Fachkräftemangel: Wehret den Anfängen

Wie nah dran sind Sie an Ihren Mitarbeitenden? Sehen Sie sie nur noch von Ferne oder auf dem Bildschirm? Dann sollten Sie handeln.

Gerade zu Homeoffice-Zeiten kommt der wertvolle Austausch mit den Mitarbeitenden im Alltagsgeschäft regelmäßig zu kurz. Ich habe mich umgehört: Vielen Führungskräften fehlt es an Sichtbarkeit und Präsenz. Zu eingeschränkt sind wir in unserer Wahrnehmung, wenn der andere nur als Kachel auf dem Bildschirm erscheint.

Nun setzt man in Theorie und Praxis der Führung zwar immer mehr auf Eigenverantwortung. Teams und Mitarbeitende sollen möglichst selbstbestimmt arbeiten. Diese Freiheit wirkt ja auch durchaus motivierend und leistungsfördernd. Allerdings ist zu viel Autonomie auch nicht gut, wie Studien belegen. Sie kann zu Stress und Entscheidungsproblemen führen. In der Psychologie nennt man diesen Effekt auch Autonomie-Paradox.

Der Kipp-Punkt ist individuell unterschiedlich. Beim einen ist er früh erreicht, weil er intensive Begleitung und Abstimmung braucht. Einer anderen fehlte in einem Korsett aus engen Vorgaben die Luft zum Atmen.

Das Fundament guter Führung: verlässliche Leitplanken

Eine gewisse Grundstruktur, Halt und Austausch braucht es aber stets, damit die Belegschaft dauerhaft motiviert und leistungsfähig bleibt. Und: damit sie im Unternehmen bleibt. Wer nicht gesehen wird in seiner Arbeit und in seinen ganz individuellen Bedürfnissen nach Weiterentwicklung und Bestätigung, der flüchtet über kurz oder lang. Das ist fatal angesichts des sich verschärfenden Fachkräftemangels.

Vielleicht liegt genau in der Ausbalancierung der Gegenpole aus Selbstorganisation und Struktur die Lösung für das Dilemma der Führungskräfte. Zu diesem Weg rät auch der renommierte New-Work-Forscher Professor Carsten C. Schermuly. Können die Mitarbeitenden, natürlich digital unterstützt, so autonom wie möglich und gewünscht arbeiten und entscheiden, kann ich mich als Führungskraft auf Aspekte konzentrieren, die mein Team nicht selbst lösen kann. Das schenkt mir wiederum die Zeit, mich mit den Bedürfnissen meiner Mitarbeitenden zu beschäftigen.

In der Praxis lässt sich dies auf ganz verschiedene Art umsetzen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man Führungsaufgaben in der Hektik des Alltags nicht so leicht aus dem Auge verliert, wenn man sie in formalisierte Routinen einbettet. Womit wir wieder beim Thema Struktur sind: Warum nicht Nahbarkeit und Nähe zu den Mitarbeitenden in eine feste Struktur gießen? Ein altbewährter Klassiker sind die Mitarbeiter- und Jahresgespräche. Doch diese reichen längst nicht aus, um ganz eng dran zu bleiben. Es gibt heutzutage eine Menge anderer wesentlich besserer Instrumente, die Sie flankierend einsetzen können.

6 Tipps für Nähe mit Struktur

  • Warum nicht tägliche kurze Meetings am Morgen abhalten? Jeder kann – am besten offline in Präsenz – reihum berichten, was ihn oder sie heute beschäftigen wird, wo er oder sie Hindernisse sieht und was er oder sie von anderen braucht, um gut weiterarbeiten zu können. Möglichst kurz sollen diese Meetings sein.
  • Gibt es Hürden in der Zusammenarbeit oder Kommunikation? Wie steht es um den Teamzusammenhalt? Wie gehen wir mit Fehlern um? Workshops, die im festen Turnus an einem Ort fernab vom Büroalltag stattfinden, sind eine gute Idee, um sich ganz bewusst für wichtige Themen abseits der Sacharbeit Zeit zu nehmen.
  • "Jeden Tag dasselbe ..." Routine langweilt nicht nur, sie kann auf Dauer auch frustrieren. Warum also nicht halbjährlich die Rollen und Aufgaben innerhalb der Abteilung tauschen? Jobrotation, soweit möglich, fördert auch den Wissenstransfer im Team.
  • Neue Mitarbeitende zu integrieren, ist eine Herausforderung – vor allem dann, wenn das Team überwiegend remote arbeitet. Hier bieten sich standardisierte Onboarding-Programme mit klar zugewiesenen Verantwortlichkeiten an. Das Spektrum solcher Maßnahmen reicht von der Welcome Week über Apps, die die Neuen in den ersten Monaten mit Infos begleiten, bis hin zum Mentoring durch erfahrene Kolleginnen und Kollegen.
  • Perspektiven schaffen funktioniert nicht nach dem Gießkannenprinzip. Jeder von uns hat eine andere Auffassung von Weiterentwicklung. Die eine will Karriere machen. Der andere findet Erfüllung in kniffligen Projekten. Wissen Sie, was Ihre Mitarbeitenden jeweils antreibt? Nein? Sollten Sie aber. Allein deswegen, um Ihren Mitarbeitenden ein verlässlicher Entwicklungs- und Veränderungsbegleiter zu sein.
  • Das ist eine Rolle, die laut der Studie "Führen im neuen Normal" immer wichtiger wird. Initiieren Sie individuelle Entwicklungsgespräche, die Sie sich fest im Kalender vormerken und klar von den Jahresgesprächen trennen. So machen Sie maßgeschneiderte Weiterentwicklung möglich.