BAG, Urteil vom 26.10.2016, 5 AZR 167/16

Amtl. Leitsatz

1. Bezugspunkt des anspruchsausschließenden Verschuldens i. S. v. § 3 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 EFZG ist das Interesse des Arbeitnehmers, seine Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden.

2. Die Erfüllung eines Kinderwunsches betrifft die individuelle Lebensgestaltung des Arbeitnehmers und nicht das nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG vom Arbeitgeber, als gesetzlicher Ausgestaltung seiner Fürsorgepflicht, zeitlich begrenzt zu tragende allgemeine Krankheitsrisiko.

Sachverhalt

Die im Jahre 1972 geborene Klägerin ist beim Beklagten als Erzieherin in einer Kindertagesstätte beschäftigt. Da der Partner der Klägerin nur eingeschränkt zeugungsfähig ist, unterzog sich die Klägerin In-vitro-Fertilisationen, wovon der Beklagte keine Kenntnis hatte. Für die Zeiträume vom 26.5. bis zum 3.6.2014, vom 14.7. bis zum 1.8.2014, vom 15. bis zum 29.8.2014 und vom 21.11. bis zum 8.12.2014 legte die Klägerin dem Beklagten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, woraufhin dieser für diese Zeiten die vereinbarte Vergütung zahlte. Allerdings teilte er mit Schreiben vom 19.2.2015 der Klägerin mit, dass ihm, da er davon ausgehe, dass die Fehlzeiten durch Inseminationen verursacht worden waren, für die er nicht zur Entgeltfortzahlung verpflichtet sei, ein Rückzahlungsanspruch i. H. v. 5.400,27 EUR netto zustehe. Da die Klägerin keine anderweitigen Fehlgründe vorwies, übersandte der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 10.3.2015 Korrekturabrechnungen für die Monate Mai bis August 2014 sowie November und Dezember 2014 und wies darauf hin, eine Verrechnung mit Nachzahlungsansprüchen der Klägerin für Januar und Februar 2015 vorgenommen zu haben. Zudem teilte er mit, dass er den seiner Ansicht nach noch offenen Rückzahlungsanspruch von 4.647,91 EUR netto von künftigen Gehaltsansprüchen der Klägerin abziehen wolle. Er behielt dann auch in den Monaten März bis Juni 2015 von der Nettovergütung der Klägerin jeweils 815,47 EUR ein.

Die Klägerin ist der Ansicht, ihr habe Entgeltfortzahlung zugestanden. Zunächst sei sie wegen Entfernung einer Zyste arbeitsunfähig gewesen; für die übrigen Zeiten hätten die behandelnden Ärzte wegen medizinischer Eingriffe im Rahmen von In-vitro-Fertilisationen bzw. zum Schutz des ungeborenen Lebens Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Dagegen brachte der Beklagte vor, ein Entgeltfortzahlungsanspruch der Klägerin sei nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 EFZG ausgeschlossen gewesen, weil die Klägerin die Fehlzeiten durch die von ihr willkürlich veranlassten ärztlichen Eingriffe schuldhaft herbeigeführt habe, insbesondere da bei einer Frau nach Vollendung des 40. Lebensjahres keine hinreichende Erfolgswahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft durch In-vitro-Fertilisation bestehe.

Die Entscheidung

Die Revision gegen die teilweise stattgebenden unterinstanzlichen Urteile hatte Erfolg. Allerdings konnte das BAG auf Grundlage des bisher festgestellten Sachverhalts nicht abschließend entscheiden, ob und ggf. in welchem Umfang die Klage begründet war; denn es stand nicht fest, ob und ggf. in welcher Höhe der Klägerin für Fehlzeiten im Zusammenhang mit In-vitro-Fertilisationen Vergütung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG oder § 11 MuSchG zustand oder ob der Beklagte Vergütung ohne Rechtsgrund leistete und deshalb deren Rückzahlung verlangen kann.

In seinem Urteil hat das BAG jedoch zu einigen Grundsätzen Stellung bezogen.

Zunächst käme ein Entgeltfortzahlungsanspruch für die Zeit vom 14.7. bis zum 1.8.2014, vom 15. bis zum 29.8.2014 und vom 21. bis zum 26.11.2014 nur in Betracht, wenn bei der Klägerin ein krankhafter Zustand bestand, der zur Arbeitsunfähigkeit führte. Allerdings könne, so das BAG, die Klägerin entgeltfortzahlungsrechtlich nicht allein aufgrund der Unfruchtbarkeit ihres Partners als „krank” angesehen werden, da zwar die Zeugungsunfähigkeit des Partners der Klägerin als regelwidriger Körperzustand eine Krankheit darstelle, hierdurch die Empfängnisfähigkeit der Klägerin jedoch nicht eingeschränkt war. Weiterhin stellt nach Auffassung des Gerichts der durch die Zeugungsunfähigkeit des Partners bedingte unerfüllte Kinderwunsch der Klägerin keine Krankheit dar. Dies könne man nur dann bejahen, wenn hierdurch bei der Klägerin körperliche oder seelische Beeinträchtigungen mit Krankheitswert hervorgerufen werden, was vorliegend nicht der Fall sei. Auch stellen die im Zusammenhang mit der In-vitro-Fertilisation bei der Klägerin vorgenommenen Eingriffe und Maßnahmen keine Heilbehandlung dar, da eine Heilbehandlung nicht an die Erkrankung eines Dritten – hier des Partners der Klägerin – anknüpfen könne, sondern nur an eine Erkrankung der Klägerin selbst. Eine solche lag bei der Klägerin vor Beginn der In-vitro-Fertilisationen nicht vor.

Nach Auffassung des BAG ergibt sich auch kein anderes Ergebnis aus den für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung in § 27a SGB V zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Wertungen, da der Vorschrift nicht entnommen werd...

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