Das AGG soll Arbeitnehmer wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale nicht besserstellen. Das Gesetz möchte sie vielmehr (lediglich) vor Benachteiligungen schützen. Insoweit wird man nicht davon ausgehen können, dass ein Arbeitgeber z. B. verpflichtet wäre, seinen muslimischen Arbeitnehmern 5 Mal täglich die Möglichkeit zum Gebet einzuräumen. Bereits bisher hat der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung die Pflicht, auf religiöse Belange der Beschäftigten insoweit Rücksicht zu nehmen, als betriebliche Belange dem nicht entgegenstehen.[1]

Auch hinsichtlich der Frage der Berechtigung zum Tragen eines Kopftuchs wird es keine Änderung zu der bisherigen Rechtslage geben.[2] Grundlegend hierzu ist das Urteil des BAG vom 10.10.2002.[3] Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin war Muslima. Sie begann 1989 bei der Beklagten eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau und war seit deren Abschluss als Verkäuferin beschäftigt. Die Beklagte betrieb in einer hessischen Kleinstadt das einzige Kaufhaus mit insgesamt ca. 100 Arbeitnehmern. Die Klägerin befand sich zuletzt im Erziehungsurlaub. Kurz vor dessen Abschluss teilte sie der Beklagten mit, sie werde bei ihrer Tätigkeit künftig ein Kopftuch tragen; ihre religiösen Vorstellungen hätten sich gewandelt, der Islam verbiete es ihr, sich in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch zu zeigen. Die Beklagte schloss einen solchen Einsatz aus. Nachdem die Klägerin bei ihrer Auffassung blieb, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.10.1999.

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hielt die Kündigung für einen unzulässigen, weil unverhältnismäßigen Eingriff in ihre Glaubensfreiheit. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ein Einsatz der Klägerin mit einem "islamischen Kopftuch" sei ihr wegen des Zuschnitts ihres Kaufhauses nicht zuzumuten. Eine "Erprobung" könne von ihr wegen des Risikos wirtschaftlicher Nachteile nicht erwartet werden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Bundesarbeitsgericht Erfolg. Die Weigerung der Klägerin, entsprechend der Anordnung der Beklagten auf das Tragen eines Kopftuchs während der Arbeitszeit zu verzichten, rechtfertigt nach Auffassung des Gerichts die Kündigung nicht. Die Beklagte hatte bei der auf ihr Direktionsrecht gestützten Festlegung von Bekleidungsregeln die grundrechtlich geschützte Glaubensfreiheit der Klägerin zu berücksichtigen. Das Tragen eines Kopftuchs aus religiöser Überzeugung fällt in deren Schutzbereich. Zwar genießt auch die unternehmerische Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers grundrechtlichen Schutz. Zwischen beiden Positionen ist ein möglichst weitgehender Ausgleich zu versuchen. Allein die Befürchtung des Arbeitgebers, es werde im Falle des Einsatzes der Arbeitnehmerin zu nicht hinnehmbaren Störungen kommen, reicht bei dieser Abwägung nicht aus, die geschützte Position der Arbeitnehmerin ohne Weiteres zurücktreten zu lassen. Es gebe keinen Erfahrungssatz, dass es bei der Beschäftigung einer Verkäuferin mit einem "islamischen Kopftuch" in einem Kaufhaus notwendigerweise zu erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen des Unternehmens etwa durch negative Reaktionen von Kunden kommt. Der Beklagten wäre es zumindest zuzumuten gewesen, die Klägerin zunächst einmal einzusetzen und abzuwarten, ob sich ihre Befürchtungen in einem entsprechenden Maße realisierten und ob dann etwaigen Störungen nicht auf andere Weise als durch Kündigung zu begegnen gewesen wäre.

Zur Frage des Tragens eines Kopftuches an Schulen hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 27.1.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 zu §§ 57 Abs. 4 Satz 1, 58 Satz 2 SchulG NW entschieden, dass ein pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen an öffentlichen Schulen gegen deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verstößt und demgemäß verfassungswidrig ist (weitere Entscheidungen zur Frage des Kopftuchverbotes s. oben unter Punkt 2.2.1.2.

In einem anderen Fall kam das Gericht zum Ergebnis, dass eine Pilgerreise das unerlaubte Fehlen im Job rechtfertigen kann.[4] Im zu entscheidenden Fall hatte eine beim Schulamt beschäftigte Muslima außerhalb der Schulferien Urlaub beantragt, um an einer Pilgerreise nach Mekka teilnehmen zu können. Obwohl der Schulleiter dies ablehnte, nahm die Klägerin dennoch an der Reise teil und fehlte unerlaubt bei der Arbeit. Obwohl normalerweise Arbeitnehmern die außerordentliche Kündigung bei eigenmächtigem Antritt von Urlaub drohen kann, kann nach Ansicht des Gerichts eine Ausnahme vorliegen, wenn für den Gläubigen ein wichtiger Termin für eine Pilgerreise ansteht. Hier muss der Arbeitgeber ihnen im Rahmen einer Interessenabwägung freigeben, eine sofortige Entlassung ist unzulässig. Im vorliegenden Fall kam hinzu, dass diese sog. Große Pilgerfahrt erst 13 Jahre später in den Zeitraum von Schulferien gefallen wäre. Hier wäre die Klägerin dann bereits 64 Jah...

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