
BGH, Urteil vom 24.7.2013, XII ZR 104/12
Eine Umdeutung einer fristlosen in eine ordentliche Kündigung ist dann zulässig und angebracht, wenn – für den Kündigungsgegner erkennbar – nach dem Willen des Kündigenden das Vertragsverhältnis in jedem Falle zum nächstmöglichen Termin beendet werden soll. Eine Bestimmung in einem Mietvertrag über den Beginn des Mietverhältnisses genügt dann der Schriftform des § 550 BGB, wenn die Kriterien, an die die Vertragsparteien den Vertragsbeginn knüpfen dessen eindeutige Bestimmung ermöglichen.
Sachverhalt
Die Parteien streiten im Rahmen der vorliegenden Zahlungsklage um die Wirksamkeit der vom Beklagten ausgesprochenen Kündigung eines gewerblichen Mietvertrages. Der Beklagte mietete von der Klägerin Geschäftsräume in einem Gewerbeobjekt, das vor Bezug durch die Mieter umfassend saniert werden sollte. Der am 1. Dezember 2006 auf die Dauer von zunächst zehn Jahren abgeschlossene Mietvertrag enthält in § 4 Ziffer 1 folgende Bestimmung: „Das Mietverhältnis und damit die Pflicht zur Zahlung des Mietzinses gemäß § 6 beginnt mit der Übergabe/Übernahme der Mietsache gemäß § 3. Verzögert sich die Übergabe/Übernahme durch Änderungswünsche des Mieters […] oder durch nicht rechtzeitige Vorlage der für den Mieterausbau erforderlichen Pläne und Unterlagen […] oder durch nicht rechtzeitige Leistung der Sicherheit […], beginnt das Mietverhältnis mit dem Tag, an dem das Objekt ohne diese Änderungswünsche bzw. bei rechtzeitigem Vorliegen der Unterlagen und Pläne bzw. der Bankbürgschaft übergeben worden wäre. Gerät der Mieter mit der Übernahme des Mietobjekts in Verzug, so beginnt das Mietverhältnis mit Eintritt des Annahmeverzuges.” Die Übergabe der Mieträume an den Beklagten erfolgte am 16. Oktober 2007.
Mit Schreiben vom 10. Februar 2010 erklärte der Beklagte die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses aus wichtigem Grund, weil die Klägerin entgegen ihrer vertraglichen Zusicherung keinen direkten Zugang von dem angrenzenden Parkplatz eines großen Einkaufmarktes zu den Geschäftsräumen des Beklagten geschaffen habe. Obwohl die Klägerin die Kündigung nicht akzeptierte, räumte der Beklagte am 16. Februar 2010 die Mieträume und gab die Schlüssel an die Klägerin zurück.
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin die Miete einschließlich vereinbarter Vorauszahlungen auf die Betriebskosten für die Monate Februar bis Dezember 2010. Mit Erfolg.
Begründung
II. Die Klägerin kann vom Beklagten gemäß § 535 Abs. 2 BGB die Zahlung der (Netto-)Miete auch für die Monate Oktober bis Dezember 2010 verlangen. Es hat die vom Beklagten am 10. Februar 2010 erklärte Kündigung nicht zur Beendigung des Mietvertrags geführt.
1. Soweit das Berufungsgericht nach durchgeführter Beweisaufnahme die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung des Mietvertrages aus wichtigem Grund gemäß § 543 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB verneint hat, ist hiergegen revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
2. Nicht gefolgt werden kann dagegen dem Berufungsgericht, soweit es annimmt, das Mietverhältnis sei durch die mit Schreiben des Beklagten vom 10. Februar 2010 erfolgte Kündigung zum 30. September 2010 beendet worden.
a) Es ist allerdings nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die vom Beklagten erklärte fristlose Kündigung gemäß § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses umgedeutet hat. Zwar kann wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen eine fristlose Kündigung nicht in jedem Falle in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden, wenn die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung nicht vorliegen (vgl. Senatsurteil vom 15. Januar 2003 – XII ZR 300/99 – ZIP 2003, 667, 669). Eine Umdeutung ist aber dann zulässig und angebracht, wenn – für den Kündigungsgegner erkennbar – nach dem Willen des Kündigenden das Vertragsverhältnis in jedem Falle zum nächstmöglichen Termin beendet werden soll (vgl. BGH Urteil vom 12. Januar 1981 – VIII ZR 332/79 – NJW 1981, 976, 977).
