Immobilien: Wann das ERP-System in Rente schicken?

Irgendwann müssen auch Wohnungsunternehmen und Immobilienverwaltungen ihre ausgereiften ERP-Systeme loslassen und durch modernere und effizientere Lösungen ersetzen. Wann ist der richtige Zeitpunkt und wie wird daraus ein Erfolg?

Wer sich nach einem ERP-System umsieht, findet zwei technologisch unterschiedliche Generationen auf dem Markt: On-Premises-Lösungen und webbasierte Plattformen.

Ausbruch aus dem goldenen Käfig

Zur On-Premises-Generation gehören ausgereifte ERP-Systeme, die alle Prozesse umfänglich abdecken, ob in der Mieten- und Finanzbuchhaltung, im Genossenschaftswesen oder in der WEG- und Mietverwaltung. Sie sorgen für hohen Komfort, werden vom Hersteller verlässlich gepflegt, gewartet, weiterentwickelt und mit neuen Schnittstellen ausgestattet – und entsprechend zufrieden sind die Anwenderinnen und Anwender mit ihnen. Diese Systeme werden weiter im Markt gebraucht.

Und doch stoßen die On-Premises-Lösungen langfristig an Grenzen. Denn ihre Software-Architektur ist nicht auf die Anforderungen der Digitalisierung an Konnektivität, Datenhaltung, Zugriffsmöglichkeiten und Automatisierung ausgelegt. Das macht sie so wendig wie einen Tanker im Suez-Kanal. Soll das Team beispielsweise dezentral arbeiten, werden Brückentechnologien benötigt, um die Anwendungen und Daten ins Internet zu bringen. Auch der Betrieb in einem externen Rechenzentrum macht On-Premises-Lösungen nicht zu webbasierten Plattformen.

Für die Anwenderinnen und Anwender bedeutet das: Sie sitzen in einem goldenen Käfig. Drinnen ist es bequem und bietet Stabilität, die Chancen für eine Weiterentwicklung aber liegen außerhalb, in der digitalen Welt. Dort entstehen vernetzte Kundenservices und ist die reibungslose Zusammenarbeit mit Partnern gewährleistet. Nur digital vernetzt lassen sich große Datenmengen in Echtzeit verarbeiten – heute für die unterjährige Verbrauchsinformation, morgen für die ESG-Bilanz.

Mit Digitalisierung ist der Grad von Automatisierung zu erreichen, der neue Mehrwerte schafft, die Produktivität erhöht und den Fachkräftemangel abfedert. Webbasierte ERP-Systeme lösen als zukunftsfähige Alternative diese Versprechen der Digitalisierung ein. Sie werden in einer leistungsstarken, sicheren Cloud-Umgebung betrieben, sind skalierbar, Nutzerinnen und Nutzer können jederzeit und auch mobil auf die Anwendungen und Daten zugreifen.

Mit der passenden Strategie umsteigen

Aber es gilt klarzumachen: Unternehmen, die den goldenen Käfig verlassen und in die webbasierte ERP-Ära einsteigen, müssen sich umfassenden Änderungen stellen, um die Vorteile richtig zu nutzen. Dazu gehört, Prozesse zu optimieren, beispielsweise in der Buchhaltung oder Bearbeitung von Mieteranliegen. An die Optimierung der Prozesslandschaft schließen sich organisatorische Verbesserungen an, wie das papierlose Büro oder die Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle. Das Ganze muss eingebettet sein in die passende Unternehmenskultur, die bereit ist, diese Veränderungen mitzutragen.

Wichtig dabei ist: Die webbasierten Systeme sind jung. Sie wurden in den vergangenen drei, fünf oder sieben Jahren entwickelt und bilden die Aufgaben der Branche noch nicht so umfassend und tiefgehend ab wie die ausgereifte On-Premises-Generation. Besonders für große Unternehmen mit vielfältigen Anforderungen stellt sich deshalb die Frage: Wann ist der richtige Zeitpunkt zu wechseln?

Unsere eigene Erfahrung und die aus zahlreichen Umstellungsprojekten zeigt: Wer eine Strategie für die Digitalisierung seines Unternehmens hat, leitet die richtige Antwort für sich daraus ab. Pläne für den Umstieg gibt es leider nicht von der Stange, da jedes Unternehmen andere Voraussetzungen mitbringt und andere Ziele verfolgt.

Zur Unterstützung lohnt es sich, Expertinnen und Experten an Bord zu holen, die fundierte Branchenkenntnisse und Erfahrungen in der digitalen Transformation von Unternehmen mitbringen. Wichtig ist auch das sorgfältige Einbeziehen der Belegschaft. Achten Sie also darauf, wo Ihre Mitarbeitenden stehen, welche Veränderungen sie bewältigen können und welche Schulungen und Services der potenzielle Softwarepartner vorsieht.

