
Die Energiewelt wird künftig zu großen Teilen dezentral und digital verwaltet sein. Deshalb ist es auch im Immobilienbereich höchste Zeit, Geschäftsmodelle, die auf zentrale Strukturen im Vertrieb wie im Verbrauch setzen, zu verändern.
Blockchain, Dekarbonisierung, Grenzpreise, Smart Grid, Smart Meter Rollout – von allen Ecken brechen die Umwälzungen derzeit über die Energiebranche herein. Gefeit ist davor niemand. Selbst die Großen der Branche, RWE und E.ON, mussten sich aufspalten, um ihre Geschäfte nach Zukunftsfähigkeit zu sortieren.
Nun vereinen sie einige Bereiche miteinander. Ob dies zum Nutzen der Kunden passiert, bleibt abzuwarten. Fakt ist jedenfalls, dass am Markt nun ein riesiger Stromerzeuger (RWE) mit beachtlichem erneuerbarem Portfolio und ein riesiger Netzbetreiber (E.ON) mit starkem Endkundengeschäft entstehen. Es grüßt das Monopol aus der Ferne.
Die Diskussion um die Zukunftsfähigkeit hat auch die Dienstleister erfasst, die die ganze Branche am Laufen halten. Das zeigt die Situation der beiden marktführenden Messdienstleister. Ista wurde letztes Jahr von dem Hongkonger Milliardär Li Ka-shing für geschätzte 5,8 Milliarden Euro gekauft. Für Techem wird derzeit seitens des Finanzinvestors Marquarie ein Käufer gesucht.
Auch das Entstehen der Noventic Group aus mehreren Unternehmen der Branche zeugt davon. Ursprünglich gehörte auch der Contractor Urbana dazu. Der wurde jedoch Mitte letzten Jahres veräußert. "Wir müssen die Wärmeerzeugung, insbesondere aus konventioneller Energie, nicht selbst übernehmen, um zukunftsfähige Kundenangebote für die Gebäudeversorgung zu entwickeln", so Kirsten Seeger, Head of Corporate Development bei Noventic. Geschäftsschwerpunkt ist jetzt die effiziente und klimagerechte Steuerung von Gebäuden.
Wie sind die Energiedienstleister auf die Digitalisierung eingestellt?
Energiedienstleister "haben zwar einen Prozess zur Digitalisierung angestoßen. Einzelne Unternehmen sind aber noch mit sehr wenig Wissen versehen", stellt Stefan Scherz, Geschäftsführer des Berliner Ingenieurdienstleisters IDL, heraus.
"Eine digitale Lösung ist kein Selbstzweck. Sie ist Antwort auf das Komfortbedürfnis der Kunden, Ansatz für Prozessoptimierung oder Grundlage für neue Geschäftsmodelle", nennt Juliane Hauskrecht von der auf die Energiewirtschaft spezialisierten Nymoen Strategieberatung einen weiteren Aspekt. Zuallererst seien Geschäftsmodelle betroffen, die sehr leicht durch intelligente Datenanalyse gewinnen könnten. Dazu zählt sie Ablesung, Abrechnung und Kundenkommunikation.
"Alle Geschäftsmodelle kommen auf den Prüfstand"
Diese Prozesse haben die Dienstleister vor allem für sich selbst optimiert. Als Beispiel nennt Scherz die nach wie vor größtenteils analoge Erfassung der Verbrauchsdaten sowie deren letztlich ebenfalls analoge Verarbeitung zu Rechnungen. Ein Ergebnis dessen sei, dass grob geschätzt die Hälfte aller Nebenkostenabrechnungen Fehler enthielten. „Erst wenn all die Prozesse dieser Kette digital sind, kann man von Digitalisierung sprechen“, so Scherz. Die Zukunft der Messdienstleister sieht er deshalb kritisch. "Alle Geschäftsmodelle kommen auf den Prüfstand", so Scherz. Schon jetzt drängten Anbieter auf den Markt, die im Zuge des Smart Meterings nicht nur den Strom, sondern auch die Wärmeverbräuche digitalisieren.
Auch Kirsten Seeger sieht noch erheblichen Nachholbedarf: "Schon durch die Energieeffizienzrichtlinie haben wir Anforderungen an Verbrauchsdaten, die unterjährig erhoben, verarbeitet und den Nutzern dargestellt werden müssen. Das kann man nicht mehr konventionell und analog lösen." Vorbild ist für ihn beispielsweise das Baltikum, wo quasi alles über Funk laufe und niemand mehr über die manuelle Ablesung diskutiere. Allerdings sei eine hundertprozentige Digitalisierung nicht in allen Prozessen möglich, es werde immer Experten im Abrechnungsbereich geben.
