§ 22 AGG verhilft einem Arbeitnehmer, der aus Gründen des § 1 AGG benachteiligt worden ist, zu erheblichen Erleichterungen in einem Rechtsstreit gegen den Arbeitgeber. Danach genügt es zunächst, wenn der benachteiligte Arbeitnehmer Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines der nach § 1 AGG geschützten Merkmale vermuten lassen. Gelingt das, so ist es dann Sache des Arbeitgebers zu beweisen, dass die Benachteiligung entweder nichts mit den Gründen des § 1 AGG zu tun hat oder dass sie nach den §§ 8 ff. AGG zulässig ist. Die Regelung ist vor dem Hintergrund geschaffen worden, dass es für den Arbeitnehmer oft nicht möglich ist nachzuweisen, dass eine bestimmte Benachteiligung gerade wegen eines der geschützten Merkmale erfolgt ist, da er die Motivationslage des Arbeitgebers nicht kennen kann.

Das Bundesarbeitsgericht[1] hat zur inhaltsgleichen Regelung des § 611a BGB ausgeführt:

Zitat

Die zweistufige Regelung des § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB bezieht sich auf den Benachteiligungsgrund, also auf die Tatsache der Benachteiligung aus geschlechtsspezifischen Gründen. Die Glaubhaftmachung durch den Arbeitnehmer lässt die Beweisverteilung zunächst unberührt, sie senkt nur das Beweismaß. Dabei ist die Glaubhaftmachung nicht als Glaubhaftmachung i. S. d. § 294 ZPO zu verstehen; verlangt ist lediglich eine Darlegung, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts als wahrscheinlich erscheinen lässt. Überdies handelt es sich nicht um eine Vermutungsregelung i. S. d. § 292 ZPO. Die Vorschrift ist vielmehr so zu verstehen, dass der klagende Arbeitnehmer eine Beweislast des Arbeitgebers dadurch herbeiführen kann, dass er Hilfstatsachen darlegt und ordnungsgemäß unter Beweis stellt, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lassen. Hierzu genügt die Überzeugung des Gerichts von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Geschlechtszugehörigkeit und Nachteil. Solche Vermutungstatsachen können in Äußerungen des Arbeitgebers bzw. anderen Verfahrenshandlungen begründet sein, die die Annahme einer Benachteiligung wegen des Geschlechts nahelegen. Es genügen Indizien, die aus einem regelhaft einem Geschlecht gegenüber geübten Verhalten auf eine solchermaßen motivierte Entscheidung schließen lassen. Ist die Benachteiligung aus geschlechtsspezifischen Gründen nach diesen Grundsätzen überwiegend wahrscheinlich, muss nunmehr der Arbeitgeber den vollen Beweis führen, dass die Benachteiligung aus rechtlich zulässigen Gründen erfolgte.

Das bedeutet im Einzelnen[2]:

Zunächst muss der Arbeitnehmer darlegen, d. h. für das Gericht im Einzelnen nachvollziehbar unter Angaben von Tatsachen darstellen und für den Fall, dass der Arbeitgeber dies bestreitet, auch beweisen, dass er überhaupt benachteiligt worden ist. Reine Behauptungen "ins Blaue hinein" stellen hingegen keinen ausreichenden Tatsachenvortrag dar und sind somit nicht geeignet, die Vermutung einer verbotenen Benachteiligung zu begründen.[3] Der Arbeitnehmer hat stattdessen darzustellen, wann und wie welche anderen Arbeitnehmer günstiger behandelt worden sind als er und dass ihm diese Behandlung nicht gewährt worden ist. Macht er dabei eine Benachteiligung in Form einer Belästigung nach § 3 Abs. 3 oder 4 AGG geltend, so hat er im Einzelnen zu beschreiben, durch welche genauen Verhaltensweisen des Arbeitgebers oder von Mitarbeitern seine Würde verletzt und ein entsprechendes Umfeld geschaffen worden ist.

 

Beispiele

(1) Der Arbeitnehmer meint, er werde aufgrund seines Alters benachteiligt, weil der Arbeitgeber jüngeren Mitarbeitern eine betriebliche Altersversorgung zusagt, ihm aber nicht. Der Arbeitnehmer hat im Rechtsstreit zunächst darzulegen, dass die jüngeren Mitarbeiter eine solche Zusage regelmäßig erhalten. Bestreitet der Arbeitgeber dies, so muss er genau beschreiben, welche der jüngeren Mitarbeiter eine solche Zusage erhalten haben und dafür auch z. B. durch Benennung von Zeugen Beweis antreten.

(2) Der Arbeitnehmer/Bewerber behauptet, er sei wegen einer Behinderung nicht eingestellt worden. Im Rechtsstreit hat er im Einzelnen zu beschreiben, welche Behinderung er hat und dass er nicht eingestellt wurde, während ein anderer Bewerber (ohne Behinderung) die Stelle erhalten hat.

(3) Der Arbeitnehmer behauptet, er werde wegen seiner Homosexualität durch Belästigungen benachteiligt. Im Rechtsstreit muss er zunächst seine sexuelle Identität darstellen und darüber hinaus auch die einzelnen Elemente der Belästigung nach § 3 Abs. 3 AGG, also die einzelnen Handlungen, genau nach Ort und Zeit und handelnden Personen, die die Belästigung ausmachen und darüber hinaus auch noch, dass dadurch ein durch Einschüchterungen, Erniedrigungen usw. gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Die Arbeitnehmerin behauptet, das Arbeitsverhältnis sei nach Ablauf der Befristung nur deswegen nicht fortgesetzt worden, weil sie inzwischen schwanger sei. Die Arbeitnehmerin hat zunächst darzulegen, dass sie im Zeitpunkt des Ablaufs schwanger war und dass andere (nicht schwange...

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