Klagebefugnis eines Sondereigentümers?

BayVGH, Urteil vom 12.7.2012, 2 B 12.1211

Wenn keine konkrete Beeinträchtigung - durch das Bauvorheben auf dem Nachbargrundstück - ausschließlich des Sondereigentums der Klägerin durch Bauplanungsrecht erkennbar ist, welche über das hinausginge, was die Eigentümergemeinschaft als solche für das Gemeinschaftseigentum geltend machen kann, ist die Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht bereits unzulässig.

Sachverhalt
Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung eines China-Restaurants in ein Freizeitcenter und Billardcafe.


1. Die Klägerin ist Sondereigentümerin zweier Wohnungen auf dem Grundstück FlNr. 639 der Gemarkung S. (S.straße ...). Das Grundstück ist mit einem Wohnhochhaus bebaut. Die von der Klägerin bewohnte Wohnung befindet sich in der Südwestecke des Gebäudes im 12. Stock. Die zweite Wohnung der Klägerin findet sich an der Nordostseite des Gebäudes und ist vermietet. Nördlich angrenzend liegen die Grundstücke FlNr. 635/1 der Gemarkung S. und FlNr. 375/1 der Gemarkung F. (Anwesen D.-Allee ...). Auf diesem Anwesen befinden sich im Erdgeschoß gewerbliche Nutzungen sowie in den 18 Obergeschoßen mit Terrassengeschoß ca. 530 Wohnappartements. Die Beigeladene ist Sondereigentümerin zweier gewerblicher Einheiten im Erdgeschoß des Gebäudes.


Sowohl das Grundstück der Klägerin als auch das Baugrundstück befinden sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 71b F.-S. Teil II vom 31. März 1967. Im Bereich des Grundstücks der Klägerin ist ein reines Wohngebiet (WR 3), im Bereich des Baugrundstücks ein Kerngebiet (MK 1) festgesetzt.
Mit bestandskräftiger Baugenehmigung vom 21. Mai 2007 genehmigte die Beklagte der Beigeladenen eine Nutzungsänderung von einer Gaststätte zu einem „Freizeitcenter und Internetcafe“. Neben Internet-Terminals im Untergeschoß sollen hier im Erdgeschoß fünf Multi-Games Spielgeräte sowie in einem abgetrennten Bereich 12 Geldspielgeräte aufgestellt werden.
Die Beigeladene beantragte zudem für die danebenliegende Gaststätte am 15. November 2007 eine Nutzungsänderung des China-Restaurants zu einem „Freizeitcenter und Billardcafe“. Nach den eingereichten Bauunterlagen hat diese Gewerbeeinheit eine Nutzfläche von insgesamt 231,02 m2. Im Untergeschoß befinden sich im unverändert bleibenden Bestand ein Lagerraum, ein Kühlraum, eine Kegelbahn sowie Toiletten. Im Erdgeschoß bleibt im Bestand die Küche samt Büro und Nebenräumen erhalten. Im vormaligen Gastraum ist ein 176,68 m2 großes Billardcafe mit zwei Billardtischen, vier Sportster-Spielterminals sowie hinter Sichtschutzwänden 12 Geldspielgeräten geplant. Dazu kommt ein Aufsichtsbereich mit 10,44 m2 Fläche. Mit Baugenehmigung vom 21. Dezember 2007 genehmigte die Beklagte die beantragte Nutzungsänderung........


Das Landgericht München I hat der Beigeladenen mit rechtskräftigem Urteil vom 4. April 2011 die Nutzung ihrer Teileigentumseinheiten Nr. 4 und Nr. 11 zum Zweck des Betriebs einer Spielhalle wegen Verstoß gegen das Wohnungseigentumsgesetz untersagt.
Mit Urteil vom 24. Mai 2012 hat der Senat einen Normenkontrollantrag der Wohnungseigentümergemeinschaft des Baugrundstücks betreffend die Festsetzung des Grundstücks als Kerngebiet im Bebauungsplan Nr. 71b als unzulässig abgelehnt (Az. 2 N 10.2781). Die Klage war erfolglos.

Begründung
Die Anfechtungsklage der Klägerin ist bereits unzulässig. Im Übrigen verletzt die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 21. Dezember 2007 die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1VwGO).