Im Contracting viele digitale Elemente
Häufig wird die digitale Entwicklung von Unternehmen geleistet, die gemeinsame Töchter von Unternehmen der Wohnungs- und Energiewirtschaft sind. Sie können etwa als Contractoren auftreten, die sowohl die Energielieferung als auch die dazugehörige Technik betreiben. Der Sinn ist klar ein wirtschaftlicher. Je kürzer die Kette zwischen Energiequelle und Wohnung, umso höher ist die Marge.
Im Contracting sieht Hauskrecht schon viele digitale Elemente: "Vor allem im standardisierten Kleinanlagen-Contracting boomt der digitale Vertrieb. Wir sehen gelungene Ansätze der Automatisierung von Prozessen in der Angebotslegung oder in der Erfüllungsstruktur." Die Anbieter nutzten verschiedenste Plattformen und Apps. Als Beispiel für diese Entwicklung nennt sie Thermondo. "Wer die Digitalisierungsmechanismen am schnellsten umsetzt, wird andere wegschwemmen", schätzt Scherz dies nüchtern ein.
Großteil der Dienstleistungen wird weiter Bestand haben
Besser aufgestellt sieht Tobias Dworschak, Geschäftsführer des Contractoren-Verbandes, die Energiedienstleister: "Sie gehören zu den Pionieren bei der Fernwartung. Insbesondere ist auch beim Einspar-Contracting schon immer erforderlich gewesen, die neueste, modernste Steuertechnik einzusetzen." Es gebe aber manchmal eine schwer überschaubare Bandbreite an neuen Lösungen und Anwendungsmöglichkeiten.
Auch Seeger glaubt, dass ein Großteil der Dienstleistungen weiter Bestand haben wird. Diese unterschieden sich von Kundensegment zu Kundensegment und würden in der Ausgestaltung immer individueller. Manche Dienstleistungen deckten die Unternehmen der Noventic Group komplett ab, andere nur in Teilen oder in Kooperationen. "Ob alle energiewirtschaftlichen Player der Herausforderung gewachsen sein werden, muss sich noch zeigen", zweifelt Hauskrecht.
Google & Co. warten auf das flächendeckende Smart Meter Rollout
Als Konkurrenten für die etablierten Platzhirsche werden häufig Digitalpioniere wie Google, Amazon und Co. genannt. Die würden laut Scherz aber erst auf den Zug aufspringen, wenn eine Grundlage für die Digitalisierung, etwa durch das flächendeckende Smart Meter Rollout, gelegt sei. Indizien dafür gebe es, weil gerade Google Komponentenanbieter wie Brandmelder- oder Thermostathersteller aufgekauft habe.
Seeger schränkt ein: "Was Google und Co. nicht besonders gut können, sind regulierte Märkte. Sie sind erfolgreich bei einheitlichen Geschäftsmodellen, die weltweit funktionieren. Aber die Ausgestaltung der Energiemärkte ist schon innerhalb Europas extrem unterschiedlich." Zudem hätten viele Vertreter der Energieversorger, der Wohnungswirtschaft und auch viele Endverbraucher große Bedenken bezüglich des Datenschutzes bei den multinationalen Konzernen. "Doch die Ertragspotenziale in der Energiewirtschaft sind überschaubar. Deshalb wurde sie bisher relativ verschont", so Hauskrecht.
Softwarebranche in der Pflicht
Auf jeden Fall wird die Digitalisierung individuelle Geschäftsmodelle bis hin zu Quartierslösungen ermöglichen. Ob dann eine Kommunikation mit dem eigenen SAP-System, einem KNX basierten Leitungsstandard oder einer Cloud stattfinden wird, ist letztlich nur ein kleines technisches Schnittstellenproblem, für das es zudem heute schon Lösungen gibt.
Dworschak sieht hier die Softwarebranche in der Pflicht: "Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass Bedarf an Software besteht, etwa für Abrechnung oder Vernetzung unterschiedlicher Systeme, die aber auf dem Markt nicht verfügbar ist." Unterschiedliche Schnittstellen verhinderten eine herstellerübergreifende Softwarekompatibilität. Besonders bei Quartierslösungen müssten viele unterschiedliche Prozesse individuell vernetzt werden. Einer Standardisierung steht er deswegen skeptisch gegenüber.
Auch Seeger sieht eine wichtige Aufgabe darin, Kompatibilität zwischen den Standards herzustellen. Die Noventic-Tochter Qundis habe den ersten Heizkostenverteiler auf den Markt gebracht, der mit dem Standard des Open Metering System kompatibel sei. In den Smart Meter Gateways sieht Seeger die zentrale Datendrehscheibe für das Gebäude. Denn sie garantierten eine sichere Kommunikation, zu der auch ein sicherer CLS-Kommunikationskanal in das Gebäude hineingehöre. Das wiederum ermögliche erhöhte Sicherheit auch für Smart-Home- und AAL-Systeme sowie die hinzukommende Ladeinfrastruktur der E-Mobility.
