Energiemanagement: Mit Smart Metern Nebenkosten reduzieren

Ein Pilotprojekt des Berliner Startups Fresh Energy und der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt soll klären, ob mithilfe von Smart Metern und intelligenten Algorithmen ein großer Teil des Gebäudestromverbrauchs eingespart werden kann. Ein Bericht über erste Erfahrungen.

Zehn Millionen Kilowatt Allgemeinstrom werden in den rund 60.000 Wohnungen der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte | Wohnstadt (NHW) pro Jahr verbraucht. Wenn Aufzüge und Flurlicht, Lüftungsanlagen und Heizungspumpen, Alarmanlagen, Bewegungsmelder und Relais in Betrieb sind, entstehen mehr als 4.700 Tonnen CO2. Nur fünf Prozent weniger würden den Mietern zirka 150.000 Euro Nebenkosten jährlich und der Umwelt insgesamt 237 Tonnen CO2 einsparen. Das ehrgeizige Ziel der größten hessischen Wohnungsgesellschaft heißt deshalb: Die Mieter durch intelligentes Energiemanagement möglichst wenig zu belasten.

Das Thema Klimaschutz steht ganz oben auf der Prioritätenliste der Unternehmensgruppe – im Sinne der seit 2014 konzernweit verfolgten Nachhaltigkeitsstrategie. Dass sich beim Contest des Startup-Accelerators "hubitation" 2018 das Berliner Startup Fresh Energy GmbH beworben und einen der Preise gewonnen hat, ist ein Glücksfall. Das Jungunternehmen kann mithilfe von Smart Metern und intelligenten Algorithmen verblüffend einfach die bisherigen Stromsparinitiativen des Wohnungsunternehmens ausbauen und unterstützen. In einem Pilotprojekt wollen die beiden Gesellschaften jetzt prüfen, ob die Software auch bei der Reduktion des Allgemeinstromverbrauchs gute Ergebnisse liefert.

Künstliche Intelligenz (KI) hält Einzug in die Immobilienbewirtschaftung

Das System wurde ursprünglich für Privathaushalte entwickelt und spart dort erwiesenermaßen schnell mehr als zehn Prozent der Energiekosten. Adrian Beyertt, Business Development Manager bei Fresh Energy, erläutert die angewandte Technik: "Der Stromversorger installiert einen hochfrequenten Smart Meter, der sekündlich Verbrauchsmessungen an einen sicheren Zentralrechner sendet. Mithilfe von maschinellem Lernen identifiziert die Fresh-Energy- Software einzelne Verbraucher wie Kühlschrank, Waschmaschine oder den Standby-Verbrauch". Im Fachjargon heißt das Verfahren "Non Intrusive Load Monitoring" (NILM).

Das Einsparpotenzial im Privathaushalt entsteht vor allem durch Transparenz. Beyertt: "Wenn ich sehe, dass ich im Monat 20 Euro nur für Stand-by-Strom bezahle, kaufe ich mir vielleicht doch eine abschaltbare Steckerleiste". Häufig führe die Echtzeit-Transparenz via App auch zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung der Nutzer. Potenzial zum Sparen sei genug da, Fachleute gehen von vier Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland aus, die nur der Stand-by-Verbrauch der elektrischen Geräte die Haushalte kostet. Rechnet man die Ersparnis durch die Nutzung der Fresh-Energy-Software auf ganz Deutschland hoch, entspräche diese Einsparung dem CO2-Ausstoß von mehr als drei Millionen Autos pro Jahr.

Für das Pilotprojekt "Allgemeinstrom" hat die Unternehmensgruppe vier geeignete Bestandsgebäude ausgesucht, die besonders hohe Verbräuche aufzeigen – in einer Höhe von 50.000 Kilowatt und mehr pro Jahr. Ende August 2019 waren dort drei intelligente Digitalzähler bereits eingebaut, der vierte wurde gerade verkabelt. Schwierigkeiten bereitete den Installationstrupps, dass das Senden der Daten aus dem Keller wegen zu schwachem UMTS-Signal nicht immer auf Anhieb funktionierte. Ziel ist es nun, einen individuellen, hochauflösenden und hochfrequenten Lastgang für die Pilotgebäude zu erhalten – um daraus täglich, monatlich oder saisonal Transparenz über die Verbräuche im Haus zu schaffen.

