BAG-Urteil

Tarifliche Regelung zu Mehrarbeitszuschlägen diskriminiert Teilzeitbeschäftigte


BAG: Mehrarbeitszuschlag bei Teilzeitbeschäftigung

Eine tarifliche Regelung, nach der es Mehrarbeitszuschläge erst ab der 41. Wochenstunde gibt, diskriminiert Teilzeitbeschäftigte. Das BAG räumt ihnen daher einen Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge ein, die sich nach ihrer individuellen Arbeitszeit richten – ohne vorherige Anpassung der Tarifregelung durch die Tarifparteien. Auch nach dem Wortlaut des TVöD und TV-L stehen Teilzeitbeschäftigten Überstundenzuschläge nur zu, wenn die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschritten ist.

Liegt eine Diskriminierung vor, wenn Teilzeitkräfte bei Überschreiten ihrer individuellen Arbeitszeitgrenze schwieriger in den Bereich der Mehrarbeitsvergütung kommen, weil sich diese in vielen Tarifverträgen nach der Stundenanzahl für Vollzeitbeschäftigte richtet? Ja, entschied das BAG zuletzt in mehreren Fällen. Eine solche Benachteiligung kann nur rückwirkend behoben werden, stellte das BAG vorliegend fest, indem die Grenze für Mehrarbeitszuschläge bei Teilzeitkräften an ihre Arbeitszeit im Verhältnis zu Vollzeitkräften angepasst wird. Eine vorherige Anpassung der diskriminierenden Regelung durch die Tarifparteien sei dafür nicht nötig.

Der Fall: Tarifliche Regelung zu Mehrarbeitszuschlägen ab 41. Wochenarbeitsstunde

Der Arbeitnehmer ist in einem Unternehmen des bayerischen Groß- und Außenhandels beschäftigt. Der für das Arbeitsverhältnis geltende Manteltarifvertrag sieht für Vollzeitbeschäftigte eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Stunden vor. Nach § 9 Ziff. 1 Abs. 2 Satz 2 MTV ist bis "einschließlich der 40. Wochenstunde kein Mehrarbeitszuschlag zu zahlen, danach sind 25 Prozent zusätzlich zu vergüten." Der Arbeitnehmer arbeitet in Teilzeit mit einem wöchentlichen Pensum von 30,8 Stunden.

Er verlangte die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen in Relation zur Arbeitszeit, also sobald er seine vertragliche Wochenarbeitszeit um 1,2 Stunden überschreitet. Die bestehende tarifliche Regelung benachteilige ihn wegen seiner Teilzeitarbeit unzulässig gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten.

Der Arbeitgeber war dagegen der Ansicht, dass ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschlag auch bei Teilzeit erst nach Erreichen der 40. Stunde besteht. Er argumentierte, dass Sinn und Zweck der Mehrarbeitszuschläge der Ausgleich einer besonderen Belastung sei, die sich aus einer Arbeitszeit jenseits von 40 Stunden ergäbe. Darin liege keine Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter.

BAG: Tarifnorm zu Mehrarbeitszuschlägen diskriminiert Teilzeitbeschäftigte

Die Vorinstanzen wiesen die Klage des Arbeitnehmers auf Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen ab der 32. Stunde ab. Das BAG gab dem Arbeitnehmer Recht: Es entschied, dass die Regelung im Mantelvertrag Teilzeitbeschäftigte iSv. § 4 Abs. 1 TzBfG benachteiligt, weil sie keine Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Mehrarbeitszuschlags anteilig zur Arbeitszeit vorsieht.

Ein sachlicher Grund, der diese Benachteiligung rechtfertigen könnte, war aus Sicht des BAG nicht gegeben. Die Arbeitsgerichte müssten aufgrund des Unionsrechtsbezugs von § 4 Abs. 1 TzBfG nicht lediglich eine Willkürkontrolle vornehmen, betonte das Gericht, sondern die vom Gerichtshof der Europäischen Union vorgegebenen Anforderungen beachten.

Das oberste Arbeitsgericht kam zum Ergebnis, dass die Zuschlagsregelung im konkreten Fall nicht damit gerechtfertigt werden könne, dass eine wöchentliche Arbeitszeit von mehr als 40 Stunden zu einer besonderen gesundheitlichen Belastung der Beschäftigten führt. Diese Betrachtungsweise berücksichtige dem BAG zufolge die Belastungen, mit denen die Mehrarbeit auch bei Teilzeitarbeitnehmern typischerweise verbunden ist, nicht hinreichend.

Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen muss sich nach individueller Arbeitszeit richten 

Die Regelung war insoweit nichtig, entschied das BAG und stellte fest, dass Teilzeitbeschäftigten der tarifvertragliche Mehrarbeitszuschlag zusteht, wenn sie ihre individuelle wöchentliche Arbeitszeit proportional zur Zuschlagsgrenze für Vollzeitbeschäftigte überschreiten.

Diese direkte Anpassung konnte das BAG nach seiner Überzeugung auch entscheiden, ohne dass den Tarifvertragsparteien zuvor Gelegenheit zur Beseitigung der Diskriminierung gewährt werden müsse. Im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts machte der 5. Senat – wie kürzlich der 6. Senat – deutlich, dass den Tarifvertragsparteien keine primäre Korrekturmöglichkeit einzuräumen sei, wenn es sich um den Anwendungsbereich unionsrechtlich überformter Diskriminierungsverbote handelt.

Da das Landesarbeitsgericht Nürnberg keine Feststellungen zu der vom Arbeitnehmer geleisteten Mehrarbeit getroffen hatte, verwies das BAG die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück.


Hinweis: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. November 2025, Az. 5 AZR 118/23; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 11. August 2022, Az. 5 Sa 316/21


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