Arbeitgeber müssen geschlechtsneutrale Vergütung systematisch belegen
Bis zum 7. Juni 2026 muss die europäische Entgelttransparenzrichtlinie (ETRL) in deutsches Recht umgesetzt werden. Ziel ist es, der Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern zur Durchsetzung zu verhelfen.
Am 7. November 2025 wurde der Bericht der eingesetzten Kommission zur Umsetzung der Richtlinie an die Bundesministerin für Arbeit und Soziales übergeben und veröffentlicht. Dieser enthält konkrete Vorschläge für die Handhabung rechtlicher Zweifelsfragen sowie Hinweise, die zu einer möglichst bürokratiearmen Umsetzung beitragen sollen. Der Referentenentwurf wird für Januar 2026 erwartet. Die Anforderungen für Arbeitgeber scheinen komplex.
Wie gelingt ein transparentes, objektives Bewertungssystem? Welche Konsequenzen drohen bei fehlerhafter Bewertung und wie gelingt die Abstimmung zwischen HR, Führungskräften und der Arbeitnehmervertretung. Antworten auf die wichtigsten Fragen für eine rechtssichere und praxisnahe Umsetzung geben die Rechtsanwälte Laura Matarrelli und Daniel Hennig.
Entgelttransparenz: Welche neuen Anforderungen ergeben sich?
Laura Matarrelli: Arbeitgeber müssen künftig nachweisen können, dass gleiche oder gleichwertige Arbeit auch gleich bezahlt wird. Das bedeutet in der Praxis: systematische Entgeltbewertungen, dokumentierte Vergütungskriterien und die Fähigkeit, auf Anfrage der Beschäftigten Auskunft zu erteilen. Außerdem müssen größere Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden regelmäßig Entgeltberichte erstellen, die Geschlechterunterschiede transparent machen.
Daniel Hennig: Neben der Dokumentation gibt es einen Auskunftsanspruch der Beschäftigten. Sie können Informationen über Kriterien und Verfahren der Entgeltfestsetzung sowie über das durchschnittliche Entgelt vergleichbarer Tätigkeiten verlangen. Verstöße können zu Nachzahlungen, Schadensersatz und Bußgeldern führen.
Wie können Arbeitgeber Vergleichsgruppen bilden und Gleichwertigkeit nachweisen?
Hennig: Vergleichsgruppen sollten Beschäftigte zusammenfassen, die tatsächlich gleiche oder gleichwertige Tätigkeiten ausüben. Hier zählt nicht der Jobtitel, sondern Aufgaben, Verantwortung, Qualifikation, Erfahrung und Arbeitsbedingungen.
Matarrelli: Wir empfehlen ein transparentes Bewertungssystem anhand eines analytischen Verfahrens mit klaren Kriterien. Hierzu ein Beispiel: durchdachte Punktevergabe für fachliche Qualifikation, Verantwortung in unterschiedlichen Bereichen, besondere arbeitsspezifische Belastungen sowie Arbeitsbedingungen. Wichtig ist, dass die Kriterien objektiv, nachvollziehbar und hinreichend dokumentiert sind – nur so lässt sich Gleichbehandlung rechtssicher belegen. Hierzu kann es sich anbieten, toolbasierte Lösungen zu nutzen, die den Prozess deutlich erleichtern.
Hennig: Stellen Sie sicher, dass die Bewertung der Tätigkeiten systematisch und nachvollziehbar erfolgt. Legen Sie fest, welche Kriterien für die Entgeltfestsetzung relevant sind, dokumentieren Sie die Ergebnisse jeder Bewertung und prüfen Sie regelmäßig, ob Anpassungen erforderlich sind. So können Arbeitgeber Diskrepanzen frühzeitig erkennen und rechtssicher erklären.
Welche Konsequenzen drohen bei fehlerhafter Bewertung?
Matarrelli: Wenn Arbeitgeber Fehler bei der Vergleichsgruppenbildung machen oder Entgeltunterschiede nicht hinreichend erklären und rechtfertigen können, drohen Ansprüche auf Vergütungsnachzahlung. Darüber hinaus sieht die Richtlinie empfindliche Sanktionen, wie etwa Bußgelder vor.
Hennig: Auch die Reputation leidet. Transparenz und Fairness sind zentrale Kriterien für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ein systematischer Ansatz schützt sowohl vor rechtlichen Risiken als auch vor Imageschäden.