Aus Kostengründen haben sich beide Seiten entschieden, vorläufig den Algorithmus der Software nicht anzutasten. Zunächst soll geklärt werden, ob es möglich ist, aus einem hochauflösenden Lastgang mit Messpunkten alle zwei Sekunden etwas herauszulesen. Das wäre bereits ein zufriedenstellendes Ergebnis.

Mitarbeiter im Aufzug nutzt Fresh Energy App

Komplexe Aufgabenstellung durch Individualität

Die Crux dabei ist es allerdings, die Daten der aufgezeichneten Lastgänge bestimmten Verbrauchern zuzuordnen (disaggregieren). Das Thema Allgemeinstrom ist für die Software-Entwickler "komplexer als ursprünglich gedacht", so Beyertt. Während ein Kühlschrank ein recht typisches Lastprofil zeigt – etwa halbstündlich springt der Kompressor an –, reagieren Treppenhausbeleuchtung und Heizanlage nur saisonal oder auf Anforderung. Die Menge der möglichen Geräte erhöht die Komplexität: Während Heizungs- und Wasserpumpen, Türöffner, Gegensprechanlage und Treppenhausbeleuchtung nahezu überall verbaut sind, gibt es in anderen Gebäuden außerdem Alarmanlagen, Bewegungsmelder, Gemeinschaftsküchen und -waschmaschinen, von Ladestationen oder einspeisenden Photovoltaikanlagen ganz abgesehen.

Vor der eigentlichen Auswertung wurde deshalb ein zusätzlicher Vor-Ort-Termin in einer der Liegenschaften geplant, bei dem Fresh Energy und MET in Echtzeit betrachten, was beim Stromverbrauch passiert, wenn mit dem Aufzug ins oberste Stockwerk gefahren wird. Erst danach entscheidet sich, ob das Pilotprojekt hier weiter ausgerollt werden soll. Dann würde es sich erst lohnen, den Algorithmus zu verfeinern und typische Lastprofile für die Verbraucher im Allgemeinstrombereich zu entwickeln.

Die Abteilung Immobilienservice der Unternehmensgruppe hat insgesamt 10.000 Stromzähler im Portfolio. 2.400 Gebäude wurden im Bestand identifiziert, für die sich Smart Meter und die Installation der App lohnen würden. Rund 500.000 Euro würde es kosten, das Messsystem komplett auf die potenziellen Messstellen auszurollen. Im ersten Schritt scheinen rund 50 Messstellen realistisch, die jeweils einen Verbrauch von etwa 20.000 Kilowatt pro Jahr ausweisen.

Vorteil durch frühzeitige Wartung

Attraktiv wird der Algorithmus für die Wohnungswirtschaft in mehrfacher Hinsicht. Nach den bisherigen Erfahrungen sind Heizungspumpen, Aufzüge und Lüftungsanlagen in einem Gebäude zumeist die größten Stromfresser, dicht gefolgt von der Beleuchtung. Die mit dem Pilotprojekt angepeilte Reduktion um fünf Prozent wird wahrscheinlich schon durch interne Vergleiche realisierbar sein.

Noch höhere Attraktivität gewinnt die Künstliche Intelligenz in der Allgemeinstrom-Analyse durch die Möglichkeiten, die sich langfristig ergeben. Den größten Effekt verspricht sich die Nassauische Heimstätte | Wohnstadt von der vorausschauenden Wartung (Predictive Maintenance). Die Einsparpotenziale liegen auf der Hand: Von altersschwachen Pumpen, die vom System entdeckt werden, bis hin zu defekten Leuchtmitteln, von zu lang eingestellten Lichtzeitintervallen bis hin zu kaputten Relais.

Das erhoffte Szenario: Zukünftig kann für jeden Verbraucher ein Leistungskorridor vorgegeben werden. Verlässt er diesen, generiert die Software sofort automatisch einen Auftrag an die Haustechnik. Wenn künftig etwa die Aufzugtüren mehr Strom verbrauchen, wäre das ein Indiz für mangelnde Schmierung. Eine frühzeitige Wartung könnte dann Defekten vorbeugen und Energie sparen. Kriechströme in Pumpenwicklungen könnte das System genauso identifizieren wie defekte Glühlampen.

Der vollständige Artikel erschien im Magazin "DW Die Wohnungswirtschaft", Ausgabe 10/2019.


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