Wohnungsnot: Einfamilienhäuser als stille Reserve

Einfamilienhäuser sind beliebt, gelten aber perspektivisch als Auslaufmodell – sie verbrauchen viel Fläche und Energie. Bauplaner sehen sie in Zeiten von Klimawandel und Wohnungsnot aber durchaus als Chance.

Einfamilienhäuser beanspruchen nach Feststellung von Experten zu viel Raum und eine aufwändige Infrastruktur, sie sorgen für mehr Verkehr, und ihre Oberfläche gilt als energetisch ungünstig. Statt die vor allem seit den 1960er Jahren entstandenen Siedlungen als Problem zu sehen, betrachten Bauplaner in Zeiten von Klimawandel und Wohnungsnot sie nun durchaus als Chance. Sie haben Eigenheime als stille Reserve im Blick. Es gibt konkrete Ideen.

Das Einfamilienhaus als Auslaufmodell

Das Einfamilienhaus außerhalb der Städte sollte nach Meinung von Markus Neppl, Professor für Stadtquartiersplanung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) nicht mehr gefördert werden. Das sieht auch der Stuttgarter Bauingenieur und Architekt Werner Sobek so: "Ich muss davon abraten, Neubausiedlungen aus Ein- und Zweifamilienhäusern zu errichten" – die Flächenversiegelung sei zu groß, der größere Abstand zwischen den Gebäuden mache längere Straßen und Leitungen für Strom, Kommunikation und Wasserversorgung nötig.

Der ökologische Fußabdruck eines Eigenheimbewohners auf dem bayerischen Land sei doppelt so hoch wie der einer Person, die in der Münchner Innenstadt wohnt, haben die TU-Professoren Andreas Hild und Thomas Auer kürzlich in einem "Spiegel"-Gespräch erklärt. Dennoch sehen die beiden ausgerechnet bei Eigenheimen große Chancen: Von der aufgestockten Garage über kleinere Umbauten bis hin zum erweiterten Reihenmittelhaus – würden nur zehn Prozent der bundesweit 16 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser umgebaut, würden demnach 1,6 Millionen neue Wohnungen geschaffen.

Nachverdichtung auf Einfamilienhäusern?

"Eine Verdichtung des Bestands ist alternativlos", sagt KIT-Experte Neppl. Technisch wäre ein Anbauen oder Dazwischen-Bauen in vielen Fällen möglich, sagt Bauingenieur Sobek. Eine solche Nachverdichtung erfordere aber höchste städtebauliche und architektonische Sorgfalt.

Praktiker finden das interessant. "Es ist eine Möglichkeit, mehr Wohnraum zu schaffen", sagt Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer des Verbands Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Ihm zufolge wäre es aber eher ein Nischenprodukt. Das sieht KIT-Professor Neppl ähnlich: Es könnten neue Einliegerwohnungen und Mehrgenerationenmodelle entstehen. "Aber das Wohnungsproblem löst das nicht."

Die größte Hürde dürfte das Baurecht sein, meint Ottmar H. Wernicke, Sprecher der ARGE Haus & Grund Baden-Württemberg. Damit solche Vorhaben nicht scheitern, müsse die öffentliche Hand mitspielen. Und der Nachbar. "Es kann schon heute Streit um jede neue Gaube geben", meint Bauwirtschaftschef Möller. Hinzu kommt, dass manch älterer Eigentümer ein solches Projekt nicht mehr angehen will.

Susanne Dürr, Professorin für Städtebau und Gebäudelehre an der Hochschule Karlsruhe, meint: "Wir können uns nicht mit Gesetzen und Vorschriften der vergangenen Jahrzehnte aufhalten, wenn uns die Welt um die Ohren fliegt." Schon der Begriff Einfamilienhaus sei aus der Welt gefallen. Die Kommunen müssten überprüfen, was an Vorgaben veränderbar ist. "Nur noch Geschosswohnungsbau zu schaffen, wäre ebenso Quatsch", sagt KIT-Professor Neppl: Einfamilienhäuser seien etwa interessant für Eigentümer von E-Autos, die vom Hausdach Solarenergie tanken.

Streit um Einfamilienhäuser: nicht ganz neu

Eine prominente Kritikerin der Einfamilienhäuser ist Bundesbauministerin Klara Geywitz. Seit den 1950er Jahren seien Hunderttausende Einfamilienhäuser gebaut worden, in denen meist keine Familien mehr lebten, sondern ein oder zwei Senioren auf 150 Quadratmetern. Es müsse heute anders gebaut werden, schon um die Klimaschutzziele zu erreichen, sagte die SPD-Politikerin, als das Thema vor rund einem Jahr zuletzt auf den Tisch der Politik kam.

Die Debatte wird immer wieder geführt. Die Grünen und die SPD in Hamburg hatten 2019 in ihrer Koalitionsvereinbarung ausgemacht, dass in neuen Bebauungsplänen keine Einfamilien- und Reihenhäuser mehr ausgewiesen werden sollen. "Um die wertvolle Ressource Boden effizient zu nutzen, soll zukünftig höher gebaut werden", hieß es damals.

"Wollen die Grünen Einfamilienhäuser verbieten?", fragte im Februar 2021 der "Spiegel" den damaligen Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter. Platzraubend und schlecht fürs Klima seien Einfamilienhäuser, von "Donut-Dörfern" und dem Mythos vom Eigenheim als Altersvorsorge sprach der Politiker. Kommunen sollten mit ihren Bebauungsplänen dafür sorgen, dass der knappe Raum in urbanen Ballungsgebieten bestmöglich genutzt werde, um bezahlbare Wohnungen zu schaffen. Einparteienhäuser verbrauchten viele Baustoffe, viel Energie und eben viel Fläche.


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dpa