1. Die Klage erweist sich bereits als unzulässig, da der Klägerin als Sondereigentümerin von Wohneigentum die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO fehlt. Die Klägerin kann nicht hinreichend substanziiert geltend machen, durch die Baugenehmigung in eigenen Rechten verletzt zu sein. Dies gilt nicht nur für das Gemeinschaftseigentum, sondern auch für ihr Sondereigentum.
a) Für das Geltendmachen von Rechten aus ihrem ideellen Anteil am gemeinschaftlichen Eigentum fehlt der Klägerin die Befugnis (vgl. BayVGH vom 2. 10. 2003 Az. 1 CS 03.1785 BayVBl 2004, 664; vom 12. 9. 2005 Az. 1 ZB 05.42 BayVBl 2006, 374; vom 23. 2. 2007 Az. 1 CS 06.3219 – juris; vom 6. 11. 2008 Az. 14 ZB 08.2327 – juris; vom 21. 1. 2009 Az. 9 CS 08.1330-1336 – juris; OVG NW vom 28. 2. 1991 Az. 11 B 2967/90 NVwZ-RR 1992, 11). Bei der Geltendmachung von Nachbarrechten wegen einer Verletzung von öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die dem Schutz des gemeinschaftlichen Eigentums dienen, handelt es sich um eine Maßnahme der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums (§ 20 Abs. 1 WEG). Diese steht gemäß § 21 Abs. 1 WEG grundsätzlich den Wohnungseigentümern gemeinschaftlich zu. Der einzelne Wohnungseigentümer gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, § 21 Abs. 1 WEG ist nicht berechtigt, aufgrund seines ideellen Anteils am gemeinschaftlichen Eigentum wegen Beeinträchtigung dieses Eigentums Abwehrrechte gegen ein Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück geltend zu machen. Soweit die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer das gemeinschaftliche Eigentum verwaltet und dabei am Rechtsverkehr teilnimmt, ist sie gemäß § 10 Abs. 6 WEG auch rechtsfähig (vgl. BGH vom 2. 6. 2005 Az. V ZB 32/05 NJW 2005, 2061) und damit im Verwaltungsverfahren und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beteiligtenfähig (§ 61 Nr. 2 VwGO). Lediglich in den engen Grenzen einer Notgeschäftsführung (§ 21 Abs. 2 WEG) und nur in Prozessstandschaft für die Eigentümergemeinschaft kann ein einzelner Sondereigentümer eine Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums abwehren. Die Voraussetzungen einer Notgeschäftsführung wurden im vorliegenden Fall jedoch weder geltend gemacht, noch liegen diese erkennbar vor. Es wäre außerdem der Hausverwaltung ohne Weiteres möglich gewesen, im Namen der Eigentümergemeinschaft Klage gegen die Baugenehmigung zu erheben und sei es nur zur Fristwahrung. Die Klageerhebung hätte im Nachhinein durch einen Beschluss der Eigentümergemeinschaft genehmigt werden können.


b) Es ist ferner auszuschließen, dass die Klägerin durch die Baugenehmigung in öffentlich-rechtlich nachbarschützenden Rechten hinsichtlich ihres Sondereigentums verletzt wird. Grundsätzlich kann der einzelne Wohnungseigentümer (§ 1 Abs. 2 WEG) baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht nach § 13 Abs. 1 Halbsatz 2 WEG geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums im Raum steht (vgl. BVerwG vom 20. 8. 1992 Az. 4 B 92/92 – juris; BayVGH vom 2. 10. 2003 Az. 1 CS 03.1785 BayVBl 2004, 664; vom 11. 2. 2004 Az. 2 CS 04.18 – juris; vom 10. 6. 2008 Az. 2 CS 08.1298 – juris; vom 21. 1. 2009 Az. 9 CS 08.1330-1336 – juris; vom 22. 3. 2010 Az. 15 CS 10.352 – juris; offen gelassen in BayVGH vom 12. 9. 2005 Az. 1 ZB 05.42 BayVBl 2006, 374; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 66 BayBO RdNr. 12).


Die Klägerin macht hier lediglich eine Verletzung von Bauplanungsrecht geltend. Insoweit ist bereits fraglich, ob die Verletzung von Bauplanungsrecht überhaupt eine Beeinträchtigung des Sondereigentums darstellen kann oder ob dies ausschließlich das gesamte Grundstück und damit die Wohnungseigentümergemeinschaft als solche betrifft (vgl. dazu BayVGH vom 12. 9. 2005 a.a.O., dort aber offen gelassen; vom 2. 10. 2003 a.a.O., dort aber nicht entscheidungserheblich, da die Verletzung von Bauplanungsrecht offensichtlich nicht vorlag).