Im vorliegenden Fall bestehen gegen die Umdeutung in eine ordentliche Kündigung keine rechtlichen Bedenken. Der Beklagte hatte bereits vor seiner Kündigungserklärung der Klägerin schriftlich mitgeteilt, welche entscheidende Bedeutung er einem direkten Zugang von dem Parkplatz des Einkaufmarktes zu seinen Geschäftsräumen für den Erfolg seiner Geschäftstätigkeit beimesse und dass er den Mietvertrag kündigen werde, falls die Klägerin den Zugang nicht herstelle. Aus dem Kündigungsschreiben vom 10. Februar 2010 ergibt sich, dass der Beklagte davon ausging, die Klägerin werde auch in Zukunft keinen direkten Zugang von dem Parkplatz des Einkaufmarktes zu den gemieteten Gewerberäumen herstellen. Außerdem kündigte der Beklagte in diesem Schreiben bereits die Rückgabe der Schlüssel an. Die Klägerin konnte daher aus dem Inhalt des Schreibens den Willen des Beklagten erkennen (§ 133 BGB), das Mietverhältnis in jedem Fall beenden zu wollen, zumal der Beklagte unmittelbar nach seiner Kündigungserklärung das Mietobjekt geräumt und die Schlüssel an die Klägern zurückgegeben hat (vgl. hierzu OLG Rostock ZMR 2001, 29).
b) Nicht frei von Rechtsfehlern ist dagegen die Annahme des Berufungsgerichts, der zwischen den Parteien abgeschlossene Mietvertrag wahre nicht die erforderliche Schriftform der §§ 578 Abs. 1 und 2, 550 Satz 1 BGB und könne daher nach § 580 a Abs. 2 BGB mit Wirkung zum 30. September 2010 ordentlich gekündigt werden.
aa) Der Mietvertrag vom 1. Dezember 2006 enthält in § 4 Ziffer 2 die Vereinbarung, das Mietverhältnis werde auf die Dauer von zehn Jahren fest abgeschlossen. Diese Befristung des Mietvertrages schließt die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung nach § 580 a Abs. 2 BGB während der vereinbarten Laufzeit aus (§ 542 Abs. 2 Nr. 1 BGB), wenn die vertragliche Regelung über den Beginn der Mietzeit der erforderlichen Schriftform der §§ 578 Abs. 2 und 1, 550 BGB genügt. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt.
bb) Zur Wahrung der Schriftform des § 550 BGB ist grundsätzlich erforderlich, dass sich die wesentlichen Vertragsbedingungen – insbesondere Mietgegenstand, Mietzins sowie Dauer und Parteien des Mietverhältnisses – aus der Vertragsurkunde ergeben (vgl. Senatsurteile vom 7. Juli 1999 – XII ZR 15/97 – NJW 1999, 3257, 3258; vom 7. März 2007 – XII ZR 40/05 – NJW 2007, 1817 Rn. 12 und vom 24. Februar 2010 – XII ZR 120/06 – NJW 2010, 1518 Rn. 11 jeweils mwN). Regelungen zur Dauer der Mietzeit wahren dann die Schriftform, wenn sich Beginn und Ende der Mietzeit im Zeitpunkt des Vertragsschlusses in hinreichend bestimmbarer Weise aus der Vertragsurkunde ergeben (Senatsurteil vom 24. Februar 2010 – XII ZR 120/06 – NJW 2010, 1518 Rn. 11 mwN). Unerheblich ist dabei, ob zwischen den Parteien im weiteren Verlauf Streit über den festgelegten Zeitpunkt des Vertragsbeginns entsteht. Für die Frage, ob eine Urkunde die Schriftform wahrt oder nicht, ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt ihrer Unterzeichnung abzustellen. Spätere tatsächliche Geschehnisse können die Wahrung der Form nicht mehr in Frage stellen (Senatsurteil vom 7. Juli 1999 – XII ZR 15/97 – NJW 1999, 3257, 3259).