Was ist neben der Vergleichsgruppenbildung entscheidend?
Matarrelli: Nicht nur die Bewertung, sondern auch die Prozesse sind entscheidend. HR-Systeme müssen Entgeltdaten differenziert erfassen sowie Karrierepfade und Beförderungskriterien überprüfen. Zudem sollten Führungskräfte geschult sein.
Hennig: Arbeitgeber sollten regelmäßige interne Audits einplanen, um sicherzustellen, dass die Bewertung konsistent und fair bleibt. Dokumentation ist hier der Schlüssel – sowohl für interne Entscheidungen als auch für den Nachweis gegenüber Behörden oder der Arbeitnehmervertretung. Unser Praxistipp ist: Arbeitgeber können beispielsweise halbjährliche Vergütungsreviews einführen und Checklisten erstellen, die sicherstellen, dass alle relevanten Kriterien berücksichtigt werden. Auch diesen Prozess kann eine toolbasierte Lösung erleichtern.
Wie gelingt die Abstimmung zwischen HR, Führungskraft und Arbeitnehmervertretung?
Hennig: Ein integrierter Ansatz ist entscheidend. HR liefert Daten, Führungskräfte bewerten die Tätigkeiten, die Arbeitnehmervertretung bringt die Perspektive der Beschäftigten ein.
Matarrelli: Wir empfehlen interdisziplinäre Projektteams, klare Kommunikationswege und transparente Rollenverteilung. Konflikte entstehen oft, wenn Verantwortlichkeiten unklar sind. Je früher alle Beteiligten eingebunden werden, desto reibungsloser läuft die Umsetzung.
Inwiefern ist der Betriebsrat zu beteiligen?
Matarrelli: Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat Mitbestimmungsrechte bei der Entgeltgestaltung. Bei der Vergleichsgruppenbildung besteht unseres Erachtens ein Mitbestimmungsrecht, wie es auch die Richtlinie zur Entgelttransparenz vorsieht. Der Betriebsrat sollte daher in die Erstellung und eventuelle Anpassung von Entgeltstrukturen einbezogen werden.
Hennig: Der Betriebsrat kann darüber hinaus die Ergebnisse kommunizieren und bei der Umsetzung einzelner Maßnahmen vermitteln. Dies erhöht die Transparenz und stärkt das Vertrauen der Belegschaft. Nach unserer Einschätzung hat er auch bei tariflich gebildeten Vergleichsgruppen ein Mitbestimmungsrecht, um die Gleichbehandlung sicherzustellen.
Was sollten Arbeitgeber bei der Vergütung zuerst angehen?
Hennig: Zunächst sollten sie eine Bestandsaufnahme und Datenanalyse durchführen. Welche Entgeltbestandteile existieren? Gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern? Welche Tätigkeiten können wie verglichen werden?
Matarrelli: Auf Basis dieser Analyse sollten Arbeitgeber ein objektives Bewertungssystem einführen, Prozesse für die Vergleichsgruppenbildung definieren und HR-Systeme prüfen. Schulungen der Führungskräfte sind ebenfalls essenziell, um die rechtlichen Anforderungen korrekt umzusetzen.
Hennig: Unsere Empfehlung ist: Beginnen Sie frühzeitig – das gibt Zeit, Daten sauber aufzubereiten, interne Kommunikation zu gestalten und Anpassungen vorzunehmen. Erstellen Sie eine Prioritätenliste: erstens Datenanalyse, zweitens Vergleichsgruppen definieren, drittens Bewertungskriterien dokumentieren, viertens Führungskräfte schulen, fünftens regelmäßige Audits durchführen, sechstens Entgeltberichte erstellen. Planen Sie realistische Fristen, um die Anforderungen fristgerecht zu erfüllen.
Die Entgelttransparenzrichtlinie ist eine Chance, Vergütungssysteme transparenter, nachvollziehbarer und gerechter zu gestalten. Arbeitgeber, die jetzt strukturiert vorgehen, sichern sich rechtlich ab, fördern das Vertrauen der Belegschaft und stärken ihre Arbeitgebermarke. Ein strukturierter Fahrplan, klare Kriterien und regelmäßige Reviews helfen dabei, die Anforderungen fristgerecht und rechtssicher umzusetzen.
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