Leitsatz (amtlich)

1. Das Energieversorgungsunternehmen, das in der Grundversorgung verschiedene Tarife anbieten kann, ist dabei nicht auf eine verbrauchsabhängige Differenzierung beschränkt. Auch höhere Beschaffungskosten können ein sachlicher Grund für eine Preisdifferenzierung sein.

2. Die Tarifspaltung zwischen Alt- und Neukunden beruht auf einem sachlichen Grund und stellt daher keine Diskriminierung dar, wenn das als Grund- und Ersatzversorger tätige Energieversorgungsunternehmen damit dem Umstand Rechnung trägt, dass es in einem nicht vorhersehbaren Maße zusätzliche Energie - und das zu höheren Preisen - beschaffen muss, weil es durch die unvorhersehbare Entwicklung auf den Energiemärkten zum Ende des Jahres 2021 und das kurzfristige Ausscheiden einzelner Energielieferanten aus dem Markt zumindest vorübergehend zusätzliche Haushaltskunden in erheblichem Umfang zu beliefern hat.

 

Normenkette

EnWG §§ 36, 38, 102, 106, 108

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Aktenzeichen 10 O 11/22 [EnW])

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund vom 02.03.2022 (Az. 10 O 11/22 [EnW]) in der Fassung der Nichtabhilfeentscheidung vom 11.03.2022 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Frage, ob die Antragsgegnerin es zu unterlassen hat, ihren Kunden, die Energie über die Grund- oder Ersatzversorgung beziehen, je nach dem Zeitpunkt des Versorgungsbeginns unterschiedliche Preise anzubieten.

Der Antragsteller ist die Verbraucherzentrale O. e.V., der sich nach seiner Satzung der Durchsetzung von Verbraucherinteressen widmet. Er ist in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen.

Die in H. ansässige Antragsgegnerin ist ein kommunales Energieversorgungsunternehmen und Grund- und Ersatzversorger i.S.d. §§ 36, 38 EnWG im Bereich der leitungsgebundenen Versorgung mit Strom und Gas.

Mit Wirkung ab dem 21.12.2021 unterscheidet die Antragsgegnerin in der Preisgestaltung bei der Grund- und Ersatzversorgung zwischen Alt- und Neukunden. Kunden, deren Vertrag vor dem 21.12.2021 begonnen hat (im Folgenden: Altkunden), zahlen ein geringeres Entgelt als Kunden, deren Vertrag am 21.12.2021 oder später (im Folgenden: Neukunden) begonnen hat. Wegen der Einzelheiten der Tarifgestaltung ab dem 21.12.2021 wird auf die Preisblätter der Antragsgegnerin zu Strom und Gas Bezug genommen (Anl. AS 2). Die Tarife der Grund- und Ersatzversorgung sind im Übrigen identisch.

Der Antragsteller hat die Antragsgegnerin erfolglos abgemahnt.

Er hat behauptet, er habe erstmals am 28.12.2021 von der unterschiedlichen Preisgestaltung bei Alt- und Neukunden Kenntnis erlangt. Er hat gemeint, die Preisgestaltung mit einer Unterscheidung zwischen Alt- und Neukunden sei rechtswidrig. § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG sei eine verbraucherschützende Norm i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 UKlaG. Die Differenzierung von Grundversorgungstarifen nach Alt- und Neukunde verstoße gegen § 36 Abs. 1 S. 1 EnWG, weil eine Aufspaltung innerhalb der gleichen Verbrauchsgruppe unzulässig sei. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut, dem Regelungszweck und der richtlinienkonformen Auslegung der Norm. Der Verfügungsanspruch folge daneben auch aus §§ 3a, 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 S. 1 UWG wegen eines Verstoßes gegen die Marktverhaltensregel des § 36 EnWG.

Der Antragsteller hat beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, Ordnungshaft zu vollstrecken an den Mitgliedern des Vorstands, es im Rahmen geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern im Zusammenhang mit Strom- und/oder Gaslieferverträgen in der Grund- und/oder Ersatzversorgung künftig zu unterlassen, Haushaltskunden i.S.d. § 3 Nr. 22 EnWG zu unterschiedlichen Preisen zu beliefern, wenn für die Unterscheidung allein das Datum des Vertragsschlusses wesentlich ist.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie hat gemeint, § 36 EnWG sei schon kein Verbraucherschutzgesetz i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 UKlaG. Jedenfalls aber verstoße ihre Preisdifferenzierung nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses dagegen nicht. Die Differenzierung sei erfolgt, weil zahlreiche Kunden aufgrund von Kündigungen oder Insolvenzen dritter Energielieferanten die Grund- oder Ersatzversorgung in Anspruch nähmen. Daher sei der Energiebedarf der Grundversorger sprunghaft angestiegen, sodass die zusätzlich benötigte Energie kurzfristig am Markt und zwar zu erheblich höheren Preisen beschafft werden müsse.

Das zunächst angerufene Landgericht Bochum hat sich mit Beschluss vom 10.02.2022 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren auf Antrag des Antragstellers mit Zustimmung der Antragsgegnerin an das Landgericht Dortmund - Kammer für Handelssachen/Energiekammer - verwiesen. Diese hat den Antrag auf Erlass einer einstwe...

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