cc) Für die Bestimmbarkeit des Mietbeginns genügt eine abstrakte Beschreibung, die es ermöglicht, den Mietbeginn zu ermitteln (vgl. Senatsurteile vom 2. November 2005 – XII ZR 212/03 – NJW 2006, 139, 140 und vom 29. April 2009 – XII ZR 142/07 – NJW 2009, 2195 Rn. 28). Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass der Sachverhalt, an den die Vertragsparteien den Vertragsbeginn knüpfen, so genau bestimmt wird, dass bei seiner Verwirklichung kein Zweifel am Vertragsbeginn verbleibt. Der Senat hat deshalb in der Vereinbarung, dass das Mietverhältnis „mit der Übergabe der Mieträume” beginnen solle, einen hinreichend bestimmbaren Beginn des Mietverhältnisses gesehen (Senatsurteil vom
2. November 2005 – XII ZR 212/03 – NJW 2006, 139, 140).
Auch im vorliegenden Fall haben sich die Parteien in § 4 Ziffer 1 Satz 1 des Mietvertrages zunächst darauf geeinigt, dass das Mietverhältnis „mit der Übergabe/Übernahme der Mietsache” beginnen sollte. Auf Grund dieser Beschreibung steht der Beginn des Mietverhältnisses – nach erfolgter Übergabe – eindeutig fest.
dd) Die hinreichende Bestimmbarkeit des Mietbeginns wird auch nicht durch die weiteren Regelungen in § 4 Ziffer 1 Satz 2 und 3 des Mietvertrages in Frage gestellt. Dort haben die Parteien genaue Regelungen dazu getroffen, unter welchen Voraussetzungen das Mietverhältnis bereits vor der tatsächlichen Übergabe beginnen sollte und den dann maßgeblichen Zeitpunkt für den Beginn des Mietverhältnisses festgelegt. Damit haben die Vertragsparteien das, was sie über den Beginn des Mietverhältnisses vereinbart haben, vollständig und richtig in der Vertragsurkunde niedergelegt. Der Vertragsbeginn ist dadurch für einen möglichen Erwerber der Mietsache bestimmbar. Er kann aus der Vertragsurkunde erkennen, in welchen Fällen der Mietvertrag bereits vor der tatsächlichen Übergabe beginnen sollte und es ist für ihn ersichtlich, welcher Zeitpunkt für den Vertragsbeginn an die Stelle der tatsächlichen Übergabe treten sollte. Dies genügt, um das Schriftformerfordernis zu erfüllen. Die Schriftform wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Vereinbarung über den Vertragsbeginn auslegungsbedürftige Begriffe enthält oder die Feststellung, ob die Umstände, an die die Parteien den Vertragsbeginn geknüpft haben, tatsächlich auch eingetreten sind. Ausreichend ist, dass für einen möglichen Erwerber der Mietsache aus der schriftlich niedergelegten Vereinbarung die für den Vertragsbeginn maßgeblichen Umstände so genau zu entnehmen sind, dass er beim Vermieter oder Mieter entsprechende Nachforschungen anstellen kann.
