Leitsatz (amtlich)

1. Ein Gewinnstreben eines kommunalen Wohnungsunternehmens steht der Nichtgewerblichkeit der im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe der sozialen Wohnraumversorgung nach § 99 Nr. 2 GWB und damit der Eröffnung des Vergaberechtswegs nicht stets entgegen. Dies gilt erst recht, wenn die Gewinnerzielung für den kommunalen Gesellschafter nur ein "nice to have" ist und fehlende Gewinnaussichten den Fortbestand des Unternehmens nicht ernstlich in Zweifel ziehen würden. Denn dann besteht die objektive Gefahr, dass sich das unter kommunaler Kontrolle stehende Unternehmen bei der Vergabe von Aufträgen von anderen als rein wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt.

2. Die Aufhebung eines Vergabeverfahrens unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 04.07.2019 - C-377/17 - zur Unvereinbarkeit der Honorarmindestsätze der HOAI mit Gemeinschaftsrecht ist grundsätzlich nicht nach § 63 Abs. 1 S. 1 VgV gerechtfertigt, kann aber als freie, ggf. zum Schadenersatz verpflichtende Aufhebung nach § 63 Abs. 1 S. 2 VgV wirksam sein.

 

Normenkette

GWB § 99 Nr. 2; VgV § 63 Abs. 1 Sätze 1-2

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern vom 20.05.2019 - 2 VK 2/19 - wird unter Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung der Aufhebung festgestellt, dass die Antragstellerin durch die von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 25.07.2019 mitgeteilte Aufhebung des Vergabeverfahrens "Neubau eines generationsübergreifenden Gebäudekomplexes im J.-Ring 10-16 in N." in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 GWB verletzt ist, da die Aufhebungsentscheidung nicht von einem Aufhebungsgrund des § 63 Abs. 1 Satz 1 VgV gedeckt ist.

Die weitergehende sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern vom 20.05.2019 - 2 VK 2/19 - wird verworfen.

2. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB tragen die Antragstellerin 3/4 und die Antragsgegnerin 1/4. Die Antragstellerin trägt die notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren einschließlich der Kosten des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB zu 3/4, die Antragsgegnerin diejenigen der Antragstellerin zu 1/4. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 140.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin, eine kommunale Wohnungsgesellschaft, schrieb im April 2018 die Vergabe von Planungsdienstleistungen für den Neubau eines generationsübergreifenden Gebäudekomplexes in N. im Wege eines nichtoffenen Planungswettbewerbs mit nachgelagertem Verhandlungsverfahren aus und machte die Ausschreibung im Supplement des Amtsblatts der EU bekannt. Die Bekanntmachung nahm pauschal auf die HOAI Bezug und sah bei den Zuschlagskriterien eine Gewichtung des Honorarparameters von 10 % vor.

Das Angebot der Antragstellerin erzielte im Planungswettbewerb den 1. Platz. Nach Verhandlungsgesprächen und Übergabe der Vergabeunterlagen, welche die Vorgabe zur Beachtung der HOAI-Mindestsätze enthielten, wurden die Antragstellerin und die Beigeladene als einzig verbliebene Bieter schriftlich aufgefordert, finale Angebote bis zum 22.03.2019, 12.00 Uhr, einzureichen. Das Angebot der Antragstellerin ging fristgemäß ein. Das Angebot der Beigeladenen ging verspätet ein, wurde jedoch von der Antragsgegnerin mit der Begründung zugelassen, die Beigeladene habe die Verspätung nicht zu vertreten.

Mit Schreiben vom 12.04.2019 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass der Beigeladenen der Zuschlag erteilt werden solle. Nachdem die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin erfolglos Vergaberechtsverstöße rügte, hat sie am 18.04.2019 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern eingereicht.

Dort hat die Antragstellerin beantragt,

1. die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gemäß §160 ff. GWB,

2. die Gewährung von Akteneinsicht in die Vergabeakten der Antragsgegnerin gemäß § 165 Abs. 1 GWB,

3. festzustellen, dass die Antragstellerin durch das Verhalten der Antragsgegnerin im Vergabeverfahren "Planungsleistungen und Neubau generationsübergreifender Gebäudekomplex N. mit anschließendem Verhandlungsverfahren", Ausschreibungsnummer der Antragsgegnerin: 01/18_VST, in ihren Rechten aus §97 Abs. 6 GWB verletzt wird,

4. geeignete Maßnahmen zu treffen, um die von der Vergabekammer festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen,

hilfsweise zu 4:

5. für den Fall der Erledigung des Nachprüfungsverfahrens durch Aufhebung oder durch sonstige Weise, festzustellen, dass eine Rechtsverletzung vorgelegen hat,

6. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für die Antragstellerin erforderlich gewesen ist,

7. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für die Antragsgegnerin nicht erforderlich gewesen ist,

8. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufw...

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