Agiles Arbeiten in der Immobilienbranche

Das Gute scheint inzwischen agil – viele Bereiche der Wirtschaftswelt funktionieren nicht mehr starr. Immer mehr Branchen setzen auf eine flexible Arbeitsorganisation. In der Immobilien- und Wohnungswirtschaft funktioniert das nicht. Wirklich nicht?

Der Begriff der Agilität, der im Zusammenhang mit IT-Projekten zuerst auftauchte, ist längst herüber geschwappt in die allgemeine Arbeitswelt. Zuletzt gab es aus der Immobilien- und Wohnungswirtschaft allerdings vermehrt kritische Stimmen. Skeptiker meinen, dass sich agile Arbeitsmethoden für eine Branche, die sehr in klassischen Strukturen verhaftet ist, kaum eignen.

"Wie viel Agilität verträgt die Immobilienbranche?" lautete Ende November das Thema beim ZIA-Innovationskongress 2019. Organisator Stefan Daniel Rinnert, Senior Referent Büroimmobilien, Corporate Real Estate und Digitalisierung beim ZIA, hatte bereits im Vorfeld klar Position bezogen: Techniken wie Design-Thinking, Scrum oder Kanban, so sagte er, böten nur dann Potenziale, wenn tatsächlich in Projektteams gearbeitet werde. Sei das nicht der Fall, führe agiles Arbeiten eher zu Konflikten. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam jüngst auch eine Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.

Vorreiter Vivawest

Also … Agilität ad acta? Ich bin sicher, das wäre falsch. Beispiele für agiles Arbeiten gibt es bei Projektentwicklern und Architekten zuhauf. Und sobald es um Innovationsthemen und Veränderungen geht, kommt man ohne agile Methoden auch in der Wohnungswirtschaft nicht weiter.

Das Wohnungsunternehmen Vivawest aus Essen hat das erkannt. Mit seinem Projekt "Freiraum - Kreativräume Vivawest" hat es zumindest einmal die räumlichen Voraussetzungen für agiles Arbeiten, teambildende Maßnahmen, Coaching und kreative Ideenfindung geschaffen.

Ziel des Unternehmens ist es, den gestiegenen Kundenbedürfnissen Rechnung zu tragen, die Mitarbeiter auf dem Weg der Digitalisierung mitzunehmen. Und – ganz wichtig: Das Unternehmen sieht die Chance, mittels kreativer Arbeit in Projekten als Arbeitgeber auch für die junge Generation attraktiv zu bleiben.

Es geht nicht etwa darum, sich der Generation junger Mitarbeiter anzubiedern. Agilität ist vielmehr wichtig, um bei komplexen Aufgaben zu besseren Lösungen zu kommen. Agile Arbeitsweisen ermöglichen, dass im Verlaufe eines Auftrages Vorgehensweise, Prioritäten und Ausgestaltung kontinuierlich an neue Erkenntnisse angepasst werden. Der Auftrag wird anhand von Zielen, Nutzen und Ergebnissen beschrieben, lässt aber den Mitarbeitern Gestaltungsspielraum, um Erkenntnisse aus dem Arbeitsfortschritt aufzunehmen und so das beste Ziel zu erreichen.

Agiles Arbeiten: Führungskräfte müssen Freiräume geben

Hierin liegt die große Herausforderung bei der Einführung agiler Methoden: Sie erfordert dezentrale Verantwortung bei den Mitarbeitern. Allzu oft scheitert die Einführung aber gerade an starren Unternehmensstrukturen. Denn Führungskräfte müssen Freiräume geben, Mitarbeiter müssen sie ausfüllen können. Ohne Qualifizierung, Coaching und Moderation funktioniert es nicht. Am Ende steht die viel beschworene Weiterentwicklung der Unternehmenskultur. Ein großes Ziel, das unter fünf Jahren in der Regel nicht zu erreichen ist.

Agile Arbeitsweisen haben immer dann ihre Berechtigung, wenn die Aufgabenstellung komplex ist. Dies trifft etwa auch auf die Gestaltung von Kunden-Services und Prozessen zu. Komplizierte Aufgaben, die bekannt und sicher sind, werden am besten in der klassischen Wasserfallmethode beauftragt und gesteuert.

Vivawest hat für ihr Konzept des interdisziplinären, hierarchieübergreifenden agilen Arbeitens in diesem Jahr übrigens den DW-Zukunftspreis der Immobilienwirtschaft erhalten. Das zeigt zwei Dinge: Agilität ist ein Thema. Und: Die Wohnungswirtschaft steht hier noch am Anfang.

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