Zusammenfassung

 
Überblick

Der Bundestag verabschiedete am 22.5.2015 mit großer Mehrheit das "Gesetz zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz)".[1] Der Bundesrat hat das nicht zustimmungspflichtige Gesetz am 12.6.2015 passieren lassen. Nachdem Bundespräsident Joachim Gauck das – rechtlich umstrittene – Tarifeinheitsgesetz unterzeichnet hat, wurde das Gesetz im Bundesgesetzblatt vom 9.7.2015 veröffentlicht.[2] Das Tarifeinheitsgesetz ist am 10.7.2015 in Kraft getreten.[3]

[1] Deutscher Bundestag, Drucksache 18/4062 vom 20.2.2015.
[2] Gesetz zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz), BGBl Teil I Nr. 28 vom 9.7.2015, S. 1130–1131.
[3] Art. 3 des Tarifeinheitsgesetzes.

1 Ausgangssituation, bisherige Rechtslage

Anlass für die Notwendigkeit eines Tarifeinheitsgesetzes ist die Rechtsprechungsänderung des BAG aus dem Jahre 2010. Mehr als 50 Jahre lang galt zuvor nach der Rechtsprechung der Grundsatz "Ein Betrieb – ein Tarifvertrag".

Das BAG[1] hat in dieser Entscheidung seine frühere Rechtsprechung zur Tarifeinheit ausdrücklich aufgegeben zugunsten der sog. Tarifpluralität. Danach können in einem Betrieb mehrere Tarifverträge nebeneinander Anwendung finden, wenn der Arbeitgeber an mehrere Tarifverträge mit verschiedenen Gewerkschaften gebunden ist. Voraussetzung ist dabei, dass für den einzelnen Arbeitnehmer jeweils nur ein Tarifvertrag gilt (sog. Tarifpluralität). Für ein Arbeitsverhältnis gelten also jeweils die Rechtsnormen des Tarifvertrags zwingend und unmittelbar, an den die Arbeitsvertragsparteien kraft Mitgliedschaft im tarifschließenden Gremium (Arbeitgeberverband und Gewerkschaft) gebunden sind (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG). Begründet wurde dies vom BAG wie folgt: Es gibt (bisher) keinen übergeordneten Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen können.

Im Bereich des öffentlichen Dienstes hat diese Tarifpluralität zurzeit Bedeutung insbesondere im Bereich der Krankenhäuser.

 
Hinweis

Tarifkollision in Krankenhäusern

Für die kommunalen Krankenhäuser haben die Tarifvertragsparteien in Bezug auf die Beschäftigtengruppe der Ärzte 2 konkurrierende Tarifverträge vereinbart: die Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) hat mit ver.di den TVöD mit dem besonderen Teil Krankenhäuser (TVöD-K) vereinbart, der Regelung zur Beschäftigung von Ärzten enthält, und mit der Ärztegewerkschaft Marburger Bund den TV-Ärzte/VKA. Eine entsprechende Kollision besteht bei den Universitätskliniken durch Tarifbindung der Länder an den TV-L sowie den TV-Ärzte (Länder).

Nach bisheriger Rechtslage gilt: Beschäftigt ein Arbeitgeber, der Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) ist, einen in der Gewerkschaft Marburger Bund organisierten Arzt, so tritt normative Bindung an den TV-Ärzte/VKA ein. Die Regelungen des TV-Ärzte/VKA gelten zwingend und unmittelbar. Sind bei demselben Arbeitgeber Ärzte angestellt, die Mitglied der Gewerkschaft ver.di oder dbb tarifunion sind – was in der Praxis eher selten vorkommt –, so besteht kraft Gesetzes Tarifbindung an den TVöD und den Besonderen Teil Krankenhäuser (BT-K). In der geschilderten Situation sind also nach den bisherigen Bestimmungen auf die Arbeitsverhältnisse in einem Krankenhaus – abhängig von der Gewerkschaftszugehörigkeit der Beschäftigten – die Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften anzuwenden. Die Laufzeiten der Tarifverträge sind bisher regelmäßig nicht aufeinander abgestimmt, so dass die Tarifverhandlungen und damit verbundene Arbeitskämpfe zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden.

[1] BAG, Beschluss v. 23.6.2010, 10 AS 2/10 und 10 AS 3/10; der Sechste Senat hatte sich der vom Vierten Senat beabsichtigten Rechtsprechungsänderung ausdrücklich angeschlossen (BAG, Beschluss v. 27.1.2010, 4 AZR 537/08 (A) – und 4 AZR 549/08 (A).

2 Das Ziel des Tarifeinheitsgesetzes

Nach Auffassung der Bundesregierung beeinträchtigt die Kollision verschiedener Tarifverträge die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Tarifkollisionen bergen die Gefahr, dass die Koalitionen ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG überantworteten Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens nicht mehr gerecht werden können. Eine Entsolidarisierung der Belegschaften soll vermieden werden. Die Befriedungsfunktion eines Tarifvertrags werde dadurch beeinträchtigt, dass sich ein bereits tarifgebundener Arbeitgeber jederzeit einer Vielzahl weiterer Forderungen konkurrierender Gewerkschaften gegenübersehen könne.[1]

Ziel des Tarifeinheitsgesetzes ist es, durch Vermeidung von Tarifkollisionen im Betrieb die Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, Befriedungsfunktion sowie Ordnungsfunktion von Rechtsnormen des Tarifvertrags zu sichern (§ 4a Abs. 1 TVG in der Fassung des Art. 1 Nr. 1 Tarifeinheitsgesetz).

Der Grundsatz der Tarifeinheit ist als subsidiäre Kollisionsregel ausgestaltet. Nach dem Ziel des Tarifeinheitsgesetzes sollen mehrere Gewerkschaften ihre Zuständigkeiten wechselseitig abstimmen und Tarifverträge jeweils für verschiedene Arbeitnehmergruppen abschließen, um so Tarifkollisionen zu verhindern. Auch können mehrere Gewerkschaf...

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