Nutzer haben höhere Erwartungen
Genau das wird noch etwas ganz anderes ermöglichen. "Der Handelsbereich ist ein weiteres Geschäftsfeld, das durch die Digitalisierung grundlegend verändert wird", so Hauskrecht. Es gibt bereits erste Handelsplattformen, die auf Blockchain-Technologie basieren. Etwa der Wuppertaler Versorger, die WSW, hat als weltweit erster Energieversorger einen Blockchain-basierten Handelsplatz für Ökostrom in Betrieb genommen. Eine Doppelvermarktung der dezentral erzeugten erneuerbaren Energien kann so nicht erfolgen.
"Es ist sicher, dass der klassische Energiehandel dadurch verändert wird und Margen im Handelsgeschäft weiter sinken werden", sagt Hausknecht. Jeder, der Strom etwa via PV-Anlage selbst erzeugt, also ein Prosumer, kann dann jeden mit Strom beliefern. In New York wird das mit dem Brooklyn Micro Grid seit 2016 schon vorexerziert.
Generell werden sich die Erwartungen der Nutzer an Abrechnungen und Services ändern. „Ich kann jederzeit sehen, wo der Paketzusteller mit meiner Bestellung ist, erfahre aber nur einmal im Jahr, wie viel Wärme ich verbraucht habe – und nur selten, ob das gut oder schlecht ist", bringt das Dworschak auf den Punkt.
Möglich erscheinen ihm zudem neue Geschäftsmodelle wie Wärmeflatrates oder die Lieferung von einem Stück warmer Wohnung mit einer bestimmten Temperatur. Wegen der unterschiedlichen Anforderungen bei dezentralen Stromlieferungen, etwa bei Strom aus Photovoltaik oder Kraft-Wärme-Kopplung, seien zudem besonders Lösungen für einfache, aber rechtskonforme Messkonzepte interessant. Einige Dienstleister hätten Lösungen für die Abrechnung von Mieterstrom auf den Markt gebracht. Angesichts des zu erwartenden Ausbaus der Strominfrastruktur, etwa durch E-Mobilität, komme derartigen Lösungen auch künftig ein hoher Stellenwert zu.
Immobilienwirtschaft durch Kooperationen gut aufgestellt
Die Immobilienwirtschaft sieht Scherz aufgrund der erwähnten Kooperationen mit Energieversorgern gar nicht mal so schlecht aufgestellt. Die gemeinsamen Tochterfirmen entwickelten sich zu Medienlieferanten, die alles bis hin zur Telekommunikation abdeckten.
Die großen Wohnungsunternehmen wie Deutsche Wohnen, LEG, Vonovia, GWG München und GAG Köln hätten dies schon bewerkstelligt. Nun müssten die kleineren Gesellschaften mit bis zu 10.000 Wohneinheiten etwas tun, wollten sie nicht fortgeschwemmt werden. Die Immobilienwirtschaft werde aber keine Multikonzerne aufbauen. Dafür, so Scherz, seien die Nebenprozesse zu klein.
Dworschak hingegen schätzt, dass nicht alle Immobilienunternehmen diesen Schritt wirtschaftlich sinnvoll gehen können. Intensivere Kooperationen würden allerdings aufgrund der unterschiedlichen Kernkompetenzen notwendig. Die zukünftige Rolle der Immobilienwirtschaft liegt für Dworschak in der Planung, für die sie den Anstoß geben müsse. "In Zukunft wird es insbesondere in momentan unattraktiven Regionen wichtig sein, energie- und kosteneffizienten Wohnraum anzubieten. Die Immobilienwirtschaft ist hierbei der zentrale Akteur und hat die Aufgabe, die Planung für attraktive Quartiere zu beginnen und die notwendigen Experten an Bord zu holen", so Dworschak.
Gerade im Bestand könne die Immobilienwirtschaft eine Vorreiterrolle einnehmen und zusammen mit den Energiedienstleistern Effizienzen heben. Das sieht auch Hauskrecht so: "Die Eigentümer größerer Immobilienbestände in Quartieren können eine Bündelfunktion übernehmen. Damit kann die Fragmentierung des Wärmemarktes und die Kleinteiligkeit der Eigentümerstrukturen teilweise überwunden werden."
Erschienen im Softwareguide 2019 des Fachmagazins "Immobilienwirtschaft"