegleitendes Arbeitskampfmittel, das durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt wird, denn der Schutz der Betätigungsfreiheit der Koalitionen erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen, die zur Erreichung des mit dem Arbeitskampf verfolgten Ziels des Abschlusses eines Tarifvertrags geeignet sind. Charakteristisch für einen Flashmob sind eine Bildung wie aus dem Nichts, ein gleichartiges Handeln der Beteiligten und eine Auflösung nach kurzer Zeit.[2]

Derartige streikbegleitende Flashmob-Aktionen stellen eine gezielte Störung der betrieblichen Abläufe dar und sind typischerweise ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Obwohl es sich hierbei nicht um einen typischen Streik im Sinne des Arbeitskampfrechts handelt, stellt dies ein zusätzliches, streikbegleitendes Arbeitskampfmittel dar, das durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt wird, denn der Schutz der Betätigungsfreiheit der Koalitionen erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen. Art. 9 Abs. 3 GG schützt nicht nur die historisch gewachsenen Arbeitskampfmittel, sondern es gehört zu der verfassungsrechtlich geschützten Freiheit der Koalitionen, ihre Kampfmittel den wandelnden Umständen anzupassen, um dem Gegner gewachsen zu bleiben und ausgewogene Tarifabschlüsse zu erreichen. Der Umstand, dass sich Dritte an gewerkschaftlichen Flashmob-Aktionen beteiligen, steht dem nicht entgegen. Flashmob ist nicht grundsätzlich zulässig – auch hier ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiten Sinne zu beachten.[3]

Diese Form des Arbeitskampfs wird als rechtmäßig angesehen, da es sich nicht um Sabotage handelt, weil die Heimlichkeit einer solchen Aktion fehlt. Entscheidend für die Prüfung der Rechtmäßigkeit ist stets die Verhältnismäßigkeit, d. h., die Maßnahme muss geeignet, erforderlich und bezogen auf das Arbeitskampfziel angemessen sein. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg betonte, dass es sich um an sich erlaubtes Kundenverhalten handle. Es läge ein Globalantrag vor, der auch ein rechtmäßiges Gewerkschaftsverhalten umfasst. Zudem könnte die Gewerkschaft solche Aktionen zukünftig umsichtiger vorbereiten und damit etwaigen Exzessrisiken weitgehend vorbeugen.[4] Die Literatur spricht hinsichtlich der Rechtsprechung des BAG zum Flashmob zu Recht von einer "bedenklichen Orientierungsschwäche"[5] und steht dieser Rechtsprechung überwiegend kritisch gegenüber.[6] Das BVerfG hat in dem Nichtannahmebeschluss das Urteil des BAG bestätigt.[7]

Flashmob wurde bislang überwiegend im Bereich des Einzelhandels eingesetzt. Dort mag diese neue Form des Arbeitskampfs vielleicht sogar die Arbeitskampfparität wiederherstellen, da die Gewerkschaften in diesem Bereich in einer schwachen Position sind, denn streikende Beschäftigte können schnell durch Leiharbeitnehmer ersetzt werden. Diese Form des Arbeitskampfs könnte zukünftig aber auch im Bereich des öffentlichen Dienstes überall dort, wo Publikumsverkehr (z. B. Bürgerbüros, Zulassungsstellen, Passämter etc.) gegeben ist, angewandt werden. Erwehren kann sich ein betroffener Arbeitgeber insbesondere durch die Ausübung seines Hausrechts, d. h., er kann Personen, die sich an einem Flashmob beteiligen, zum Verlassen des Gebäudes oder des Grundstücks auffordern. Zudem sollten die Aufrufe zu einer Flashmob-Aktion dahingehend überprüft werden, ob sie den Aufruf zu einer Straftat enthalten. In diesem Fall könnten sie gerichtlich unterbunden werden. Da die Daseinsvorsorgeleistungen des öffentlichen Dienstes ein hoch zu bewertendes Gut sind, würden bei der Durchführung eines Flashmobs im öffentlichen Dienst für die Gewerkschaft unter dem Aspekt der Proportionalität unwägbare und nicht beherrschbare rechtliche Risiken bestehen.[8]

[1] KAV Berlin, ArbeitgeberInfo 10/2009 S. 626.
[2] Oliver Simon/Martin Greßlin, Flashmob – eine grundlegende Neujustierung des Arbeitskampfrechts? BB 2010 S. 381.
[3] BAG, Urteil v. 22.9.2009, 1 AZR 972/08; zu Recht kritisch: Steffen Krieger, Streikrecht 2.0 – Erlaubt ist, was gefällt!?, NZA 2010 S. 20.

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