Vorbereitung: Vision und Strategie für die Digitalisierung festlegen

Passend zu Kunden, Rahmenbedingungen und Mitarbeitenden, muss im ersten Schritt ein klares Zielbild entwickelt werden, wohin die Digitalisierung das Unternehmen in drei oder fünf Jahren führen soll. Welche Leistungen und Dienstleistungen sollen in welcher Form angeboten werden? Wie sollen Prozesse zu Kunden, Dienstleistern und Partnern aussehen, wo findet Betreuung vollkommen digital und automatisiert, wo persönlich statt? Wie sollen die Arbeitsplätze gestaltet sein, welche Arbeitsmodelle werden angeboten? Dann legen Sie einen Pfad fest, wie das Zielbild erreicht werden kann. Daraus lässt sich der richtige Zeitpunkt für einen Wechsel des ERP-Systems gut ableiten.

Strategie 1: Erst Prozesse neu gestalten, dann digitalisieren

Ein schlechter Prozess wird nicht dadurch gut, dass er digital abgebildet wird. Und: In der Offline-Welt gewachsene Prozesse sind in der Regel eine schlechte Vorlage für die Nutzung digitaler Tools. Daher ist es für die Einführung einer modernen Cloud-ERP-Software entscheidend, dass die Prozesse überarbeitet und angepasst werden. Wenn Sie dazu nicht bereit sind, lassen Sie besser die Finger vom Softwarewechsel!

Kleinere Unternehmen haben es etwas leichter als Große, da ihre Prozesse schlanker und übersichtlicher sind – je nach Anforderungen und Ausgangslage können sie einen ERP-Wechsel in wenigen Monaten bewerkstelligen. Damit die Mitarbeitenden von den Veränderungen nicht überfordert werden, empfiehlt es sich, zunächst die Basisfunktionen zu nutzen und dann weitere Module schrittweise einzuführen.

So haben Kundenunternehmen mit unserem ERP-System Haufe axera erst ihre Verwaltungsprozesse digitalisiert (Stammdaten, Buchhaltung, Abrechnungen, Controlling, et cetera), dann die objektbezogenen Prozesse des Außendienstes (technisches Management mit Regiebetrieb beziehungsweise Wartung und Schadensbearbeitung).

Strategie 2: Schrittweiser Umstieg mit Hybrid-Ansatz

Die hybride Strategie eignet sich als Zwischenlösung und ermöglicht es vor allem größeren Unternehmen, die Digitalisierung Schritt für Schritt über mehrere Jahre zu vollziehen. Dabei wird die On-Premises-Lösung weiter beibehalten, gleichzeitig führen Sie PropTech-Lösungen oder Services aus der Public Cloud ein, idealerweise von Partnern des ERP-Herstellers. Etwa ein digitales Dokumentenmanagement, ein Interessenten- und Vermietungsportal, die Anbindung von Apps und Portalen für Mieterschaft und Eigentümerinnen und Eigentümer und den Datenaustausch mit Handwerkerinnen und Handwerkern sowie  Dienstleisterinnen und Dienstleistern. Später wechseln Sie auf das moderne ERP-System, das sich problemlos mit den bereits vorhandenen Tools zu einem digitalen Ökosystem verschmelzen lässt.

Strategie 3: Erst pilotieren, dann skalieren

Je mehr Bereiche, Technologien und Infrastrukturen im Spiel sind, umso komplexere Abhängigkeiten sind bei der Einführung eines neuen ERP-Systems zu berücksichtigen. Große Unternehmen mit vielfältiger Prozesslandschaft implementieren daher ein neues ERP oft erst in einem Bereich, etwa einem Tochterunternehmen, bevor es unternehmensweit ausgerollt wird. So lassen sich Erfahrungen sammeln und die Risiken begrenzen.

Die Zukunft bringt neue Formen der Softwarebereitstellung

Die Unternehmen der Immobilien- und Wohnungswirtschaft müssen sich immer schneller an geänderte Marktbedingungen anpassen. Das führt bereits bei der Entwicklung eines ERP-Systems zu Herausforderungen. Der Wirtschaftswissenschaftler Clayton M. Christensen hat es mit dem Begriff "innovator’s dilemma" auf den Punkt gebracht: Verändert sich der Markt disruptiv, sind Neuerungen schnell überholt. Hersteller, die schon länger am Markt sind und parallel ihre bestehenden Systeme weiterpflegen müssen, setzt das stärker unter Druck als Newcomerinnen und Newcomer, die ihre Ressourcen voll auf Innovationen konzentrieren können.

Die gute Nachricht: Die Art und Weise, wie Software bereitgestellt wird, ist im Umbruch. Container und Kubernetes sind vielversprechende Technologien, die den Herstellern erlauben, ihre Anwendungen automatisiert und flexibel in jede beliebige Umgebung zu verteilen. Ich denke, dass wir eines Tages in der Lage sein werden, in sehr hohem Tempo auf veränderte Bedürfnisse der Branche zu reagieren. Dann können wir den Anwenderinnen und Anwendern ohne lange Implementierung bedarfsgerechte Lösungen bereitstellen, mit denen sie ihre Prozesse sofort umstellen können.

Dass eine ERP-Einführung einmal Monate gedauert haben soll, fühlt sich in diesem Szenario so seltsam an wie der Handgriff, mit dem man einst Floppy-Disks in den Rechner schob.