1 Leitsatz

Für die bereits vor dem 1.12.2020 (WEG-Reform) bei Gericht anhängigen WEG- Streitigkeiten besteht die Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers, der sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebende Rechte geltend macht, zunächst fort. Sie endet erst, wenn dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zugeht.

2 Normenkette

§§ 9a Abs. 2, 48 Abs. 5 WEG; § 51 ZPO

3 Das Problem

K und K1 bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Das Grundstück grenzt in dem Bereich des Gartens unmittelbar an das Grundstück des B. Im Jahr 2011 pflanzt B auf seinem Grundstück entlang der Grenze 4 Zypressen mit einem Grenzabstand von unter 4 Metern. Wohnungseigentümer K verlangt von B, diese Zypressen zu beseitigen. Das AG gibt der Klage statt. Das LG weist die Berufung zurück. Mit der Revision, die im Jahr 2021 zur Entscheidung ansteht, versucht B weiterhin zu erreichen, dass die Klage abgewiesen wird. Fraglich ist, welche Wirkungen § 9a Abs. 2 WEG hat. Genauer: Ob K durch § 9a Abs. 2 WEG die Möglichkeit verloren hat, gegen eine Störung des gemeinschaftlichen Eigentums vorzugehen.

4 Die Entscheidung

Der BGH verneint die Frage – im Grundsatz. Wenn die Prozessführungsbefugnis des K durch § 9a Abs. 2 WEG entfallen wäre, hätte dies zur Folge, dass sein Verfahren nutzlos wäre. Gegen die Annahme, dass diese Folge gewollt sei, spreche, dass die Gesetzesbegründung sich zum Problem von "Altverfahren" nicht äußere. Die so benannte Regelungslücke hätte der Gesetzgeber, hätte er sie erkannt, nach seinem Plan mit einer Regelung geschlossen, die sich an der Vorschrift des § 48 Abs. 5 WEG orientiert, zugleich aber auch den Rechtsgedanken des § 9a Abs. 2 WEG einbezieht. Die Zielsetzung des Gesetzgebers rechtfertige es, die Lücke dahingehend zu schließen, dass für die bereits vor dem 1.12.2020 bei Gericht anhängigen Verfahren die Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers, der sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebende Rechte geltend mache, über diesen Zeitpunkt hinaus in Anwendung des Rechtsgedankens des § 48 Abs. 5 WEG fortbestehe, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Kenntnis gelange.

5 Hinweis

Problemüberblick

Im Fall geht es neben Problemen des Nachbargesetzes in Baden-Württemberg, die hier nicht weiter verfolgt werden sollen, um die Frage, welchen Einfluss das Inkrafttreten des WEMoG am 1.12.2020 auf bereits laufende Störungsbeseitigungsprozesse hatte. Bis Ende November 2020 war es nämlich kein Problem, dass ein Wohnungseigentümer gegen Dritte (auch) wegen einer Störung des gemeinschaftlichen Eigentums vorgegangen ist. Zwar hatten die Wohnungseigentümer die Möglichkeit, die Störungsabwehr zu "vergemeinschaften". In diesem Fall wäre K nicht mehr befugt gewesen, selbst den Prozess zu führen. Einen Zwang zu einer Vergemeinschaftung gab es aber nicht. In dem seit dem 1.12.2020 geltenden Recht ist es hingegen anders. Denn nach § 9a Abs. 2 WEG i. V. m. § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB kann wegen einer Störung des gemeinschaftlichen Eigentums nur noch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gegen einen Grundstücksnachbarn vorgehen. Eine Vergemeinschaftung ist daher gar nicht mehr vorgesehen. Über sie kann man eigentlich nur noch in Bezug auf das Bauträgerrecht nachdenken.

Störung des gemeinschaftlichen Eigentums

Macht ein Wohnungseigentümer geltend, durch die Benutzung des gemeinschaftlichen Eigentums, eines anderen Sondereigentums oder – wie im Fall – durch die Nutzung eines benachbarten Grundstücks werde das gemeinschaftliche Eigentum unzulässig gestört, kann nach § 9a Abs. 2 WEG nur die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gegen diese Störung auf Unterlassung/Beseitigung vorgehen. Diese Störung kann in einem Geräusch, einem Geruch oder einer anderen Einwirkung, z. B. der Unterschreitung des gebotenen Abstands, bestehen.

Dies sieht der BGH eigentlich nicht anders. Nur für eine Übergangszeit bejaht er die Möglichkeit, dass Wohnungseigentümer, die bereits gegen eine Störung gerichtlich vorgehen, nicht ihre Prozessführungsbefugnis verlieren. Allerdings sieht auch er das Problem, dass die Miteigentümer diese Klage vielleicht nicht wollen. Daher hat der BGH ein dogmatisch überraschendes Modell entwickelt. Zwar soll eine Klage ungeachtet des § 9a Abs. 2 WEG fortgesetzt werden können. Dies soll aber nicht gelten, wenn die Wohnungseigentümer den Kläger gleichsam "ausbremsen".

Folgen für die Verwaltungen

Dieses BGH-Denken fordert den pflichtgemäßen Verwalter als Organ der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer für eine Übergangszeit in einem 1. Schritt dazu auf, zu ermitteln, ob ein Wohnungseigentümer seit einem Zeitpunkt, der vor dem 1.12.2020 liegt, bereits gerichtlich gegen einen anderen Wohnungseigentümer, gegen einen Drittnutzer, z. B. einen Mieter, oder einen Nachbarn vorgeht.

Dazu sollten die Wohnungseigentümer schriftlich oder in Textform mit Bezug auf...

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