ee) Auch der Schutzgedanke des § 550 BGB erfordert nicht, dass sich der konkrete Zeitpunkt des Beginns des Mietverhältnisses unmittelbar aus der Vertragsurkunde entnehmen lässt. Der Senat hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass es zahlreiche Fallgestaltungen gibt, in denen § 550 BGB den Zweck, einem späteren Grundstückserwerber Klarheit über die Bedingungen eines langfristigen Mietvertrags zu verschaffen, in den er kraft Gesetzes eintritt, nicht umfassend gewährleisten kann (vgl. Senatsurteile BGHZ 154, 171 = NJW 2003, 2158, 2160; BGHZ 136, 357 = NJW 1998, 58, 61 und vom 2. Mai 2007 – XII ZR 178/04 – NJW 2007, 3273 Rn. 27). Dies gilt auch hinsichtlich der für einen Grundstückserwerber wichtigen Kenntnis, zu welchem Zeitpunkt ein langfristiges Mietverhältnis beginnt. Wenn die Mietvertragsurkunde etwa eine Verlängerungsoption zu Gunsten des Mieters vorsieht, kann der Grundstückserwerber der Urkunde nicht entnehmen, ob der Mieter diese Option vor dem Eigentumsübergang ausgeübt hat oder nicht, so dass Ungewissheit darüber bestehen kann, ob das Mietverhältnis bald enden oder gegebenenfalls noch jahrelang fortbestehen wird (Senatsurteil vom 2. Mai 2007 – XII ZR 178/04 – NJW 2007, 3273 Rn. 27). Auch bei einem langfristigen Mietvertrag, der vorsieht, dass er nur bei Eintritt einer künftigen Bedingung wirksam wird, steht der Umstand, dass deren Eintritt aus der Vertragsurkunde selbst nicht ersichtlich ist und der Grundstückserwerber Nachforschungen anstellen muss, um zu erfahren, ob die Bedingung eingetreten ist, der Wahrung der Schriftform nicht entgegen (vgl. Senatsurteil BGHZ 154, 171 = NJW 2003, 2158, 2160). Selbst wenn die Mietvertragsparteien den Mietbeginn an den Zeitpunkt der Übergabe knüpfen, ergibt sich der Mietbeginn nicht aus der Vertragsurkunde selbst. Haben die Parteien ein Übernahmeprotokoll erstellt, aus dem sich der Zeitpunkt der Übergabe ersehen ließe, verlangt das Schriftformerfordernis nach §§ 578 Abs. 1 und 2, 550 BGB nicht, dass dieses Protokoll der Mietvertragsurkunde angeheftet wird. In all diesen Fällen ist der Grundstückserwerber aber durch die aus der Urkunde ersichtlichen Regelungen zum Vertragsbeginn hinreichend gewarnt, so dass es ihm zuzumuten ist, sich gegebenenfalls bei dem Verkäufer oder bei dem Mieter zu erkundigen.
ff) So liegt der Fall hier. Aus § 4 Ziffer 1 des Mietvertrags ist für einen möglichen Erwerber des Mietobjekts ersichtlich, dass der Mietbeginn und damit auch das Mietende entweder von der tatsächlichen Übergabe der Mietsache oder davon abhängig ist, ob es zu einer Verzögerung der tatsächlichen Übergabe durch die in der Vereinbarung konkret benannten Umstände gekommen ist. Er weiß daher, dass das Mietverhältnis nicht bereits 10 Jahre nach Abschluss des Vertrags enden wird, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt, über den er sich erst noch auf andere Weise Gewissheit verschaffen muss und regelmäßig auch kann (Senatsurteil vom 2. Mai 2007 – XII ZR 178/04 – NJW 2007, 3273 Rn. 28).
Bedeutung für die Praxis
Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen ist eine fristlose Kündigung nicht in jedem Falle in eine ordentliche Kündigung umzudeuten, falls die strengeren Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung nicht vorliegen. Eine Umdeutung ist aber dann zulässig und angebracht, wenn – für den Kündigungsgegner erkennbar – nach dem Willen des Kündigenden das Vertragsverhältnis in jedem Falle zum nächstmöglichen Termin beendet werden soll. Trotzdem ist es sicherer, neben der fristlosen Kündigung ausdrücklich eine ordentliche Kündigung hilfsweise auszusprechen.
Dr. Olaf Riecke, Hamburg