Das Bundesverwaltungsgericht (vom 20. 8. 1992 a.a.O.) bejaht eine Klagebefugnis des Sondereigentümers, sofern der Behörde bei ihrer Entscheidung über die Baugenehmigung auch der Schutz der nachbarlichen Interessen des Sondereigentums aufgetragen ist. Dies ist möglicherweise dann der Fall, wenn das Sondereigentum beispielsweise im Bereich der Abstandsflächen liegt oder aber das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot unmittelbar das Sondereigentum betrifft. Dies ist hier jedoch gerade nicht der Fall. Die von der Klägerin bewohnte Wohnung befindet sich an der Südwestecke des Anwesens im 12. Obergeschoß. Die vermietete Wohnung befindet sich hingegen an der Nordostseite des Gebäudes. Die Eingänge der beiden Gebäude sind ca. 120 m Luftlinie voneinander entfernt. Der Eingang zum Bauvorhaben befindet sich zudem auf der dem klägerischen Anwesen abgewandten Seite. Die von der Klägerin bewohnte Wohnung ist sowohl durch das eigene Gebäude als auch das Gebäude, in welchem das Bauvorhaben realisiert werden soll, abgeschirmt. In diesem Fall drängt sich die Prüfung einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme für die Beklagte schon allein aufgrund der Entfernung der Gebäude zueinander nicht auf. Sowohl der geltend gemachte (gebietsübergreifende) Gebietserhaltungsanspruch als auch die mögliche Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme würde das Sondereigentum der Klägerin allenfalls im gleichen Maß wie alle anderen Sondereigentümer sowie das Anwesen insgesamt und damit das Gemeinschaftseigentum betreffen. Eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs ist hier im Übrigen bereits deswegen ausgeschlossen, weil die Wohnung der Klägerin und das Bauvorhaben sich in unterschiedlichen Gebieten befinden, unabhängig davon, ob der Bebauungsplan hinsichtlich des Baugrundstücks funktionslos geworden ist oder nicht. Ein gebietsübergreifender Gebietserhaltungsanspruch wird jedoch von der herrschenden Rechtsprechung abgelehnt (s. dazu unten Ziffer 2. a)). Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO scheidet hier schon deshalb aus, weil die vorgetragenen „Beeinträchtigungen“ offensichtlich nicht das Stadium der unzumutbaren Rücksichtslosigkeit erreichen, sondern sich im Bereich der hinzunehmenden bloßen Lästigkeiten bewegen (s. dazu unten Ziffer 2. b)).


Im Ergebnis ist keine konkrete Beeinträchtigung ausschließlich des Sondereigentums der Klägerin durch Bauplanungsrecht erkennbar, welche über das hinausginge, was die Eigentümergemeinschaft als solche für das Gemeinschaftseigentum geltend machen kann (vgl. BayVGH vom 26. 3. 2003 Az. 8 ZB 02.2918 BayVBl 2004, 50 = NVwZ 2004, 629). Insbesondere ist nicht zu sehen, dass insoweit der Beklagten als Genehmigungsbehörde der Schutz der nachbarlichen Interessen hinsichtlich des Sondereigentums speziell aufgetragen gewesen wäre.
2. Die Klage ist zudem unbegründet. Weder kann sich die Klägerin mit Erfolg auf eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs berufen, noch ist das Gebot der Rücksichtnahme zulasten der Klägerin verletzt ...

Bedeutung für die Praxis
Die Störungsabwehr ist grundsätzlich kein Individualrecht einzelner Sondereigentümer gegenüber Nachbarn, sondern ein gemeinschaftsbezogenes Recht gemäß § 10 Abs.56 Satz 3, 1. Alt. WEG. Nur bei singulärer Betroffenheit eines Eigentümers darf dieser solo vorgehen. Der einzelne Wohnungseigentümer ist sonst nicht berechtigt, aufgrund seines ideellen Anteils am gemeinschaftlichen Eigentum wegen Beeinträchtigung dieses Eigentums Abwehrrechte gegen ein Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück geltend zu machen.

RiAG Dr. Olaf Riecke, Hamburg