Rz. 6

Gesichert sind Erkenntnisse dann, wenn sie empirisch abgesichert sind und nach dem derzeitigen Stand der Arbeitswissenschaft bei den Fachleuten allgemein Anerkennung gefunden haben.[1]

 

Rz. 7

Die Erkenntnisse müssen außerdem aus dem Bereich der Arbeitswissenschaften stammen. Die Arbeitswissenschaft ist dabei keine einzelne Disziplin, sondern erfasst diverse Wissenschaften, die sich aus unterschiedlichen Gesichtspunkten mit der menschlichen Arbeit befassen.[2] Dazu zählen insbesondere die Arbeitsmedizin, die Arbeitspsychologie, die Arbeitsphysiologie, die Arbeitstechnologie, die Betriebssoziologie, die Ergonomie und die Wirtschaftswissenschaften.[3] Verstanden wird darunter nach heute anerkannter Definition das systematische Analysieren, Ordnen und Gestalten der technischen, organisatorischen und sozialen Bedingungen von Arbeitsprozessen. Ziel dessen ist, dass die Arbeitnehmer schädigungslose, ausführbare, erträgliche und beeinträchtigungsfreie Arbeitsbedingungen vorfinden, die Standards sozialer Angemessenheit erfüllt sind und sie ihre Persönlichkeit und Handlungsspielräume entfalten und entwickeln können.[4]

 

Rz. 8

Das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes NRW (MAIS) hat im Rahmen seiner Verpflichtung zur Beratung der Arbeitgeber über die Anwendung von Arbeitsschutzvorschriften nach § 21 Abs. 1 ArbSchG, zu denen auch die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes gehören, einen Durchführungserlass zum Arbeitszeitgesetz veröffentlicht.[5] In diesem wurden die wesentlichen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse wie folgt zusammengefasst:

 
Hinweis

Auszüge aus dem Durchführungserlass NRW zu den wesentlichen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen

  • Die Anpassung der biologischen Körperrhythmen (z. B. Schlaf-Wach-Rhythmus, Verdauung) an Nachtarbeit gelingt selbst bei vielen Nachtschichten hintereinander nur teilweise. Bislang gibt es keine wissenschaftlich belegte Methode (z. B. helles Licht während der Nachtschicht) oder Medikamente, diese Anpassung annähernd vollständig zu erreichen. Allgemein erhöht Schichtarbeit unter Einbezug von Nachtarbeit das Risiko für Schlafstörungen, Störungen des Verdauungsapparates, Appetitlosigkeit, Herz-Kreislauf-Beschwerden, psychovegetative Beschwerden, innere Unruhe, Nervosität, familiäre Beeinträchtigungen für die direkt betroffenen Schichtarbeitenden selbst und für die indirekt betroffenen Familienmitglieder, z. B. schlechtere Schulleistungen der Kinder, Beeinträchtigungen der sozialen Teilhabe, z. B. soziale Kontakte und Aktivitäten.
  • Mit zunehmender Anzahl aufeinanderfolgender Nachtschichten steigt das Risiko für ein sich anhäufendes Schlafdefizit und Müdigkeit, Fehlleistungen und Unfälle.
  • Mit zunehmender Anzahl aufeinanderfolgender Frühschichten mit frühem Beginn steigt das Risiko für ein sich anhäufendes Schlafdefizit (kurze Nachtschlafzeit) und Müdigkeit während der Frühschicht.
  • Dauernachtarbeit erhöht in besonderem Maße das Risiko für gesundheitliche Beeinträchtigungen. Dauerspätschichten, Dauernachtschichten und regelmäßige Arbeit am Wochenende erhöhen in besonderem Maße das Risiko für familiäre und soziale Beeinträchtigungen.
  • Kurz-vorwärts-rotierende Schichtsysteme (z. B. 2 Früh-, 2 Spät-, 2 Nachtschichten) sind im Vergleich zu lang-rotierenden Schichtsystemen (z. B. wochenweiser Wechsel der Schichtart) gesünder und sozialverträglicher. In der Praxis haben sich kurz-vorwärts-rotierende Systeme bewährt. Lang-rückwärts-rotierende Systeme (z. B. 7 Nacht-, 7 Spät-, 7 Frühschichten) weisen demgegenüber immer die häufigsten Beschwerden auf.
  • Personenorientierte Maßnahmen (z. B. ärztliche Kontrolle, richtiges Schlaf- und Ernährungsverhalten, gezielte Teilnahme am sozialen Leben) können das Risiko für gesundheitliche und soziale Beeinträchtigungen verringern.
 

Rz. 9

Nach der Rechtsprechung gibt es allerdings keine gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, ob längere oder kürzere Schichtfolgen arbeitnehmerfreundlicher sind.[6]

In Bezug auf Nachtarbeit ist jedoch anerkannt, dass je größer der Umfang ist, umso schädlichere Auswirkungen hat dies auf den menschlichen Körper. Die Auswirkungen auf den Schlaf-Wach-Rhythmus sowie die soziale und physiologische Desynchronisation sind in jedem Fall beachtlich. Dauernachtarbeit ist in Anbetracht dessen die mit Abstand schädlichste Arbeitsform und die Arbeitnehmer hier in besonderem Maß schutzwürdig, selbst in Anbetracht individueller Gewöhnungseffekte.[7]

[2] Anzinger/Koberski, § 6 ArbZG, Rz. 28.
[3] Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht/Anzinger, § 300, Rz. 20.
[4] Luczak, Arbeitswissenschaft, S. 11 ff.
[5] Durchführung des Arbeitszeitgesetzes, Erlass des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes NRW vom 30.12.2013, (III 2 – 8312).

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