Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 27.12.2017 (VK 1-137/17) aufgehoben.

Die Aufhebung des Vergabeverfahrens "Erweiterung Marie-Elisabeth-Lüders-Haus - Abbruch-, Fräs- und HDW-Arbeiten" wird aufgehoben und das Vergabeverfahren in den Stand vor Ausschluss des Angebots der Antragstellerin zurückversetzt.

Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer und die der Antragstellerin in diesem Verfahren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin schrieb im Juni 2017 Sanierungsarbeiten an der von der Antragstellerin im Rohbau hergestellten WU-Konstruktion aus Stahlbeton im Bereich der Bodenplatte des Erweiterungsbaus des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses (MELH) europaweit im offenen Verfahren aus (2017-S 118-236146). Die Ausschreibung war in zwei Lose aufgeteilt. Los 1 betraf Abbruch-, Fräs- und Hochdruckwasserstrahlen(HDW)-Arbeiten, Los 2 Betonerhaltungsarbeiten nach DIN 18331/18349. Zuschlagskriterium war der Preis. Die Antragstellerin gab für beide Lose das günstigste Angebot ab. Allerdings schloss die Antragsgegnerin die Antragstellerin wegen Ausführungsmängeln des Rohbaus und einer hierauf gestützten vorzeitigen Beendigung des Vertrags gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB vom Verfahren aus. Dies hatte folgenden Hintergrund:

Die Antragstellerin hatte im Juni 2011 nach europaweiter Ausschreibung den Zuschlag für die Errichtung des Rohbaus einschließlich Bodenplatte für den Erweiterungsbau des MELH in C. von der Antragsgegnerin erhalten. Der Auftragswert betrug rund... Millionen Euro brutto. Grundlage des erteilten Auftrags war das Leistungsverzeichnis "Erweiterung Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Rohbauarbeiten Neubau" vom 04.01.2011. Die Bodenplatte sollte danach als wasserundurchlässige WU-Konstruktion ausgeführt werden. Da das unterste Geschoss des MELH sämtliche Zentralen der Haustechnik des Gebäudes beherbergen sollte, war die Wasserundurchlässigkeit der Bodenplatte unabdingbar. Gewählt wurde die Nutzungsklasse A gemäß Richtlinie des deutschen Ausschusses für Stahlbeton (DAfStb) für "wasserundurchlässige Bauwerke aus Beton", die folgende Kriterien erfüllen muss: Wasserdurchtritt in flüssiger Form nicht zulässig, Feuchtstellen auf der Bauteiloberfläche als Folge von Wasserdurchtritt sind auszuschließen.

Die Bodenplatte wurde nach damaligem Stand der Technik als fugenlose WU-Konstruktion mit planmäßig auftretender Rissbildung konzipiert. Dabei war die Dichtigkeit der Bodenplatte so herzustellen, dass auftretende Trennrisse in ihrer Rissbreite begrenzt waren und sich die Trennrisse bei Wasserbeaufschlagung durch Selbstheilung und Versinterung abdichten sollten. In der Vorbemerkung zum Leistungsverzeichnis heißt es unter anderem:

"Zur Sicherstellung einer ausreichenden Gebrauchstauglichkeit wurde die rechnerische Rissbreite infolge Lasten und/oder Zwang gemäß DIN 1045-1 Abschnitt 11.2 mindestens unter der Annahme einer zentrischen Zwangsbeanspruchung aus fließender Hydrationswärme in der statischen Berechnung nachgewiesen. Die Einhaltung dieser Rissbreiten ist unbedingt sicherzustellen und auch durch betontechnologische Maßnahmen zu unterstützen.

Undichte Stellen, Fehlstellen bzw. Rissbreiten, die die Richtwerte überschreiten, müssen nachträglich vom AN fachgerecht verpresst werden."

Eine gesonderte Leistungsposition zum Verpressen etwaiger Risse enthielt das Leistungsverzeichnis nicht.

Mit Schreiben vom 01.11. und 28.11.2011 sowie vom 16.12.2011 meldete die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin Bedenken gem. § 4 Abs. 3 VOB/B dahingehend an, dass aufgrund der von der Planung vorgesehenen Bauweise ohne Bewegungsfugen Risse auftreten würden. Diese könnten nicht vermieden werden. Eine Nachbesserung könne nicht zu ihren Lasten erfolgen. Die planerische Forderung, die Rissbreiten bis 0,15 mm zu begrenzen, könne bei den gegebenen Bauwerksabmessungen nicht erfüllt werden. Die Vorgaben der WU-Richtlinie seien schon durch die Abbildung des Bauwerks als theoretisches Gesamtsystem (Faltwerk incl. kombinierte Platten-/Pfahlgründung) ohne die Berücksichtigung von Bauzuständen und den reellen Elastizitätsmodulen der einzelnen Betonbauteile nicht möglich.

Ab Dezember 2012 traten nach Abschaltung der Wasserhaltung Undichtigkeiten in Gestalt wasserführender Risse an der WU-Konstruktion der Bodenplatte auf, die zu Wassereintritten in den Rohbau führte. Der geplante Bauablauf verzögerte sich.

Unter dem 03.12.2012 und 26.02.2013 verfasste die Antragsgegnerin Mängelanzeigen wegen eindringenden Wassers. Die Antragstellerin führte daraufhin etwa eineinhalb Jahre lang Rissverpressungen zur Abdichtung durch, in deren Verlauf es zu oberflächlichen Beton...

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